philipp hat geschrieben: ↑Samstag 9. Januar 2021, 10:26
Vielleicht ist es wirklich Zeit die Kirche als die immerzu wahre Lehrinstanz zu kippen. Die Kirche ist wahr. Die Lehre wird von Gott geleitet, aber von Menschen verbreitet und dadurch kommt sie nicht immer in ihrer wahren Reinform sofort zum Vorschein.
Mit dem Denken bist Du ja nur etwa 500 Jahre hinter der Zeit...
Es geht nur halt nicht. Womit willst Du denn die Kirche ersetzen? Durch Dein eigenes Denken? Anhand von was? Was ist dann die Quelle Deiner Weisheit über Gott? Und wieso sollten Deine Gedanken jetzt irgendwie zuverlässiger sein als die der Bischofsfiguren, die das seit Jahrhunderten immer irgendwie knapp an der Wahrheit vorbeischrammeln?
Hinzu kommt dann noch der - von den Orthodoxen gerne zu Tode gerittene, aber trotzdem auch sehr wichtige - Punkt, daß es in der Religion ja nicht alleine um eine Art religiöse Denksportaufgabe geht. Wie bringst Du das jetzt alles zusammen mit tiefer Spiritualität, gelebtem Glauben, gar Mystik? Wenn vom Kopf her und vom Herzen her gesprochen wird, wer hat recht? In welchem Sinne "recht"? Sind das zwei Dinge? Oder ein Ding, und falls ein Ding, wie kriegen wir das zusammen?
Ich bin Naturwissenschaftler. Gott hätte alle Wahrheit über die Natur in dem für den Menschen bestmögliche Verständnis aufschreiben können, und uns geben können. Dann wäre ich kein Naturwissenschatler, sondern vermutlich Ingenieur, beschäftigt mit der Umsetzung. Aber Gott hat das nicht gemacht. Gott hat uns mit der Natur etwas gegeben, daß nicht nur existiert sondern "wahr" ist in dem Sinne, daß es mehr über die Natur zu sagen gibt als eine reine Beschreibung. Es gibt Naturgesetze, Naturkonstanten. Es gibt Muster, und wir können sie erkennen. Dauert halt was, wir sind so richtig aber erst seit ein paar Jahrhunderten am Ball und wir machen ganz gute Fortschritte.
Warum hat Gott das so gemacht? Keine Ahnung. Ich finde es aber nicht schlimm oder ungerecht. Ich finde es faszinierend, es ist mein Lebensinhalt.
Mit der Religion ist das ähnlich. Nur hat er da die Muster nicht in die Welt geschrieben, sondern in die Menschen. Er hat jedem Menschen sein Gesetz ins Herz geschrieben, und auch den Zug zum Transzendentalen. Darum gibt es überall Moral, Ethik, Gesetz und auch Lebensanschauung, Lebensphilosophie, Religion. Überall und zu allen Zeiten finden wir diese Verhaltensmuster bei den Menschen. Wenn man in der jüdischen Tradition steht, glaube man des weiteren, daß Gott Muster in die spezifische Geschichte und Überlieferung einer Gruppe Menschen geschrieben hat. Was ihnen passiert ist, und insbesondere auch was sie einander darüber erzählten, ist voller göttlicher Muster. Wenn man Christ ist, glaubt man dann auch noch, daß Gott selber zu einer bestimmten Zeit in die Welt getreten ist, um quasi den jüdischen Prozeß zu beschleunigen, bzgl. der ursprünglichen Gruppe zu vollenden, und dann auf eine sich schnell ausbreitende Gruppe von Menschen auszuweiten. Da gab es auf einmal eine große Ladung Muster in kurzer Zeit. Schließlich, wenn man orthodoxer Christ ist (katholisch, Orthodox, wohl die meisten der orientalischen Kirchen, ... jedoch nicht protestantisch), dann glaubt man das Gott eine Art menschliche Aufsicht für die so in die Welt gesetzten Muster installiert hat. Damit nichts Wichtiges in Vergessenheit gerät, damit etwas das in eine bestimmte Zeit gesetzt wurde auch für andere Zeiten verständlich bleibt, und nicht zuletzt auch um eine Art Gütesiegel für bestimmte erkannte Muster auszuhändigen.
Warum hat Gott das so gemacht? Keine Ahnung. Ich finde es aber nicht schlimm oder ungerecht. Ich finde es faszinierend, und ich hoffe es wird mein Lebensinhalt werden.
Jedoch ist es wichtig den Unterschied zu sehen. Religiöse Muster sind eben in den Menschen geschrieben, nicht in die Natur. Und der Mensch ist eben ein sehr eigenartiges Medium. Es ist niemals einfach etwas Göttliches aus dem Menschen auzulesen. Die meiste Zeit ist das ein unklarer Mischmasch. Und es kommt hinzu, daß es bei diesen Mustern weitgehend unklar ist wie man optimal an die Muster herankommt. In der Naturwissenschaft ist die "Objektivität" so ein Prinzip. Macht ja auch Sinn, das Muster ist in der Natur, also drängt man den Menschen zurück um es klar zu sehen. Aber in der Religion? Es gibt da durchaus die Meinung, daß alles Schall und Rauch außer durch den Menschen hindurch. Es ist wirklich
schwierig. Komplizierte Datenlage, kompliziertes Medium, unklare Zugangswege...
Nun sagst Du mir also, einer der oben beschriebenen Musterquelle ist nicht so zuverlässig, offensichtlich mit menschlichem Kram gefüllt, gibt keine eindeutigen Antworten. Die Kirche ist also allzumenschlich. OK? Das stimmt alles. Was aber nicht stimmt, ist das irgendwas sonst im Spiel nicht genauso "menschlich kontaminiert" ist. Es ist selbstverständlich kein Argument für die Kirche zu sagen, daß alle anderen Musterquellen genauso schlecht sind. Aber er ist ein Argument gegen die naive Ansicht, daß man sich einfach irgendetwas anderem zuwenden kann und dann besser bedient ist. Wenn Du versuchst göttliche Muster aus dem Menschen abzulesen, wird Dir immer der Mensch in den Weg treten, egal wohin Du Dich wendest.
Ob Du die Kirche einreihst in die Musterquellen die Du benutzt, ist eine Entscheidung die Du treffen mußt. Nur solltest Du diese Entscheidung nicht aufgrund von überzogenen Erwartungen treffen. Die göttlichen Muster im Menschen zu finden ist eben die schwierigste Aufgabe des Menschen. Aber auch die schönste und erfüllenste.