Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Lioba hat geschrieben:Sicher? Da komme ich reichlich durcheinander. Wäre die Schrift nicht immer beides? Gott offenbart sich durch die Schrift, allein deren niederschreiben ist aber bereits Teil des menschlichen Erkennens und soweit darin lehrmässige Festlegungen geschehen eben auch Objektivierung. und wie geht es weiter? Ein immer weiteres Sichoffenbarung auch durch tieferes Verstehen der Schrift im aktuellen Zeitgeschehen also ein immer weitergehendes Wechselspiel?

"immer weitergehendes Wechselspiel" nicht misszuverstehen als "zu transformierende Offenbarung" (das wäre m. E. die modernistische Methode im Umgang mit den Texten des II. Vatikanums) sondern als "Einsichtigmachen der unabänderlichen Offenbarung im Kontext der Zeit". (Hoffentlich habe ich Dich jetzt nicht missverstanden!?)
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Sempre
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:@Sempre, Dein Beispiel mit der Begebenheit am Dornbusch finde ich sehr passend:
Die Re-Sonanz Mose hatte wohl eine gewisse Vorgeschichte, die m.E. verdeutlicht, daß es zur wirksamen Offenbarung einer gewissen Vorbereitung zur "Offenbarungsempfangsfähigkeit" bedarf (physikalisch ausgedrückt "Kalibrierung").
Den Dornbusch in seiner Eigenschaft als unmittelbares Offenbarungswerkzeug für den Adressaten Mose könnte man vielleicht auch als "Matrix" für Gottes unmittelbare Anrede bezeichnen.
Heute für uns, ist diese "Matrix" für Gottes Anrede die Hl. Schrift, aber nicht nur diese, sondern auch das Lehramt in seinen verbindlichen Texten sowie die leider sooft unerwähnte Tradition - eben die drei Säulen der Kirche -
...und dann, einigermassen hinreichende "Kalibrierung" anhand jener drei Säulen vorausgesetzt,
können wir befähigt werden, Gottes offenbarender, unmittelbarer Anrede auch heute (wieder) inne zu sein. Damit möchte ich jedoch keineswegs weitere "brennende Dornbüsche" für die Zeit nach Mose ausschliessen.
Verstehe ich Dich hier richtig: Ratzinger sagt, dass Hl. Schrift, Lehramt und Tradition für uns heute Offenbarung im Sinne Ratzingers sind, sie sind unser brennender Dornbusch, sofern wir hinhören?


Du hattest oben folgendes geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Der junge H.H. Josef Ratzinger hat in den abgelehnten Kapiteln seiner Habilitation wissenschaftlich stringent den Knackpunkt des Begriffs der "Offenbarung" in der damals üblichen Sichtweise (und Handhabung) herausgefunden
Was war denn die damals übliche Sichtweise des Begriffs der Offenbarung? Bisher hast Du lediglich erwähnt, dass sie in dem Begriff "sola scriptura" kulminiere. Wie fasst Ratzinger diese Sichtweise zusammen und wer sind die Stellvertreter dieser Sichtweise?

Das interessierte mich, um zu verstehen, worauf Ratzinger hinaus will, und ob gewisse Passagen auf eine gefährliche Subjektivierung des Offenbarungsbegriffes hinauslaufen. Welche konkreten Konsequenzen aus seinem Begriff der Offenbarung nennt Ratzinger selbst?

Gruß
Sempre
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Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben:Verstehe ich Dich hier richtig: Ratzinger sagt, ...
Nein, denn H. H. Josef Ratzinger hat das nicht gesagt. Das, was ich oben geschrieben habe, ist mein Senf :ja:
Sempre hat geschrieben:Du hattest oben folgendes geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Der junge H.H. Josef Ratzinger hat in den abgelehnten Kapiteln seiner Habilitation wissenschaftlich stringent den Knackpunkt des Begriffs der "Offenbarung" in der damals üblichen Sichtweise (und Handhabung) herausgefunden
Was war denn die damals übliche Sichtweise des Begriffs der Offenbarung? Bisher hast Du lediglich erwähnt, dass sie in dem Begriff "sola scriptura" kulminiere. Wie fasst Ratzinger diese Sichtweise zusammen und wer sind die Stellvertreter dieser Sichtweise?

Das interessierte mich, um zu verstehen, worauf Ratzinger hinaus will, und ob gewisse Passagen auf eine gefährliche Subjektivierung des Offenbarungsbegriffes hinauslaufen. Welche konkreten Konsequenzen aus seinem Begriff der Offenbarung nennt Ratzinger selbst?

Gruß
Sempre
Sempre hat geschrieben:Wie fasst Ratzinger diese Sichtweise zusammen?
Dies hatte ich weiter oben bereits erwähnt:
Paul Heliosch hat geschrieben:...es dauerte dann eine zeitlang, bis ich begriff, daß Kard. Ratzingers Erinnerungsband so etwas wie eine Summa jenes Offenbarungsverständnisses enthält, wie es in seiner (ursprünglich zurückgewiesenen) Habilitation bewiesen ist.

Zitat (Anm. v. mir, Auslassungen zur besseren Übersicht):

„Das Wort (Anm.: Offenbarung) bezeichnet den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes.“

„Offenbarung (Anm.: ist) (..) nicht (..) einfach (..) Mitteilung an den Verstand, sondern (..) geschichtliches Handeln Gottes, in dem sich stufenweise Wahrheit enthüllt.“

„Offenbarung geht der Schrift voraus und schlägt sich in ihr nieder, ist aber nicht einfach mit ihr identisch. Das aber heißt (..), daß Offenbarung immer grösser ist, als das bloß Geschriebene.“
Sodann kürze ich die obigen Zitate, damit die Sichtweise noch deutlicher wird:

„Das Wort (Anm.: Offenbarung) bezeichnet (...) nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes.“

„Offenbarung (Anm.: ist) (..) nicht (..) einfach (..) Mitteilung an den Verstand (...).“

„Offenbarung (...) ist aber nicht einfach mit ihr (Anm.: der Hl. Schrift) identisch. (...)“
Sempre hat geschrieben:Wer sind die Stellvertreter dieser Sichtweise?
"Stellvertreter" dieser Sichtweise ist - mit Verlaub - der ehrwürdige Prof. Schmaus. Das hat er durch den Einsatz der roten Farbe und die Zurückweisung der Habilitation bewiesen.

Ob gewisse Passagen auf eine gefährliche Subjektivierung des Offenbarungsbegriffes hinauslaufen? Tja, die Sache mit der Gefahr... Ich frage mich, wie objektiv die Offenbarung sein muss, damit die Gefahr der Subjektivierung ein für allemal gebannt ist? Da wäre vielleicht ein Offenbarungsobjektivierungsbarometer mit Subjektivierungsdruckskala incl. Nullpunkt als Marke für eine kritische Grösse hilfreich, ab der der Delinquent entweder gerade noch ungeschoren davonkommt oder beginnend mit Daumenschrauben zunehmend der Rechtgläubigkeit zugeführt wird? Nein - jetzt im Ernst: Die Objektivität einer jeden Offenbarung bemisst sich an den drei Säulen der Kirche, damit ist die Subjektivierungsgefahr gebannt.
Sempre hat geschrieben:Worauf will Ratzinger hinaus?
Hierzu möchte ich dies zitieren:

„Das Wort (Anm.: Offenbarung) bezeichnet den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes.“

„Offenbarung (Anm.: ist) (..) nicht (..) einfach (..) Mitteilung an den Verstand, sondern (..) geschichtliches Handeln Gottes, in dem sich stufenweise Wahrheit enthüllt.“

„Offenbarung geht der Schrift voraus und schlägt sich in ihr nieder, ist aber nicht einfach mit ihr identisch. Das aber heißt (..), daß Offenbarung immer grösser ist, als das bloß Geschriebene.“
Sempre hat geschrieben:Welche konkreten Konsequenzen aus seinem Begriff der Offenbarung nennt Ratzinger selbst?
Hierzu ein Zitat:

"... wenn relevatio Kundgabe von Gott her und damit göttliches Tun ist, so ist manifestatio Kundwerdung im Menschen, das menschliche Innesein der göttlichen Kunde.
Das bedeuted aber nun endgültig, dass relevatio ein Akt-Begriff ist, ein Begriff eines jeweils neuen göttlichen Tuns am menschlichen Subjekt und niemals eine Aussage über ein einstmals aktuales Geschehen, das aber dann zur Objektivität geronnen und nunmehr in dieser sozusagen 'greifbar' wäre. Es gibt, so viel ich sehe, keine Stelle, die einer solchen Auslegung ein ernsthaftes Recht sichern könnte. Der uns völlig geläufige Sprachgebrauch, die Bibel einfach kurz mit 'Offenbarung' zu benennen, ist Bonaventura ebenso völlig unbekannt. Relevatio erscheint bei ihm als Begriff eines göttlichen Tuns, nichts anderes. ..." (S. 102)

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Sempre
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:Welche konkreten Konsequenzen aus seinem Begriff der Offenbarung nennt Ratzinger selbst?
Hierzu ein Zitat:

"... wenn relevatio Kundgabe von Gott her und damit göttliches Tun ist, so ist manifestatio Kundwerdung im Menschen, das menschliche Innesein der göttlichen Kunde.
Das bedeuted aber nun endgültig, dass relevatio ein Akt-Begriff ist, ein Begriff eines jeweils neuen göttlichen Tuns am menschlichen Subjekt und niemals eine Aussage über ein einstmals aktuales Geschehen, das aber dann zur Objektivität geronnen und nunmehr in dieser sozusagen 'greifbar' wäre. Es gibt, so viel ich sehe, keine Stelle, die einer solchen Auslegung ein ernsthaftes Recht sichern könnte. Der uns völlig geläufige Sprachgebrauch, die Bibel einfach kurz mit 'Offenbarung' zu benennen, ist Bonaventura ebenso völlig unbekannt. Relevatio erscheint bei ihm als Begriff eines göttlichen Tuns, nichts anderes. ..." (S. 102)
Das gehört doch zur These selbst!? Was aber leitet Ratzinger daraus für Konsequenzen ab? Du hattest weiter vorne geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Je länger ich mich mit dem vormals zensierten und nunmehr aufgrund Anordnung von höchster Stelle (päpstlich) rehabilitierten Text rund um den Offenbarungsbegriff beschäftige umso klarer werden m. E. die vom Heiligen Vater geprägten Begriffe "Hermeneutik des Bruchs" und "Hermeneutik der Kontinuität" im Kontext der kirchlichen Auseinandersetzung mit extremistischen Positionen.
Leitet Ratzinger vielleicht so etwas wie eine sich dynamisch entwickelnde Kirche ab, die gleichzeitig ihre Identität bewahrt? Legt vielleicht der dritte Teil seiner Habilitationsschrift, der schließlich angenommen wurde, die Konsequenzen dar?

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Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Diese meine Verbindungsthese zwischen dem - ich nenne ihn der Einfachheit halber vorerst "dynamisierenden" Offenbarungsbegriff H.H. Ratzingers und der von ihm geprägten "Hermeneutik der Kontinuität" denke ich verdeutlicht die extremistischen, ideologischen Positionen (u.a. Modernismus und Traditionalismus), zusammengefasst unter dem Begriff Hermeneutik des Bruchs:
==> Auf eine dynamisch sich entwickelnde Kirche zielt die modernistische Terminologie,
==> auf eine betonierte "sola scriptura"-Kirche zielt die traditionalistische Terminologie.
- So, meine ich, könnte man die aktuelle Situation in etwa beschreiben.

Also nochmals kurz zusammenfassend meine These: Die von H. H. J. Ratzinger daraus (aus dem dynamisierenden Offenbarungsbegriff) abgeleiten Konsequenzen bündeln sich unter dem Begriff "Hermeneutik der Kontinuität".

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

[url=http://kreuzgang.org/viewtopic.php?p=189848#p189848]Hier[/url] Paul Heliosch hat geschrieben: (...)
Es geht also um Integration, ...es geht um Synthese(!)
und nicht um "Spaltung"

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Robert Ketelhohn
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Paul Heliosch hat geschrieben:...und nun einleitend ein Zitat aus dem Werk selbst:

"... wenn relevatio Kundgabe von Gott her und damit göttliches Tun ist, so ist manifestatio Kundwerdung im Menschen, das menschliche Innesein der göttlichen Kunde.
Das bedeuted aber nun endgültig, dass relevatio ein Akt-Begriff ist, ein Begriff eines jeweils neuen göttlichen Tuns am menschlichen Subjekt und niemals eine Aussage über ein einstmals aktuales Geschehen, das aber dann zur Objektivität geronnen und nunmehr in dieser sozusagen 'greifbar' wäre. Es gibt, so viel ich sehe, keine Stelle, die einer solchen Auslegung ein ernsthaftes Recht sichern könnte. Der uns völlig geläufige Sprachgebrauch, die Bibel einfach kurz mit 'Offenbarung' zu benennen, ist Bonaventura ebenso völlig unbekannt. Relevatio erscheint bei ihm als Begriff eines göttlichen Tuns, nichts anderes. ..." (S. 102)

Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird.
Zunächst stelle ich fest, daß ich anhand dieses Zitats nicht erkennen kann, was daran „modernistisch“ sein sollte. Ich müßte, um das weiter beurteilen zu können, erst einmal die Konsequenzen kennen, die der Autor daraus zieht.

Daß revelatio einen Akt bezeichnet und nicht etwa dessen Ergebnis, scheint mir offenkundig zu sein. Ich wüßte auch nicht, wie man den Begriff anders verstehen könnte. Freilich handelt es sich um konkrete, historisch manifestierte Akte, um ein Handeln Gottes in der Geschichte.

Nun reden wir wohl nicht von irgendwelchen x-beliebigen „Offenbarungen“, sondern von der Selbstoffenbarung Gottes an sein Volk. Diese Selbstoffenbarung erfolgte schattenhaft im Alten Bund, unmittelbarer, soweit wir es tragen und erfassen können, im Neuen. Diese Selbstoffenbarung Gottes an sein Volk ist nach der Lehre der Kirche abgeschlossen, und zwar konkret mit dem Tode des letzten Apostels.

Noch einmal: Das Selbstoffenbarungshandeln Gottes ist abgeschlossen, und das Ergebnis dieses Handelns liegt objektiv vor – in Schrift und Tradition – und wird von der Kirche verwaltet und von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben.

Richtig ist nun fraglos, daß der Gegenstand jener Offenbarung, also das oben genannte „objektive Ergebnis“, der Aneignung durch den Gläubigen bedarf, um in ihm wirksam zu werden. Auch dies bedarf eines Handelns Gottes, bedarf seiner der Aufnahme und Annahme vorausgehenden Gnade.

Man mag das auch eine Art revelatio nennen, oder meinetwegen manifestatio. (Die von Ratzinger getroffene Unterscheidung der beiden Begriffe kann ich übrigens nicht nachvollziehen. Mag sein, daß er diesbezüglich Bonaventura referiert. Dazu müßte ich einmal Belege sehen. Verallgemeinern kann man das kaum.) Aber wie auch immer, es läge eine ganz andere Art von „Offenbarung“ vor, welche man, um Zweideutigkeiten zu vermeiden, doch besser nicht so nennte.

Ein »jeweils neues göttliches Tun am menschlichen Subjekt« ist nicht mehr das historisch einmalige Selbstoffenbarungshandeln Gottes, sondern ein in Potenz vorliegendes, sich fallweise einmal mehr, ein anderes Mal weniger oder auch gar nicht aktualisierendes Offenbarungsprinzip, das erst im Aktualisierungsfall als göttliches Tun aus der Potenz heraustritt.

Von Bedeutung ist es für die einzelne Person, an welcher Gott dann konkret handelt. Für den Gegenstand der historisch bereits erfolgten und abgeschlossenen Offenbarung ist es ohne Belang und fügt ihm nichts hinzu.

Das darf man aber nun freilich nicht so sehen, als sei diese „historisch bereits erfolgte und abgeschlossene Offenbarung“ im Ergebnis einfachhin steril in Schriftform gegossen, und das sei es gewesen. Solche Sichtweise verkennte, wer eigentlich der Empfänger der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes gewesen ist. Nämlich nicht die Individuen, die hörten, sahen, aufschrieben, weitersagten, sondern: die Kirche. Die Kirche als Subjekt der Heilsgeschichte, als Ziel jenes »göttlichen Tuns«, von welchem Ratzinger spricht. Und die Kirche nicht als Theorie, nicht als Prinzip, nicht als „Institution“, sondern als Volk, das neue Volk der Auserwählten Gottes, herausgerufen aus Juden und Heiden, die civitas Dei.

Das »Innesein der göttlichen Kunde« vollzieht sich in der Kirche und ist da vollendet. Es geht da um genau das, was Ratzinger in seiner Dissertation über Augustin so trefflich herausgearbeitet hat (und über der Habilitation kaum vergessen haben wird): Gewiß ist für den einzelnen die Annahme der Offenbarung essentiell, aber sie vollzieht sich im Maß seiner Eingliederung in den Leib der Kirche, seiner Gliedwerdung im Volkskörper, seiner Einbürgerung in die Stadt Gottes. Und sie vollzieht sich primär nicht intellektuell, sondern sakramental.

Will Ratzinger im zurückgezogenen Teil seiner Habilitation auf dasselbe hinaus, was ich hier zu skizzieren versucht habe? Oder auf etwas anderes? – Mir ist das bisher nicht klargeworden. Was hat er damals aus Aussagen wie den oben zitierten gefolgert?
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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Sempre
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:Diese meine Verbindungsthese zwischen dem - ich nenne ihn der Einfachheit halber vorerst "dynamisierenden" Offenbarungsbegriff H.H. Ratzingers und der von ihm geprägten "Hermeneutik der Kontinuität" denke ich verdeutlicht die extremistischen, ideologischen Positionen (u.a. Modernismus und Traditionalismus), zusammengefasst unter dem Begriff Hermeneutik des Bruchs:
==> Auf eine dynamisch sich entwickelnde Kirche zielt die modernistische Terminologie,
==> auf eine betonierte "sola scriptura"-Kirche zielt die traditionalistische Terminologie.
- So, meine ich, könnte man die aktuelle Situation in etwa beschreiben.
Ich kann mir schon gut vorstellen, dass der Hl. Vater möglicherweise in etwa so denkt. Dagegen spricht: er benennt die Vertreter der »Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches«, von der er spricht, als diejenigen, die behaupten, daß die Konzilstexte als solche noch nicht wirklich den Konzilsgeist ausdrückten (Ansprache beim Weihnachtsempfang 2005, dort nach "Konzilsgeist" suchen). Die FSSPX gehört nicht dazu, sie liest die Konzilstexte durch die Brille der Tradition. Dagegen spricht weiterhin: Für die Gespräche in Rom wurde die Traditionsbrille als Gesprächsgrundlage vereinbart. Aber dabei mag es sich auch um einen Schachzug handeln.

Paul Heliosch hat geschrieben:Also nochmals kurz zusammenfassend meine These: Die von H. H. J. Ratzinger daraus (aus dem dynamisierenden Offenbarungsbegriff) abgeleiten Konsequenzen bündeln sich unter dem Begriff "Hermeneutik der Kontinuität".
Ja, und genauer: Hermeneutik der Kontinuität bedeutet, dass das Lehramt immer recht hat, ganz egal, was es sagt. (Erläuterung folgt sogleich.)

Der Hl. Vater sieht die Kirche als ein Subjekt, das mit der Zeit wächst und sich weiterentwickelt, dabei aber immer sie selbst bleibt, das Gottesvolk als das eine Subjekt auf seinem Weg (Ansprache beim Weihnachtsempfang 2005).

Wie geht das: Weiterentwickeln und doch dieselbe bleiben? Das geht so: Die Kirche hat drei Säulen: Schrift, Tradition und Lehramt. Sie bleibt dieselbe, solange die Säulen stehen. Die Schrift ist und bleibt fix. Die eigentliche Offenbarung, die zeitlich jeweils vor der Schrift liegt, ist und bleibt ebenso fix, wenngleich teils im Dunkeln. Die Tradition ist nichts anderes als der zeitliche Werdegang der gesündesten Teile des Lehramtes. Das Lehramt enthüllt im Laufe der Zeit immer mehr Wahrheit (die zwar hinter der Schrift bereits existiert aber noch nicht enthüllt ist).

Zu dieser (vorläufigen) Einschätzung der Sichtweise des Hl. Vaters gelange ich durch Deine Ausführungen und Zitate sowie auch:
J. Ratzinger (Aus meinem Leben) hat geschrieben:Offenbarung erschien nun nicht mehr einfach als Mitteilung von Wahrheiten an den Verstand, sondern als geschichtliches Handeln Gottes, in dem sich stufenweise Wahrheit enthüllt.
Wenn auch die Schrift geschrieben ist und die zugrundeliegende Offenbarung abgeschlossen, so ist doch die "Enthüllung der Wahrheit", das "Wachsen des Wortes" keineswegs abgeschlossen, wie Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation ausführt:
JOSEPH Kard. RATZINGER hat geschrieben:Die Tatsache, daß mit Christus und mit seiner Bezeugung in den Büchern des Neuen Testaments die allen Völkern zugedachte eine Offenbarung Gottes abgeschlossen ist, bindet die Kirche an das einmalige Ereignis der heiligen Geschichte und an das biblische Wort, das dieses Ereignis verbürgt und auslegt, aber sie bedeutet nicht, daß die Kirche nun nur auf die Vergangenheit schauen könnte und so zu einer unfruchtbaren Wiederholung verurteilt wäre.
Der KKK sagt dazu: "... Obwohl die Offenbarung abgeschlossen ist, ist ihr Inhalt nicht vollständig ausgeschöpft; es bleibt Sache des christlichen Glaubens, im Lauf der Jahrhunderte nach und nach ihre ganze Tragweite zu erfassen" (Nr. 66). Sehr schön sind die beiden Aspekte von Bindung an das Einmalige und Fortschritt in dessen Verstehen in den Abschiedsreden des Herrn ausgelegt, wo der scheidende Christus den Jüngern sagt: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden... Er wird mich verherrlichen, denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es verkünden" (Joh 16,12?14). Einerseits führt der Geist und eröffnet so Erkenntnis, für deren Tragen vorher die Voraussetzung fehlte - das ist die immer unabgeschlossene Weite und Tiefe des christlichen Glaubens. Andererseits ist dieses Führen ein "Nehmen" aus dem Schatz Jesu Christi selbst, dessen unerschöpfliche Tiefe sich in diesem Führen offenbart. Der Katechismus zitiert dazu ein tiefes Wort von Papst Gregor dem Großen: "Die göttlichen Worte wachsen mit den Lesenden" (KKK 94, Gregor, in Ez 1,7,8). Das II. Vatikanische Konzil kennt drei wesentliche Wege, wie sich die Führung des Heiligen Geistes in der Kirche und so das "Wachsen des Wortes" vollzieht: Es vollzieht sich durch Betrachtung und Studium der Gläubigen, durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt und durch die Verkündigung derer, "die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben" (Dei Verbum, 8 ).
(Meine Hervorhebung)

Ratzingers Offenbarungsbegriff (s. Strangtitel) betrifft doch eigentlich nur die Terminologie!? Was Robert Ketelhohn oben anmahnt, das tut der Kardinal hier. Er nennt die aktuelleren Stufen der stufenweisen Enthüllung der Wahrheit hier nicht Offenbarung, sondern "Wachsen des Wortes" oder "Enthüllung der Wahrheit".

Die Rede vom "Wachsen des Wortes" bereitet mir eher Unbehagen. Die Apostelgeschichte scheint mir da etwas anderes drunter zu verstehen, als hier gemeint ist (s.u.).

In dieser Sichtweise, wie auch Dei Verbum sie darlegt, hat sich das aktuelle Lehramt nicht mehr an der Tradition zu messen. Im Gegenteil: die Tradition ist je früher desto weniger erleuchtet. Traditionell wurde die Tradition als je früher desto näher an der Quelle, desto relevanter angesehen. In der neuen Sichtweise produziert die Kirche, bzw. speziell das Lehramt jeden Tag weiter gewachsene, neuere, bessere Tradition, denn die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen. (DV 8 )

Der heilige Geist hat uns die Religionsfreiheit gebracht, höhere göttliche Erleuchtung, von der die Kirche bis zum Vaticanum II nichts wusste. (Die Freimaurer hatten halt vor längerem bereits eine Privatoffenbarung.) Auch wissen wir Ehemänner endlich erleuchteterweise seit Kurzem, dass der Männerrechtler* Paulus - `lebte er heute'** - uns empfehlen würde, unseren Ehefrauen zu gehorchen. Werden sich Christus und seine Braut demnächst gegenseitig gehorchen müssen?

Gruß
Sempre

Apg 6,7: Und das Wort Gottes nahm zu, und die Zahl der Jünger ward sehr groß zu Jerusalem.
Apg 12,24: Das Wort Gottes aber wuchs und mehrte sich.
Apg 19,20: Also mächtig wuchs das Wort des Herrn und nahm überhand.

(*) so Kardinal Ratzinger gegenüber Peter Seewald über den Apostel
(**) er lebt heute
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Berolinensis »

Darf ich einfach nur mal einwerfen, daß ich es reichlich unsinnig und eigentlich auch, mit Verlaub, unseriös finde, über ein über 900-seitiges Werk anhand von wenigen Zeilen umfassenden Schnipseln zu sprechen. Das Buch ist im Handel frei erhältlich und auch über Bibliotheken zu beziehen. Wer sich also ernsthaft damit auseinandersetzen möchte, wird nicht darum herumkommen, das Buch selbst zu lesen. So kann ich diese Diskussion nicht ernstnehmen, danke allerdings Robert für ein paar überfällige grundlegende Klarstellungen.

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Berolinensis hat geschrieben:Darf ich einfach nur mal einwerfen, daß ich es reichlich unsinnig und eigentlich auch, mit Verlaub, unseriös finde, über ein über 900-seitiges Werk anhand von wenigen Zeilen umfassenden Schnipseln zu sprechen. Das Buch ist im Handel frei erhältlich und auch über Bibliotheken zu beziehen. Wer sich also ernsthaft damit auseinandersetzen möchte, wird nicht darum herumkommen, das Buch selbst zu lesen. So kann ich diese Diskussion nicht ernstnehmen, danke allerdings Robert für ein paar überfällige grundlegende Klarstellungen.
Verlaub verweigert aus folgendem Grund: Es ist unseriös, mangelnde Ernsthaftigkeit den Teilnehmern einer Diskussion zu unterstellen die man selbst mit angestossen hat an der man sich aber dann nicht beteiligt.

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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Berolinensis »

Paul Heliosch hat geschrieben:
Berolinensis hat geschrieben:Darf ich einfach nur mal einwerfen, daß ich es reichlich unsinnig und eigentlich auch, mit Verlaub, unseriös finde, über ein über 900-seitiges Werk anhand von wenigen Zeilen umfassenden Schnipseln zu sprechen. Das Buch ist im Handel frei erhältlich und auch über Bibliotheken zu beziehen. Wer sich also ernsthaft damit auseinandersetzen möchte, wird nicht darum herumkommen, das Buch selbst zu lesen. So kann ich diese Diskussion nicht ernstnehmen, danke allerdings Robert für ein paar überfällige grundlegende Klarstellungen.
Verlaub verweigert aus folgendem Grund: Es ist unseriös, mangelnde Ernsthaftigkeit den Teilnehmern einer Diskussion zu unterstellen die man selbst mit angestossen hat an der man sich aber dann nicht beteiligt.
Daß ich mit dieser Frage nicht diese Diskussion angeregt habe, ist wohl offensichtlich.

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Nun, wenn das wirklich offensichtlich wäre, dann würde das bedeuten, daß auf Deine offensichtliche Eingabe keinerlei Reaktion erfolgte, welche jedoch erwiesen ist und die ohne Deine Eingabe hinwiederum nicht geschehen wäre.

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben:(...)

Ratzingers Offenbarungsbegriff (s. Strangtitel) betrifft doch eigentlich nur die Terminologie!? Was Robert Ketelhohn oben anmahnt, das tut der Kardinal hier. Er nennt die aktuelleren Stufen der stufenweisen Enthüllung der Wahrheit hier nicht Offenbarung, sondern "Wachsen des Wortes" oder "Enthüllung der Wahrheit".

Die Rede vom "Wachsen des Wortes" bereitet mir eher Unbehagen. Die Apostelgeschichte scheint mir da etwas anderes drunter zu verstehen, als hier gemeint ist (s.u.).

In dieser Sichtweise, wie auch Dei Verbum sie darlegt, hat sich das aktuelle Lehramt nicht mehr an der Tradition zu messen. Im Gegenteil: die Tradition ist je früher desto weniger erleuchtet. Traditionell wurde die Tradition als je früher desto näher an der Quelle, desto relevanter angesehen. In der neuen Sichtweise produziert die Kirche, bzw. speziell das Lehramt jeden Tag weiter gewachsene, neuere, bessere Tradition, denn die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen. (DV 8 )

Der heilige Geist hat uns die Religionsfreiheit gebracht, höhere göttliche Erleuchtung, von der die Kirche bis zum Vaticanum II nichts wusste. (Die Freimaurer hatten halt vor längerem bereits eine Privatoffenbarung.) Auch wissen wir Ehemänner endlich erleuchteterweise seit Kurzem, dass der Männerrechtler* Paulus - `lebte er heute'** - uns empfehlen würde, unseren Ehefrauen zu gehorchen. Werden sich Christus und seine Braut demnächst gegenseitig gehorchen müssen?

(...)
Sehr pointierte Schlussfolgerung.

Aber gibt es da nicht zwei unterschiedliche Lesarten?
a) ...die Interpretation von DEI VERBUM sei die Ursache für die "Weiterentwicklung" zu einer "neuen, besseren" Tradition (was letztlich ihre Auflösung auch und gerade im Bereich der Liturgie bedeute).
b) ...DEI VERBUM selbst sei die Ursache für die "Weiterentwicklung" zu einer "neuen, besseren" Tradition (was letztlich ihre Auflösung auch und gerade im Bereich der Liturgie bedeute).

...oder wäre - Deiner Meinung nach - a) ohne b) gar nicht möglich?

Ich frage das in der Annahme, daß wir darin übereinstimmen, daß sich im Umgang mit der Tradition mithin "im Umgang mit der Liturgie das Geschick von Glaube und Kirche entscheidet“ (Zitat S. E. Kard. J. Ratzinger)

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Robert Ketelhohn
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Sempre hat geschrieben:
JOSEPH Kard. RATZINGER hat geschrieben:Die Tatsache, daß mit Christus und mit seiner Bezeugung in den Büchern des Neuen Testaments die allen Völkern zugedachte eine Offenbarung Gottes abgeschlossen ist, bindet die Kirche an das einmalige Ereignis der heiligen Geschichte und an das biblische Wort, das dieses Ereignis verbürgt und auslegt, aber sie bedeutet nicht, daß die Kirche nun nur auf die Vergangenheit schauen könnte und so zu einer unfruchtbaren Wiederholung verurteilt wäre.
Der KKK sagt dazu: "... Obwohl die Offenbarung abgeschlossen ist, ist ihr Inhalt nicht vollständig ausgeschöpft; es bleibt Sache des christlichen Glaubens, im Lauf der Jahrhunderte nach und nach ihre ganze Tragweite zu erfassen" (Nr. 66). Sehr schön sind die beiden Aspekte von Bindung an das Einmalige und Fortschritt in dessen Verstehen in den Abschiedsreden des Herrn ausgelegt, wo der scheidende Christus den Jüngern sagt: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden... Er wird mich verherrlichen, denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es verkünden" (Joh 16,12?14). Einerseits führt der Geist und eröffnet so Erkenntnis, für deren Tragen vorher die Voraussetzung fehlte - das ist die immer unabgeschlossene Weite und Tiefe des christlichen Glaubens. Andererseits ist dieses Führen ein "Nehmen" aus dem Schatz Jesu Christi selbst, dessen unerschöpfliche Tiefe sich in diesem Führen offenbart. Der Katechismus zitiert dazu ein tiefes Wort von Papst Gregor dem Großen: "Die göttlichen Worte wachsen mit den Lesenden" (KKK 94, Gregor, in Ez 1,7,8). Das II. Vatikanische Konzil kennt drei wesentliche Wege, wie sich die Führung des Heiligen Geistes in der Kirche und so das "Wachsen des Wortes" vollzieht: Es vollzieht sich durch Betrachtung und Studium der Gläubigen, durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt und durch die Verkündigung derer, "die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben" (Dei Verbum, 8 ).
(Meine Hervorhebung)

Ratzingers Offenbarungsbegriff (s. Strangtitel) betrifft doch eigentlich nur die Terminologie!? Was Robert Ketelhohn oben anmahnt, das tut der Kardinal hier. Er nennt die aktuelleren Stufen der stufenweisen Enthüllung der Wahrheit hier nicht Offenbarung, sondern "Wachsen des Wortes" oder "Enthüllung der Wahrheit".

Die Rede vom "Wachsen des Wortes" bereitet mir eher Unbehagen. Die Apostelgeschichte scheint mir da etwas anderes drunter zu verstehen, als hier gemeint ist (s.u.).

In dieser Sichtweise, wie auch Dei Verbum sie darlegt, hat sich das aktuelle Lehramt nicht mehr an der Tradition zu messen. Im Gegenteil: die Tradition ist je früher desto weniger erleuchtet. Traditionell wurde die Tradition als je früher desto näher an der Quelle, desto relevanter angesehen. In der neuen Sichtweise produziert die Kirche, bzw. speziell das Lehramt jeden Tag weiter gewachsene, neuere, bessere Tradition, denn die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen. (DV 8 )

Der heilige Geist hat uns die Religionsfreiheit gebracht, höhere göttliche Erleuchtung, von der die Kirche bis zum Vaticanum II nichts wusste. (Die Freimaurer hatten halt vor längerem bereits eine Privatoffenbarung.)
Du interpretierst in diesen (übrigens reichlich niederrangigen) Text etwas hinein, was keineswegs darin enthalten ist. Aber mich freut, daß du inzwischen meine (gewachsene) Vorsicht gegenüber „Privatoffenbarungen“ teilst. ;)
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Du interpretierst in diesen (übrigens reichlich niederrangigen) Text etwas hinein, was keineswegs darin enthalten ist.
Ja, reichlich niederrangig ist er. Ich denke: Um so niederranginger, desto vielleicht unbefangener der Präfekt. Aber Du hast recht, ich spekuliere nur. Paul Heliosch hat uns bisher nicht verraten, wen der H.H. J. Ratzinger in seiner Habilitationsschrift angeklagt hätte, einen unzulänglichen Offenbarungsbegriff zu pflegen. Von einer wissenschaftlichen Schrift müsste man erwarten können, dass Ross und Reiter benannt werden.


@Paul Heliosch
Du bist am Zug, anzugeben, wen der H.H. J. Ratzinger explizit nennt. Wer ist es, der einen in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriff pflegt? Es wird sich doch nicht etwa so verhalten, dass H.H. J. Ratzinger in einer wissenschaftlichen Arbeit pauschale Vorwürfe gegen die Kirche oder Vertreter der Kirche erhebt, ohne jeglichen Bezug und Beleg anzugeben?

Ich hatte danach bereits gefragt und Du gabst Schmaus an und als Beleg seinen Rotstift. Das aber ist offenbar ein fehlgehender Schnellschuss Deinerseits. Ratzinger wird kaum ohne Rücksprache einen Professor frontal angegriffen haben, von dem seine Habilitation direkt abhing. Und selbst wenn: dann wird er genaue Literaturangaben gemacht haben.

Kannst Du also bitte die Stelle(n) aus Ratzingers Arbeit zitieren, die darlegen, wer es ist, der einen in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriff pflegt, wie der Offenbarungsbegriff genau aussieht, und wo wir ihn in der Literatur finden!?

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Aber mich freut, daß du inzwischen meine (gewachsene) Vorsicht gegenüber „Privatoffenbarungen“ teilst. ;)
Was die konziliar anerkannte Privatoffenbarung der Freimaurer angeht, waren wir uns noch nie uneinig.

Gruß
Sempre
Zuletzt geändert von Sempre am Freitag 13. August 2010, 05:04, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:Sehr pointierte Schlussfolgerung.

Aber gibt es da nicht zwei unterschiedliche Lesarten?
a) ...die Interpretation von DEI VERBUM sei die Ursache für die "Weiterentwicklung" zu einer "neuen, besseren" Tradition (was letztlich ihre Auflösung auch und gerade im Bereich der Liturgie bedeute).
b) ...DEI VERBUM selbst sei die Ursache für die "Weiterentwicklung" zu einer "neuen, besseren" Tradition (was letztlich ihre Auflösung auch und gerade im Bereich der Liturgie bedeute).

...oder wäre - Deiner Meinung nach - a) ohne b) gar nicht möglich?
Im Sinne einer Hermeneutik der Kontinuität wären sowohl a) als auch b) unzulänglich. Daher die Variante

c) Sowohl DEI VERBUM selbst als auch jede inspirierte Interpretation von DEI VERBUM ist Teil der Tradition.

Denn Dei Verbum lehrt: die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen. (DV 8 ) Was als inspiriert bezeichnet werden kann, bestimmt letztlich der Papst (ja Robert K., auch hier kein Dissens in der Ablehnung).

Paul Heliosch hat geschrieben: Ich frage das in der Annahme, daß wir darin übereinstimmen, daß sich im Umgang mit der Tradition mithin "im Umgang mit der Liturgie das Geschick von Glaube und Kirche entscheidet“ (Zitat S. E. Kard. J. Ratzinger)
Ja, da stimmen wir in der Sache überein. Ich lehne allerdings den (ab-)Geschmack dieser Formulierung ab. Es klingt so, als sei es unsere Aufgabe, die alte meschuggene Schwiegermutter trotz aller Widerwärtigkeiten nett zu behandlen, weil uns sonst niemand die Liebe zu deren Tochter abnimmt. Das stimmt zwar. Der Glaube aber ist der Glaube der Schwiegermutter und nicht der Glaube der ausgeflippten Tochter.

Gruß
Sempre
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Raphael

Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Raphael »

Der vormalige Kardinal Ratzinger äußert sich zum Drama der Habilitation (so die Überschrift eines Kapitels in seiner Autobiographie "Aus meinem Leben") sehr ausführlich und aufschlußreich für das Thema dieses Stranges.
Ich zitiere im Folgenden eine längere Passage in der Hoffnung, daß er nichts dagegen einzuwenden hat:
Wir alle wußten zu dieser Zeit noch nicht, welche Gewitterwolken über mir standen. Gottlieb Söhngen hatte die Habilitationsschrift sogleich gelesen, mit Enthusiasmus aufgenommen und sie mehrfach bereits in der Vorlesung zitiert Professor Schmaus, der viel beschäftigte Korreferent, ließ sie zunächst ein paar Monate liegen. Von einer Sekretärin wußte ich, daß er im Februar schließlich mit der Lektüre begonnen hatte. Zu Ostern 1956 rief er erstmals die deutschsprachigen Dogmatiker zu einer Tagung nach Königstein zusammen, aus der dann die nun regelmäßig tagende Arbeitsgemeinschaft der deutschen Dogmatiker und Fundamentaltheologen geworden ist. Ich war dabei und habe übrigens bei dieser Gelegenheit Karl Rahner erstmals persönlich kennengelernt. Er war daran, die neue Ausgabe des von Bischof Buchberger begründeten »Lexikon für Theologie und Kirche« herauszugeben, und da ich für das evangelische Parallelwerk »Die Religion in Geschichte und Gegenwart« einige Artikel zu schreiben hatte, erkundigte er sich interessiert bei mir nach den dort angewandten editorischen Methoden. So sind wir gleich bei dieser Gelegenheit einander menschlich recht nahe gekommen. Schmaus rief mich während der Königsteiner Tagung zu einem kurzen Gespräch zu sich, in dem er mir sachlich und ohne Emotion eröffnete, er müsse meine Habilitationsschrift ablehnen, da sie nicht den dabei geltenden wissenschaftlichen Maßstäben genüge. Einzelheiten würde ich nach dem entsprechenden Fakultätsbeschluß erfahren. Ich war wie vom Donner getroffen. Eine Welt drohte für mich zusammenzubrechen. Was sollte aus meinen Eltern werden, die guten Glaubens zu mir nach Freising gekommen waren, wenn ich nun als Gescheiterter von der Hochschule gehen mußte? Und meine ganze eigene Zukunftsplanung, die sich wieder ganz auf das theologische Lehramt gerichtet hatte, war dann gescheitert. Ich dachte daran, mich um die Kaplansstelle in Freising St Georg zu bewerben, zu der eine Wohnung mit Haushalt gehörte, aber eine besonders tröstliche Lösung war dies nicht.
Einstweilen galt es abzuwarten; mit einem dumpfen Gefühl ging ich in das Sommersemester hinein. Was war geschehen? Soweit ich die Sache begreifen kann, wirkten drei Faktoren zusammen. Ich hatte bei meiner Forschungsarbeit gesehen, daß die wesentlich von Michael Schmaus vertretene Münchener Mediävistik fast ganz auf dem Stand der Vorkriegszeit stehengeblieben war und die großen neuen Erkenntnisse überhaupt nicht mehr wahrgenommen hatte, die inzwischen besonders im französischen Sprachraum erarbeitet worden waren. Mit einer für einen Anfänger wohl unangebrachten Schärfe kritisierte ich die überwundenen Positionen, und das war Schmaus ganz offensichtlich zu viel, zumal es ihm an sich gegen den Sinn ging, daß ich über ein mittelalterliches Thema gearbeitet hatte, ohne mich seiner Führung anzuvertrauen. Das von ihm bearbeitete Exemplar meines Buches war am Ende mit Randglossen in allen Farben angefüllt, die ihrerseits an Schärfe nichts zu wünschen übrigließen. Da er nun schon einmal aufgebracht war, reizten ihn auch das unzulängliche graphische Erscheinungsbild und verschiedene Zitationsfehler, die aller Mühsal zum Trotz stehengeblieben waren.
Aber auch das Ergebnis meiner Analysen mißfiel ihm. Ich hatte festgestellt, daß es bei Bonaventura (und wohl bei den Theologen des 13. Jahrhunderts überhaupt) keine Entsprechung zu unserem Begriff »Offenbarung« gebe, mit dem wir üblicherweise das Ganze der offenbarten Inhalte zu bezeichnen pflegen, so daß sich sogar der Sprachgebrauch eingebürgert hat, die Heilige Schrift einfach »die Offenbarung« zu nennen. In der Sprache des hohen Mittelalters wäre eine solche Identifizierung ganz undenkbar. »Offenbarung« ist dort immer ein Aktbegriff: Das Wort bezeichnen den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes. Und weil es so ist, gehört zum Begriff! »Offenbarung« immer auch das empfangende Subjekt: Wo niemand »Offenbarung« wahrnimmt, da ist eben keine Offenbarung geschehen, denn da ist nichts offen geworden. Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird. Diese bei der Lektüre Bonaventuras gewonnenen Einsichten sind mir später, beim konziliaren Disput über Offenbarung, Schrift, Überlieferung sehr wichtig geworden. Denn wenn es so ist, dann liegt Offenbarung der Schrift voraus und schlägt sich in ihr nieder, ist aber nicht einfach mit ihr identisch. Das aber heißt dann, daß Offenbarung immer größer ist als das bloß Geschriebene. Und das wieder bedeutet, daß es ein reines »Sola scriptura« (»durch die Schrift allein«) nicht geben kann, daß zur Schrift das verstehende Subjekt Kirche gehört, womit auch! schon der wesentliche Sinn von Überlieferung gegeben ist. Aber einstweilen ging es um meine Habilitationsschrift, und Michael Schmaus, der vielleicht auch von Freising ärgerliche Gerüchte über die Modernität meiner Theologie gehört hatte, sah in diesen Thesen keineswegs eine getreue Wiedergabe von Bonaventuras Denken (wovon ich hingegen auch heute noch überzeugt bin), sondern einen gefährlichen Modernismus, der auf die Subjektivierung des Offenbarungsbegriffes hinauslaufen müsse.
In der Fakultätssitzung, die sich mit meiner Habilitationsschrift befaßte, muß es einigermaßen stürmisch zugegangen sein. Schmaus konnte im Gegensatz zu Söhngen auf starke Freunde im Kollegium zählen, aber das Verdammungsurteil wurde doch abgemildert: Die Arbeit wurde nicht abgelehnt, sondern zur Verbesserung zurückgegeben. Was zu verbessern war, sollte ich aus den Randbemerkungen ersehen, die Schmaus in sein Exemplar eingetragen hatte. Damit war mir wieder Hoffnung gegeben, auch wenn Schmaus nach diesem Beschluß, wie mir Meister Söhngen berichtete, geäußert hatte, das Maß der erforderlichen Umarbeitung sei so groß, daß dafür Jahre nötig sein würden. Dann wäre die Rückgabe einer Ablehnung gleichwertig gewesen, und ich hätte zweifellos meine Arbeit an der Hochschule beenden müssen. Ich blätterte das arg entstellte Exemplar meines Buches durch und kam zu einer ermutigenden Entdeckung. Während es in den ersten zwei Teilen von kritischen Anmerkungen wimmelte, die mich freilich nur selten überzeugen konnten und sich manchmal schon zwei Seiten später aufgeklärt hätten, war der letzte Teil - über die Geschichtstheologie Bonaventuras - gänzlich ohne Beanstandungen geblieben. Dabei wäre gerade auch hier durchaus Sprengstoff enthalten gewesen. Worum ging es?
Die franziskanische Bewegung war früh auf eigentümliche Zusammenhänge ihres Werdens mit der Geschichtsprophetie des 1202 verstorbenen süditalienischen Abtes Joachim von Fiore aufmerksam geworden. Dieser fromme Gelehrte glaubte, aus der Heiligen Schrift herauslesen zu können, daß die Geschichte sich von einem strengen Reich des Vaters (Altes Testament) über das Reich des Sohnes (bisherige Kirche) zu einem dritten Reich, dem Reich des Geistes hin entwickeln werde, in dem endlich die Verheißungen der Propheten erfüllt sein und nur noch Freiheit und Liebe herrschen würden. Er hatte in der Bibel auch Berechnungsgrundlagen für das Heraufkommen der Geistkirche zu finden geglaubt, die es nun nahelegten, Franz von Assisi als Anfang der neuen Epoche zu deuten und seine Brüdergemeinschaft als deren Träger anzusehen. Schon Mitte des 13. Jahrhunderts entwickelten sich radikale Deutungen dieser Idee, die schließlich die »Spiritualen« aus dem Orden hinaus und in den offenen Konflikt mit dem Papsttum drängten. Henri de Lubac hat in einem zweibändigen Spätwerk die Nachgeschichte Joachims dargestellt, die bis zu Hegel und bis in die totalitären Systeme unseres Jahrhunderts reicht. Nun hatte man bisher immer gesagt, Bonaventura habe Joachim nie zitiert; die kritische Ausgabe seiner Werke kennt den Namen Joachim nicht. Diese These mußte freilich, bei Licht betrachtet, immer schon als fragwürdig erscheinen, denn Bonaventura war als General seines Ordens unvermeidlich in die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Franz und Joachim geworfen; schließlich hatte er seinen heiligmäßigen, aber den Ideen Joachims zugeneigten Vorgänger Johannes von Parma sogar in Klosterhaft nehmen müssen, um Polarisierungen zuvorzukommen, die sich auf den frommen Mann hätten stützen können. Ich konnte bei meiner Arbeit als erster zeigen, daß Bonaventura sich in seiner Auslegung des Sechs-Tage-Werkes (des Schöpfungsberichtes) eingehend mit Joachim auseinandersetzt und als Mann der Mitte den Versuch macht, das Brauchbare aufzunehmen, aber in die kirchliche Ordnung zu integrieren. Dieses Ergebnis wurde anfangs begreiflicherweise nicht von allen begeistert aufgenommen, hat sich aber inzwischen durchgesetzt. Schmaus hatte, wie gesagt, an diesem ganzen Abschnitt meines Werkes keine Kritik geübt.
So kam mir eine rettende Idee. Was ich über die Geschichtstheologie Bonaventuras ausgeführt hatte, war zwar mit dem Ganzen meines Buches verwoben, aber doch einigermaßen selbständig; man konnte es ohne große Schwierigkeiten aus dem Werk herauslösen und zu einem in sich geschlossenen Ganzen gestalten. Bei einem Umfang von gut 200 Seiten war ein solches Buch zwar kürzer als inzwischen bei Habilitationsschriften gewohnt, aber immer noch groß genug angelegt, um die Fähigkeit zu selbständiger theologischer Forschung zu beweisen, worum es ja bei einem solchen Opus ging. Da bei der herben Kritik an meiner Arbeit dieser Teil ohne Beanstandung geblieben war, konnte man ihn wohl nicht nachträglich als wissenschaftlich unannehmbar erklären. Gottlieb Söhngen, dem ich meinen Plan vortrug, war sofort einverstanden. Leider war mein Terminkalender für die großen Ferien schon weitgehend ausgefüllt, aber ich konnte immerhin noch zwei Wochen freimachen, in denen ich die nötige Bearbeitung bewerkstelligte. So war es mir möglich, bereits im Oktober das zurückgewiesene Opus in neuer, verkürzter Form der Fakultät - zum Erstaunen des Kollegiums - wieder auf den Tisch zu legen. Wieder folgten Wochen unruhigen Wartens. Endlich am 11. Februar 1957 erfuhr ich, daß die Habilitationsschrift angenommen war; die öffentliche Habilitationsvorlesung wurde auf den 21. Februar festgelegt. Nach der damals geltenden Münchener Habilitationsordnung gehörten diese Vorlesung und der zugehörige Disput noch zu den nötigen Habilitationsleistungen, das heißt, man konnte dabei noch einmal - jetzt vor aller Öffentlichkeit - durchfallen, wie es in der Tat nach dem Krieg bereits zweimal geschehen war. So ging ich nicht ohne Sorge auf diesen Tag zu, denn die Vorbereitungszeit war angesichts meiner weitergehenden Vorlesungsverpflichtungen in Freising kurz. Der große Hörsaal, den man für die Veranstaltung gewählt hatte, war überfüllt; eine merkwürdige Spannung lag fast physisch greifbar in der Luft. Nach meinem Vortrag hatten Referent und Korreferent das Wort zu ergreifen. Bald wurde aus der Diskussion mit mir ein leidenschaftlicher Disput der beiden miteinander. Sie wandten sich dem Auditorium zu und dozierten in dieses hinein; ich stand im Hintergrund, ohne noch gebraucht zu werden. Die anschließende Beratung der Fakultät dauerte lang; schließlich kam der Dekan auf den Gang heraus, auf dem ich mit meinem Bruder und Freunden wartete, um mir ganz formlos mitzuteilen, daß ich bestanden habe und habilitiert sei.
(Quelle: Joseph Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben, Taschenbuchausgabe 2000, S. 82 ff.)

Der entscheidende Absatz führt zu dem Beweggrund, dem Warum: Michael Schmaus wurde in Ratzinger's Habilitation von einem "akademischen Anfänger" ein schlechtes Zeugnis erstellt, was sich dieser als angesehener Dogmatik-Professor und Mediävistiker natürlich nicht bieten lassen wollte.

Es geht also mehr um gekränkte Eitelkeit von Akademikern als um den richtigen oder falschen Inhalt des Offenbarungsbegriffes. :roll:
Zuletzt geändert von Raphael am Freitag 13. August 2010, 12:49, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Raphael hat geschrieben:
Und das wieder bedeutet, daß es ein reines »Sola scriptura« (»durch die Schrift allein«) nicht geben kann, daß zur Schrift das verstehende Subjekt Kirche gehört, womit auch schon der wesentliche Sinn von Überlieferung gegeben ist.
Aha.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Das darf man aber nun freilich nicht so sehen, als sei diese „historisch bereits erfolgte und abgeschlossene Offenbarung“ im Ergebnis einfachhin steril in Schriftform gegossen, und das sei es gewesen. Solche Sichtweise verkennte, wer eigentlich der Empfänger der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes gewesen ist. Nämlich nicht die Individuen, die hörten, sahen, aufschrieben, weitersagten, sondern: die Kirche. Die Kirche als Subjekt der Heilsgeschichte, als Ziel jenes »göttlichen Tuns«, von welchem Ratzinger spricht. Und die Kirche nicht als Theorie, nicht als Prinzip, nicht als „Institution“, sondern als Volk, das neue Volk der Auserwählten Gottes, herausgerufen aus Juden und Heiden, die civitas Dei.

Das »Innesein der göttlichen Kunde« vollzieht sich in der Kirche und ist da vollendet. Es geht da um genau das, was Ratzinger in seiner Dissertation über Augustin so trefflich herausgearbeitet hat (und über der Habilitation kaum vergessen haben wird): Gewiß ist für den einzelnen die Annahme der Offenbarung essentiell, aber sie vollzieht sich im Maß seiner Eingliederung in den Leib der Kirche, seiner Gliedwerdung im Volkskörper, seiner Einbürgerung in die Stadt Gottes. Und sie vollzieht sich primär nicht intellektuell, sondern sakramental.
Ich war da offensichtlich auf der rechten Spur. Ratzingers Offenbarungsbegriff führt keineswegs zu jener radikalen Vereinzelung der Glieder der Gemeinde, die man aus manchen protestantischen Strömungen kennt, die den einzelnen entgeschichtlichen und die unter Verkennung der sakramentalen Wirklichkeit der Kirche alles aufs je neue existentiale Angerufensein der Person ankommen lassen.
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Lioba
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Lioba »

Paul Heliosch hat geschrieben:
Lioba hat geschrieben:Sicher? Da komme ich reichlich durcheinander. Wäre die Schrift nicht immer beides? Gott offenbart sich durch die Schrift, allein deren niederschreiben ist aber bereits Teil des menschlichen Erkennens und soweit darin lehrmässige Festlegungen geschehen eben auch Objektivierung. und wie geht es weiter? Ein immer weiteres Sichoffenbarung auch durch tieferes Verstehen der Schrift im aktuellen Zeitgeschehen also ein immer weitergehendes Wechselspiel?

"immer weitergehendes Wechselspiel" nicht misszuverstehen als "zu transformierende Offenbarung" (das wäre m. E. die modernistische Methode im Umgang mit den Texten des II. Vatikanums) sondern als "Einsichtigmachen der unabänderlichen Offenbarung im Kontext der Zeit". (Hoffentlich habe ich Dich jetzt nicht missverstanden!?)
:ja: Danke, Paul, das meinte ich.
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Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben: (...)
@Paul Heliosch
Du bist am Zug, anzugeben, wen der H.H. J. Ratzinger explizit nennt. Wer ist es, der einen in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriff pflegt? Es wird sich doch nicht etwa so verhalten, dass H.H. J. Ratzinger in einer wissenschaftlichen Arbeit pauschale Vorwürfe gegen die Kirche oder Vertreter der Kirche erhebt, ohne jeglichen Bezug und Beleg anzugeben?

Ich hatte danach bereits gefragt und Du gabst Schmaus an und als Beleg seinen Rotstift. Das aber ist offenbar ein fehlgehender Schnellschuss Deinerseits. Ratzinger wird kaum ohne Rücksprache einen Professor frontal angegriffen haben, von dem seine Habilitation direkt abhing. Und selbst wenn: dann wird er genaue Literaturangaben gemacht haben.

Kannst Du also bitte die Stelle(n) aus Ratzingers Arbeit zitieren, die darlegen, wer es ist, der einen in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriff pflegt, wie der Offenbarungsbegriff genau aussieht, und wo wir ihn in der Literatur finden!?
(...)
Ratzinger geriet durch seine Habilitationsschrift völlig unabsichtlich zum Antipoden eines in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriffs, zu dessen Verteidigung Prof. Schmaus damals wohl meinte genötigt worden zu sein. - Soweit meine These.

Hier das geforderte Zitat, aus welchem klar hervorgeht, daß es H. H. J. Ratzinger mitnichten um irgendwelche Anschuldigungen gegen Personen und schon gar nicht gegen die Kirche ging. Bei dem folgenden Zitat handelt sich um eine sehr schöne, authentische Darlegung des Sachverhalts durch S. E. Kardinal J. Ratzinger selbst, aus der hervorgeht, daß es damals nicht nur eine unterschwellige Tendenz gab, sondern dass es sogar gängig war den Offenbarungsbegriff in sola scriptura betoniert zu sehen.
[quote="H.H. J. Ratzinger in "Erinnerungen""]Aber auch das Ergebnis meiner Analysen mißfiel ihm (Anm.-1.: Schmaus). Ich hatte festgestellt, daß es bei Bonaventura (und wohl bei den Theologen des 13. Jahrhunderts überhaupt) keine Entsprechung zu unserem Begriff »Offenbarung« gebe, mit dem wir üblicherweise das Ganze der offenbarten Inhalte zu bezeichnen pflegen, so daß sich sogar der Sprachgebrauch eingebürgert hat, die Heilige Schrift einfach »die Offenbarung« zu nennen. In der Sprache des hohen Mittelalters wäre eine solche Identifizierung ganz undenkbar. »Offenbarung« ist dort immer ein Aktbegriff: Das Wort bezeichnen den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes. Und weil es so ist, gehört zum Begriff! »Offenbarung« immer auch das empfangende Subjekt: Wo niemand »Offenbarung« wahrnimmt, da ist eben keine Offenbarung geschehen, denn da ist nichts offen geworden. Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird. Diese bei der Lektüre Bonaventuras gewonnenen Einsichten sind mir später, beim konziliaren Disput über Offenbarung, Schrift, Überlieferung sehr wichtig geworden. Denn wenn es so ist, dann liegt Offenbarung der Schrift voraus und schlägt sich in ihr nieder, ist aber nicht einfach mit ihr identisch. Das aber heißt dann, daß Offenbarung immer größer ist als das bloß Geschriebene. Und das wieder bedeutet, daß es ein reines »Sola scriptura« (»durch die Schrift allein«) nicht geben kann, daß zur Schrift das verstehende Subjekt Kirche gehört, womit auch! schon der wesentliche Sinn von Überlieferung gegeben ist. Aber einstweilen ging es um meine Habilitationsschrift, und Michael Schmaus, der vielleicht auch von Freising ärgerliche Gerüchte über die Modernität meiner Theologie gehört hatte, sah in diesen Thesen keineswegs eine getreue Wiedergabe von Bonaventuras Denken (wovon ich hingegen auch heute noch überzeugt bin), sondern einen gefährlichen Modernismus, der auf die Subjektivierung des Offenbarungsbegriffes hinauslaufen müsse.[/quote](Anm.-1 von mir)

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:(...)
Aber gibt es da nicht zwei unterschiedliche Lesarten?
a) ...die Interpretation von DEI VERBUM sei die Ursache für die "Weiterentwicklung" zu einer "neuen, besseren" Tradition (was letztlich ihre Auflösung auch und gerade im Bereich der Liturgie bedeute).
b) ...DEI VERBUM selbst sei die Ursache für die "Weiterentwicklung" zu einer "neuen, besseren" Tradition (was letztlich ihre Auflösung auch und gerade im Bereich der Liturgie bedeute).

...oder wäre - Deiner Meinung nach - a) ohne b) gar nicht möglich?
Im Sinne einer Hermeneutik der Kontinuität wären sowohl a) als auch b) unzulänglich. Daher die Variante

c) Sowohl DEI VERBUM selbst als auch jede inspirierte Interpretation von DEI VERBUM ist Teil der Tradition.

Denn Dei Verbum lehrt: die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen. (DV 8 ) Was als inspiriert bezeichnet werden kann, bestimmt letztlich der Papst (ja Robert K., auch hier kein Dissens in der Ablehnung).
Die beiden gemutmassten Lesarten a) und b) thematisieren nicht, was "Teil der Tradition sei" sondern etwas anderes, nämlich die "Ursache für die "Weiterentwicklung" zu einer "neuen, besseren" Tradition (was letztlich ihre Auflösung auch und gerade im Bereich der Liturgie bedeute)" (.s.o.)

Deine Antwort c) in dieser ergänzenden Reihenfolge - ausgehend von a) und b) - verstehe ich nicht - inhaltlich natürlich sehr wohl, jedoch nicht in dem o.g. Zusammenhang., ...du schreibst:
"c) Sowohl DEI VERBUM selbst als auch jede inspirierte Interpretation von DEI VERBUM ist Teil der Tradition."
(Hervorhebung von mir)

Wie ist deine Antwort c) in dieser ergänzenden Reihenfolge - ausgehend von a) und b) zu verstehen?

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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

@Paul Heliosch (Freitag 13. August 2010, 17:40)

Du hattest die Sache so dargestellt, als ob Ratzinger Schmaus einen unzulänglichen Offenbarungsbegriff vorwerfe. Ist es nun ein Zufall, dass Du kein Zitat aus der Habilitationsschrift Ratzingers bringst, das solches bestätigte? Ebenso keinen Literaturverweis auf eine Schrift Schmaus', in der dieser einen angeblich unzulänglichen Offenbarungsbegriff vortrüge?

Von Anfang an hattest Du die Sache so dargestellt, als hätte Ratzinger den Offenbarungsbegriff Bonaventuras ausgegraben und festgestellt, dass dieser "dynamisierende" Offenbarungsbegriff korrekt sei und einem "lehrmässig standardisierten", "in sola scriptura betonierten" Offenbarungsbegriff entgegenstünde. Demgemäß spricht die Moderation im Strangtitel von "Ratzingers Offenbarungsbegriff".

Nun ziehst Du Deine These zurück. Du schreibst, es sei H.H. J. Ratzinger mitnichten um irgendwelche Anschuldigungen gegen Personen und schon gar nicht gegen die Kirche gegangen. So schätze ich die Sache auch ein. Es gibt überhaupt keinen Grund zu der Annahme, Ratzinger kritisiere mit seiner `Entdeckung' einen "lehrmässig standardisierten" Begriff. Ebenso gibt es keinen Grund zu der Annahme, Ratzinger kritisiere mit seiner `Entdeckung' Schmaus.

Das Zitat aus Ratzingers Autobiographie "Aus meinem Leben" gibt keine Kritik am Lehramt oder an Schmaus her. Und aus der Habilitationsschrift Ratzingers hast Du nichts zitiert, was eine solche Kritik hergäbe.

Im Zitat aus der Autobiographie "Aus meinem Leben" findet sich hingegen etwas ganz anderes. Ratzinger schreibt: Ich hatte festgestellt, daß es bei Bonaventura ... keine Entsprechung zu unserem Begriff »Offenbarung« gebe, mit dem wir üblicherweise das Ganze der offenbarten Inhalte zu bezeichnen pflegen, so daß sich sogar der Sprachgebrauch eingebürgert hat, die Heilige Schrift einfach »die Offenbarung« zu nennen.

Ratzinger kritisiert durchaus Personen. Er bezeichnet die kritisierten Personen genauer mit "wir" ("unserem Begriff »Offenbarung«"). Zu dem Kreis der Personen gehört also zunächst mal er selbst. Wer sonst noch gemeint ist, kann ich nicht erkennen. Er selbst - und wer auch immer noch dazu - ist es, der für sich und seinesgleichen erkennt, daß es ein reines »Sola scriptura« nicht geben kann, daß zur Schrift das verstehende Subjekt Kirche gehört. Um es mit Deinen, Paul Heliosch, mit Deinen Worten zu formulieren: Ratzinger kritisiert seinen eigenen »sola scriptura Betonkopf« den er gerade von der Stahlbewehrung befreit hat.

Ich interessiere mich dafür, wen sonst er noch gemeint hat. Gibt denn die Habilitationsschrift dazu wirklich gar nichts her?

Gruß
Sempre

P.S.: Dass die "Geheime Offenbarung des Johannes" die Niederschrift eines vorher erfolgten Vorgangs ist, geht aus dem Text selbst unmissverständlich hevor. Ebenso, dass nicht Johannes offenbart, sondern dass dem Johannes offenbart wurde. Johannes offenbart uns, was zuvor ihm offenbart wurde. Ich verstehe nicht, wovon Ratzinger redet. Redet er von einem Mißverständnis der Kirche seit Jahrhunderten oder redet er von einem Mißverständnis der `Nouvelle Théologie' oder wovon sonst?
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:Wie ist deine Antwort c) in dieser ergänzenden Reihenfolge - ausgehend von a) und b) zu verstehen?
Das führt vom Thema ab. Lass uns bei "Ratzingers Offenbarungsbegriff" bleiben.

Gruß
Sempre
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Raphael

Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Raphael »

Sempre hat geschrieben:Das Zitat aus Ratzingers Autobiographie "Aus meinem Leben" gibt keine Kritik am Lehramt oder an Schmaus her.
Joseph Kardinal Ratzinger hat geschrieben:Ich hatte bei meiner Forschungsarbeit gesehen, daß die wesentlich von Michael Schmaus vertretene Münchener Mediävistik fast ganz auf dem Stand der Vorkriegszeit stehengeblieben war und die großen neuen Erkenntnisse überhaupt nicht mehr wahrgenommen hatte, die inzwischen besonders im französischen Sprachraum erarbeitet worden waren. Mit einer für einen Anfänger wohl unangebrachten Schärfe kritisierte ich die überwundenen Positionen, und das war Schmaus ganz offensichtlich zu viel, zumal es ihm an sich gegen den Sinn ging, daß ich über ein mittelalterliches Thema gearbeitet hatte, ohne mich seiner Führung anzuvertrauen. Das von ihm bearbeitete Exemplar meines Buches war am Ende mit Randglossen in allen Farben angefüllt, die ihrerseits an Schärfe nichts zu wünschen übrigließen. Da er nun schon einmal aufgebracht war, reizten ihn auch das unzulängliche graphische Erscheinungsbild und verschiedene Zitationsfehler, die aller Mühsal zum Trotz stehengeblieben waren.
Ratzinger übte also in seiner Habilitationsschrift sehr wohl Kritik an der akademischen Leistung innerhalb der Mediävistik an der Münchener Universität, die im Wesentlichen von Michael Schmaus vertreten wurde!

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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Raphael hat geschrieben:Ratzinger übte also in seiner Habilitationsschrift sehr wohl Kritik an der akademischen Leistung innerhalb der Mediävistik an der Münchener Universität, die im Wesentlichen von Michael Schmaus vertreten wurde!
Das ist klar. Paul Heliosch aber behauptet, Ratzinger habe Kritik an einem falschen Offenbarungsbegriff geübt, den Schmaus und das Lehramt vertreten hätten.

Gruß
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben: Du hattest die Sache so dargestellt, als ob Ratzinger Schmaus einen unzulänglichen Offenbarungsbegriff vorwerfe.
...
Bitte um Vergebung, daß ich mich so mißverständlich ausgedrückt habe. Aber man muss meine Eingabe nicht zwingend so interpretieren, denke ich.
Sempre hat geschrieben:...
Von Anfang an hattest Du die Sache so dargestellt, als hätte Ratzinger den Offenbarungsbegriff Bonaventuras ausgegraben und festgestellt, dass dieser "dynamisierende" Offenbarungsbegriff korrekt sei und einem "lehrmässig standardisierten", "in sola scriptura betonierten" Offenbarungsbegriff entgegenstünde.
...
Bitte auch hier um Vergebung, daß ich mich so mißverständlich ausgedrückt habe, daß Deine Interpretation so etwas zwingend herleiten muss. Da muss mein darauf folgendes "Mitnichten" zwingend wie Rückzug aussehen..
Sempre hat geschrieben: Nun ziehst Du Deine These zurück. Du schreibst, es sei H.H. J. Ratzinger mitnichten um irgendwelche Anschuldigungen gegen Personen und schon gar nicht gegen die Kirche gegangen.
...

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Ratzinger übte also in seiner Habilitationsschrift sehr wohl Kritik an der akademischen Leistung innerhalb der Mediävistik an der Münchener Universität, die im Wesentlichen von Michael Schmaus vertreten wurde!
Das ist klar. Paul Heliosch aber behauptet, Ratzinger habe Kritik an einem falschen Offenbarungsbegriff geübt, den Schmaus und das Lehramt vertreten hätten.

Gruß
Sempre
Wo hätte ich dies behauptet?

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Wie ist deine Antwort c) in dieser ergänzenden Reihenfolge - ausgehend von a) und b) zu verstehen?
Das führt vom Thema ab. Lass uns bei "Ratzingers Offenbarungsbegriff" bleiben.

Gruß
Sempre
Ich denke schon, daß eine Antwort Erhellendes zum Sachverhalt beitragen könnte.

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Sempre
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Ratzinger übte also in seiner Habilitationsschrift sehr wohl Kritik an der akademischen Leistung innerhalb der Mediävistik an der Münchener Universität, die im Wesentlichen von Michael Schmaus vertreten wurde!
Das ist klar. Paul Heliosch aber behauptet, Ratzinger habe Kritik an einem falschen Offenbarungsbegriff geübt, den Schmaus und das Lehramt vertreten hätten.
Wo hätte ich dies behauptet?
Dort, was Schmaus betrifft:
Sempre hat geschrieben:Was war denn die damals übliche Sichtweise des Begriffs der Offenbarung? Bisher hast Du lediglich erwähnt, dass sie in dem Begriff "sola scriptura" kulminiere. Wie fasst Ratzinger diese Sichtweise zusammen und wer sind die Stellvertreter dieser Sichtweise?
Paul Heliosch hat geschrieben:"Stellvertreter" dieser Sichtweise ist - mit Verlaub - der ehrwürdige Prof. Schmaus. Das hat er durch den Einsatz der roten Farbe und die Zurückweisung der Habilitation bewiesen.
Und dort, was das Lehramt betrifft:
Paul Heliosch hat geschrieben:Also, was meiner Meinung nach Prof. Schmaus Schwarz auf Weiß vorlag, war der Beweis für die Unhaltbarkeit eines ausschliesslich lehrmässig standardisierten, in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriffs...
Gruß
Sempre
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:Ich denke schon, daß eine Antwort Erhellendes zum Sachverhalt beitragen könnte.
Ich gehe da gerne später drauf ein, hätte aber lieber zuvor geklärt, was Ratzinger in seiner Habilitiationsschrift rüberbringt. Zunächst die Frage, ob er tatsächlich glaubt, einen in Vergessenheit geratenen Offenbarungsbegriff wiederentdeckt zu haben, dann auch, was er ggf. daraus für Konsequenzen für die Kirche zieht.

Deine These baut darauf auf, ich würde gerne zunächst das Fundament Deiner These klar sehen.

Gruß
Sempre
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Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Danke. (Eine Bitte: Falls nicht schon begonnen, lies ebenfalls die bezogene Basislitteratur, dies halte ich für unabdingbar.)

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Sempre
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch [original] hat geschrieben:Danke. Ist in Ordnung.
Gut, schön.

Mich interessiert weiterhin, wen Ratzinger meint, wenn er sagt:
Ratzinger (Aus meinem Leben) hat geschrieben: Ich hatte festgestellt, daß es bei Bonaventura (und wohl bei den Theologen des 13. Jahrhunderts überhaupt) keine Entsprechung zu unserem Begriff »Offenbarung« gebe, mit dem wir üblicherweise das Ganze der offenbarten Inhalte zu bezeichnen pflegen, so daß sich sogar der Sprachgebrauch eingebürgert hat, die Heilige Schrift einfach »die Offenbarung« zu nennen. [...] Das Wort bezeichnen den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes. [...] Und das wieder bedeutet, daß es ein reines »Sola scriptura« (»durch die Schrift allein«) nicht geben kann, daß zur Schrift das verstehende Subjekt Kirche gehört, womit auch! schon der wesentliche Sinn von Überlieferung gegeben ist.
Wenn Ratzinger hier nicht Schmaus und nicht das Lehramt meint, wen meint er dann? Er meint sich selbst und andere ("wir"). Wer aber sind die anderen? Geht das aus seiner Habilitiationsschrift nicht hervor?

Paul Heliosch [edit 1] hat geschrieben:Danke. Ist in Ordnung. (Eine Bitte: Falls nicht schon begonnen, lies die bezogene Basislitteratur)
Du hast sehr Spannendes berichtet und einen direkten Zusammenhang zur Gegenwart dargelegt. Mich würde das Werk tatsächlich sehr interessieren und ich würde es mir zulegen, wenn das, was Du sagst, ernstzunehmen wäre. Sieht mir aber bisher eher nicht danach aus.

Paul Heliosch [edit 2] hat geschrieben:Danke. (Eine Bitte: Falls nicht schon begonnen, lies ebenfalls die bezogene Basislitteratur, dies halte ich für unabdingbar.)
Ich bezweifle inzwischen eher, dass überhaupt Dir die Basislittteratur vorliegt. Warum beantwortest Du keine einzige Frage von mir zu Deinen Ausführungen und dem konkreten Text mit einem geeigneten Zitat?

Gruß
Sempre
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