Robert hat geschrieben:Daß der Leib der allheiligen Jungfrau und Gottesgebärerin die Verwesung nicht geschaut hat, sondern am Ende ihres irdischen Lebens verwandelt und in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen wurde, ist gemeinsames Glaubensgut der ?ungeteilten Christenheit?, wenn ich nicht gänzlich irre.
"Die Verwesung nicht geschaut": das ist erstmal richtig. Über die leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel ist sich die gesamte Kirche sicher (auch wenn es in der Ostkirche kein solches Dogma gibt):
"Erhebet die Tore und empfanget Sie auf überirdische Weise, Sie, die Mutter des ewigen Lichtes, denn heute breitet der Himmel seine Wölbungen aus, Sie aufzunehmen. Die Engel stehen im Kreise und besingen Deine Entschlafung, die wir im Glauben feiern." (Aus der Liturgie des Festtages.)
Robert hat geschrieben:Die Feier ihrer "Entschlafung" ist nicht nur, aber besonders in der östlichen Christenheit beheimatet und von hohem Stellenwert, gerade auch in der Frömmigkeit des Volks. Der Begriff der Entschlafung scheint auf den ersten Blick zunächst den Tod vorauszusetzen. Auf den zweiten jedoch scheint mir das nicht mehr so ausgemacht: Ob sie wirklich durch den Tod ging oder aber auf andere, uns letztlich nicht begreifbare Weise von diesem in jenes Leben, das läßt im letzten wohl auch die Feier der Entschlafung offen.
Troparion zum Fest des Entschlafens der allheiligen Gottesgebärerin:
"Im Gebären hast du die Jungfräulichkeit bewahrt, im Entschlafen hast Du die Welt nicht verlassen, o Gottesgebärerin. Du bist hinübergegangen zum Leben, die Du bist des Lebens Mutter, und durch Deine Fürbitten erlösest Du vom Tode unsere Seelen."
In den Gesängen zu Vesper und Orthros an diesem Festtag findet man die besondere Bedeutung, die die Kirche dem Fest zuschreibt. Die Bedeutung ist zweifach und wird genau durch einen Satz ausgedrückt, der zur Vesper gesungen wird:
"Die Quelle des Lebens wird bestattet in einem Grabe" und
"Eine Leiter zum Himmel wird Ihr Grab." Der erste Teil des Satzes - "die Quelle des Lebens wird bestattet in einem Grabe" - zeigt, daß wir konkret des irdischen Ablebens der Allheiligen gedenken. (Zitiert nach Materialien auf
www.orthodoxfrat.de.)
"Entschlafung der Allheiligen Gottesgebärerin" ist also nicht vollkommen identisch mit "Mariae Himmelfahrt". Die Tradition des Festes in der Ostkirche schöpft aus dem apokryphen
Transitus Mariae. Dort wird erzählt, daß kurz vor dem Entschlafen der Gottesmutter die in alle Welt zerstreuten Apostel auf wunderbare Weise an Ihr Sterbebett gebracht worden sind, so daß sie noch mit der Mutter des Herrn wachen und beten konnten.
"Der Herr hat euch hierher geführt, um mich zu trösten in den Ängsten, welche mich bedrängen müssen. Ich bitte euch, daß ihr alle, ohne zu erschlaffen, mit mir wachen möget bis zur Stunde, da der Herr kommen wird und ich diesen Leib verlassen werde." (Trans Mar 6). (Robert, die Beschreibung des Festes im von Dir einige Male zitierten "Orthodoxen Glaubensbuch" beruht auf dem Transitus Mariae.)
Hier ein paar weitere Textfragmente, Stichiren und Gesänge dieses Festtags, die dessen Charakter beschreiben:
- "O welch unfassbares Wunder! Die Quelle des Lebens wird bestattet in einem Grabe. Doch das Grab wird eine Leiter zum Himmel. Freue dich, Gethsemane, der Gottesgebärerin heiliger Garten. Laßt uns rufen, ihr Gläubigen, da wir Gabriel zum Anführer haben: Du Begnadete, sei gegrüsst. Mit Dir ist der Herr, der durch Dich der Welt gewährt das große Erbarmen."
- "Sie, die niemals ruht im Gebet, Sie, deren Führung und Schutz uns untrügerische Hoffnung gibt, die Gottesgebärerin, durch Ihr Sterben und Grab wurde Sie doch nicht überwunden. Als Mutter des Lebens hat Er Sie in ein neues Leben gebracht, der einst wohnte in Ihrem immerjungfräulichen Schoß."
- "Deinen Tod verherrlichen Throne, Fürsten und Gewalten, Herrscher der Engel und die geistigen Mächte, unnahbar hehre Cherubim, Schauder erregende Seraphim..." (Sticheron autemelon der Großen Vesper dieses Festes)
Es ist also schon so, daß es ein Geheimnis ist, wie Robert schreibt; dieses Geheimnis ist aber nicht insofern zweideutig, daß man sagen könne, die Allheilige sei nicht entschlafen, weil "unbefleckt empfangen".
Entschlafung der Allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria