Kathedra Petri

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Robert Ketelhohn
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Kathedra Petri

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Papst Benedikt XVI. [Joseph Kardinal Ratzinger] (in: Bilder der Hoffnung, Freiburg im Breisgau 1997) hat geschrieben:»Vorsitz in der Liebe«

Der Cathedra-Altar von St. Peter zu Rom


Wer nach einer Wanderung durch das gewaltige Mittelschiff der Peterskirche schließlich beim abschließenden Altar in der Apsis ankommt, würde wohl eine triumphale Darstellung des heiligen Petrus erwarten, um dessen Grab diese Kirche gebaut ist. Aber nichts davon – die Gestalt des Apostels erscheint nicht unter den Bildwerken dieses Altars. Stattdessen stehen wir vor einem leeren Thron, der beinahe zu schweben scheint, aber doch gehalten wird von den vier Figuren der großen Kirchenlehrer des Westens und des Ostens. Das gedämpfte Licht, das über dem Thron liegt, rührt von dem Fenster darüber, das von schwebenden Engeln umgeben ist, die das Fluten des Lichts nach unten weiterleiten.

Was soll diese ganze Komposition? Was sagt sie uns? Mir scheint, daß sich darin eine tiefe Deutung des Wesens von Kirche verbirgt und, darin eingeschlossen, eine Deutung des Petrusamtes. Beginnen wir mit dem Fenster, das mit seinen gedämpften Farben zugleich nach innen sammelt und nach außen und oben hin öffnet. Es verbindet die Kirche mit der Schöpfung im Ganzen; es deutet durch die Taube des Heiligen Geistes Gott als die eigentliche Quelle allen Lichtes an. Aber es sagt uns noch anderes: Die Kirche selbst ist ihrem Wesen nach gleichsam ein Fenster, Raum der Berührung zwischen dem jenseitigen Geheimnis Gottes und unserer Welt, Durchlässigwerden der Welt auf den Glanz seines Lichtes hin. Kirche steht nicht für sich, sie ist kein Ende, sondern ein Aufbruch über sich und über uns selbst hinaus. Sie erfüllt um so mehr ihr wahres Wesen, je mehr sie durchsichtig wird für den anderen, von dem sie kommt und zu dem sie führt. Durch das Fenster ihres Glaubens tritt Gott herein in diese Welt und weckt in uns die Sehnsucht nach dem Größeren. Kirche ist Ein- und Ausgehen von Gott zu uns, von uns zu Gott. Ihr Auftrag ist es, eine sich verschließende Welt zu öffnen über sich hinaus, ihr das Licht zu geben, ohne das sie unbewohnbar wäre.

Sehen wir uns nun die nächste Ebene dieses Altars an: die leere Cathedra aus vergoldeter Bronze, in die ein hölzerner Stuhl aus dem 9. Jahrhundert eingeschlossen ist, den man lange Zeit für die Cathedra des Apostels Petrus gehalten und deswegen an dieser Stelle aufgestellt hat. So verdeutlicht sich schon die Bedeutung dieses Teils des Altars. Der Lehrstuhl des Petrus sagt mehr, als ein Bild sagen könnte. Er drückt die bleibende Gegenwart des Apostels aus, der als Lehrender in seinen Nachfolgern anwesend bleibt. Der Stuhl des Apostels ist ein Hoheitszeichen – er ist Thron der Wahrheit, die in der Stunde von Cäsarea zu seinem und seiner Nachfolger Auftrag wurde. Der Sitz des Lehrenden wiederholt gleichsam für unser Gedächtnis das Wort des Herrn aus dem Abendmahlssaal: »Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht wanke. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, stärke deine Brüder« (Lk 22,32). Aber auch eine andere Erinnerung verbindet sich mit dem Stuhl des Apostels: das Wort des Ignatius von Antiochien, der um das Jahr 110 in seinem Brief an die Römer die Kirche von Rom »Vorsitzende der Liebe« nannte. Vorsitz im Glauben muß Vorsitz in der Liebe sein, beides ist gar nicht voneinander zu trennen. Ein Glaube ohne Liebe wäre nicht mehr der Glaube Jesu Christi. Die Vorstellung des heiligen Ignatius war aber noch konkreter: Das Wort »Liebe« ist in der Sprache der frühen Kirche auch ein Ausdruck für die Eucharistie. Eucharistie stammt ja aus der Liebe Jesu Christi, der für uns sein Leben hingegeben hat. In ihr teilt er sich immerfort an uns aus, legt sich selbst in unsere Hände. Durch sie erfüllt er immerfort seine Verheißung, daß er uns vom Kreuz her in seine offenen Arme hineinziehen werde (vgl. Joh 12,32). In der Umarmung Christi werden wir zueinander geführt. Wir werden in den einen Christus hineingenommen, und dadurch gehören wir nun auch gegenseitig zusammen: Ich kann denjenigen nicht mehr als einen Fremden betrachten, der in derselben Berührung mit Christus steht wie ich.

Das alles sind nun aber keineswegs irgendwelche entlegenen mystischen Gedanken. Eucharistie ist die Grundform der Kirche: Sie bildet sich in der eucharistischen Versammlung. Und weil alle Versammlungen aller Orte und aller Zeiten nur immer dem einen Christus zugehören, folgt daraus, daß sie alle nur eine einzige Kirche bilden. Sie legen sozusagen ein Netz der Geschwisterlichkeit über die Welt und knüpfen die Nahen und die Fernen so aneinander, daß sie durch Christus sich alle nahe sind. Nun geht gewöhnlich unsere Meinung dahin, daß Liebe und Ordnung Gegensätze seien: Wo Liebe, brauche es keine Ordnung mehr, weil ja nun alles sich von selber verstehe. Aber das ist ein Mißverständnis, sowohl der Ordnung wie der Liebe. Rechte menschliche Ordnung ist etwas anderes als die Gitterstäbe, die man vor die Raubtiere setzt, damit sie in Schranken gehalten werden. Sie ist die Achtung vor dem Anderen und vor dem Eigenen, das dann am meisten geliebt ist, wenn es in seiner rechten Sinngebung angenommen wird. So gehört zur Eucharistie Ordnung, und ihre Ordnung ist der eigentliche Kern der Ordnung der Kirche. Der leere Stuhl, der auf den Vorsitz in der Liebe verweist, spricht zu uns demgemäß über den Zusammenklang von Liebe und Ordnung. Er verweist im tiefsten auf Christus als den eigentlichen Vorsitzenden in der Liebe. Er verweist darauf, daß Kirche ihre Mitte im Gottesdienst hat. Er sagt uns, daß Kirche nur eins bleiben kann von der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten Christus her. Keine organisatorische Tüchtigkeit kann ihre Einheit gewährleisten. Sie kann Weltkirche nur sein und bleiben, wenn ihre Einheit mehr ist als Organisation – wenn sie von Christus her lebt. Nur der eucharistische Glaube, nur die Versammlung um den gegenwärtigen Herrn kann sie auf Dauer erhalten. Und von daher bezieht sie ihre Ordnung. Die Kirche wird nicht regiert durch Mehrheitsbeschlüsse, sondern durch Glauben, der in der Begegnung mit Christus im Gottesdienst reift.

Der Petrusdienst ist Vorsitz in der Liebe, das heißt Sorge dafür, daß die Kirche ihr Maß von der Eucharistie nimmt. Sie wird um so einiger sein, je mehr sie vom eucharistischen Maß her lebt und je treuer sie in der Eucharistie sich an das Maß der Überlieferung des Glaubens hält. Um so mehr wird aus der Einheit auch Liebe reifen, die auf die Welt zugeht: Die Eucharistie beruht ja auf dem Liebesakt Jesu Christi bis in den Tod hinein. Das heißt freilich auch, daß nicht lieben kann, wer den Schmerz als etwas ansieht, das man abschaffen oder jedenfalls den anderen überlassen sollte. »Vorsitz in der Liebe«: Wir hatten anfangs vom leeren Thron gesprochen, aber nun ist sichtbar geworden, daß der »Thron« der Eucharistie kein Thron der Herrschaft, sondern der harte Stuhl des Dienenden ist.

Sehen wir jetzt auf die dritte Ebene dieses Altars hin: auf die Väter, die den Thron des Dienens tragen. Die beiden Lehrer des Ostens, Chrysostomus und Athanasius, verkörpern zusammen mit den Lateinern Ambrosius und Augustinus die Ganzheit der Überlieferung und so die Fülle des Glaubens der einen Kirche. Zwei Überlegungen sind hier wichtig: Die Liebe steht auf dem Glauben. Sie zerfällt, wo der Mensch orientierungslos wird; sie zerfällt, wo der Mensch Gott nicht mehr wahrnehmen kann. Wie sie und mit ihr stehen Ordnung und Recht auf dem Glauben, steht Autorität in der Kirche auf dem Glauben. Kirche kann sich nicht selbst ausdenken, wie sie sich ordnen will; sie kann nur versuchen, den inneren Ruf des Glaubens immer besser zu verstehen und aus ihm zu leben. Sie braucht das Mehrheitsprinzip nicht, das ja immer etwas Grausames in sich enthält: Der unterlegene Teil muß sich um des Friedens willen dem Beschluß der Mehrheit beugen, auch wenn dieser Beschluß vielleicht töricht oder sogar schädlich ist. In menschlichen Ordnungen geht es vielleicht nicht anders. Aber in der Kirche schützt die Bindung an den Glauben uns alle: Jeder ist an ihn gehalten, und insofern gewährt die sakramentale Ordnung mehr Freiheit, als diejenigen geben können, die auch die Kirche dem Mehrheitsprinzip unterwerfen wollen.

Ein Zweites kommt dazu: Die Kirchenväter erscheinen als die Garanten der Treue zur Heiligen Schrift. Die Hypothesen menschlicher Auslegung wanken. Sie können den Thron nicht tragen. Die lebentragende Kraft des Schriftwortes ist ausgelegt und angeeignet in dem Glauben, den die Väter und die großen Konzilien aus ihr vernommen haben. Wer sich daran hält, hat das gefunden, was im Wechsel der Zeiten festen Grund gibt.
Zuletzt dürfen wir nun aber über den Teilen nicht das Ganze vergessen. Denn die drei Ebenen des Altars nehmen uns in eine Bewegung hinein, die Aufstieg und Abstieg zugleich ist. Der Glaube führt zur Liebe. Darin zeigt sich, ob er überhaupt Glaube ist. Ein finsterer, mürrischer, egoistischer Glaube ist Fehlglaube. Wer Christus entdeckt, wer das weltweite Netz der Liebe entdeckt, das er in der Eucharistie ausgeworfen hat, muß fröhlich werden und muß selbst ein Gebender werden. Glaube führt zur Liebe, und nur durch Liebe erreichen wir die Höhe des Fensters, den Ausblick zum lebendigen Gott, die Berührung mit dem flutenden Licht des Heiligen Geistes. So durchdringen sich die beiden Richtungen: Von Gott her kommt das Licht, weckt abwärtssteigend Glauben und Liebe, um uns dann hinaufzunehmen auf die Leiter, die wiederum vom Glauben zur Liebe und zum Licht des Ewigen führt.

Die innere Dynamik, in die der Altar uns hineinzieht, läßt schließlich noch ein letztes Element verständlich werden: Das Fenster des Heiligen Geistes steht nicht für sich allein da. Es ist umgeben von der überquellenden Fülle der Engel, von einem Chor der Freude. Das will sagen: Gott ist nie allein. Das widerspräche seinem Wesen. Liebe ist Beteiligung, Gemeinschaft, Freude. Diese Wahrnehmung läßt noch einen weiteren Gedanken aufkommen: Zum Licht tritt der Klang. Man glaubt geradezu, sie singen zu hören, diese Engel, denn schweigend kann man sich diese Fluten der Freude nicht vorstellen, auch nicht als Gerede oder als Geschrei, sondern nur als Lobpreis, in dem Harmonie und Vielfalt sich einen. »Du wohnst in den Lobpreisungen Israels«, heißt es im Psalm (22,4). Lobpreisung ist gleichsam die Wolke der Freude, durch die Gott kommt und die ihn als sein Gefährt in diese Welt trägt. Gottesdienst ist daher Hereinscheinen des ewigen Lichts und Hereinklingen des Klangs von Gottes Freude in unsere Welt, und er ist zugleich unser Herantasten an den tröstenden Glanz dieses Lichtes aus der Tiefe unserer Fragen und Wirrnisse heraus, Aufsteigen auf der Leiter, die von Glaube zu Liebe führt und damit den Blick der Hoffnung öffnet.
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bremond
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Kathedra

Beitrag von bremond »

Ein schöner und wichtiger Text, der auch eine Antwort auf das specificum der Ratzinger'schen Theologie wäre!

Gruß, bremond

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Nietenolaf
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Beitrag von Nietenolaf »

Hm! Meine Rede, die mir aber niemand glauben will: Petrusamt = Bischofsamt. Jetzt hab' ich's mal bei einer "höheren Instanz" gefunden. Den kompletten Artikel, den ich jenen zur Lektüre empfehle, die sich eben für den Consensus patrum zum Thema Petrusamt, Katholizität etc. interessieren, findet ihr hier: "Primat und Katholizität in der Orthodoxen Tradition".
Der Russisch-Orthodoxe Bischof von Wien und Österreich, Hilarion, hat geschrieben:
... Wie bekannt, hatte kraft verschiedener historischer Umstände die Orthodoxe Kirche niemals eine einzige Verwaltungs- und Leitungsstruktur und hat sie bis heute nicht. Als "primus inter pares" wird in der Reihe der Vorsteher der Orthodoxen Landeskirchen der Patriarch von Konstantinopel anerkannt, der seit byzantinischer Zeit den Titel "Ökumenischer Patriarch" trägt; jedoch verleihen weder dieser Titel noch der Ehrenvorrang dem Patriarchen von Konstantinopel irgendwelche jurisdiktionellen Rechte außerhalb seines eigenen Patriarchats.

Der Primat des Patriarchen von Konstantinopel hat sich allmählich herausgebildet; die entscheidenden Ereignisse seiner Ausformung waren das Konzil von Chalzedon in der Mitte des 5. Jahrhunderts und die Kirchenspaltung im 11. Jahrhundert. Das Konzil von Chalzedon bestimmte im Kanon 28, dass der Bischof von Konstantinopel den zweiten Ehrenplatz nach dem Bischof von Rom einnehmen sollte. Die Motivation für diesen Beschluss war folgende: "Dem Sitz des Alten Rom gaben die Väter gebührenderweise den Vorrang, da es die Kaiserstadt war. Diesem Impuls folgend, verliehen die 150 gottgefälligen Bischöfe auch dem hochheiligen Sitz von Neu-Rom den gleichen Vorrang, da sie in rechter Weise folgerten, dass die Stadt, welche die Ehre erhielt, Stadt des Kaisers und der Regierung (synkletos) zu sein, und die gleichen Vorzüge besitzt wie das Alte Rom, auch in kirchlichen Angelegenheiten gleich jenem erhöht worden sei und nach ihm der zweite (Sitz) sei." Der Primat des Römischen Bischofs wurde von den östlichen Vätern also nicht von der Sukzession dieses Bischofs vom Apostel Petrus her verstanden, sondern auf Grund der politischen Bedeutung Roms als Hauptstadt des Reiches. Ebenso ergab sich die Vorrangstellung des Sitzes von Konstantinopel nicht aus seinem Alter (die Sitze von Jerusalem, Alexandrien und Antiochien waren älter) und nicht aus irgendwelchen anderen kirchlichen Begründungen, sondern einzig aus der politischen Bedeutung Konstantinopels als "Stadt des Kaisers und der Regierung".

(...)

Eben diese Ekklesiologie ist für die frühen Kirchenväter charakteristisch, so auch für Ignatius von Antiochien. In seinen Briefen unterstreicht Ignatius unermüdlich die Führungsrolle des Bischofs als Hauptes der eucharistischen Versammlung und bekräftigt, dass man "auf den Bischof wie auf den Herrn selbst blicken soll" (Eph 6). Alles in der Kirche soll mit dem Wissen des Bischofs geschehen: "Ohne den Bischof soll niemand etwas tun, was einen Bezug zur Kirche hat. Nur jene Eucharistie soll als wahr gelten, die durch den Bischof oder durch den vollzogen wird, dem er diesen Auftrag gibt ... Es ist unzulässig, ohne den Bischof zu taufen und das Liebesmahl zu feiern; umgekehrt ist das Gott gefällig, was er gutheißt" (Smyrn 8 ). Und weiter: "Wer den Bischof ehrt, ist von Gott geehrt; wer etwas ohne Wissen des Bischofs tut, dient dem Satan" (Smyrn 9). Ignatius unterstreicht unablässig die Notwendigkeit der Einheit der Priester und Diakone mit ihrem Bischof: "Der Bischof hat den Vorsitz an der Stelle Gottes, die Priester stellen die Versammlung der Apostel dar, und den Diakonen ist der Dienst Jesu Christi aufgetragen" (Magn 6); "Das Presbyterium stimmt so mit dem Bischof überein wie die Saiten einer Zither" (Eph 4). Das Volk Gottes soll nach der Lehre des Ignatius "die Diakone wie Christi Gebot achten und den Bischof wie Jesus Christus, den Sohn Gottes des Vaters, und die Presbyter als Versammlung Gottes, als Apostelkollegium" (Tral 3). Diese Ekklesiologie veranlasst Ignatius zu folgender klassischer Formulierung: "Wo der Bischof ist, muss auch das Volk sein, ebenso wie dort, wo Christus ist, auch die katholische Kirche ist" (Smyrn 8 ).

Die leitende Rolle des Bischofs ist nach der Lehre der frühen Kirchenväter dadurch begründet, dass er in der eucharistischen Versammlung den Platz Christi einnimmt. Eben dieses Verständnis erklärt das Faktum, dass der monarchische Episkopat - ein Bischof in jeder eucharistischen Gemeinde oder Kirche - in der Alten Kirche allgemein akzeptiert wurde. Obwohl der Bischof als Einzelperson das Haupt der Kirche eines bestimmten Ortes ist, leitet er die Kirche nicht als Einzelperson, sondern in Zusammenarbeit mit den Priestern und Diakonen. Der Bischof besitzt die kirchliche Gewalt oder Autorität nicht aus sich, sondern kraft des von ihm empfangenen Amtes: Er ist der Liturge in der örtlichen Kirchengemeinde, die ihm diesen Dienst anvertraut hat. Außerhalb der Kirchengemeinde verliert der Dienst des Bischofs seinen Sinn und seine Wirksamkeit.

Im Rahmen der Ortskirche ist der Primat des Bischofs bedingungslos und vorbehaltlos. Gemäß der orthodoxen Tradition, die auf dem theologischen Erbe der frühen Kirchenväter, insbesondere Cyprians von Karthago sowie auf späteren polemischen Schriften der byzantinischen Theologen beruht, ist jeder Bischof - und nicht nur der Bischof von Rom - ein Nachfolger des Apostels Petrus. Der bedeutende byzantinische Theologe des 14. Jahrhunderts (der sein Leben übrigens im Schoß der Katholischen Kirche beendet hat) Barlaam von Kalabrien schreibt: "Jeder orthodoxe Bischof ist ein Stellvertreter Christi und ein Nachfolger der Apostel; wenn daher alle Bischöfe des Universums vom rechten Glauben abfallen und nur einer die richtigen Dogmen bewahrt... wird in ihm der Glaube des göttlichen Petrus gerettet." Und weiter: "Die von Petrus eingesetzten Bischöfe sind nicht nur Nachfolger Petri selbst, sondern auch Nachfolger der anderen Apostel; gleichermaßen sind die durch die anderen geweihten Bischöfe Nachfolger Petri."

Die dem Petrus gegebene Verheißung bezieht sich in dieser Sicht nicht nur auf die Römische Kirche, sondern auf jede Ortskirche, die durch einen Bischof geleitet wird (...)
Die frechen Hervorhebungen stammen von mir. Ich möchte zusätzlich noch auf ein Zitat vom hl. Symeon von Thessaloniki hinweisen, das sich im kompletten Artikel (URL siehe oben) findet. 8)
ἐὰν γὰρ ἀποϑάνῃ ἄνϑρωπος, ζήσεται συντελέσας ἡμέρας τοῦ βίου αὐτοῦ· ὑπομενῶ, ἕως ἂν πάλιν γένωμαι.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Benedikt XVI. (Predigt vom 7. Mai 2005, gehalten anläßlich der Inbesitznahme der Kathedra des Bischofs von Rom in Sankt Johann im Lateran) hat geschrieben:Liebe Väter Kardinäle,
liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

Am heutigen Tag, an dem ich als Nachfolger Petri zum ersten Mal die Kathedra, den Sitz des Bischofs von Rom, einnehmen kann, feiert die Kirche in Italien das Fest der Himmelfahrt des Herrn. Im Mittelpunkt dieses Tages steht Christus. Allein ihm, allein dem Geheimnis seiner Auffahrt in den Himmel ist es zu verdanken, daß es uns gelingt, die Bedeutung der Kathedra, die Symbol der Macht und der Verantwortung des Bischofs ist, zu verstehen.

Was will uns also das Fest der Himmelfahrt des Herrn sagen? Es will uns nicht sagen, daß der Herr irgendwohin, weit weg von den Menschen und der Welt, gegangen ist. Die Himmelfahrt Christi ist keine Weltraumfahrt zu den fernsten Gestirnen; denn im Grunde genommen bestehen auch die Gestirne, ebenso wie die Erde, aus physischen Elementen. Die Himmelfahrt Christi bedeutet, daß er nicht mehr der Welt der Vergänglichkeit und des Todes angehört, die unser Leben bedingt. Sie bedeutet, daß er vollkommen Gott gehört. Er, der ewige Sohn, hat unser Menschsein vor das Angesicht Gottes getragen, er hat das Fleisch und Blut in einer verwandelten Gestalt mit sich getragen. Der Mensch findet Raum in Gott; durch Christus wurde das menschliche Sein in das innerste Leben Gottes selbst hinein genommen. Und da Gott den ganzen Kosmos umfaßt und trägt, bedeutet die Himmelfahrt des Herrn, daß sich Christus nicht von uns entfernt hat, sondern daß er jetzt, weil er beim Vater ist, jedem von uns für immer nahe ist. Jeder von uns darf zu ihm "Du" sagen; jeder kann ihn anrufen. Der Herr befindet sich immer in Hörweite. Wir können uns innerlich von ihm entfernen. Wir können leben, indem wir ihm den Rücken zukehren. Aber er erwartet uns immer und ist uns immer nahe.

Aus den Lesungen der heutigen Liturgie erfahren wir auch etwas mehr darüber, wie der Herr diese seine Nähe zu uns konkret verwirklicht. Der Herr verheißt den Jüngern seinen Heiligen Geist. Die erste Lesung, die wir gehört haben, sagt uns, daß der Heilige Geist für die Jünger "Kraft" sein wird; das Evangelium fügt hinzu, daß er sie in die ganze Wahrheit einführen wird. Jesus hat seinen Jüngern alles gesagt, da er selbst das lebendige Wort Gottes ist, und Gott kann nicht mehr geben als sich selbst. In Jesus hat Gott sich uns selbst ganz geschenkt, das heißt, er hat uns alles geschenkt. Darüber hinaus oder daneben kann es für uns keine weitere Offenbarung geben, die in der Lage wäre, mehr mitzuteilen bzw. die Offenbarung Christi irgendwie zu ergänzen. In ihm, im Sohn, ist uns alles gesagt, ist uns alles geschenkt worden.

Aber unsere Auffassungsgabe ist begrenzt; daher besteht die Sendung des Geistes darin, die Kirche immer wieder neu, von Generation zu Generation, in die Größe des Geheimnisses Christi einzuführen. Der Geist stellt nicht etwas anderes oder Neues neben Christus. Es gibt nicht, wie einige behaupten, eine Geistoffenbarung neben der Offenbarung Christi; es gibt keine zweite Offenbarungsebene. Nein: "Er wird von dem, was mein ist, nehmen", sagt Christus im Evangelium (Joh 16,14). Und wie Christus nur das sagt, was er vom Vater hört und empfängt, so ist der Heilige Geist Sprachrohr Christi.

"Er wird von dem, was mein ist, nehmen." Er führt uns nicht zu anderen Orten, die weit weg von Christus sind, sondern er führt uns immer tiefer in das Licht Christi. Deshalb ist die christliche Offenbarung immer alt und neu zugleich. Deshalb ist uns alles seit jeher geschenkt. Gleichzeitig lernt jede Generation in der unerschöpflichen Begegnung mit dem Herrn, einer vom Heiligen Geist vermittelten Begegnung, immer etwas Neues.

So ist der Heilige Geist die Kraft, durch die uns Christus seine Nähe erfahren läßt. Aber die erste Lesung enthält noch eine weitere Aussage: "Ihr werdet meine Zeugen sein." Der auferstandene Christus braucht Zeugen, die ihm begegnet sind, Menschen, die ihn durch die Kraft des Heiligen Geistes zutiefst kennen gelernt haben. Menschen, die von ihm Zeugnis geben können, weil sie ihn sozusagen mit eigenen Händen berührt haben. Und so ist die Kirche, die Familie Christi, von "Jerusalem… bis an die Enden der Erde" gewachsen, wie es in der Lesung heißt.

Durch die Zeugen ist die Kirche aufgebaut worden – angefangen bei Petrus und Paulus und den zwölf Aposteln bis hin zu all den Männern und Frauen, die, erfüllt von Christus, im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu die Flamme des Glaubens entzündet haben und sie weiter entzünden werden. Jeder Christ kann und soll auf seine Weise Zeuge des auferstandenen Christus sein. Wenn wir die Namen der Heiligen lesen, können wir sehen, wie oft es sich bei ihnen vor allem um einfache Menschen gehandelt hat, und das gilt auch heute noch – Menschen, von denen ein strahlendes Licht ausging und ausgeht, das zu Christus hinzuführen vermag.

Aber dieses Zusammenspiel der Zeugnisse hat eine klar festgelegte Struktur: Den Nachfolgern der Apostel, das heißt den Bischöfen, obliegt die öffentliche Verantwortung, dafür zu sorgen, daß das Netz dieser Zeugnisse durch die Zeiten hindurch weiter besteht. Im Sakrament der Bischofsweihe wird ihnen die für diesen Dienst notwendige Macht und Gnade übertragen. In diesem Netz von Zeugen obliegt dem Nachfolger Petri eine besondere Aufgabe. Es war Petrus, der als erster im Namen der Apostel das Glaubensbekenntnis ausgesprochen hat: "Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16,16). Das ist die Aufgabe aller Nachfolger des Petrus: Führer zu sein im Bekenntnis des Glaubens an Christus, den Sohn des lebendigen Gottes. Die Kathedra von Rom ist vor allem Kathedra dieses Glaubensbekenntnisses. Der Bischof von Rom ist dazu verpflichtet, von dieser Kathedra herab ständig zu wiederholen: "Dominus Iesus" – "Jesus ist der Herr", wie Paulus in seinen Briefen an die Römer (10,9) und an die Korinther (1 Kor 12,3) schrieb. An die Korinther gerichtet, sagte er mit besonderem Nachdruck: "Und selbst wenn es im Himmel oder auf der Erde so genannte Götter gibt […], so haben doch wir nur einen Gott, den Vater […]. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn" (1 Kor 8,5f.).

Die Kathedra Petri verpflichtet ihre Inhaber – wie es schon Petrus in einer Krisensituation der Jünger, als viele fortgehen wollten, getan hat – zu sprechen: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes" (Joh 6,68f.). Wer die Kathedra Petri in Besitz genommen hat, muß sich der Worte erinnern, die der Herr beim Letzten Abendmahl zu Petrus gesagt hat: "…und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder" (Lk 22,32). Der Träger des Petrusamtes muß sich bewußt sein, daß er ein zerbrechlicher und schwacher Mensch ist – wie seine eigenen Kräfte zerbrechlich und schwach sind –, der ständiger Läuterung und Umkehr bedarf. Aber er darf sich auch dessen bewußt sein, daß er vom Herrn die Kraft erhält, seine Brüder im Glauben zu stärken und sie vereint zu halten im Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Herrn.
Im ersten Brief des heiligen Paulus an die Korinther finden wir den ältesten Auferstehungsbericht, den wir besitzen. Paulus hat ihn von den Zeugen getreu übernommen. Dieser Bericht spricht zunächst vom Tod des Herrn für unsere Sünden, von seiner Grablegung, von seiner Auferstehung am dritten Tag und sagt dann: "Christus erschien dem Kephas, dann den Zwölf…" (1 Kor 15,4). So wird noch einmal die Bedeutung des Auftrags zusammengefaßt, der dem Petrus bis ans Ende der Zeiten erteilt worden ist: Zeuge des auferstandenen Christus zu sein.

Der Bischof von Rom sitzt auf seiner Kathedra, um von Christus Zeugnis zu geben. Daher ist die Kathedra das Symbol der "potestas docendi", jener Lehrvollmacht, die wesentlich zur Aufgabe des Bindens und Lösens gehört, die vom Herrn dem Petrus und nach ihm den Zwölf aufgetragen worden ist. In der Kirche gehören die Heilige Schrift, deren Verständnis unter der Eingebung des Heiligen Geistes wächst, und der den Aposteln aufgetragene Dienst der authentischen Auslegung unlösbar zusammen. Wo die Heilige Schrift von der lebendigen Stimme der Kirche losgelöst ist, wird sie zum Diskussionsthema der Experten. Sicher, alles, was sie uns zu sagen haben, ist wichtig und wertvoll; die Arbeit der Gelehrten ist für uns eine beachtliche Hilfe, um jenen lebendigen Wachstumsprozeß der Schrift erfassen und somit ihren historischen Reichtum verstehen zu können. Aber die Wissenschaft allein kann uns keine endgültige und verbindliche Interpretation liefern; sie ist nicht in der Lage, uns in ihrer Interpretation jene Gewißheit zu geben, mit der wir leben können und für die wir auch sterben können. Dafür braucht es ein größeres Mandat, das nicht allein aus menschlichen Fähigkeiten entstehen kann. Dazu braucht es die Stimme der lebendigen Kirche, jener Kirche, die bis ans Ende der Zeiten dem Petrus und dem Apostelkollegium anvertraut wurde.

Diese Lehrvollmacht erschreckt viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche. Sie fragen sich, ob sie nicht die Gewissensfreiheit bedrohe, ob sie nicht eine Anmaßung darstelle, die im Gegensatz zur Meinungsfreiheit steht. Dem ist aber nicht so. Die von Christus dem Petrus und seinen Nachfolgern übertragene Macht ist, absolut verstanden, ein Auftrag zum Dienen. Die Lehrvollmacht in der Kirche schließt eine Verpflichtung zum Dienst am Glaubensgehorsam ein. Der Papst ist kein absoluter Herrscher, dessen Denken und Willen Gesetz sind. Im Gegenteil: Sein Dienst garantiert Gehorsam gegenüber Christus und seinem Wort. Er darf nicht seine eigenen Ideen verkünden, sondern muß – entgegen allen Versuchen von Anpassung und Verwässerung sowie jeder Form von Opportunismus – sich und die Kirche immer zum Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes verpflichten. Das tat Papst Johannes Paul II., wenn er – angesichts sämtlicher, für den Menschen scheinbar gut gemeinter Versuche – den falschen Interpretationen der Freiheit gegenüber unmißverständlich die Unverletzlichkeit des menschlichen Wesens, die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod betonte. Die Freiheit zu töten, ist keine wahre Freiheit, sondern eine Tyrannei, die den Menschen zur Sklaverei erniedrigt.

Der Papst ist sich bewußt, daß er in seinen wichtigen Entscheidungen an die große Gemeinschaft des Glaubens aller Zeiten, an die verpflichtenden, auf dem Pilgerweg der Kirche entstandenen Interpretationen gebunden ist. So steht seine Macht nicht über dem Wort Gottes, sondern in dessen Dienst; und ihm obliegt die Verantwortung dafür, daß dieses Wort in seiner Größe erhalten bleibt und in seiner Reinheit erklingt, auf daß es nicht von den ständig wechselnden Moden zerrissen werde.

Die Kathedra ist, wir sagen es noch einmal, Symbol der Lehrvollmacht, die eine Macht des Gehorsams und Dienstes ist, damit das Wort Gottes – die Wahrheit! – unter uns erstrahlen und uns so den Weg des Lebens weisen kann. Aber wie könnten wir, wenn wir von der Kathedra des Bischofs von Rom reden, die Worte unerwähnt lassen, die der heilige Ignatius von Antiochien an die Römer schrieb? Von Antiochien, seinem ersten Sitz, steuerte Petrus Rom an, seinen endgültigen Sitz. Endgültig bekräftigt wurde dieser Sitz durch das Martyrium, mit dem er seine Nachfolger für immer an Rom gebunden hat. Ignatius, der Bischof von Antiochien blieb, wurde seinerseits in den Märtyrertod geführt, den er in Rom erleiden sollte. In seinem Brief an die Römer bezieht er sich auf die Kirche von Rom, "die den Vorsitz in der Liebe hat", eine sehr bedeutsame Formulierung. Wir wissen nicht mit Sicherheit, was Ignatius mit der Verwendung dieser Worte im Sinn hatte. Aber für die alte Kirche war das Wort Liebe, "agape", ein Hinweis auf das Geheimnis der Eucharistie. In diesem Mysterium wird die Liebe Christi immer mitten unter uns greifbar. Hier gibt er sich immer wieder hin. Hier läßt er sein Herz immer wieder durchbohren; hier hält er seine Verheißung aufrecht, die Verheißung, daß er vom Kreuz her alles an sich ziehen wird.

In der Eucharistie erlernen wir selber die Liebe Christi. Dank dieser Herzensmitte, dank der Eucharistie haben die Heiligen gelebt, als sie die Liebe Gottes in immer neuen Formen in die Welt trugen. Dank der Eucharistie wird die Kirche immer wieder neu geboren! Die Kirche ist nichts anderes als jenes Netz – die eucharistische Gemeinschaft! –, in dem wir alle, wenn wir denselben Herrn empfangen, zu einem einzigen Leib werden und die ganze Welt umfangen. Der Vorsitz in der Lehre und der Vorsitz in der Liebe müssen letzten Endes ein und dasselbe sein: Die ganze Lehre der Kirche führt schließlich zur Liebe. Und die Eucharistie als gegenwärtige Liebe Jesu Christi ist das Kriterium, an dem jede Lehre gemessen wird. An der Liebe hängen das ganze Gesetz und die Propheten, sagt der Herr (vgl. Mt 22,40). Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes, schrieb der heilige Paulus an die Römer (vgl. Röm 13,10).

Liebe Römer, ich bin jetzt euer Bischof. Danke für eure Großherzigkeit, danke für eure Sympathie, danke für eure Geduld mit mir! Als Katholiken sind wir alle in gewisser Weise auch Römer. Mit den Worten von Psalm 87, einem Loblied auf Zion, die Mutter aller Völker, sang Israel und singt die Kirche: "Doch von Zion wird man sagen: Jeder ist dort geboren …" (Ps 87,5). In ähnlicher Weise könnten auch wir sagen: Als Katholiken sind wir in gewisser Weise alle in Rom geboren.

So will ich mit ganzem Herzen versuchen, euer Bischof, der Bischof von Rom zu sein. Und wir alle wollen versuchen, immer mehr katholisch zu werden – immer mehr zu Brüdern und Schwestern in der großen Familie Gottes, jener Familie, in der es keine Fremden gibt. Schließlich möchte ich dem Vikar für die Diözese Rom, dem lieben Kardinal Camillo Ruini, den Weihbischöfen und allen ihren Mitarbeitern von Herzen danken. Herzlich danke ich den Pfarrern, dem Klerus von Rom und allen, die als Gläubige dazu beitragen, um hier das lebendige Haus Gottes zu errichten. Amen.
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Raimund J.
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Ansprache vom 22.02.2006

Beitrag von Raimund J. »

Papst Benedikt XVI. am 22.02.2006:
Liebe Brüder und Schwestern!

Die lateinische Liturgie feiert heute das Fest Kathedra Petri. Es handelt sich dabei um eine sehr alte, seit dem 4. Jahrhundert in Rom bezeugte Tradition, mit der Gott für die Sendung, die dem Apostel Petrus und seinen Nachfolgern anvertraut wurde, gedankt wird. Die »Kathedra« ist in der ursprünglichen Wortbedeutung der feste Sitz des Bischofs, der in der Hauptkirche einer Diözese aufgestellt ist, die deshalb »Kathedrale« heißt; sie ist außerdem das Symbol der Autorität des Bischofs und insbesondere seines »Lehramtes«, das heißt der Lehre des Evangeliums, die er als Nachfolger der Apostel bewahren und an die christliche Gemeinde weitergeben soll. Wenn der Bischof die ihm anvertraute Teilkirche in Besitz nimmt, trägt er Mitra und Hirtenstab und nimmt auf der Kathedra Platz. Von diesem Sitz aus wird er als Lehrer und Hirt den Weg der Gläubigen in Glaube, Liebe und Hoffnung leiten.

Was war also die »Kathedra« des hl. Petrus? Er, der von Christus als »Fels« ausgewählt worden war, um darauf die Kirche zu bauen (vgl. Mt 16,18 ), begann seinen Dienst in Jerusalem, nach der Himmelfahrt Jesu und nach Pfingsten. Der erste »Sitz« der Kirche war der Abendmahlssaal, und wahrscheinlich war in jenem Saal, wo auch Maria, die Mutter Jesu, mit den Jüngern zusammen betete, für Simon Petrus ein besonderer Platz vorgesehen. Danach wurde Antiochien zum Sitz des Petrus, die am Fluß Orontes in Syrien, heute in der Türkei, gelegene Stadt und damals nach Rom und Alexandrien in Ägypten die drittgrößte Metropole des Römischen Reiches. Von dieser Stadt, die von Barnabas und Paulus evangelisiert worden war und wo »man die Jünger zum erstenmal Christen nannte« (Apg 11,26), wo also für uns der Name Christen entstanden ist, war Petrus der erste Bischof, so daß das Römische Martyrologium vor der Kalenderreform auch ein eigenes Fest der Kathedra Petri in Antiochien vorsah. Von dort führte die Vorsehung Petrus nach Rom. Dies ist also der Weg von Jerusalem, wo die Kirche entstanden ist, nach Antiochien, dem ersten Zentrum der Kirche, die aus Heiden bestand und noch mit der von den Juden herkommenden Kirche verbunden war. Danach begab sich Petrus nach Rom, den Mittelpunkt des Reiches, Symbol des »Orbis« – die »Urbs«, die Stadt, die Ausdruck des »Orbis«, des Erdkreises, ist –, wo er seinen Weg im Dienst des Evangeliums mit dem Martyrium vollendete. Deshalb erhielt der Sitz von Rom, dem die höchste Ehre zuteil geworden war, auch die dem Petrus von Christus anvertraute Ehre, nämlich allen Teilkirchen zu dienen, für den Aufbau und die Einheit des ganzen Volkes Gottes.

Der Sitz von Rom wurde nach diesem Weg des hl. Petrus somit als Sitz des Nachfolgers Petri anerkannt, und die »Kathedra« des Bischofs von Rom repräsentierte die des Apostels, der von Christus beauftragt worden war, dessen ganze Herde zu weiden. Das bezeugen die ältesten Kirchenväter, wie zum Beispiel der hl. Irenäus, Bischof von Lyon, aber aus Kleinasien stammend, der in seinem Traktat Adversus haereses [Gegen die Häresien] die Kirche von Rom als »größte und älteste, bei allen bekannte…, in Rom gegründet und aufgebaut von den zwei glorreichsten Aposteln Petrus und Paulus«, beschreibt. Und er fügt hinzu: »Mit dieser Kirche muß wegen ihres besonderen Vorranges notwendig jede Kirche übereinstimmen, das heißt die Gläubigen von überall« (III, 3, 2–3). Wenig später äußert sich Tertullian so: »Wie gesegnet ist doch diese Kirche von Rom! Es waren die Apostel selbst, die ihr mit ihrem Blut die ganze Lehre weitergegeben haben« (De praescriptione haereticorum, 36). Die Kathedra des Bischofs von Rom verkörpert also nicht nur dessen Dienst an der römischen Gemeinde, sondern seinen Leitungsauftrag für das ganze Volk Gottes.

Die »Kathedra« Petri feiern, wie wir es heute tun, bedeutet daher, ihr eine starke geistliche Bedeutung zuzuschreiben und darin ein bevorzugtes Zeichen der Liebe Gottes zu erkennen, des guten und ewigen Hirten, der seine ganze Kirche zusammenführen und auf dem Weg des Heils leiten will. Unter den vielen Zeugnissen der Kirchenväter möchte ich gern jenes des hl. Hieronymus wiedergeben, das einem seiner Briefe an den Bischof von Rom entnommen und besonders interessant ist, weil es ausdrücklich auf die »Kathedra« Petri Bezug nimmt und sie als sicheren Ankerplatz der Wahrheit und des Friedens darstellt. Hieronymus schreibt: »Ich habe beschlossen, bei der Kathedra Petri anzufragen, dort, wo jener Glaube ist, den der Mund eines Apostels gerühmt hat; ich komme jetzt, um an jenem Ort Nahrung für meine Seele zu erbitten, wo ich einst das Kleid Christi erhalten habe. Ich folge keinem anderen Primat als dem Christi; deshalb setze ich mich mit deiner Heiligkeit in Verbindung, das heißt mit der Kathedra Petri. Ich weiß, daß auf diesem Fels die Kirche gebaut ist« (Briefe I,15,1–2).

Liebe Brüder und Schwestern, in der Apsis der Petersbasilika befindet sich, wie ihr wißt, das Denkmal der Kathedra des Apostels, ein Spätwerk Berninis, dargestellt in Form eines großen bronzenen Thrones, der von den Statuen von vier Kirchenlehrern getragen wird: zwei von ihnen stammen aus dem Westen, der hl. Augustinus und der hl. Ambrosius, und zwei aus dem Osten, der hl. Johannes Chrysostomos und der hl. Athanasios. Ich lade euch ein, vor diesem eindrucksvollen Werk innezuhalten, das heute, mit vielen Kerzen geschmückt, bewundert werden kann, und ganz besonders für das Amt, das Gott mir anvertraut hat, zu beten. Wenn ihr den Blick zu dem Alabasterfenster erhebt, das sich genau über der Kathedra öffnet, dann ruft den Heiligen Geist an, damit er meinen täglichen Dienst an der ganzen Kirche stets mit seinem Licht und seiner Kraft tragen möge. Dafür sowie für eure ergebene Aufmerksamkeit danke ich euch von Herzen.
Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.
Nec laudibus, nec timore

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