Lilaimmerdieselbe hat geschrieben:Schon vor gut zwei Jahren hat das BAMF aber festgestellt, ich finde es gerade nicht, aber es gab sogar Gerichtsurteile dazu, dass Absatz 2 in Bezug auf Flüchtlinge aus Griechenland nicht angewendet werden kann.
Das war weniger eine politische Entscheidung als vielmehr ein Folgen der deutschen Politik der europäischen Rechtsprechung, wie es für den Regierungsstil Merkels allgemein üblich ist (re-agieren statt regieren) und betrifft das
Selbsteintrittsrecht im Asylrecht (einfach googeln):
Angela Merkel hat geschrieben:"Deutschland hat die Zuständigkeitsprüfungen im Rahmen der Dublin-Verordnung zu keiner Zeit ausgesetzt, sondern vom sogenannten Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. Deutschland wendet das Dublin-Verfahren aktuell für alle Herkunftsländer und alle Mitgliedstaaten (außer Griechenland) an. Das gilt auch für syrische Staatangehörige, für die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit dem 21. 0ktober 2015 nicht mehr grundsätzlich von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht."
Selbsteintritt im Asylrecht "Im europäischen Asylrecht wird von Selbsteintritt gesprochen, wenn ein Staat, in dem ein Asylbewerber ein Schutzgesuch stellt, aufgrund der Regelungen der Dublin-III-Verordnung für die Bearbeitung des Schutzgesuchs eigentlich nicht zuständig wäre, aber auf die Überstellung des Migranten an den zuständigen Staat gemäß Art. 17 Dublin-III-Verordnung verzichtet und das Asylverfahren selbst durchführt. [...] Verzichte auf Überstellungen beruhen zumeist auf den Verhältnissen in den an und für sich zuständigen Staaten, deren Aufnahmesysteme sogenannte systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen, oder auf Praktikabilitätserwägungen. Deutschland hat von der Möglichkeit des Selbsteintritts bisher systematisch im Falle von Schutzsuchenden, die über Griechenland eingereist waren, und generell bei syrischen Schutzsuchenden Gebrauch gemacht."
Die
juristische Begründung dafür liegt in einem
Urteil des EuGH vom 10. Dezember 2013 (auch einfach googeln u. den Fußnoten bei der Quelle
"Selbsteintritt im Asylrecht" folgen):
"Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Gebiet der Europäischen Union, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden."
Soweit die Rechtsprechung, die aber in einer parlamentarischen Demokratie gewöhnlich der Legislative folgt und folgen muss, wenn die Exekutive ihre Richtlinienkompetenz tatsächlich ausübt. Übrigens nicht nur juristisch eine interessante Frage, inwiefern BGH, BVG und das EuGH in die Lage kommen konnten, der demokratisch gewählten Legislative eines Staates die Arbeit abzunehmen. Eine bedenkliche Entwicklung, gerade weil die parteipolitische Mitbestimmung der Richterkandidaten eine politische Sklerose nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern geradezu wünscht und bezweckt; schon lange vor Merkel,
seit ihr aber im Stadium der apathischen Vollendung.
Lilaimmerdieselbe hat geschrieben:Die Kanzlerin und noch deutlicher Altmeyer geben mittlerweile zu, dass es, wenn schon nicht falsch war, sich in Dublin durchgesetzt zu haben, doch spätestens 2004 ausgesprochen kurzsichtig und rücksichtslos, daran gegen Italien, Malta und Griechenland festzuhalten.
Das ist jetzt die
politische Gretchenfrage. So ganz
"rücksichtslos" und
"kurzsichtig" behandelte Kandidaten waren und sind
Griechenland,
Italien etc. nicht, da sie speziell zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms viel Geld erhielten und erhalten:
"EU-Kommissionssprecher Antony Gravili ließ Alfano am Dienstag abblitzen. „Frontex ist eine kleine Agentur mit einem kleinen Budget. Sie hat keine Küstenwache und keine Boote.“ Und Italien habe in den vergangenen fünf Jahren 500 Millionen Euro zur Überwachung des Mittelmeers erhalten. Bis 2020 werde es mit weiteren 315 Millionen größter Empfänger dieser EU-Mittel sein."
Und es war auch keineswegs vorher so, dass
"das arme Italien" die ganze Last des Flüchtlingsstroms alleine trug bzw. trägt:
Mit 500 Euro und AufenthaltspapierenItalien schickt Flüchtlinge nach Deutschland Natürlich trugen auch so manche
halbgaren und halbseidenen Praktiken z.B. in Italien nicht wirklich zur von der EU bezahlten Problemlösung bei, sondern vielmehr zur
"Verdünnisierung" der Dublin-II- und -III-Betroffenen in Richtung Norden. Ich halte es also für ein mindestens naives, wenn nicht gar ein mit bewusstem Kalkül gestreutes Gerücht, dass Merkel
"moralisch" gewissermaßen
"gezwungen" war, Tür und Tor zu öffnen. Dass Teile der Kirche, namentlich
Kardinal Woelki, dieses Geschäft solcher politischen Finsterlinge betreiben, wird ihnen ganz gewiss dereinst schwerstens auf die Füße fallen. Wer
Woelki und
Merkel darin unterstützt, weiß genau was er tut. Vollständige Argumente kommen von dieser Seite auch selten, meist fehlen Beleg und Beispiel. Es wird emotionalisiert und auf die Tränendrüse gedrückt, selbst mit aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelzitaten werden nur Empfindungen angesprochen - übrigens ja ein klassisches Merkmal modernistischer Theologie.
Caviteño hat geschrieben:Richtig - allerdings dürften die wenigsten "Flüchtlinge" von GR aus auf dem Luftweg nach D. gelangen. Sie haben dann zumindest die EU-Länder Österreich und ggfs. auch Slowenien, Kroatien, Ungarn passiert, die dann zuständig wären.
Diese Möglichkeit hat Merkel ja durch den Selbsteintritt ja leider großzügig aus der Hand gegeben.
Caviteño hat geschrieben:Es gab/gibt daher nur zwei Möglichkeiten:
1. Das Asylrecht des Landes, wo der Asylbewerber erstmals Schengen-Boden betritt, ist für das Verfahren zuständig. Danach kann man eine Verteilung der anerkannten Flüchtlinge vornehmen. Auch die Abschiebung der Personen, denen kein Asyl zugesprochen, fiele dann in die Zuständigkeit z.B. von GR oder IT.
2. Bei Ankunft wird nach einem Schlüssel sofort entschieden, in welches Land der Asylbewerber verlegt wird und dieses Land wäre dann auch für das gesamte Asyl- und ggfs. Abschiebeverfahren zuständig. Ein solches Verfahren wäre aufgrund der unterschiedlichen Asyltraditionen der Länder des Schengenraumes ein Lotteriespiel für den Asylbewerber. So liegt z.B. die Anerkennungsquote für Eritreer in der Schweiz (gehört zum Schengenraum und ist daher mit von der Partie) höher als in D. Während eine Person in Schweden vielleicht gute Chancen hätte, wären seine Chancen in Ungarn, Rumänien oder Zypern u.U. erheblich geringer. Daher wäre ein solches Verfahren nicht praktikabel.
Richtig, dafür müsste eine deutsche Regierung aber ihre Richtlinienkompetenz ausüben - also eine Idee haben, was sie eigentlich will. Der Dämmerschlaf der Merkel-Union und ihrer jetzigen und künftigen Koalitionspartner aber steht für einen machtpolitischen status quo.