Vorsehung

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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marcus-cgn
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Vorsehung

Beitrag von marcus-cgn »

Das Jahr geht zu Ende und man reflektiert Vergangenes. In dem Zusammenhang ist mir ein Gedanke gekommen, der schwer in Worte zu kleiden ist. Trotzdem will ich es mal versuchen, in der Hoffnung, dass ich mich nicht zu missverständlich ausdrücke:

Es geht um das Thema Vorsehung. Als Chisten gehen wir ja davon aus, dass die Welt und das Leben eines jeden Einzelnen ganz von der göttlichen Vorsehung durchdrungen ist. Wie verträgt sich mit einem solchen Glauben der Ausspruch, der häufig dahin gesagt wird: Wenn ich die Zeit um 10 oder 15 Jahre zurückdrehen könnte und hätte dann das Wissen von heute, ich würde dieses oder jenes ganz anders machen...oder: Wenn ich gewusst hätte wo dieses oder jenes hinführt hätte ich es gar nicht erst angefangen. Liegt darin bereits eine sündhaftes Revoltieren gegen den Willen Gottes oder ist es Ausdruck menschlicher Lebensgestaltung - die sich in den genannten Beispielen natürlich in einer fiktiven Reflexion erschöpft?

Der Knackpunkt bei diesem Gedankenexperiment ist, dass man für sich - natürlich rein fiktiv - ein überlegenes Wissen wünscht (wenn ich das vorher gewusst hätte) um den Kausalverlauf zu ändern (wenn man es denn könnte). Ist das nicht ein wesentlicher Punkt, wo sich die menschliche Sicht von der göttlichen unterscheidet? Entspricht es nicht gerade einem menschlichen Akt, dass er ins Ungewisse läuft und liegt dort nicht das eigentliche Feld der göttlichen Vorsehung?

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taddeo
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Re: Vorsehung

Beitrag von taddeo »

marcus-cgn hat geschrieben:Liegt darin bereits eine sündhaftes Revoltieren gegen den Willen Gottes oder ist es Ausdruck menschlicher Lebensgestaltung - die sich in den genannten Beispielen natürlich in einer fiktiven Reflexion erschöpft?
Das gehört ja eigentlich zum Besonderen des Menschseins dazu, daß er als einziges Lebenwesen fähig ist, sich solche Gedanken zu machen. Das "Geschichtsbewußtsein" ist bestimmt kein "sündhaftes Revoltieren gegen den Willen Gottes", sondern eher ein Schritt auf dem Lernprozeß für die künftige Lebensgestaltung. Wenn ein Mensch sagt "wenn ich das gewußt hätte, hätte ich dies und das damals anders gemacht", dann zieht er ja normalerweise daraus auch Konsequenzen für sein aktuelles und künftiges Handeln.

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marcus-cgn
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Re: Vorsehung

Beitrag von marcus-cgn »

taddeo hat geschrieben:
marcus-cgn hat geschrieben:Liegt darin bereits eine sündhaftes Revoltieren gegen den Willen Gottes oder ist es Ausdruck menschlicher Lebensgestaltung - die sich in den genannten Beispielen natürlich in einer fiktiven Reflexion erschöpft?
Das gehört ja eigentlich zum Besonderen des Menschseins dazu, daß er als einziges Lebenwesen fähig ist, sich solche Gedanken zu machen. Das "Geschichtsbewußtsein" ist bestimmt kein "sündhaftes Revoltieren gegen den Willen Gottes", sondern eher ein Schritt auf dem Lernprozeß für die künftige Lebensgestaltung. Wenn ein Mensch sagt "wenn ich das gewußt hätte, hätte ich dies und das damals anders gemacht", dann zieht er ja normalerweise daraus auch Konsequenzen für sein aktuelles und künftiges Handeln.
Gut. Die Frage ist, ob eine solche Überlegung bereits zum Geschichtsbewußtsein gehört.

Man könnte das Problem aber auch an einem Schriftwort erklären:

"Wir verkünden das Geheimnis der vorborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätte einer sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt" (1 Kor 2, 7 f.).

Zwar geht es hier konkret um den Kern der Heilsgeschichte, aber sie ist ja auch Teil der göttlichen Vorsehung. Entscheidender ist aber der zweite Satz, der in etwa die oben umschriebene Problematik aufnimmt.

magda_lena
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Re: Vorsehung

Beitrag von magda_lena »

marcus-cgn hat geschrieben:Liegt darin bereits eine sündhaftes Revoltieren gegen den Willen Gottes
Vielleicht liegt darin der Prolog zu einer Gewissenserforschung, der Beginn von Reue.

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ChrisCross
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Re: Vorsehung

Beitrag von ChrisCross »

magda_lena hat geschrieben:
marcus-cgn hat geschrieben:Liegt darin bereits eine sündhaftes Revoltieren gegen den Willen Gottes
Vielleicht liegt darin der Prolog zu einer Gewissenserforschung, der Beginn von Reue.
Zu begründen ist das natürlich noch damit, dass es natürlich nichts schlechtes ist, im Nachhinein Fehler einzusehen und nicht gemacht haben zu wollen. Es ist ja nicht so, dass alles, was die göttliche Vorsehung umfasst, auch gleich das ist, was Gott sich von seiner Schöpfung wünscht. Nur kann er eben mit all diesem mangelhaften dennoch in seiner Weisheit und Allmacht die Schöpfung auf sich hinordnen und zu ihm als Ziel führen.
Vielleicht hilft ein Beispiel: Stell dir einmal einen Mechaniker vor, der aus ein paar Teilen, die er geliefert bekommt, ein Auto bauen kann und will. Da der Mechaniker ein Profi ist, wird er das zweifelsohne schaffen. Nur ist es von Seiten des Liferanten doch netter, ihm gleich die guten Teile zu liefern, statt immer nur Schrott anzukarren, den man noch kompliziert und dann doch nützlich unterbringen kann. Auch der Zulieferer wird wohl irgendwann einsehen, dass es doch besser gewesen wäre, gute Teile zu liefern und Reue mit Recht empfinden.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
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Reinhard
cum angelis psallat Domino
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Re: Vorsehung

Beitrag von Reinhard »

Da klingt mir doch einiges, als würden hier Lebensplanung und Vorsehung munter vermischt und verwechselt ...

Im Sinne einer effizienten, erfolgsorientierten Lebensplanung sind Umwege und Scheitern ein Fehler, den man besser vermeidet.
Bei Gott - und somit auch Seiner Vorsehung - sieht das ganz anders aus. Dass Gott auf krummen Linien gerade schreibt, ist durchaus nicht Notmaßnahme, sondern Prinzip. "Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig" sagt Er, und dazu gehören auch Wege des Scheiterns und der Fehler: "Schrott" sozusagen. Aber der ist notwendig, damit wir in Sein Bild hinein wachsen. Denn Jesus selbst ist keinen Erfolgsweg gegangen, sondern hat durch das Scheitern hindurch uns erlöst.

Würde Er es nochmal machen ? - ich weiß es nicht, die Frage stellt sich glücklicherweise auch nicht. Blut und Wasser hat Er jedenfalls schon vorher geschwitzt.

Auf jeden Fall gehören viele Sachen, "wie wir es nicht nochmal machen würden" zu dem guten Weg Gottes mit uns, zu Seiner Vorsehung unbedingt dazu, das ist sicher.
Gottes Sicht reicht viel weiter als unsere "Effizienz". Das merke ich bei den "Abwegen", die es in meinem Leben gab, und auch in den Lebenswegen vieler Heiligen ganz deutlich.

Vorhin las ich einen Blogozese-Artikel, der diese Perspektive auch noch einmal beleuchtet.

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marcus-cgn
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Re: Vorsehung

Beitrag von marcus-cgn »

Die bisherigen Antworten - insbesondere die von Reinhard - haben mir gut gefallen. Ich würden noch gerne einen anderen Aspekt in die Diskussion einbringen.

Wie steht der Umstand, dass Gott allwissend ist im Verhältnis zur Vorsehung. Ich habe zum ersten Punkt eine schöne Ausführung gelesen, man müsse sich die Sichtweise Gottes mit einem erhöhten Standpunkt vorstellen, von dem er bildlich gesprochen das ganze Panorama der Weltgeschichte - vom ersten bis zum jüngsten Tag - überschaue. Er sieht also nicht was morgen geschieht, indem er nach menschlicher Vorstellung nach vorne "blättert", sondern er sieht gestern, heute und morgen in einem Blick, so dass man auf diese Weise wörtlich sagen kann: Gott sieht alles.

Auf diese Weise sieht Gott ja auch in einem Blick Fall oder Erhöhung eines Menschen, nicht weil es für den Menschen ein unausweichliches Schicksal wäre, sondern weil es der erhabeneren Sichtweise Gottes entspricht.

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ChrisCross
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Re: Vorsehung

Beitrag von ChrisCross »

Reinhard, sollte das so wirken, als würde Gott genötigt werden, mit etwas so schlechtem zu arbeiten, war das so nicht gemeint. Das ganze sollte natürlich nur ein paar Aspekte ansprechen, die eben erklären, warum man bereuen darf und muss, ohne dabei zu meinen, man würde die Vorsehung damit verwerfen. Um mehr ging es dabei nicht.

Dass Gott die Zeit überblickt ist natürlich richtig. Dort wird die Erklärung nur waklig, bei der es um die Bewahrung der Willensfreiheit geht, wenn man nicht nur Gott das Wissen zugesteht, sondern dieser es auch zeitlichen naturen offenbart. Denk zum Beispiel einmal an Judas, der auch schon wusste, dass er Jesus verraten würde. Insofern stand seine Entscheidung auch im Vorraus fest. Wenn du nun nach einer Lösung suchst, solltest du dich einmal über den Streit zwischen Thomisten und Molinisten bezüglich des freien Willens in Wetzer und Welte's Kirchenlexikon informieren. Ein guter Einstieg sind da vielleicht die Artikel zu Báñez und Molina.
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