Zinsverbot

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Raphael

Re: Die »Alternative für Deutschland«: für Christen wählbar?

Beitrag von Raphael »

Caviteño hat geschrieben:
Montag 18. Mai 2020, 14:32
"Fiat money" wurde doch erst durch die hemmungslosen Druckorgien der Zentralbanken zum Problem.
In den Bundesrepublik war das FIAT-Money in Form der DM dank der besonnenen Politik der Bundesbank kein Problem.
Der Nullzins, natürlich auch ein Ergebnis der Geldschwemme, hat allerdings erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Er lenkt das Geld in unproduktive Investitionen, führt bei Sachwerten zur Inflation und erschwert das Vorsorgesparen.

Die angesprochene Enzyklika wurde Mitte des 18. Jhd. verfaßt - da gab es in Europa kein FIAT-Geld. Der Betrug bzw. die Inflation erfolgte durch eine Verschlechterung der Münzqualität (= Münzverfälschungen).
Hierzu ein Zitat aus den Tiefen des Forums:
Raphael hat geschrieben:
Montag 23. Juli 2007, 08:15

Ob Geld gut oder schlecht ist, richtet sich danach, ob es die Zwecke erfüllt, für die es geschaffen worden ist.
Geld hat zunächst zwei Funktionen (= Zwecke):
1. Tauschfunktion
2. Wertaufbewahrungsfunktion


Bei der ersten Funktion ist unmittelbar einleuchtend, daß diese die interne Effizienz einer arbeitsteilig organisierten Volkswirtschaft gegenüber einer reinen Naturaltauschwirtschaft enorm erhöht.

Die letztere Funktion ist schon problematischer; dient sie doch als eine der Begründungen für die - auch hier diskutierte - Zinsnahme auf Geldvermögen. Denn derjenige, der heute gearbeitet hat, jedoch mit dem aus dieser Arbeit resultierenden Einkommen nicht nur den heutigen, sondern auch den zukünftigen Lebensstandard sicherstellen will, wird - wie selbstverständlich - Wert darauf legen, daß die Inflation nicht unbemerkt einen Teil seines redlich erarbeiteten Vermögens verzehrt. Um also tatsächlich die Wertaufbewahrungsfunktion erfüllen zu können, muß ([Punkt]) der Geldvermögensbesitzer einen Zins nehmen, der mindestens inflationsausgleichend wirkt. Ein realer Gewinn entsteht ihm nur in der Höhe, in der der Zins oberhalb der Inflationsrate liegt. Diesen Gewinn nennt man auch Realzins.


Ein weiterer Grund für die Zinsnahme ist die allgemeine Preisorientierung einer Marktwirtschaft. Alle gehandelten Güter innerhalb einer Marktwirtschaft haben einen Preis, der im Idealfalle dem Knappheitsgrad des jeweiligen Gutes entspricht. Und daß Geld ein gehandeltes Gut ist, ist wohl unbestreitbar.
Mithin ist der Zinssatz lediglich der Preis des Geldes in einer Marktwirtschaft.
Man würde das marktwirtschaftliche Paradigma verlassen, wenn plötzlich ein allgemein gehandeltes Gut keinen Preis mehr aufweisen würde.

Makroökonomisch betrachtet hat der Zins (wie jeder andere Preis auch) eine Steuerungsfunktion für die Volkswirtschaft. Da es in einer Volkswirtschaft immer um die effiziente Verwendung von knappen Ressourcen geht, wird der Ressourcenverbrauch über die Preise gesteuert bzw. gelenkt: Die knappen Güter fließen dorthin, wo sie am Profitträchtigsten verwertet werden können. Aus den knappen Gütern wird so das Optimale für die Güterproduktion herausgeholt.
Zumindest in der Theorie wird hierdurch auch die allgemeine Wohlfahrt einer Volkswirtschaft gesteigert.

Trisagion
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Trisagion »

Ich habe dir vorhergehenden 8 Seiten Text nicht gelesen, ich wollte aber zum Thema die exzellente (aber englischsprachige) Usury FAQ von Zippy Catholic verlinken.

Der für mich neue (und überzeugende, sonst würde ich nicht verlinken) Aspekt in Zippys Analyse - im Vergleich zu was ich sonst anderweitig dazu gelesen habe - ist die Unterscheidung zwischen einem Darlehen ohne Rückgriffsrecht (Englisch: non-recourse loan, Lateinisch nach Zippy: societas) und einem Darlehen mit vollem Rückgriffsrecht (Englisch: full recourse loan, Lateinisch nach Zippy: mutuum). [Ich denke beim Latein fehlt vielleicht noch ein Wort zur vollen Begriffsbildung... pactum?] Die Unterscheidung besteht darin, ob der Verleiher den Borger persönlich für die Rückzahlung haftbar machen kann (Rückgriffsrecht), oder nur Zugriff auf Dinge hat die als Sicherheit vertraglich festgelegt wurden. Bei Rückgriffsrecht kann der Verleiher sowohl anderen Besitz pfänden als auch zukünftige Rückzahlungen verlangen (die Schuld wird "abgearbeitet").

Das katholische Zinsverbot betrifft nach Zippys Analyse ausschließlich Darlehen mit Rückgriffsrecht. Natürlich gibt es bei vielen modernen Darlehen ein Rückgriffsrecht, z.B. bei der Verwendung einer Kreditkarte, und die sind alle für Katholiken schlicht verboten. Das sich keiner darum schert ändert daran nichts. Das Verbot ist dabei absolut, es geht nicht um die Höhe des Zins, und weder Ausgleich für Inflation noch Ersatzkosten noch sonstwas ist erlaubt. Andererseits beinhaltet z.B. das Darlehen eines Investors an ein Unternehmen in der Regel kein Rückgriffsrecht auf individuelle Anteilseigner. Es ist hier völlig in Ordnung Zins zu verlangen. (Wucherzinsen zu verlangen ist nicht in Ordnung, aber wegen des Wuchers nicht wegen des Zins.)

Das Argument, daß die moderne Wirtschaft kollabieren würde falls man die katholische Lehre konsequent durchzieht ist somit hinfällig. Sicher sähe die Welt anders aus, aber hauptsächlich für die "Kleinen". Die großen Geldströme der Wirtschaftinvestitionen bleiben vom katholischen Zinsverbot unberührt, da dort niemand persönlich haftet. Die sind mehr so etwas zwischen Handel und Glücksspiel...

Ohne Rückgriffsrecht ist Zins ein Profit basierend auf dem konkreten Kreditsicherungsmittel. Man kann das folgendermaßen analysieren: der Borger verkauft die Sicherheit an den Verleiher für den Betrag des Darlehens, aber beide Parteien einigen sich, daß der Borger im Besitz der Sicherheit bleibt solange er dafür eine bestimmte "Miete" zahlt - den Zins - und der Verleiher verspricht die Sicherheit zurückzuverkaufen wenn das Darlehen zurückgezahlt wird. Dabei wird sich meist auch auf eine bestimmte Zeit geeinigt, die Darlehensdauer. Obwohl das Ganze also so aussieht, als ob der Borger dem Verleiher schlicht Zinsen zahlt für den Darlehensbeitrag, ist das wegen der Sicherheit und der Begrenzung von Ansprüchen darauf letztlich ein Handel mit konkretem Besitz- und Benutzungsrechten. Das ist im Prinzip in Ordnung. (Natürlich kann auch so ein Handel unmoralisch sein, aber dann wegen der spezifischen Bedingungen, nicht an sich.) Das klassische Beispiel ist hier die Hypothek (ohne Rückgriffsrecht), die funktional äquivalent zu einem Mietvertrag ist bei der die Miete proportional zum Kauf von mehr Anteilen am Haus (der Rückzahlung) reduziert wird. Hingegen ist bei einem Darlehen mit vollem Rückgriffsrecht kein konkreter Besitz im Spiel, sondern die persönliche Haftung. Selbst wenn etwa Besitz gepfändet wird, ist das eine Art Zwang zum Verkauf: es ist nicht von vorneherein klar, daß dieser Besitz dem Verleiher gehört, er beansprucht ihn dann erst durch die persönliche Haftung. Ein Kredit mit vollem Rückgriffsrecht versachlicht somit den Menschen, letztlich gibt sich der Borger hier selbst an den Verleiher als Sicherheit. Außerdem entkoppelt dies das Darlehen von der Realität, denn die Sicherheit muß hier erst noch erzeugt werden und es gibt keine Garantie daß das klappt. Hier zu profitieren ist prinzipiell verboten, erlaubt ist so ein "persönliches" Darlehen nur als eine Art Freundschaftsdienst oder Wohltat.

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