EKD-Vorsitzender Schneider: "Das Leben ist nicht gerecht"

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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ad-fontes
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EKD-Vorsitzender Schneider: "Das Leben ist nicht gerecht"

Beitrag von ad-fontes »

so sagte er es heute früh im ZDF um viertel nach Neun. Auch wenn der Kontext nicht streng theologisch war, kann man das als Theologe, als Christ so sagen?

Gott ist gerecht, aber sind die Widrigkeiten in unserem Leben Zeichen oder Ausdruck von Ungerechtigkeit? Kann man das irdische Leben aus christlicher Sicht so bewerten, ohne Gottes Gerechtigkeit Abbruch zu tun?
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Guerric
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Re: EKD-Vorsitzender Schneider: "Das Leben ist nicht gerecht"

Beitrag von Guerric »

Na, das das Leben nach den üblichen menschlichen Masstäben nicht "gerecht ist" ist doch wohl kaum abzustreiten. Oder?
Guerric

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Hubertus
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Re: EKD-Vorsitzender Schneider: "Das Leben ist nicht gerecht"

Beitrag von Hubertus »

keine Umfrage? :achselzuck:
Der Kult ist immer wichtiger als jede noch so gescheite Predigt. Die Objektivität des Kultes ist das Größte und das Wichtigste, was unsere Zeit braucht. Der Alte Ritus ist der größte Schatz der Kirche, ihr Notgepäck, ihre Arche Noah. (M. Mosebach)

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ad-fontes
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Re: EKD-Vorsitzender Schneider: "Das Leben ist nicht gerecht"

Beitrag von ad-fontes »

Hubertus hat geschrieben:keine Umfrage? :achselzuck:
zu früh.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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ChrisCross
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Re: EKD-Vorsitzender Schneider: "Das Leben ist nicht gerecht"

Beitrag von ChrisCross »

Chrysostomus - Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus. Neunte Homilie. Kap II, V.16-22. hat geschrieben: 2. Nun ja, sagst du, damit hast du allerdings den Herodes als ganz unentschuldbaren blutgierigen Menschen hingestellt, aber noch nicht bewiesen, dass die Tatsache selbst kein Unrecht war. Wenn auch Herodes unrecht handelte, warum hat aber Gott dies überhaupt zugelassen? Was soll ich darauf erwidern? Dasselbe, was ich ohnehin immer in der Kirche, auf der Straße und sonst überall sage, und was ich auch euch gerne recht tief einprägen möchte; denn es ist eine Antwort von allgemeiner Gültigkeit, die auf jede ähnliche Frage paßt. Wie lautet also diese prinzipielle Antwort? Ich sage: Viele gibt es, die Unrecht tun, aber nicht einen, der Unrecht leidet" Damit euch aber das Rätsel nicht noch mehr verwirre, will ich euch gleich die Erklärung dazu geben. Sooft wir von irgendeiner Seite Unrecht leiden, so rechnet uns dies Gott entweder als Buße für unsere Sündern an, oder gibt uns einen Lohn dafür. Damit aber meine Worte noch klarer werden, will ich auch noch ein Beispiel anführen. Nehmen wir den Fall, ein Sklave schuldet seinem Herrn eine große Summe Geldes. Dieser Sklave wird von Übeltätern bedroht und eines Teiles seiner Habe beraubt. Wenn nun der Herr, der den Dieb an seinem Raube hätte hindern können, das gestohlene Gut dem Sklaven nicht ersetzt, sondern es als in der Schuld des Sklaven mit inbegriffen erklärt1 , hat da der Sklave ein Unrecht erlitten? Durchaus nicht. Und wenn der Herr noch mehr dafür gäbe? Hätte das der Sklave nicht noch mehr gewonnen2 ? Ganz offenbar! So sollen wir denn auch von den Leiden denken, die uns treffen. Dass wir nämlich für unsere Leiden entweder Sünden abbüßen, oder größeren Lohn empfangen, wenn wir nicht etwa ganz besonders schwere Sünden begangen, das beweisen uns die Worte des hl. Paulus über den Unzüchtigen: "Übergebet", sagt er, "einen solchen dem Satan zum Verderben des Fleisches, auf dass seine Seele gerettet werde"3 .

Was beweist aber das, fragst du? Es handelte sich ja um solche, die von fremder Seite Unrecht erleiden, nicht um diejenigen, die von ihren Lehrmeistern gestraft werden. Indes besteht hierin gar kein Unterschied. Es fragt sich nur, ob Böses leiden ein Unglück sei für den, der es leidet? Um aber auf den eigentlichen Kern der Frage einzugehen, denke an David. Als er den Semei dastehen. ihn über sein Unglück spotten sah, und von ihm mit ungezählten Beleidigungen überschüttet wurde, trat er doch den Heerführern, die den Semei töten wollten, in den Weg und sagte: "Lasset ihn lästern, auf dass der Herr meine Erniedrigung ansehe, und mir statt des Bösen, das mir heute widerfahren, Gutes erweise"4 . Und in den Psalmen hat er gesungen: "Siehe, wie meine Feinde zahlreich geworden sind, und mit ungerechtem Hasse mich verfolgten, und verzeih mir alle meine Sünden"5 . Auch Lazarus ward deshalb ein besseres Los zuteil, weil er in diesem Leben zahllose Leiden erduldet. Es ist also denen, die zu leiden hatten, keim wirkliches Leid widerfahren, wenn sie nur all ihre Unbilden starkmütig ertrugen. Im Gegenteil,. sie haben dabei viel mehr gewonnen, ob sie nun von Gott geprüft oder vom Teufel gequält wurden. Aber, fragst du, welche Sünden konnten denn die unschuldigen Kinder abbüßen? Bei den Erwachsenen, die viel gesündigt haben, mag man wohl mit Recht so reden. Diese hingegen, die ein so vorzeitiges Ende fanden, was konnten sie durch ihre Leiden für Sünden abbüßen? Hast du denn nicht gehört, wie ich sagte, wenn auch keine Sünden da seien6 , so werden dafür diejenigen entsprechend belohnt werden, die hienieden zu leiden haben? Was für ein Nachteil war es also für diese Kinder, wenn sie unter solcher Voraussetzung dahingerafft wurden, und alsbald in den Hafen des7 Friedens einlaufen konnten? Aber sie hätten vielleicht viele große Taten verrichtet, wenn sie gelebt hätten! Indes trägt gerade das nicht wenig zur Erhöhung ihres Lohnes bei, dass sie trotzdem das Leben verloren. Übrigens hätte Gott sie nicht vor der Zeit dahinsterben lassen, wenn er gewußt hätte, dass diese Kinder etwas Großes werden sollten. Denn wenn er schon diejenigen, von denen er voraussieht, dass sie fortwährend in Sünde dahinleben werden, mit so großer Langmut erträgt, so hätte er um so eher bei diesen einen solchen Tod verhindert, wenn er vorausgesehen hätte, sie würden viel Gutes vollbringen.

1: so dass also das Gestohlene als dem Herrn selbst gestohlen erachtet wird
2: als er verloren
3: 1 Kor 5,5
4: 2 Kön 16,1112
5: Ps 24,19 u.18
6: hier denkt Chrysostomus offenbar nur an persönliche Sünden und übergeht die Erbsünde
7: himmlischen
Quelle: BKV
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

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