Vorstellungen von einer Seelenwanderung sind mit dem Glauben der Kirche, den wir Christen als wahr angenommen haben, insgesamt nicht kompatibel, ohne die Möglichkeit, auch nur herausgepickte Teile zu bewahren.
1. Gott hat den Menschen als Individuum aus Leib und Seele erschaffen. Der Leib gehört zur Seele, diese ist die Form des Leibes. Folglich ist der Leib keine beliebige Hülle, sondern einzigartig.
2. Die Lehre von einer Seelenwanderung setzt die Präexistenz der Seelen voraus, sei es als individuell erschaffener Einzelwesen oder aber emanierter Abteilungen von einer wie auch immer verstandenen göttlichen Weltseele. Dies schließt die Möglichkeit einer Erbsünde aus und darum auch nicht nur die Notwendigkeit, sondern überhaupt die Möglichkeit einer Erlösung aller durch Einen. Das heißt, Jesus Christus als Erlöser würde aufgehoben. Er bliebe nur Meister eines Weges der Selbstreinigung.
3. Die Lehre von einer Seelenwanderung schließt auch die Auferstehung der Toten aus, also die Auferstehung des Fleisches. Darum aber kann sie nicht anders als die Auferstehung Jesu Christi zu leugnen. Jesus Christus ist aber wahrhaft auferstanden. Seit dem sind alle Reinkarnationslehren reif für den Orcus.
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In der Regel wird an dieser Stelle Origenes ins Feld geführt. – Nun, was ihn betrifft, so ist zunächst festzustellen – wenn ich einen Schritt zurückgehen darf –, daß die Seelenwanderungslehre Gemeingut des Platonismus war und von daher auch in diversen Ausformungen von Vertretern vulgärgnostischer Anschauungen übernommen wurde. Die Kirche hat dies niemals akzeptiert oder auch nur in Erwägung gezogen.
Im Gegenteil, der christliche Platonismus der Väter hat stets solche Vorstellungen verworfen und bekämpft. Augustin etwa hat sich intensiv und kämpferisch mit der neuplatoischen Seelenlehre auseinandergesetzt, namentlich am Beispiel Porphyrs. Richtig ist dagegen, daß Origenes – der Christentum und Platonismus verpanschte und dabei beides verdarb, wie der Kirchenfeind Porphyr scharfsichtig feststellte – eine Reinkarnationslehre vertreten hat – wie so vieles andere, was die Kirche als heterodox verurteilt hat.
Was Origenes genau gelehrt hat, ist nicht ganz leicht zu rekonstruieren, da insbesondere sein hierzu wichtigstes Werk, de principiis, vollständig nur in der geglätteten Übersetzung Rufins überliefert ist. Die erhaltenen Auszüge aus der exakten Übertragung des Hieronymus und die Zitate in Justinians epistola ad Menam (besonders zu de. princ. I,8,4) zeigen aber doch recht deutlich, daß Origenes sogar die Möglichkeit einer Einwohnung der Seelen in Tierleiber vertrat, freilich nicht ohne einzuschränken, er wolle das nicht mit Gewißheit behaupten.
Was er sehr bestimmt vertrat, ist die Lehre von einer Präexistenz der Seelen, die je nach Verdienst sich stufenweise zu Engeln aufschwängen oder umgekehrt durch Nachlässigkeit oder Sünde in die Materie hinabsänken und Leiber annähmen. Er versteigt sich sogar zu der Behauptung, auch die Seele Jesu habe sich mit der Annahme eines Leibes beschmutzt und darum bei der Darstellung im Tempel des Reinigungsopfers bedurft (welches Origenes fälschlich nicht nur auf die Wöchnerin, sondern auch auf das Kind bezieht).
Origenes ist jedoch weder Kirchenvater noch Kirchenlehrer noch überhaupt orthodoxer Christ. Seine Lehre steht isoliert da unter den kirchlichen Schriftstellern und wurde nicht erst Mitte des sechsten Jahrhunderts vom Constantinopolitanum II verurteilt, sondern bereits von seinen orthodoxen Zeitgenossen im dritten Jahrhundert wie von den Kirchenvätern Ende des vierten, Anfang des fünften Jahrhunderts bekämpft, selbst von denen, welche ihn als Exegeten schätzten.