Klerus und Laien in der Kirchengeschichte

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Dr. Dirk
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Klerus und Laien in der Kirchengeschichte

Beitrag von Dr. Dirk »

Das Thema wurde von "Theologiestudium - und dann? Hilfe!" abgetrennt. Dirk hat es nicht eröffnet.
cathol01 hat geschrieben:Historiker nennen die Dinge beim Namen. Sie stützen sich dabei auf Fakten. Dass da das eine oder andere dem einen oder anderen nicht in den Kram passt, ist nicht verwunderlich. Historiker aber deshalb als häretisch zu bezeichnen, ist ganz einfach blöd.
Nun ja, man bedient sich der Fakten und schwupps werden die Waldenser zu einer Art Vorläufer der Franziskaner, nur Franziskus hat klüger gehandelt, wie hier bei Smolinsky zu lesen ist.

Zu behaupten, Historiker stützten sich auf Fakten und würden deshalb die Dinge beim Namen nennen, können also gar nicht häretisch sein, ist mir doch ein wenig zu naiv.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Dank für den Hinweis auf Smolinskys Vortrag, Dirk. – Smolinsky stellt sich die Aufgabe zu »zeigen, wo und wie Laien ohne klerikale Gängelung in der Geschichte der Kirche aktiv geworden sind.« Vom Gegensatz, ja vom Gegeneinander des Klerus und der Laien geht er also als von einer apriorischen Voraussetzung aus, die nicht hinterfragt wird. Vielmehr bestimmt diese Voraussetzung ganz und gar schon seine Wahrnehmung, erst recht die Interpretation der Geschichte.

Ich kann jetzt nicht das ganze Stück durchackern. Einige Punkte fallen aber schon bei oberflächlicher Lektüre auf, und darum will ich etwas davon kurz andeuten. – Daß Smolinsky den Ægidius Romanus kurz als „Papalisten“ abtut, liegt auf derselben Linie wie die Qualifizierung Papst Bonifazens VIII. als absoluten Gegners „der Laien“. An sich sollte schon stutzig machen, daß derselbe Ægidius einige Zeit vor seiner Schrift de ecclesiastica potestate, an welche der Vortragende wohl denkt, auch den berühmten Fürstenspiegel de regimine principum für Bonifazens späteren Gegner Philipp den Schönen verfaßt hat.

Der Fehler liegt darin, daß Smolinsky zwei ganz verschiedene Kategorien vermengt: das Verhältnis von Klerus und Laien in der Kirche auf der einen Seite und den Konflikt von regnum und sacerdotium, also weltlicher und kirchlicher Gewalt, auf der andern Seite. Kennt Smolinsky überhaupt die Rolle, die Laien im jenem Streit um regnum und sacerdotium gespielt haben, und zwar auf beiden Seiten? Auch der Klerus war natürlich auf beiden Seiten zu finden.

Was in den Kontext des Konflikts um die Ableitung irdischer Gewalt gehört, wird von Smolinsky präsentiert, als ginge es um die Ablehnung der Verkündigung des Evangeliums durch Laien. Man hat den Eindruck, als kennte der Freiburger Professor die Quellen jener Zeit, hier des dreizehnten und vierzehnten Jarhunderts, und namentlich die italienischen Quellen nicht wirklich. Hat er eigentlich Dantes Monarchia gelesen?

Wo Smolinsky kurz von einer »Klerikalisierung« durch die gregorianische Reform spricht, verschweigt er den gewichtigen Anteil, die eine aus dem Volk kommende Laienbewegung an der Durchsetzung jener Reform hatte, nämlich die Pataria in Mailand und andern italienischen Städten.

Über Petrus Waldes weiß Smolinsky: »Am Ende drängte man ihn und seine Anhänger aus der Kirche hinaus«. In der Tat, das ist »abgekürzt gesagt«, wie der Autor selbst zugibt. Er verschweigt, daß vor der Verurteilung im Jahre 1184 noch 1179 das Lateranense III zumindest die Rechtgläugigkeit der Waldenser anerkannt hatte, wenn es auch deren Predigt außerhalb des kirchlichen Rahmens – ohne Bevollmächtigung durch einen Priester – untersagte. Richtig ist freilich, daß praktisch alle Verantwortlichen der Kirche sich angesichts der neuen Herausforderung hilf- und ratlos zeigten – zahlreiche Briefe, in denen Bischöfe um Rat fragen, belegen das – und nicht adäquat zu reagieren vermochten.

Das änderte sich jedoch – und auch dies verschweigt unser Professor – mit dem Pontifikat Innozenzens III., dem die Abwehr der gnostischen Häresie der Katharer oder Albigenser ein besonderes Anliegen war, der dabei zugleich aber die neue Armutsbewegung zu verstehen suchte und sie, soweit sie rechtgläubig war, in den Verkündigungsdienst der Kirche und die Ketzermission einband.

Hierher gehört, daß 1208 ein Teil der waldensischen Anhängerschaft sich mit der Kirche versöhnte, darunter mit Durandus von Huesca einer der führenden Gefährten des Petrus Waldes. Aus dem Bekenntnis, das die Waldenser ablegen mußten, läßt sich ungefähr erkennen, welche Gründe oder Gefahren zur Verurteilung von 1184 geführt hatten. Keineswegs nämlich ging es einfachhin bloß um „Laienpredigt“, wie Smolinsky meint. Um die Frage, ob einer Laie oder Kleriker war, ohnehin nicht: denn unter den waldensischen Wanderpredigern gab es durchaus auch Kleriker.

Nein, der kritische Punkt war die Anbindung an die kirchliche Autorität. Zugegeben, in den siebziger und achtziger Jahren der zwölften jahrhunderts zeigte sich neben allgemeiner Ratlosigkeit nicht selten auch der Hochmut gebildeter Theologen gegenüber tatsächlich oder vermeintlich ungebildeten Laien. Damit war es nun unter Innozenz III. vorbei. Man ging ernsthaft auf die neuen Bewegungen ein.

Die Bekenntnisformel von 1208 zeigt jedoch, daß unter manchen waldensischen Gruppen ein gewisser Hochmut gegenüber der hierarchischen Kirche, gegenüber den Hirten bestand, der sich nicht auf Mangel an Gehorsam beschränkte, sondern der – wie einst der Donatismus – von „unwürdigen“ Klerikern gespendete Sakramente für ungültig erklärte. Wurde aber schon dies nicht wirklich von der ganzen Bewegung mitgetragen, so erst recht nicht die extremistische Zuspitzung einiger, welche – so können wir aus jener Bekenntnisformel schließen – sich des verhaßten Klerus ganz entledigen wollten und priesterlose „Abendmahlsfeiern“ abhielten, wie nachmals in der Reformation oder in Teilen des russischen Raskol.

Solche Abweichungen nun aber generell als genuine Aufgabe der Laien »ohne klerikale Gängelung« hinzustellen, die normal oder gar wünschenswert sei, sobald »der Klerus die Laien nicht massiv behinderte«, das ist weder historisch korrekt noch theologisch vertretbar. Es handelt sich vielmehr um offenkundige Häresien – die übrigens quer durch die Geschichte der Kirche wohl weit häufiger von Klerikern als von Laien ersonnen wurden –, die in allerhand Abspaltungen von der Kirche mündeten. Kaum ein Vorbild für mich als Laien.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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