Quelle
J. Ratzinger behauptet einen Abstand zwischen der Formulierung des Dogmas und der Wirklichkeit, die das Dogma ausdrückt, bzw. seiner Auffassung nach bloß auszudrücken versucht. Die dogmatische Formel habe an der geschichtlich relativen Welt der Menschen Teil und sei deshalb nicht endgültig.
Die Dogmen sind damit nicht mehr vom Magisterium vorgelegte Interpretation des
depositum fidei, sondern die bereits den Gläubigen zu glauben vorgelegten Dogmen selbst sind wiederum interpretationsbedürftig. Das
lebendige Lehramt mag sie in einer anderen Zeit erneut in neuer Formulierung vorlegen, mag sie in verschiedenen Kulturen zur gleichen Zeit in verschiedenen Formulierungen vorlegen. Das
lebendige Lehramt ist, was Dogmen angeht, nicht mehr bloß für die Definition zuständig, sondern auch für die u.u. in Raum und Zeit unterschiedliche Interpretation (sprich: Neuformulierung) derselben. So ein von Ratzinger gebilligtes Dokument auf der Seite der Glaubenskongregation:
DIE INTERPRETATION DER DOGMEN.
Ein praktisches Beispiel dazu wurde vor ein paar Jahren bereits hier im Forum zitiert. Die Formulierung der Primatslehre des Vatikanum I müsse nur von der kath. Kirche geglaubt werden, während die sogenannt Orthodoxen bloß Formulierungen aus dem ersten Jahrtausend zu akzeptieren hätten:
Joseph Kardinal Ratzinger (1979) hat geschrieben:Anders gesagt: Rom muss vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde. Wenn Patriarch Athenagoras am 25. Juli 1967 beim Besuch des Papstes im Phanar diesen als Nachfolger Petri, als den ersten an Ehre unter uns, den Vorsitzer der Liebe, benannte, findet sich im Mund dieses großen Kirchenführers der wesentliche Gehalt der Primatsaussagen des ersten Jahrtausends und mehr muss Rom nicht verlangen. Die Einigung könnte hier auf der Basis geschehen, dass einerseits der Osten darauf verzichtet, die westliche Entwicklung des zweiten Jahrtausends als häretisch zu bekämpfen und die katholische Kirche in der Gestalt als rechtmäßig und rechtgläubig akzeptiert, die sie in dieser Entwicklung gefunden hat, während umgekehrt der Westen die Kirche des Ostens in der Gestalt, die sie sich bewahrt hat, als rechtgläubig und rechtmäßig anerkennt
(Quelle, Hervorhebungen im Original)
Das ist Ratzingers Version der sogenannten
Geschichtlichkeit der Dogmen, die sich etwa von Rahner und Küng unterscheidet. Er genügt damit scheinbar
Dei Filius ...
Dei Filius hat geschrieben:Daher ist auch immerdar derjenige Sinn der heiligen Glaubenssätze beizubehalten, den die heilige Mutter Kirche einmal erklärt hat, und niemals von diesem Sinn unter dem Anschein und Namen einer höheren Einsicht abzuweichen.
... indem er vorgibt, den Sinn der heiligen Glaubenssätze nicht anzurühren, vergisst jedenfalls aber, dass die
professio fidei verlangt, alles und jedes zu glauben, was zu glauben vorgelegt wurde. Auch bleibt natürlich der Sinn damit nicht tatsächlich unangetastet, denn sonst müsste Rom auch von den Katholiken nicht mehr zu glauben verlangen, als von den Orthodoxen.