Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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christian12
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Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

Hallo,

ich habe da Probleme mit der Übersetzung von Kanon 8, Nizäa I :heul: :

- wie übersetzt man / was bedeutet hier "digamoi" (griech) bzw. "bigamis" (lat)? "Zweite Ehe" (nach Scheidung oder nach Tod des Ehepartners) oder "bigame Ehe" (also Ehe von 1Mann mit 2Frauen oder umgekehrt) oder....?

- was bedeutet "koinonein" (griech) bzw. "communicare" (lat)? "Umgang pflegen mit..." oder sogar "eucharistische Gemeinschaft haben mit..." oder ....?

- Ist der lat. oder der griech. Text maßgebend für uns (rkK)?

Grüße und Dank
Christian

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Juergen
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von Juergen »

Canon 8

Concerning those who call themselves Cathari, if they come over to the Catholic and Apostolic Church, the great and holy Synod decrees that they who are ordained shall continue as they are in the clergy. But it is before all things necessary that they should profess in writing that they will observe and follow the dogmas of the Catholic and Apostolic Church; in particular that they will communicate with persons who have been twice married, and with those who having lapsed in persecution have had a period [of penance] laid upon them, and a time [of restoration] fixed so that in all things they will follow the dogmas of the Catholic Church. Wheresoever, then, whether in villages or in cities, all of the ordained are found to be of these only, let them remain in the clergy, and in the same rank in which they are found. But if they come over where there is a bishop or presbyter of the Catholic Church, it is manifest that the Bishop of the Church must have the bishop's dignity; and he who was named bishop by those who are called Cathari shall have the rank of presbyter, unless it shall seem fit to the Bishop to admit him to partake in the honour of the title. Or, if this should not be satisfactory, then shall the bishop provide for him a place as Chorepiscopus, or presbyter, in order that he may be evidently seen to be of the clergy, and that there may not be two bishops in the city.

http://www.newadvent.org/fathers/381.htm
Gruß Jürgen

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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

Ja, soweit war ich auch schon. Wohlmuths Übersetzung kenn ich auch schon.

Aber was bedeutet hier "to communicate with" und "twice married"?

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lifestylekatholik
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von lifestylekatholik »

christian12 hat geschrieben:Aber was bedeutet hier "to communicate with" und "twice married"?
»Twice married« bedeutet ganz offensichtlich »zum zweiten Male verheiratet« (und zwar nachdem die erste Ehe beendet war, anderes ist zu dieser Zeit schlicht nicht möglich).
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

lifestylekatholik hat geschrieben:
christian12 hat geschrieben:Aber was bedeutet hier "to communicate with" und "twice married"?
»Twice married« bedeutet ganz offensichtlich »zum zweiten Male verheiratet« (und zwar nachdem die erste Ehe beendet war, anderes ist zu dieser Zeit schlicht nicht möglich).
Gilt das für "digamoi" bzw. "bigamis" auch so? Sorry, um den Urtext gehts mir natürlich, nicht um die engl. Übersetzung. Und wenn ja, kam die Zweitehe durch Scheidung oder Tod des Ehepartners zustande? Kann man dazu (vielleicht vom geschichtlichen Hintergrund her) was sagen?

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Hubertus
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von Hubertus »

Suche mal nach Stefan Heid, Klerikerzölibat. - Heid versteht die Forderung genau so, wie von lsk oben beschrieben. Zweimal verheiratet sein, heißt: sich nicht enthalten können (Enthaltsamkeitszölibat für Kleriker).
Der Kult ist immer wichtiger als jede noch so gescheite Predigt. Die Objektivität des Kultes ist das Größte und das Wichtigste, was unsere Zeit braucht. Der Alte Ritus ist der größte Schatz der Kirche, ihr Notgepäck, ihre Arche Noah. (M. Mosebach)

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lifestylekatholik
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von lifestylekatholik »

christian12 hat geschrieben:
lifestylekatholik hat geschrieben:
christian12 hat geschrieben:Aber was bedeutet hier "to communicate with" und "twice married"?
»Twice married« bedeutet ganz offensichtlich »zum zweiten Male verheiratet« (und zwar nachdem die erste Ehe beendet war, anderes ist zu dieser Zeit schlicht nicht möglich).
Gilt das für "digamois" bzw. "bigamis" auch so?
Ja, klar.
christian12 hat geschrieben:Und wenn ja, kam die Zweitehe durch Scheidung oder Tod des Ehepartners zustande?
Ja.
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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Pelikan
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von Pelikan »

Wie Hubertus richtig anmerkt, ist der historische Kontext jenes Kanons auf jeden Fall aufschlußreicher als die Linguistik. Diese selbsternannten "Reinen" waren die Novatianer:
Novatian had refused absolution to idolaters; his followers extended this doctrine to all "mortal sins" (idolatry, murder, and adultery, or fornication). Most of them forbade second marriage, and they made much use of Tertullian's works; indeed, in Phrygia they combined with the Montanists.
Tertullian (De exhortatione castitatis) hat geschrieben:Wollen wir seine Meinung vollständig wiedergeben, so wäre die zweite Ehe als eine Art von Hurerei zu bezeichnen, nicht anders.

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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

Danke für die Infos zum historischen Kontext (Novatianer).

@Lsk
Mit digamoi/bigamis kann hier also eine Zweitehe gemeint sein, die nach Scheidung oder nach Tod des Ehepartners eingegangen wurde. Ok. Danke für die Info. Eine Frage: woraus schliesst Du das? Nebenbei: es stellt sich dann des Weiteren auch die Frage, warum, wenn für Nizäa eine solche Zweitheirat auch nach Scheidung möglich war, es heute für die rkK nicht mehr möglich ist. Nun denn.

Dann sind nur noch meine anderen beiden Fragen offen:

- was bedeutet im Kanon 8 "koinonein" bzw. "communicare"?

- welcher Text von Nizäa (griech. oder lat.) ist heute bindend für die rkK?

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lifestylekatholik
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von lifestylekatholik »

christian12 hat geschrieben:es stellt sich dann des Weiteren auch die Frage, warum, wenn für Nizäa eine solche Zweitheirat auch nach Scheidung möglich war, es heute für die rkK nicht mehr möglich ist.
Ah, jetzt habe ich deine vorige Frage verstanden. Der Kanon geht nicht auf die Frage ein, wie die erste Ehe ihr Ende fand. Die Frage, auf welche Weisen eine bestehende Ehe beendet werden kann, ist gar nicht Gegenstand des Kanons. Klar ist nur, es geht um ein nacheinander, nicht um ein nebeneinander.

Die Ehescheidung hat die Kirche immer verworfen. Eine Zweitheirat nach Scheidung ist nicht möglich, weil eine Ehescheidung gar nicht möglich ist.

Vielleicht hilft hier der Artikel »Zweite Ehe« aus dem W&W-Kirchenlexikon weiter:
Wetzer und Welte hat geschrieben:Ehe, zweite (polygamia successiva), die Wiederverheiratung einer verwittweten Person. Der hohe Werth, welchen die Kirche von jeher auf die Enthaltsamkeit von den Werken des Fleisches legt, die tiefe Ehrfurcht, welche sie zugleich dem einmal begründeten ehelichen Bande zollt, und die Strenge, womit sie das Gebot der Unauflöslichkeit desselben und der ausschließlichen Treue unter den Gatten auffaßt, haben nothwendig dahin geführt, daß sie die Wiederverehelichung derjenigen, deren Ehe einmal durch den Tod getrennt worden, mit ungünstigen Augen ansehen muß. Die Mißbilligung ging in den ersten Jahrhunderten so weit, daß nicht nur die zur zweiten Ehe Schreitenden einer Kirchenbuße sich unterwerfen mußten, und ein Priester bei der Eingehung einer solchen Ehe gar nicht erscheinen durfte, sondern daß Männer, wie Athenagoras und Irenäus, die zweite Ehe geradezu nur für einen beschönigten Ehebruch erklärten (Athenagor. Legatio § 28; Iren. Haer. 3, 17, 2). In der morgenländischen Kirche wurde mit immer steigendem Eifer gegen wiederholte Verehelichungen gewirkt, so daß selbst die weltlichen Gesetze durch Strafen denselben entgegentreten zu müssen glaubten, und daß über die vierte Ehe des Kaisers Leo des Philosophen heftige Bewegungen ausbrachen, welche die Nichtigkeitserklärung dieser Ehe zur Folge hatten (Basil. Maced. et Leon. Philos. Nov. 90; Baron. ad a. 921, n. 1 sq.). Die abendländische Kirche faßte, nach dem Vorgange des hl. Augustinus und nach dem Sinne des Canon 8 der Kirchenversammlung zu Nicäa, die Sache in milderem Lichte auf und wollte der wiederholten Verehelichung wenigstens nicht äußere Gewalt, sondern nur die Macht der Überredung, nicht unbedingte Verdammung, sondern nur die Erwägung der aus der Enthaltsamkeit hervorgehenden Vortheile entgegengesetzt wissen (August., De bono viduitatis c. 12). Daher sind hier durch die Praxis die alten Bußvorschriften für Wiederverheiratung abrogirt, und die Kirche gibt ihre Abneigung gegen die zweite oder wiederholte Ehe nur dadurch zu erkennen, daß bei derselben die Einsegnung unterbleibt (c. 1. 3, X De secund. nupt. 4, 21). Selbst dieses ist aber in manchen Diöcesen auf den Fall beschränkt, wenn die Braut eine Wittwe ist (Berg, Über die Erforderlichkeit der priesterlichen Eheeinsegnung zum Sacrament der Ehe, Breslau 1836, 32; v. Mox, Gesch. des christl. Eherechts 112. 224. 338). Es versteht sich übrigens, daß zur zweiten oder folgenden Ehe nicht geschritten werden darf, bevor nicht der Beweis vom Tode des vorigen Gatten beigebracht ist. Gemäß einer vom heiligen Officium am 12. Juni 1822 erlassenen Instruction kommen beim Beweisverfahren zunächst authentische Urkunden und Zeugenaussagen in Betracht; jedoch ist der Richter auch befugt, Präsumtionen und Conjecturen zum Ergänzungsbeweis zuzulassen; er darf sich sogar der Aussagen solcher Personen bedienen, welche nicht auf Grund eigener Wahrnehmung, sondern nach Mittheilungen Dritter, deren Vernehmung unmöglich ist, ihre Dispositionen machen. Bloße langwierige Abwesenheit oder Gefangenschaft reichen nicht zum Beweise hin, obwohl daraus in Verbindung mit anderen Umständen eine hinreichende Präsumtion des Todes allerdings entstehen kann (c. 19, X De sponsal. 4, 1; c. 2, X De secund. nupt. 4, 21; vgl. Walter, Kirchenr., 14. Aufl., § 323, Note 11). Im Falle eines Irrthums muß die Ehe mit dem todtgeglaubten Ehegatten wieder hergestellt werden (c. 2, C. XXXIV, q. 1; c. 1 eod.; c. 2, X De secund. nupt. 4, 21; Archiv f. kath. K.-R. XXII, 186). (Vgl. Cotelerii Not. in Hermae Pastorem 2, 4, 4; in Const. Apost. 3, 2; Ballerinorum dissert. II in opp. S. Zenonis, ed. Migne, PP. lat. XI, 129; Klee, De secundis nupt., Bonnae 1830; Binterim, Denkwürdigkeiten VI, 1, 329 ff.; Hefele, Beiträge I, 39 ff.)

[(v. Moy) Bellesheim.]
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

@Lsk
Nein, der Artikel aus W&W hilft leider nicht. Er hilft nicht dabei, die Frage zu entscheiden, ob mit "Zweitehe", "digamoi", "bigamis" im Kanon 8 eine Ehe gemeint ist, die nach dem Tod des Ehepartners oder nach Scheidung zustande kam. Darum gehts mir. Kann man sich / können die Orthodoxen sich für die Praxis der erneuten Heirat (nach Scheidung) auf den Kanon 8 von Nizäa berufen und sagen: der Kanon 8 hat schon eine Zweitehe gebilligt??? Wenn nein, wie kann man begründen, dass hier mit Zweitehe nicht "zweite Ehe nach Scheidung" gemeint ist?

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lifestylekatholik
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von lifestylekatholik »

christian12 hat geschrieben:@Lsk
Nein, der Artikel aus W&W hilft leider nicht. Er hilft nicht dabei, die Frage zu entscheiden, ob mit "Zweitehe", "digamois", "bigamis" im Kanon 8 eine Ehe gemeint ist, die nach dem Tod des Ehepartners oder nach Scheidung zustande kam. Darum gehts mir.
Ich versuch’s noch mal:

Ehe hieß in der Kirche immer: 1. Einehe, 2. unauflösbar. Das ist der Rahmen. (Das steht übrigens auch im W&W-Artikel.)

Das heißt: Eine Ehescheidung gibt es nicht (übrigens auch nicht bei den Orthodoxen, vgl. hier).

Das sind die Voraussetzungen.

Der W&W-Artikel erklärt, wie es zu Diskussionen darüber kam, ob ein Mensch, nachdem sein Ehepartner gestorben war, wieder heiraten könne. Er erklärt weiter, dass mit Kanon 8 des Nizäums die Sache dahin entschieden wurde, dass dann eine zweite Heirat erfolgen dürfe (aber nicht empfohlen werde).

Bei den Orthodoxen ist es so, dass eine zweimalige Wiederheirat unter bestimmten Umständen zugelassen ist (wenn auch nicht empfohlen).

Bei den Lateinern ist es so, dass eine Wiederheirat beliebig oft zugelassen ist (wenn auch nicht empfohlen).
christian12 hat geschrieben:Kann man sich / können die Orthodoxen sich für die Praxis der erneuten Heirat (nach Scheidung) auf den Kanon 8 von Nizäa berufen und sagen: der Kanon 8 hat schon eine Zweitehe gebilligt??? Wenn nein, wie kann man das begründen?
Noch einmal: Eine Scheidung in dem Sinne, wie wir das Wort im Westen verwenden, kennen auch die Ostkirchen nicht. Kanon 8 spricht nur davon, dass, nachdem die erste Ehe nicht mehr besteht, eine zweite Ehe eingegangen werden kann. Er beschäftigt sich nicht mit der Frage, wie die erste Ehe zuende gegangen sein mag.

Eine Rechtfertigung für oder Anerkennung von Ehescheidungen kann deshalb aus Kanon 8 nicht abgeleitet werden (logischerweise auch nicht von den Ostkirchen).
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

Sorry, dass ich mich anscheinend unklar ausdrücke.

Mein Grundanliegen: Kann sich die Praxis der Orthodoxen (lassen wir den Begriff "Scheidung" weg), eine zweite Heirat zuzulassen, obwohl "eine erste Ehe noch besteht", auf Kanon 8 berufen, weil da von "digamoi" die Rede ist?? (Und des Weiteren: ließe sich die Zulassung dieser Leute [sie entsprächen unseren wiederverheiratet Geschiedenen] zur Kommunion mit dem "koinonein" rechtfertigen? Aber lassen wir das noch außen vor.)

Ich meine, das können die Orthodoxen nur dann, wenn der Kanon mit "digamoi" auch eine SOLCHE Zweitehe (nicht nur eine nach Tod des Ehepartners) im Blick hat. Allerdings hat er das offensichtlich nicht, denn im Streit mit den Novatianern, den "Reinen", war mit "digamoi" NUR eine Zweitehe nach Tod des Ehepartners gemeint. Oder ging es im Streit mit den Novatianern auch um eine Zweitehe bei weiter bestehender Erstehe? Dem würdest du, Lsk, wohl nicht zustimmen. Dazu nimmt allerdings der W&W-Artikel nicht Stellung. Um diese Frage zu entscheiden, müsste man Belege aus der damaligen Diskussion mit den Novatianern bringen, die zeigen, dass die Novatianer AUCH eine so zustandegekommene Zweitehe (bei weiter bestehender Erstehe) kritisiert haben. Wenn diese Belege fehlen, dann können sich die Orthodoxen mit ihrer Praxis nicht auf Nizäa berufen. (Und man sollte in der rkK aufpassen, wenn man sich in der Diskussion um die wiederverheiratet Geschiedenen, auf die Praxis der Orthodoxen beruft.) Ist jetzt klar, worums mir geht?

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ChrisCross
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von ChrisCross »

Ich wüsste nicht, warum es der apostolischen Tradition entsprechen sollte, hier schon die Lehre von einer Zweitehe nach Ehebruch oder ähnlichem anzusetzen. Das hat es in der lateinischen Kirche nicht gegeben und neben der heiligen Schrift sprechen schon die apostolischen Väter sich dagegen aus:
Der Hirte des Hermas hat geschrieben:Viertes Gebot

1. Kap. Bewahre die Keuschheit!

1. „Ich gebiete dir“, fuhr er fort, „die Keuschheit zu bewahren, und es soll in deinem Herzen keine Begierde aufsteigen nach dem Weibe eines anderen oder nach einer unzüchtigen Handlung oder sonst einer derartigen Schlechtigkeit. Wenn du nämlich dies tust, begehst du eine große Sünde. Wenn du aber allezeit an deine eigene Frau denkst, so sündigst du niemals. 2. Wenn nämlich jene Begierde in deinem Herzen aufsteigt, sündigst du, und auch wenn sonst solche schlechte Dinge (in deinem Herzen aufsteigen), begehst du eine Sünde; denn eine solche Begierde ist für einen Diener Gottes eine große Sünde; wenn aber einer diese böse Tat vollbringt, dann zieht er sich den Tod zu. 3. Siehe also du zu! Enthalte dich von dieser Begierde; wo immer nämlich die Heiligkeit zu Hause ist, dort darf die Sünde nicht in das Herz eines gerechten Mannes kommen.“ 4. Ich erwiderte ihm: „Herr, gestatte mir, einige Fragen an dich zu richten.“ „Rede“, sprach er. „Wenn“, so sprach ich, „wenn, o Herr, einer eine im Herrn gläubige Frau hat und diese bei einem Ehebruch ertappt, sündigt der Mann, wenn er weiter mit ihr zusammenlebt?“ 5. „Solange er nichts davon weiß“, antwortete er, „sündigt er nicht; wenn aber der Mann von ihrer Sünde Kenntnis erhalten hat und wenn sich die Frau nicht bekehrt, sondern in ihrer ehelichen Untreue verharrt und der Mann mit ihr zusammenlebt, dann bekommt er Teil an ihrer Sünde und ist mitschuldig an ihrem Ehebruch.“ 6. „Was nun, o Herr“, fragte ich weiter, „soll der Mann tun, wenn die Frau in dieser Leidenschaft verharrt?“ „Dann soll er sie entlassen“, sagte er, „und der Mann soll für sich bleiben; wenn er aber seine Frau entläßt und eine andere heiratet, dann bricht er selbst die Ehe 1.“ 7. „Wenn nun, Herr“, sagte ich, „die Frau nach ihrer Entlassung sich bekehrt und zu ihrem rechten Manne zurückkehren will, darf sie nicht aufgenommen werden?“ 8. „Aber freilich“, antwortete er; „wenn der Mann sie nicht wieder aufnimmt, sündigt er, und zwar zieht er sich eine große Sünde zu; vielmehr muß man den Sünder, der Buße tut, aufnehmen, aber nicht mehrere mal; denn für die Diener Gottes gibt es nur eine einzige Buße. Wegen der Buße nun darf der Mann nicht (eine andere) heiraten. Diese Vorschrift gilt für Mann und Weib. 9. Es ist nicht nur Ehebruch, wenn einer sein eigenes Fleisch befleckt, sondern die Ehe bricht auch der, welcher Ähnliches tut wie die Heiden 2. Wenn also einer in solchen Werken verharrt und sich nicht bekehrt, dann bleibe ihm fern und lebe nicht mit ihm zusammen; andernfalls hast auch du Teil an seiner Sünde. 10. Deshalb habt ihr die Vorschrift erhalten, für euch zu bleiben, Mann wie Weib; es kann nämlich auch in solchen Fällen eine Buße geben. 11. Ich will aber“, fuhr er fort, „damit nicht Anlaß geben, daß dieser Fall tatsächlich vorkomme, sondern nur, daß einer, der gesündigt hat, nicht weiter sündige. Für seine frühere Sünde aber gibt es einen, der die Macht hat, Heilung zu geben; er ist ja der, welcher Macht hat über alle Dinge.“

1: Matth. 5,32; Mark. 10,11; 1Kor. 7,11.
2: Wenn ein christlicher Ehegatte zum Heidentum zurückkehrt, so ist das dem Ehebruch gleich zu achten.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von lifestylekatholik »

@christian12: Frag das mal in der Sakristei. Da gibt es einige, die das aus Orthodoxer Sicht beantworten können. [Edit: Ich habe die Frage dort gestellt, mich interessieren die Reaktionen.]

Ich vermute – nur Vermutung, ich kenne mich in den Ostkirchen nicht aus –, dass du eine falsche Spur verfolgst. Mir scheint aus Kanon 8 weder ein Recht auf Ehescheidung noch ein Recht auf Bigamie*) herleitbar zu sein. (Ich glaube auch nicht, dass es in den Ostkirchen solche Rechte gibt.) Die Wiederheirat wird in der lateinischen Kirche eigentlich weitaus großzügiger gehandhabt als in den Ostkirchen, da die Zahl der Wiederheiraten nicht von vornherein begrenzt wird. (Übrigens wird, so weit ich weiß, in den Ostkirchen davon ausgegangen, dass eine Heirat nicht mit dem Tode ende.)

* Denn um Bigamie handelt es sich ja, wenn zutrifft, dass bei der zweiten Heirat die erste noch besteht.
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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

Weiss jemand von euch, ob der griechische oder der lateinische Text von Nizäa für römische Katholiken maßgeblich ist?

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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

Ein aktueller Beitrag, hab sowas erwartet: Seeliger, Hans Reinhard, Vom Konzil erlaubt: Nicaea und die Wiederverheiratung Geschiedener, in: THQ 192,3 (2012) 305ff. - Hab den Artikel noch nicht eingesehen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es um den Kanon 8 und die Frage nach dem rechten Verständnis der digamoi geht.

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Juergen
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von Juergen »

Hans Reinhard Seeliger kommt – wie die Theologische Quartalsschrift auch – aus Tübingen und er gehört zu den Memorandumsunterschreibern…

… das zu wissen reicht für eine Einschätzung des Textes. :tuete:
Gruß Jürgen

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christian12
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Re: Übersetzung Kanon 8, Nizäa

Beitrag von christian12 »

Juergen hat geschrieben:Hans Reinhard Seeliger kommt – wie die Theologische Quartalsschrift auch – aus Tübingen und er gehört zu den Memorandumsunterschreibern…

… das zu wissen reicht für eine Einschätzung des Textes. :tuete:
:dudu:

Seeligers Argumentation ist ungefähr diese:
Die digamoi im Kanon 8 sind wiederverheiratet Geschiedene. Der Kanon schreibt den Novatianern vor, mit ihnen wieder (eucharistische) Gemeinschaft zu pflegen. Dies hatten die Novatianer abgelehnt, weil die digamoi im Scheidungsprozess geopfert hatten (vgl. Laktanz, De mortibus persecutorum 15,5). Die Novatianer lehnten daher auch grundsätzlich die Scheidung ab, um Christen vor dieser problematischen Situation im Prozess zu bewahren. Schon Novatian selbst habe Ansätze, die zweite Ehe als sukzessive Bigami zu bewerten, aber erst nach der Diokletianischen Verfolgung, während der die Prozessopfer verbindlich wurden, lehnen die Novatianer die zweite Ehe strikt ab. Das Nizänum lehnt nun aber dieses Konzept der "katharoi" ab und bezeugt eine mildere Bußpraxis, ohne die die Kirche niemals so gewachsen wäre. - Diese Einstellung habe auch Basilius d.Gr. und sei letztendlich auf die Unzuchtsklausel in Mt 19,9 zurückzuführen.
(Seeliger konstatiert einen hermeneutischen Vorbehalt: der Kanon 8 sei im Kontext der Abwehr des Rigorismus erlassen worden. Diese Situation haben wir heute aber nicht mehr. Aber die Relation zwischen den Strafen für Wiederheirat und Glaubensabfall müsse man auch heute wahren. Heute würde aber der Glaubensabfall weniger hart bestraft als die Wiederheirat.)

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