Teufelsbraten

Allgemein Katholisches.
Kurt
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Teufelsbraten

Beitrag von Kurt »

Vergangene Tage wurde der Film "Teufelsbraten" gesendet, der nun auch mehrfach auf Spartenkanälen wiederholt wird. Der Film wurde nach einer Vorlage des autobiographischen Romans "Das verborgene Wort" von Ulla Hahn gedreht. Diese wiederum ist die Ehefrau von Klaus von Dohnanyi. (vgl. auch > hier <, wobei Hahn lt. einer anderen Quelle zeitweise der KPD angehört haben soll.)

Der Film spielt in den 50er/60er Jahre im Rheinland und schildert die repressive Erziehung im katholischen Arbeitermilieu, die sich vor allem gegen die Möglichkeit zur Bildung richtet.
WDR hat geschrieben:"Düvelsbrode" – Teufelsbraten – wird sie von ihrer Familie immer geschimpft, die kleine Hildegard, Tochter eines ungelernten Fabrikarbeiters und einer Putzfrau, nur weil sie mit ihrem unbeugsamen Willen, lesen und schreiben zu lernen, bei ihren kölsch sprechenden Eltern und ihrer Großmutter auf gewaltige Abwehr stößt. Allein der gutmütige Großvater versteht sie, von ihm lernt das Mädchen "Buchsteine" kennen, die ihre Phantasie in Gang setzen und sie darin bestärken, dass Ausflüge in die Wörterwelt, dass Sprache und Literatur sie aus dem einengenden katholisch-rheinisch geprägten Elternhaus und letztlich aus dem Proletariermilieu herausführen werden. Doch bis zur Aufnahme ins ersehnte Gymnasium ist der Weg für Hildegard steinig – Hildegard, die sich später Hilla nennt, muss mehr als jedes andere Mädchen kämpfen ...
Was mich interessiert: Was genau ist an dem Thema spezifisch rheinisch, was ist spezifisch katholisch und was ist typisch für die Zeit und das Milieu?

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Walfischschleim
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Beitrag von Walfischschleim »

Hört sich nach einem diser typischen SPD-Sozialromatik-Filmen an

:ikb_confused:

Kurt
Beiträge: 1486
Registriert: Montag 5. Februar 2007, 22:29

Beitrag von Kurt »

Hat wohl niemand gesehen, was?
Nun gut, ich werte den Film dann mal als Beleidigung für alle Stammwähler der SPD. :roll: ;D

Wanda
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Beitrag von Wanda »

In den 50er/60er Jahren (und noch bis in die 70er hinein) galt das katholische Arbeitermädchen vom Land als die Bildungsverliererin. Geschlecht, Konfession, soziale Herkunft und Wohnort - sämtliche in dieser Zeit ausgemachten Bildungshandicaps vereinte dieses Mädchen. Auch wenn Konstrukte die Wirklichkeit vereinfachen, dürfte einiges zutreffen.

Der Film könnte in jeder anderen ländlichen katholischen Region, z. B. der Eifel angesiedelt sein. Das in diesem Milieu besonders verfestigte Rollenbild legte Mädchen auf ein Dasein als Ehefrau und Mutter fest. Die soziale Herkunft war (und ist heute noch) wohl das gravierendste Bildungshemmnis.

Was nun die Religionszugehörigkeit angeht: Schwer zu sagen, ich meine mal gelesen zu haben, dass es Unterschiede gibt bzw. gab zwischen süddeutschen/norddt. katholischen/protestantischen Regionen und wiederum zwischen Frauen und Männern. Um herauszufinden, wie Ralf Dahrendorf damals das katholische Mädchen ausgemacht hat, müsste man wohl mal seine Befunde kritisch durchleuchten.

Mir hat der Film gefallen. Er zeigt gut, wie schwer es ein Mädchen aus "einfachen" Verhältnissen hat, aus einem einengenden Elternhaus herauszukommen und den eigenen Weg zu gehen. Und auch den damit verbundenen Schmerz zwischen zwei Welten zu leben.

Kurt
Beiträge: 1486
Registriert: Montag 5. Februar 2007, 22:29

Beitrag von Kurt »

Auch wenn es in dem Film um ein Mädchen ging, so habe ich das Thema Rolle der Frau in der Gesellschaft darin kaum wiedererkannt.

Zum einen sollte Hildegard ja eben nicht Ehefrau und Mutter werden, sondern "op et Büro jonn". Die Berufstätigkeit an sich schien ja eher weniger fraglich zu sein.

Zum anderen war ja die Omma die dominierende, vor allem autoritäre Person in dem Film, während Opa eher fürsorglich war (also dem klassischen Frauenbild der 50er Jahre entsprach.

Zuletzt glaube ich, dass auch Jungs aus diesem Milieu zu den "Bildungsverlierern" gehörten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hildegard, wäre sie ein Junge gewesen, sich anders entwickelt hätte.

Besonders interessant fand ich aber die Darstellung der religiösen Praxis in der Familie - bis hin zur Auflösung: Es war der Klerus, der Hildegard aus den beengten Verhältnissen herauslöste; ein Widerspruch?

Wanda
Beiträge: 18
Registriert: Samstag 4. Oktober 2003, 22:57

Beitrag von Wanda »

Kurt hat geschrieben:Auch wenn es in dem Film um ein Mädchen ging, so habe ich das Thema Rolle der Frau in der Gesellschaft darin kaum wiedererkannt. Zum einen sollte Hildegard ja eben nicht Ehefrau und Mutter werden, sondern "op et Büro jonn". Die Berufstätigkeit an sich schien ja eher weniger fraglich zu sein.
Das habe ich anders wahrgenommen. Es war quasi selbstverständlich, dass Hildegard die Volksschule besucht. Mit viel Mühe konnten Lehrer und Pfarrer die Eltern (den Vater) dazu bringen, sie überhaupt zur Mittelschule gehen zu lassen. Erst ab da war vom Büro die Rede. Das Gymnasium war undenkbar.
Kurt hat geschrieben:Zum anderen war ja die Omma die dominierende, vor allem autoritäre Person in dem Film, während Opa eher fürsorglich war (also dem klassischen Frauenbild der 50er Jahre entsprach.
Ausnahmen bestätigen wohl auch hier die Regel ;)
Kurt hat geschrieben:Zuletzt glaube ich, dass auch Jungs aus diesem Milieu zu den "Bildungsverlierern" gehörten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hildegard, wäre sie ein Junge gewesen, sich anders entwickelt hätte.
Versuchte die Mutter nicht immer wieder Hildegard klarzumachen, sie würde doch sowieso heiraten, und dass es daher unsinnig sei, eine weiterführende Schule besuchen zu wollen.

Bei ihrem jüngeren Bruder sah das schon anders aus. Er durfte zum Gymnasium. Dass er nicht gerade glücklich darüber war deswegen ins Internat zu gehen und die vertraute Umgebung zu verlassen, ist verständlich. Möglich, dass - nachdem Hildegard auf die Mittelschule ging - eine gewisse Öffnung in der Familie im Gange war, die es für den Bruder leichter machte die höhere Schule zu besuchen. Außerdem wurde/wird Jungen (nach wie vor) die Ernährerrolle zugeschrieben, was eine gute Ausbildung rechtfertigt. Bei Mädchen wurde dies als verlorene Investition gesehen.

Dramatisch wurde es aber dann als Hildegard zum Gymnasium wechseln wollte. Gezwungen in eine Bürolehre, nahm das Unglück seinen Lauf, bis dank der nochmaligen Interventionen von Lehrer und Pfarrer endlich auch für Hildegard Gymnasium und Hochschule erreichbar wurden.
Kurt hat geschrieben:Besonders interessant fand ich aber die Darstellung der religiösen Praxis in der Familie - bis hin zur Auflösung: Es war der Klerus, der Hildegard aus den beengten Verhältnissen herauslöste; ein Widerspruch?
Zur damaligen Zeit hatten Lehrer und Pfarrer (ich glaub auch noch Arzt und Apotheker, was aber hier nichts zur Sache tut) im Ländlichen einen ganz besonderen Status und Einfluss. Es lag wohl an der außergewöhnlichen Begabung Hildegards, dass der Pfarrer sich für sie einsetzte. Sollen doch die von Gott gegebenen Talente und Fähigkeiten entfaltet und nicht erstickt werden.

Die Priesterrolle fand ich erstaunlich positiv. Anrührend waren Hildegard Bemühungen, ihr schwarzes Püppchen weiß zu beten oder auch die Szene an der Weihnachtskrippe.

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Walfischschleim
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Beitrag von Walfischschleim »

Hat da jemand gefragt, warum ich mir sozialromatische Filme nicht ansehe? Falls ja:

Hildegard ist heute bei kräftiger Körperfülle, welche von bunten Batikschals umschmeichelt wird, zweimal geschieden und lebt selbstbestimmt und mit ihrem Karma in Einklang in einer offenen Multiplexbeziehung.

Etwas seriöser formuliert: solche Filme hören auf, wenn es anfängt spannend zu werden: Leute die mitgeholfen haben, funktionierende Sozialstrukturen kaputt zu machen, um Ihre Biographie zu entwickeln, sind noch immer als kompromisslose Egozentriker geendet.

P.S., weils so gut passt: "Herzlichen Glückwunsch" Hans Küng

Kurt
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Beitrag von Kurt »

Wanda hat geschrieben:
Kurt hat geschrieben:Auch wenn es in dem Film um ein Mädchen ging, so habe ich das Thema Rolle der Frau in der Gesellschaft darin kaum wiedererkannt. ...
Das habe ich anders wahrgenommen.
Kann sein, dass ich den Film nicht in voller Länge mit offenen Augen gesehen habe.
Kurt hat geschrieben:Zum anderen war ja die Omma die dominierende, vor allem autoritäre Person in dem Film, während Opa eher fürsorglich war (also dem klassischen Frauenbild der 50er Jahre entsprach.
Ausnahmen bestätigen wohl auch hier die Regel ;)
Meinst Du, in den 50ern waren Männer fast alle autoritär und Frauen fast immer fürsorglich?
Ich kann mir gut vorstellen, dass das Modell Hausdrache gar nicht so selten ist/war. Kann aber nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen.
Kurt hat geschrieben:Besonders interessant fand ich aber die Darstellung der religiösen Praxis in der Familie - bis hin zur Auflösung: Es war der Klerus, der Hildegard aus den beengten Verhältnissen herauslöste; ein Widerspruch?
...
Es lag wohl an der außergewöhnlichen Begabung Hildegards, dass der Pfarrer sich für sie einsetzte. Sollen doch die von Gott gegebenen Talente und Fähigkeiten entfaltet und nicht erstickt werden.
Das würde aber bedeuten, dass weder Rheinizität (gibt es das?) noch Katholizität Thema des Filmes waren, sondern klassische Sozialkritik: Bildungsnachteile im Proletariat sowie Frauenbenachteiligung.

Ich habe mir allerdings die Frage gestellt, was passiert wäre, wenn ein anderes Milieu gewählt worden wäre, z.B. türkisch-muslimisch oder jüdisch.
Zuletzt geändert von Kurt am Mittwoch 19. März 2008, 21:23, insgesamt 1-mal geändert.

Kurt
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Beitrag von Kurt »

Walfischschleim hat geschrieben:Etwas seriöser formuliert: solche Filme hören auf, wenn es anfängt spannend zu werden: Leute die mitgeholfen haben, funktionierende Sozialstrukturen kaputt zu machen, um Ihre Biographie zu entwickeln, sind noch immer als kompromisslose Egozentriker geendet.
Ich würde in dem Film nicht von funktionierenden Sozialstrukturen reden. Auch ist nicht jeder, der - wie von dem Priester vorgeschlagen - seine Talente nutzt, gescheitert; sonst hätte er Hildegard ja nicht gefördert.
Kritisch sehe ich aber die Geringschätzung der Einfachheit und der Armut. Wenn auch nicht in dem Film, so sind einfache Verhältnisse keine Schande und nicht zwangsläufig von Unglück gekennzeichnet. Insofern war mit das Filmklischee zu einseitig.
Es roch nach Sittengemälde, und wenn es das sein sollte, war es mißraten. Dennoch ein Film, der zum Nachdenken anregte. Mal was Anderes.

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