Bibelübersetzungen/-ausgaben

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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lancelot
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Bibelübersetzungen/-ausgaben

Beitrag von lancelot »

Mich würde interessieren, welche Bibelübersetzung - AT + NT oder nur NT - Ihr für Eure geistliche Lektüre benutzt.

Ich bin selber am Ausprobieren und Schwanken ohne mich entscheiden zu können. Ich merke nur, daß es zwecks Einprägsamkeit und Vertrautheit wichtig ist, bei ein und derselben zu bleiben - vielleicht nicht für immer, ab-/auser doch für länger.

Vieles spricht natürlich für die Einheitsübersetzung, weil sie in der Liturgie gebraucht wird.

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Linus
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Beitrag von Linus »

Also für NT verwende ich Jerusalemer und NIV (hab mal ein buch gelesen, dass 30 dt.bibelübersetzungen auseinandernimmt und bewertet, als schlusskommentar gabs die meinung dass die beste deutsche bib.übers. die NIV ist. :mrgreen: :mrgreen: ) teilweise auch buber und schlachter fürs AT notgedrungen die einheiz-übersetzung. (da ich nirgends eine deutschsprachige gesamtausgabe der Jerusalemer mit Jerusalemer Kommentar gefunden hab.)

PS. Wer eine Jerusalemer gesamtausgabe (vor 1969) abgeben möchte (klarerweise gegen Euronen) bitte um meldung.
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Edith
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Beitrag von Edith »

Die Einheitsübersetzung, wei ich einen Wiedererkennungseffekt habe in Gottesdienst und Stundengebet. Die Texte prägen sich ein, man verinnerlicht sie, weil man sie immer gleich hört.

Ich mag es, wenn ich Texte (im Stundengebet vor allem Psalmen) mit geschlossenen Augen mitbeten kann.... wenn "es betet" :)

Ich mag es nicht, wenn ich in jedem Kloster eine andere Textversion zB des Magnifikats hab... und aufpassen muß, daß ich mich nicht verspreche.
Sowas lenkt mich ab.

Natürlich gibt es Fälle, wo man es mal ganz genau wissen möchte, und in wissenschaftlicheren Ausgaben nachsieht - oder Robert anmailt 8) der mir dann erklärt, was genau das Original eigentlich sagt.

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Wenn ich schnell was nachschlage benutze ich die Einzeitzübersetzung, da die immer irgendwo auf dem Schreibtisch rumliegt. :D

Wenn ich nach Stichworten suche eine Online-Übersetzung auf dem PC. Dort habe ich keine Einzeitsübersetzung. Da nehme ich meist die Schlachter (oder eine der anderen himmelvielen Übersetzungen, die ich dort habe) ;)

Ab und an wage ich auch einen Blick in das griechische NT.
Gruß Jürgen

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Ralf

Beitrag von Ralf »

Eigentlich kann ich Edith auch bei gleichen Gründen nur zustimmen, doch die Übersetzung gefällt mir einfach nicht, worauf ich allerdings erst bei Vergleicht kam. Ich lese viel in der Hemp-Stenzel-Kürzinger Übersetzung (gut katholisch :ja: ), da gab's nämlich mal vor kurzer Zeit eine Rosina Wachtmeister Bibel in Großdruck für wenig Euronen.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Was ich verwende:
  • für liturgische Zwecke im engeren Sinne gezwungenermaßen die Einheitsübersetzung, jedoch zähneknirschend;
  • in der Familie die dreibändige lateinisch-deutsche, kommentierte Version von Augustin Arndt SJ (bei Pustet, Regensburg & Rom 1914 [6. Aufl.; die 1. müßte etwa 1897-1904 erschienen sein]) – es handelt sich dabei um Arndts Bearbeitung der Übersetzung von Franz Allioli – oder auch,
  • wenn’s handlicher sein soll als der dreibändige Arndt, die Übersetzung von Hamp, Stenzel und Kürzinger (bei Pattloch);
  • persönlich primär die Vulgata, daneben fürs NT den Nestle für den Zweitblick; fürs AT schaue ich normalerweise bloß in schwierigeren Fällen in die LXX;
  • gelegentlich den originalen Luther aus Lust an der Sprache;
  • am Rechner für Zitate aus praktischen Gründen meist Schlachter, gelegentlich auch die Elberfelder oder Luther (möglichst „unrevidiert“), oder ich übersetze selber.
Generell gilt: Protestantische Bibeln (Luther, Schlachter, Elberfelder) sind unvollständig, weil bekanntlich Luther den Kanon gekürzt hat. (Manchmal tauchen die gestrichenen Bücher dann noch als „Apokryphen“ auf, sind aber im katholischen Sinne nicht apokryphe, sondern kanonische Bücher.) Dogmatische Unsauberkeiten sind leider kein Privileg der Protestanten mehr, seit es die Einheitsübersetzung gibt.

Wortwörtliche und Interlinearübersetzungen taugen als Hilsmittel für intensive Bibelarbeit, aber nicht als Lesebuch.

Fazit: Als Hausbibel würde ich, wenn ich denn was sagen soll, immer noch Allioli/Arndt empfehlen.[/color]
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Fazit: Als Hausbibel würde ich, wenn ich denn was sagen soll, immer noch Allioli/Arndt empfehlen.
Gibt es die Version auch digital?
Dann könnte ich ja - just to please you - die Version bei fontes-ecclesiae aufnehmen :ja:
Gruß Jürgen

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lancelot
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Beitrag von lancelot »

Linus hat geschrieben:Also für NT verwende ich Jerusalemer und NIV (hab mal ein buch gelesen, dass 30 dt.bibelübersetzungen auseinandernimmt und bewertet, als schlusskommentar gabs die meinung dass die beste deutsche bib.übers. die NIV ist. :mrgreen: :mrgreen: ) teilweise auch buber und schlachter fürs AT notgedrungen die einheiz-übersetzung. (da ich nirgends eine deutschsprachige gesamtausgabe der Jerusalemer mit Jerusalemer Kommentar gefunden hab.)

PS. Wer eine Jerusalemer gesamtausgabe (vor 1969) abgeben möchte (klarerweise gegen Euronen) bitte um meldung.
Mit "Jerusalemer" meinst Du wahrscheinlich die Herder-Übersetzung, denn das "Jerusalemer" bezieht sich "nur" auf Einführungen, Anmerkungen, Verweise und Register, so weit ich weiß. In diesem Paket war die Jerusalemer sogar noch bis in die 90er Jahre zu haben; 1985 kam die "Neuen Jerusalemer", die die Einheitsübersetzung als Bibeltext benutzt.

Mit der New International Version (NIV) kommt man natürlich in das Apokryphen-Problem, das Robert anspricht. Die NIV ist - als Übersetzung aus dem evangelikalen Bereicht - überall zu bekommen, auch in sehr schönen und für jedermann passenden Ausgaben. (Ich habe selbst die NIV Study Bible mit mehr Querverweisen, Anmerkungen und anderem Hilfsmaterial als sich verarbeiten lässt.)

Ich habe gelesen, daß die Revised Standard Version ebenfalls sehr nahe am Urtext und in gutem Englisch übersetzt sein soll. Bei der New RSV ist das offensichtlich nicht mehr der Fall.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ich möchte noch einmal auf ein generelles Problem so ziemlich aller neueren Übersetzungen hinweisen. Das betrifft nicht nur die volkssprachlichen Fassungen, sondern sogar auch die Nova Vulgata.

Erstens geht es um den Bibeltext, den man zugrundelegt. Da haben sich die vermeintlichen Erkenntnisse der protestantischen Exegese des 19. Jht.s endlich überall niedergeschlagen, zumal seit im letzten Drittel des 20. Jht.s auch die katholischen Exegeten das aufgesogen haben wie ein trockener Schwamm.

Man hat also die Textgestalten der Tradition aufgegeben – namentlich die lateinische Vulgata und den griechischen Textus receptus – und durch die Versuche der Exegeten ersetzt, einen vermeintlichen Originaltext zu rekonstruieren. Wobei man im Hinterkopf behalten muß, von welchen ideologischen Prämissen die protestantischen Exegeten des 19. Jht.s geleitet waren.

Gravierender noch als beim Neuen Testament ist der Umsturz für das Alte Testament. Hier hat man die „originale“ Bibel der Urkiche, die weit über zweitausendjährige griechische Septuaginta, durch die nicht einmal halb so alte masoretisch-jüdische Version ersetzt. Vieleicht geht man demnächst noch einen Schritt weiter und erklärt den Talmud zur christlichen Bibel.

Zweitens: Was von den Textgestalten der übersetzten Vorlagen gesagt ist, gilt mutatis mutandis auch von der Methode des Übersetzens. Entsprechend triefen die neueren Bibelausgaben nun von der Ideologie der protestantischen Exegese des 19. Jht.s, wie sich an vielen Details zeigen läßt.

Beide Warnungen gelten ausdrücklich auch – lediglich etwas gemildert – für strikt wörtliche oder Interlinearübersetzungen. Dies ist um so schädlicher, als man nicht von jedermann erwarten kann, selbst Griechisch oder wenigstens Latein zu lesen. Wer sich also anhand von Interlinearübersetzungen intensiver mit dem Bibeltext auseinandersetzen möchte, ohne selber die Originalsprache zu verstehen, der sollte möglichst immer noch den Kontrollblick in eine traditionelle Übersetzung tun. Dafür empfehle ich nach wie vor Allioli/Arndt, aber auch der alte (unrevidierte) Luther kann da hilfreich sein. Jedenfalls wird man so auch ohne Griechischkenntnisse zumindest auf die grundsätzliche Problematik der neueren Übersetzungen aufmerksam.
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Marlene
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Beitrag von Marlene »

Hallo Robert,
ich kenn mich da leider gar nicht aus. Daher einige Rückfragen.
Robert Ketelhohn hat geschrieben: Erstens geht es um den Bibeltext, den man zugrundelegt. Da haben sich die vermeintlichen Erkenntnisse der protestantischen Exegese des 19. Jht.s endlich überall niedergeschlagen
Welche waren das denn?
Robert Ketelhohn hat geschrieben: Entsprechend triefen die neueren Bibelausgaben nun von der Ideologie der protestantischen Exegese des 19. Jht.s, wie sich an vielen Details zeigen läßt.
Könntest du mal bitte ein Beispiel konkret geben? Damit ich mir eine Vorstellung machen kann, und mit geschärftem Auge lese?

Vielen Dank für deine Mühe :)

max72
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Beitrag von max72 »

Linus hat geschrieben:Also für NT verwende ich Jerusalemer ....
Ich kenne mich bei den deutschen Uebersetzungen nicht so aus, habe aber von Katholiken in den USA Kritik gegen die englische Jerusalem Bibel gehoert.

Was ist mit der Jerusalem Bibel so speziell?

Gruss

Max

Das fand ich im Netz:
For a traditional Catholic, and especially in light of what you list as options, you definitely should choose the Douay Rheims. At the bottom of the list I would place the New American Bible (the St. Joseph Edition you list), as a poor translation which disregards some Catholic insight by way of tradition and uses "inclusive" language in the New Testament and psalms. The New Jerusalem also uses inclusive language, and while the original Jerusalem Bible does not, it is too loose in translation to satisfy a traditional Catholic. If you were seeking a modern version, you would do better with the RSV-CE (Catholic Edition) than the others you list.

Die RSV-CE (Revised Standard Version- Catholic Edition) sieht ganz gut aus.

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lancelot
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Beitrag von lancelot »

max72 hat geschrieben:
Linus hat geschrieben:Also für NT verwende ich Jerusalemer ....
Ich kenne mich bei den deutschen Uebersetzungen nicht so aus, habe aber von Katholiken in den USA Kritik gegen die englische Jerusalem Bibel gehoert.

Was ist mit der Jerusalem Bibel so speziell?

Gruss

Max
Es gibt keine deutsche "Jerusalemer Übersetzung", aber anscheinend eine oder mehrere englische. Die deutschen Ausgaben haben entweder die "Herder-Übersetzung" oder die EÜ.

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:...
Erstens geht es um den Bibeltext, den man zugrundelegt. Da haben sich die vermeintlichen Erkenntnisse der protestantischen Exegese des 19. Jht.s endlich überall niedergeschlagen, zumal seit im letzten Drittel des 20. Jht.s auch die katholischen Exegeten das aufgesogen haben wie ein trockener Schwamm.
...
Naja,
ich denke man sollte die Forschungen eines Tischendorff etwa nicht in Bausch und Bogen verwerfen.
Gruß Jürgen

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max72
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Beitrag von max72 »

lancelot hat geschrieben:
Es gibt keine deutsche "Jerusalemer Übersetzung", aber anscheinend eine oder mehrere englische. Die deutschen Ausgaben haben entweder die "Herder-Übersetzung" oder die EÜ.
Aber es gibt doch eine deutsche "Jerusalem Bibel"??

max

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lancelot
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Beitrag von lancelot »

max72 hat geschrieben:
lancelot hat geschrieben:
Es gibt keine deutsche "Jerusalemer Übersetzung", aber anscheinend eine oder mehrere englische. Die deutschen Ausgaben haben entweder die "Herder-Übersetzung" oder die EÜ.
Aber es gibt doch eine deutsche "Jerusalem Bibel"??

max
Zitat aus dieser Quelle:

15. Herders Bibelkommentar
Diese etwa 16bändige Reihe erschien ab 1937 unter der Bezeichnung
"Die Heilige Schrift für das Leben erklärt" herausgegeben von Edmund Kalt und Willibald Lauck
Der Bibeltext wurde im Herder-Verlag Freiburg 1965 als separates Buch veröffentlicht, allerdings wurden für die Psalmen und für die Bücher Josua, Richter und Rut neubearbeitete Übersetzungen verwendet (vgl. Vorwort zur Bibelausgabe "Die Bibel - Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes - vollständige Ausgabe: Übersetzung aus Herders Bibelkommentar") Die ursprüngliche Übersetzung dieser Bücher bearbeitete evtl. Dr. Peter Ketter.

Der Bibeltext aus "Herders Bibelkommentar" fand auch Einzug in "Die Bibel - Deutsche Ausgabe mit den Erläuterungen der Jerusalemer Bibel, hrsg. von Diego Arenhoevel, Alfons Deißler, Anton Vögtle, Freiburg im Breisgau 1968-1985".
Bei der "Jerusalemer Bibel" handelt es sich somit nicht um eine eigenständige Übersetzung.
Seit 1985 erscheint die Jerusalemer Bibel unter der Bezeichnung "Neue Jerusalemer Bibel". Sie enthält seither den Text der Einheitsübersetzung.

Sr. Franziska OP
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Beitrag von Sr. Franziska OP »

Wer die Bibel nicht in einer deutschen Übersetzung, sondern im "Original" lesen will (soweit das eben geht, da es ja kein Original gibt ;) ), der muss Hebräisch fürs AT und Griechisch fürs NT lernen. Die LXX geht fürs AT auch noch, obwohl sie stellenweise eine recht ungenaue Wiedergabe des Hebräischen Textes ist.
Die Bibel wurde nun mal nicht in Latein geschrieben - jeder lateinische Text (egal ob Vulgata oder sonstwas) ist selbst schon eine Übersetzung. Und irgendwann haben wir dann die Übersetzung der Übersetzung der Übersetzung...

Sr. Franziska :motz:

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Sr. Franziska OP hat geschrieben:Wer die Bibel nicht in einer deutschen Übersetzung, sondern im "Original" lesen will (soweit das eben geht, da es ja kein Original gibt ;) ), der muss Hebräisch fürs AT und Griechisch fürs NT lernen. Die LXX geht fürs AT auch noch, obwohl sie stellenweise eine recht ungenaue Wiedergabe des Hebräischen Textes ist.
Die Bibel wurde nun mal nicht in Latein geschrieben - jeder lateinische Text (egal ob Vulgata oder sonstwas) ist selbst schon eine Übersetzung. Und irgendwann haben wir dann die Übersetzung der Übersetzung der Übersetzung...
Wobei sich sehrwohl - insbesondere beim NT - die Frage stellt, welchen Text man denn lesen soll, und welcher "besser" ist.

Vereinfacht könnte man das Problen so darstellen:

Auf der einen Seite steht "Nestle-Aland"
Diese Version wird heute - auch im Theologiestudium - meist verwendet, wenngleich dies eigentlich "nur" ein Sammelsurium von verschiedenen Überlieferungen und textkritischen Bearbeitungen ist.

Auf der anderen Seite steht der sog. Textus receptus
Dies ist gleichsam der liturgiesche Text, den die griechische Tradition der gr. Kirche verwendet. Allein schon wegen der Kontinuität des Gebrauchs ist dieser gut überliefert.

Auch die Vulgata ist als eine recht frühe Übersetzung immernoch eine gute Quelle; allerdings darf man auch die Geschichte der Vulgata dabei nicht aus dem Auge verlieren.
Gruß Jürgen

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Sr. Franziska OP
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Beitrag von Sr. Franziska OP »

Stimmt schon... :ja:

Man muss sich in jedem Fall zuerst drüber klar sein, zu welchem Zweck man den Text verwenden möchte. Für den eigenen Hausgebrauch find ich die Einheitsübersetzung ziemlich gut - die hat wenigstens noch einige von den herausfordernden Ecken und Kanten behalten, die in den "modernen" Übersetzungen ausgebügelt wurden *schüttel*. Wenn aus den Jüngern "Schüler" werden, hört sich bei mir der Spaß auf :motz: .

Fürs Studium ist der Nestle-Aland (in Exegese) doch zu bevorzugen, würd ich sagen - eben wegen des guten textkritischen Apparates. Du kannst die unterschiedlichen Überlieferungsstränge und Handschriften vergleichen und dich dann selbst für die wahrscheinlichste Variante entscheiden. Dazu muss man natürlich mit der Textkritik umgehen können...

Ich persönlich bin halt ein Sprachen-Freak und lese nicht gern die lateinische Übersetzung der griechischen Übersetzung eines hebräischen Textes. Obwohl ich die lateinische Sprache sehr liebe (ist ja auch mein Zweitstudium), aber da geht es um's Prinzip. Da les ich's doch lieber gleich auf Deustch.

Franziska

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Sr. Franziska OP hat geschrieben:Wer die Bibel nicht in einer deutschen Übersetzung, sondern im "Original" lesen will (soweit das eben geht, da es ja kein Original gibt ;) ), der muss Hebräisch fürs AT und Griechisch fürs NT lernen. Die LXX geht fürs AT auch noch, obwohl sie stellenweise eine recht ungenaue Wiedergabe des Hebräischen Textes ist.
Die Bibel wurde nun mal nicht in Latein geschrieben - jeder lateinische Text (egal ob Vulgata oder sonstwas) ist selbst schon eine Übersetzung. Und irgendwann haben wir dann die Übersetzung der Übersetzung der Übersetzung...

Sr. Franziska :motz:
Hmm, als Laie stelle ich mir die Frage, welchen Grund es geben könnte, das AT in Hebräisch zu lesen, wo doch die Evangelienschreiber die LXX benutzt haben (was man an den AT-Zitaten sieht) und die älteste hebräische Handschrift noch nicht einmal 1000 Jahre alt ist.
Naiverweise wundere ich mich da, dass beim Theologiestudium so viel Wert aufs Hebräische gelegt wird...

Sr. Franziska OP
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Beitrag von Sr. Franziska OP »

Dirk hat geschrieben:Naiverweise wundere ich mich da, dass beim Theologiestudium so viel Wert aufs Hebräische gelegt wird...
Weil das AT (mit wenigen Ausnahmen) in Hebräisch geschrieben wurde ;) . Die Evangelisten kannten anscheinend die LXX besser und haben daher diese für Zitate benutzt. Der ursprüngliche Text ist aber Hebräisch.

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Sr. Franziska OP hat geschrieben:
Dirk hat geschrieben:Naiverweise wundere ich mich da, dass beim Theologiestudium so viel Wert aufs Hebräische gelegt wird...
Weil das AT (mit wenigen Ausnahmen) in Hebräisch geschrieben wurde ;) . Die Evangelisten kannten anscheinend die LXX besser und haben daher diese für Zitate benutzt. Der ursprüngliche Text ist aber Hebräisch.
Aber guck Dir mal an, aus welcher Zeit der hebr. Text stammt, der heute verwandt wird.
Gruß Jürgen

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Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Juergen hat geschrieben:
Sr. Franziska OP hat geschrieben:
Dirk hat geschrieben:Naiverweise wundere ich mich da, dass beim Theologiestudium so viel Wert aufs Hebräische gelegt wird...
Weil das AT (mit wenigen Ausnahmen) in Hebräisch geschrieben wurde ;) . Die Evangelisten kannten anscheinend die LXX besser und haben daher diese für Zitate benutzt. Der ursprüngliche Text ist aber Hebräisch.
Aber guck Dir mal an, aus welcher Zeit der hebr. Text stammt, der heute verwandt wird.
Und der enthält vermutlich nicht einmal alle Bücher des christlichen AT, richtig? Hat die Überbewertung des hebräischen Textes (gegenüber der traditionell von Christen benutzten LXX) nicht auch Anteil an der Protestantisierung des Christentums? Schon allein die daraus resultierende (bewusste oder unbewusste) Herabstufung der Bücher, die im Kanon von Jamnia nicht vorkommen (v.a. das besonders "katholische" 2Makk)?

Nur so ein Gedanke eines unbedarften theologischen Laien... :kratz:

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FranzSales
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Beitrag von FranzSales »

Meine Ansicht als nicht lateinisch, griechisch und hebräisch sprechender Laie ist die:
Die beste Bibelübersetzung ist die, die ich lese, betrachte und benutze!

:)
"Herr Jesus Christus, wir beten Dich an und benedeien Dich. In Deinem Heiligen Kreuz hast Du die Welt erlöst."

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Jürgen hat geschrieben:»Naja, ich denke man sollte die Forschungen eines Tischendorff etwa nicht in Bausch und Bogen verwerfen.«
Um Himmels willen! Ich werde mich hüten, Tischendorff zu verwerfen oder Westcott und Hort oder Soden, schon gar in Bausch und Bogen. Die Sichtung und Ordnung des überlieferten Materials sind ohne Zweifel sehr wichtige und hervorragende Leistungen. Die Frage ist aber doch, welchen Wert die Hypothesen der Gelehrten gegenüber der Tradition haben und was das für die Liturgie bedeutet. Hypothesen aber sind es immer, wenn ein Editor sich für eine Lesart entscheidet und andere in den Apparat verbannt.
Marlene hat geschrieben:»Könntest du mal bitte ein Beispiel konkret geben? Damit ich mir eine Vorstellung machen kann, und mit geschärftem Auge lese?«
Das wird etwas umständlich und mühsam (auch für dich selber). Aber ich will’s mal versuchen. Als Beispiel nehme ich die salutatio des Römerbriefs (Rm 1,1-7); konkret geht es mir um einen Begriff im Vers 4, wie gleich näher zu erläutern sein wird (andere interessante Übersetzungsfragen dieser Passage lasse ich beiseite). Hier zunächst der Text:
Παῦλος (Rm 1,1-7) hat geschrieben:1 Παῦλος δοῦλος ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ, κλητὸς ἀπόστολος, ἀϕωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον Θεοῦ,
2 ὃ προεπηγγείλατο διὰ τῶν προϕητῶν αὐτοῦ ἐν γραϕαῖς ἁγίαις,
3 περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ τοῦ γενομένου ἐκ σπέρματος Δαυὶδ κατὰ σάρκα,
4 τοῦ ὁρισϑέντος υἱοῦ ϑεοῦ ἐν δυνάμει κατὰ πνεῦμα ἁγιωσύνης ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν[,] ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν,
5 δι‘ οὗ ἐλάβομεν χάριν καὶ ἀποστολὴν εἰς ὑπακοὴν πίστεως ἐν πᾶσιν τοῖς ἔϑνεσιν ὑπὲρ τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ,
6 ἐν οἷς ἐστε καὶ ὑμεῖς κλητοὶ ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ,
7 πᾶσιν τοῖς οὖσιν ἐν ῾Ρώμῃ ἀγαπητοῖς Θεοῦ, κλητοῖς ἁγίοις· χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ Θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ.
Meine möglichst wörtliche Übersetzung mit einigen Erläuterungen:
1 Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, ausgesondert zum Evangelium Gottes [und: im Evangelium Gottes]*,
2 das vorherverkündigt wurde durch seine Propheten in heiligen Schriften,
3 über seinen Sohn, geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleische,
4 abgegrenzt** als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit aus der Totenauferstehung Jesu Christi, unseres Herrn [oder: … aus der Auferstehung Toter, ‹über› Jesus Christus, unsern Herrn,]***
5 durch welchen wir empfangen haben Gnade und Apostelamt zum Gehorsam des Glaubens bei allen Völkern [und: … Apostelamt, im Gehorsam des Glaubens, bei allen Völkern]† um seines Namens willen,
6 unter welchen auch ihr seid, Berufene Jesu Christi:
7 allen Geliebten Gottes, die zu Rom sind, den berufenen Heiligen: Gnade euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

* Εἰς εὐαγγέλιον Θεοῦ: vielschichtige Wendung; εὐαγγέλιον (evangelium) läßt man besser unübersetzt, da man mit jeder Wahl Bedeutungen ausgrenzt. Θεοῦ kann gen. subj. oder obj. sein, gemeint also sowohl des Apostels Verkündigungsdienst (Predigt über Gott) als auch Gottes eigenes Wort, das der Apostel empfangen hat. Εἰς gibt nicht nur die Richtung (hier übertragen: den Zweck) an, sondern gilt auch im Neuen Testament schon lokal (Frage: wo?), was sich später in der Κοινὴ mit dem Wegfall der alten Lokal-Präposition ἐν vollends durchgesetzt hat; mitzudenken ist also: „im Evangelium Gottes“. Der Doppelsinn ist im Deutschen nicht übersetzbar. (Paulus braucht das übrigens durchaus nicht doppeldeutig gemeint zu haben, doch was er tatsächlich gemeint hat, halte ich hier für kaum entscheidbar.)

** ὁρισϑείς, -ϑέντος: Dies ist der Begriff, welchen ich unten anhand anderer Übersetzungen näher untersuchen möchte. Lateinisch entspräche definitus, deutsch „abgegrenzt“; der deutsche Begriff „definiert“ ist semantisch zu einseitig festgelegt, als daß er hier paßte. Was ist gemeint? Mit Sicherheit kein konstitutiver Akt, sondern die kraft der Auferstehung erfolgte definitive Klärung oder Offenlegung der Gottessohnschaft.

*** Bezug nicht eindeutig: Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου kann Genitivattribut zur direkt davorstehenden festen Wendung ἀνάστάσις νεκρῶν sein (so die Hauptübersetzung), kann aber auch als Fortsetzung der von περὶ abhängigen Reihe von Ausdrücken verstanden werden: περὶ τοῦ υἱοῦ … τοῦ γενομένου … τοῦ ὁρισϑέντος … ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου (so die in Klammern angegebene Variante].

† Εἰς ὑπακοὴν πίστεως ἐν πᾶσιν τοῖς ἔϑνεσιν: Wiederum ist das εἰς doppeldeutig: Entweder spricht Paulus vom Glaubensgehorsam der Völker, dem sein Apostelamt dient, oder er redet von seinem eigenen Glaubensgehorsam, in welchem er das Apostelamt bei allen Völkern angenommen habe. Wiederum kaum entscheidbar.
Es wäre interessant, das komplette Stück in verschiedenen Übertragungen zu vergleichen, doch will ich hier, wie angekündigt, beim Kernpunkt bleiben: dem Begriff ὁρισϑείς. Beginnen müssen wir mit den lateinischen Versionen. Die aus verschiedenen Quellen zusammengetragenen Fragmente der Vetus latina liegen mir zwar nicht vor, doch erschließe ich ihre Rezensionen für die fragliche Stelle provisorisch aus Tertullian (für die Afra) und Rufin (für die Itala); falls jemand mit genaueren Zitaten aushelfen kann, bin ich dankbar.
Die Afra hat geschrieben:1:3 ‹de Filio suo› qui factus est ex semine David ‹secundum carnem›
1:4 qui definitus est Filius Dei ‹in virtute› secundum Spiritum …
(Die Passagen in spitzen Klammern ‹ ›, die Tertullian bei der Zitation ausläßt, sind hier nach der Vulgata ergänzt; viel anders kann man das auf Latein nicht formulieren. Quelle: Tertullian, adv. Praxean 27,11.)
Hier wird ὁρισϑείς mit definitus wiedergegeben, also mit der strikten etymologischen Entsprechung.
Die Itala hat geschrieben:1:3 de Filio suo qui secundum carnem ex semine factus est David
1:4 qui prædestinatus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum Jesu Christi Domini nostri
(Quelle: Rufin, lateinische Fassung von: Origenes, comm. in Rom. 1,5.)
Die einschlägigen Passagen stammen überwiegend nicht von Origenes, sondern sind Zusatz Rufins; so insbesondere die sprachliche Erläuterung, man müsse auf Latein eigentlich destinatus übersetzen, nicht prædestinatus, also nicht „vorherbestimmt“, sondern einfach „bestimmt“. Daran ist zumindest richtig, daß prædestinatus keine adäquate Übersetzung ist. Mutmaßlich hat der alte Paulus-Übersetzer durch das „vorher“ die Präexistenz des Sohnes klarer fassen wollen, dieses Ziel aber doch gerade verfehlt. Bloßes „bestimmt“ trifft es jedoch auch nicht besser.

Nur am Rande sei vermerkt, daß für sanctificatio – „Heiligung“ besser sanctitas – „Heiligkeit“ stehen müßte. Jesu Christi Domini nostri ist als Genitiv-Attribut auf die resurrectio bezogen, nicht Teil des Präpositionalausdrucks (evangelium de…), was ja, wie oben erläutert, nach dem Griechischen auch möglich wäre.

Die Vulgata hat geschrieben:1:3 de Filio suo qui factus est ex semine David secundum carnem
1:4 qui prædestinatus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum Jesu Christi Domini nostri
Die Vulgata – ob hier von Hieronymus bearbeitet, bleibt offen – übernimmt also den Text der Itala. Deren geringfügig abweichende Wortstellung mag auf Rufin zurückgehen. Jedenfalls wird die Übersetzung nicht verbessert.

Die Nova Vulgata stellen wir einweilen noch zurück. Zunächst die deutschen Fassungen:

Martin Luther hat geschrieben:1:3 von seinem Sohn, der geboren ist von dem Samen Davids nach dem Fleisch
1:4 und kräftiglich erweiset ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiliget, seit der Zeit er auferstanden ist von den Toten, nämlich Jesus Christus, unser Herr
Luther erfaßt den Sinn des Begriffs ὁρισϑείς sehr klar und gibt ihn zutreffend interpretierend mit „erweiset“ („erwiesen“) wieder. Verfehlt ist die Interpretation von ἐν δυνάμει („in Kraft“) als adverbiale Bestimmung zu ὁρισϑείς (»kräftiglich erweiset«). Hinsichtlich des Geists, »der da heiliget«, ist Luther von der Vulgata abhängig, statt bei der griechischen Vorlage zu bleiben. Das »nämlich Jesus Christus, unser Herr« scheint etwas unverbunden hinterherzuklappern, setzt jedoch voraus, daß die griechische Entsprechung als Genitiv-Attribut verstanden ist; nur muß Luther, weil er die „Auferstehung“ verbal wiedergibt, auch am Ende des Verses die Syntax umbauen. Das ἐξ temporal wiederzugeben (»seit der Zeit«) ist zwar nicht falsch, schließt aber andere mögliche Bedeutungen (etwa die kausale) unnötig aus.
Die revidierte „Lutherbibel“ (1984) hat geschrieben:1:3 von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch,
1:4 und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten.
Zunächst die kleineren Änderungen: »Jesus Christus, unserm Herrn« ist hier als Teil des Präpositionalausdrucks verstanden, aber dichter an diesen herangezogen, nämlich vom Schluß des Verses 4 an den Anfang von Vers 3. Der „Same“ gilt in unserer ethischen Zeit als Pfui-Wort und wurde durch „Geschlecht“ ersetzt. Luthers »kräftiglich« immerhin wurde korrekt durch »in Kraft« ersetzt und an den richtigen Platz gestellt.

Entscheidend aber ist: Statt daß die Sohnschaft Jesu aus der Auferstehung erwiesen ist, soll sie nun erst durch diese konstituiert sein. Erst »durch die Auferstehung« sei Jesus »eingesetzt« worden »als Sohn Gottes«. Das ist weder paulinisch noch kirchlich, sondern reinster Adoptianismus, an dem Paul von Samosata seine Freude gehabt hätte.

Die „Elberfelder“ hat geschrieben:1:3 über seinen Sohn, (der aus dem Samen Davids gekommen ist dem Fleische nach,
1:4 und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Totenauferstehung) Jesum Christum, unseren Herrn.
Zur Konstruktion: Auch hier wird »Jesum Christum, unseren Herrn« als Teil des Präpositionalausdrucks verstanden; um den syntaktischen Zusammenhang zu verdeutlichen, ist das längere Zwischenstück in Parenthese gesetzt.

Unser Schlüsselwort ὁρισϑείς wird wie beim originalen Luther zutreffend mit „erwiesen“ wiedergegeben.

Die „revidierte Elberfelder“ hat geschrieben:1:3 über seinen Sohn, der aus der Nachkommenschaft Davids gekommen ist dem Fleische nach,
1:4 [und] als Sohn Gottes in Kraft eingesetzt dem Geiste der Heiligkeit nach auf Grund der Toten-Auferstehung: Jesus Christus, unseren Herrn.
Hier fällt zweierlei auf: Erstens schämt man sich auch bei den Elberfelder Nachfolgern des Wortes „Same“ und findet einen Ersatzbegriff: „Nachkommenschaft“. Zweitens läßt man Jesus, ganz wie in der revidierten Lutherbibel, auch erst »auf Grund der Toten-Auferstehung« zum Sohn Gottes »eingesetzt« werden.
Franz Eugen Schlachter hat geschrieben:1:3 betreffs seines Sohnes, der hervorgegangen ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch
1:4 und erwiesen als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geiste der Heiligkeit durch die Auferstehung von den Toten, Jesus Christus, unser Herr
Schlachter übersetzt zutreffend, sinngemäß in den Spuren Luthers. Lediglich das »Jesus Christus, unser Herr« klappert als unverbundene Apposition hinterher. Die revidierte Schlachterbibel (1998 fürs NT) liegt mir nicht vor; ich könnte mir allerdings vorstellen, daß man hier dem Sinn treu geblieben ist.
Die „Einheitsübersetzung“ hat geschrieben:1:3 das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids,
1:4 der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn.
Hier wieder die üblichen „revidierten“ Symptome: Der peinliche Same wird ausgemerzt, Christus wird als Sohn Gottes erst durch die Auferstehung eingesetzt.

Weitere Zitate erspare ich euch. Der Befund ist überall ähnlich. Die revidierten (oder ganz neuen) Übersetzungen seit den sechziger Jahren setzen auf Adoptianismus. Überall wird Christus erst durch die Auferstehung „eingesetzt“. So in der offiziellen italienischen Bibel der CEI (»costituito Figlio di Dio«; die »Traduzione interconfessionale in lingua corrente« treibt den Adoptianismus sogar noch weiter: »ma sul piano dello Spirito …, Dio lo ha costituito Figlio suo«, also nicht: »er ist eingesetzt«, sondern: »Gott hat ihn eingesetzt«); so auch in der offiziellen Nova Vulgataconstitutus est Filius Dei«); so in der russischen Version der »International Bible Society« (»был поставлен Сыном Божьим«, während freilich nach der offiziellen Übersetzung des Moskauer Patriarchats Jesus immer noch als Sohn Gottes offenbar wurde – »открылся Сыном Божиим«).

Bei den englischen Bibeln scheint es etwas anders zu sein. Vorherrschend ist von der King-James-Übersetzung bis zur »New International Version« die Formulierung: »was declared to be the Son of God«. Einige neuere lassen das »to be« weg (z. B. »New American Standard Bible«), was eine gravierende Änderung des Sinns bedeutet („wurde erklärt zum“ statt „es wurde erklärt, daß er war“), andere sagen sogar noch deutlicher: »was shown as« (z. B. »The Message«, die aber sonst sehr frei verfährt). Eine sehr interessante (und treffende, wie ich finde) Übersetzung bietet Darby: »marked out Son of God«.

Abgesehen von verschiedenen Einzelbeobachtungen läßt sich also eine adoptianistische Gesamttendenz klar erkennen, die im deutschen Bereich nicht nur bei den Protestanten, sondern auch offiziell-katholisch ebenso durchgeschlagen ist wie bei der italienischen Bischofskonferenz und sogar mitten im Vatikan. Dasselbe ließe sich auch an zahlreichen andern Beispielen verdeutlichen.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Sr. Franziska OP hat geschrieben:»Wer die Bibel nicht in einer deutschen Übersetzung, sondern im "Original" lesen will (soweit das eben geht, da es ja kein Original gibt ), der muß Hebräisch fürs AT und Griechisch fürs NT lernen. Die LXX geht fürs AT auch noch, obwohl sie stellenweise eine recht ungenaue Wiedergabe des Hebräischen Textes ist.«
Na ja. Ich möchte der LXX klar den Vorzug vor dem über tausend Jahre jüngeren hebräischen Masoretentext geben. Und zwar vor allem darum weil die Urkiche die LXX als ihr Original angenommen hat. Die Frage ist allerdings sehr kompliziert – auch die Überlieferung der LXX selber ist ja problematisch –, doch darauf hab’ ich heute nacht keine Lust mehr …
Sr. Franziska OP hat geschrieben:»Fürs Studium ist der Nestle-Aland (in Exegese) doch zu bevorzugen, würd ich sagen - eben wegen des guten textkritischen Apparates. Du kannst die unterschiedlichen Überlieferungsstränge und Handschriften vergleichen und dich dann selbst für die wahrscheinlichste Variante entscheiden. Dazu muss man natürlich mit der Textkritik umgehen können...«
Nee, gerade der Apparat des Nestle-Aland ist derart willkürlich und dürftig, daß er einen in Zweifelsfragen oft im Stich läßt oder gar auf die falsche Fährte setzt. Zu Studienzwecken sollte man immer Tischendorff, Westcott/Hort und Soden vergleichen.
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Edith
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Beitrag von Edith »

FranzSales hat geschrieben:Meine Ansicht als nicht lateinisch, griechisch und hebräisch sprechender Laie ist die:
Die beste Bibelübersetzung ist die, die ich lese, betrachte und benutze!

:)
:ja:

Ralf

Beitrag von Ralf »

Ich muss auch sagen, dass mir die Einheitsübersetzung genug Inhalt für den Rest meines Leben gibt.

Aber was Roberts sehr ausführliche Darstellung oben angeht (ich halte das zwar für interessant, aber die Gefahr wegen der christologischen dogmatischen Absicherung für nicht so groß), so wolte man mit der Vermeidung des Wortes "Same" vielleicht auch der Gefahr entgegenwirken, die Jungfrauenschaft Mariens abzuschwächen und Paulus als Anwalt der Vaterschaft Josefs anzusehen.

Aber: wer den Glauben der Kirche hat bzw. sich darum ernsthaft bemüht, braucht sich um Bibelüberstezungen eigentlich nicht so Gedanken zu machen. Mal wieder ein Pluspunkt für unsere runzelige und schöne Mutter!

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Eine Frage bezüglich der Übersetzungen des AT beschäftigt mich noch:

Wir wissen ja, dass die LXX das christliche AT war. Die Evangelisten haben daraus zitiert und die Kirche hat den Kanon übernommen. Warum hat dann Hieronymus den hebräischen Text des AT ins Lateinische übersetzt und nicht den Griechischen? Wie kommt er dazu, die Bücher des AT, die nicht dem hebräischen Kanon entsprachen, als "deuterokanonisch" zu bezeichnen? War das nicht damals schon ein Bruch mit der Tradition der Kirche? War das Gelehrtenstolz- wollte Hieronymus seine Gelehrsamkeit unter Beweis stellen? War die Übersetzung aus dem Hebräischen statt des Griechischen damals unumstritten? War das Auftrag der Kirche?

Bin gespannt auf Antworten.

Gottes Segen,
Dirk

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Niels
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Beitrag von Niels »

http://www.bibleserver.com
enthält 6 deutsche und 21 fremdsprachige Bibelübersetzungen sowie eine Konkordanz und drei Bibellexika
(kostenlose Registierung erforderlich)
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Niels hat geschrieben:http://www.bibleserver.com
enthält 6 deutsche und 21 fremdsprachige Bibelübersetzungen sowie eine Konkordanz und drei Bibellexika
(kostenlose Registierung erforderlich)
Die Auswahl der dort angebotenen Übersetzungen überzeugt allerdings nicht.

Im Grunde stehen nahezu alle neueren Bibelübersetzungen im Dienst des diabolischen Werks, das Wort Gottes zu verdunkeln und den Glauben zu verwirren. So vielfältig die Übersetzungen sind – ein echtes Spiegelbild Babylons, das heißt: Wirrnis –, so sehr sind sie doch darin einig, gewisse Hauptstücke des Glaubensschatzes der Kirche zu vernebeln oder zu zerstören.

Ralf hat geschrieben:»aber die Gefahr wegen der christologischen dogmatischen Absicherung für nicht so groß«
Das ist ein Irrtum. Lex orandi, lex credendi – das Gebet lehrt Glauben, frei übertragen. Umgekehrt zerstören häretische Bibelübersetzungen den Glauben. Unmerklich, wie die Gehirnwäsche durch die Medien. Aber schneller, als du denkst. (Und was glaubst du wohl, welchen Glauben Hirten wahren werden, die häretische Bibelübersetzungen absegnen.)
Ralf hat geschrieben:»Mal wieder ein Pluspunkt für unsere runzelige und schöne Mutter«
Gehört nicht zum Thema, darum bloß am Rande: Unsere Mutter Kirche ist schön »ohne Fleck und Runzel« – sine macula et ruga!
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Kleine unbedeutende Replik: es ist immer wieder schön, cher Robert, Dich am Kirchenbegriff/bild zu kitzeln. Mir gefällt eben das Bild der "keuschen Hure" mehr (soweit ich weiß von Augustinus), und die sündigen Glieder der Kirche sind eben auch Kirche und konstitutieren sie mit.

Aber das ist OT, vielleicht mal einen Thread wert, keine Ahnung.


Zu der Gefahr für den Glauben: diese ist sicherlich da, besonders angesichts unserer Expertokratie mit blindem Vertrauen in jeden, der sich Experte schimpft. Und der Glaube an die Gottheit Christi in der Wesenseinheit mit dem Vater schwindet in der Tat enorm. Du magst Recht haben, Robert, es ist bloß rein gefühlsmäßig nicht meine Baustelle. Für einen unbedarften "ab und zu" Bibelleser kann das aber zum Problem werden.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Dirk hat geschrieben:»Wir wissen ja, dass die LXX das christliche AT war. Die Evangelisten haben daraus zitiert und die Kirche hat den Kanon übernommen. Warum hat dann Hieronymus den hebräischen Text des AT ins Lateinische übersetzt und nicht den Griechischen? Wie kommt er dazu, die Bücher des AT, die nicht dem hebräischen Kanon entsprachen, als "deuterokanonisch" zu bezeichnen? War das nicht damals schon ein Bruch mit der Tradition der Kirche? War das Gelehrtenstolz – wollte Hieronymus seine Gelehrsamkeit unter Beweis stellen? War die Übersetzung aus dem Hebräischen statt des Griechischen damals unumstritten? War das Auftrag der Kirche?«
Hieronymus wollte sozusagen zum Ursprung zurück, andererseits war er natürlich auch durch und durch Philologe. Von »Gelehrtenstolz« würde ich nicht insofern reden, als hätte Hieronymus andern etwas beweisen wollen, sich selber darstellen wollen. Stolz im Sinne von Eigensinn aber durchaus. Ungewöhnlich dickschädeliger und auch angriffslustiger Eigensinn.

Doch blicken wir kurz auf die Historie zurück. Der Anstoß zur Schaffung der neuen Bibelübersetzung war vom römischen Bischof selbst gekommen, von Papst Damasus. Die mitunter auch inhaltlich relevanten Abweichungen der im Umlauf befindlichen lateinischen Texte hatten ihn veranlaßt, für die Erarbeitung eines korrekten und zuverlässigen lateinischen Bibeltextes Sorge zu tragen. So hatte er seinen Sekretär Hieronymus mit einer Revision der Vetus-Latina-Texte beauftragt, wie dieser selbst berichtet: »ut post exemplaria scripturarum toto orbe dispersa quasi quidam arbiter sedeam et [...] quæ sint illa quæ cum græca consentiant veritate decernam«.

Der Auftrag bezog sich also auf einen Abgleich mit den als verbindlich angesehenen griechischen Texten. Hieronymus war wie kein anderer für diese Aufgabe geeignet: Nach klassischem Kanon bei dem berühmten Grammatiker Donatus in Rom ausgebildet, in der lateinischen wie griechischen Litteratur gleichermaßen bewandert, hatte er überdies während eines mehrjährigen Aufenthalts in Syrien Hebräisch und Aramäisch gelernt.

Der Kirchenvater begann das Werk mit der Revision der Evangelien; es folgten die paulinischen Briefe, vielleicht auch weitere neutestamentliche Schriften, sowie die Psalmen, deren Text er nach der LXX (Septuaginta) korrigierte. Als sich Hieronymus nach dem Tod des Damasus im Jahre 384 bei Bethlehem niederließ, konnte er für die weitere Arbeit am Alten Testament die Hexapla heranziehen, die von Origenes herausgegebene sechsspaltige Gegenüberstellung von hebräischem Alten Testament, LXX und vier weiteren griechischen Übersetzungen, von der ihm ein Exemplar im palästinischen Cæsarea zur Verfügung stand.

Wiederum überarbeitete er die Psalmen, diesmal nach der hexaplarischen LXX. Diese Fassung hat nachmals als Psalterium Gallicanum große Bedeutung gewonnen. Nach der Revision weiterer alttestamentlicher Bücher, von der sich nur Spuren erhalten haben, entschloß Hieronymus sich zu einer von Grund auf neuen Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen. Diese Arbeit erstreckte sich über die anderthalb Jahrzehnte von 390 bis etwa 405/406 und umfaßte alle Bücher des Alten Testaments außer Sap, Eccli, Bar, I-II Mcc, also auch – erneut – die Psalmen.

Diese Psalmenübersetzung juxta Hebræos fand zunächst Eingang ins Gesamtcorpus der Vulgata. Doch es war die bereits separat herausgegebene Version juxta LXX, die allgemeine Akzeptanz fand und fast überall liturgisch gebraucht wurde, insbesondere in Gallien, weshalb sie später Psalterium Gallicanum genannt wurde. Daß allein die Fassung nach der LXX, nicht aber die Übersetzung aus dem Hebräischen sich durchsetzen konnte, liegt offenkundig daran, daß die Psalmen intensiv liturgisch gebraucht wurden und daß man durch die Vetus Latina bereits an die Fassung der LXX gewöhnt war. Moderate Verbesserungen wurden akzeptiert, nicht aber die starken Abweichungen des Hebräertexts.

Auch sonst war des Hieronymus Entscheidung, unmittelbar aus dem Hebräischen zu übersetzen, zu seiner Zeit durchaus nicht unumstritten. Insbesondere Augustin wandte sich dagegen. Die Kontroverse zwischen beiden Kirchenvätern darüber ist ausführlich überliefert, wobei jedoch Hieronymus starrsinnig an seiner Position festhielt und die Wissenschaft über die Tradition stellte. Allerdings scheint es, als habe er dann faktisch doch oft etablierte Formulierungen der Vetus Latina, also gemäß der LXX, stehen lassen und auf exakte Wiedergabe aus dem Hebräischen verzichtet. Das läßt sich jedoch im Einzelfall selten klar entscheiden, weil wir des Hieronymus hebräische Vorlage nicht kennen. Es ist durchaus denkbar, daß „Septuagintismen“, die seine Vulgata enthält, aus einer hebräischen Rezension stammen, die der LXX weitaus näher stand als der heute bekannte Masoretentext.

Im übrigen darf man nicht meinen, die Vulgata wäre seinerzeit, Anfang des fünften Jahrhunderts, sogleich allgemein anerkannt worden. Vielmehr zog sich der Prozeß allmählicher Verdrängung der Vetus Latina über Jahrhunderte hin und kam erst in karolingischer Zeit zum Abschluß – bis endlich die Nova Vulgata in unseren Tagen per ordre de Mufti – excuse moi: du Pape – den nächsten Schritt tat und – am Masoretentext maßnehmend – verbliebene „Septuagintismen“ tilgte. Namentlich auch der überlieferte Psalter, eine Hauptschlagader der Kirche, wurde durch eine Neuübersetzung aus dem masoretischen Hebräisch ersetzt. Das hat man sogar ins lateinische Brevier gezwängt (und mich damit, nachdem ich’s mir zugelegt hatte, zu argen Zweifeln an meinem Verstand gebracht, bis ich merkte, was da los war).
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