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Moderne Kirchenarchitektur
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 17:53
von Erich_D
Auf Anregung von Margarete in diesem
Thema dieses Thema.
Was haltet ihr von moderner Kirchenarchitektur? (als "modern" setze ich für dieses Thema grob den Zeitraum nach '45 bis heute)
Welche geglückten Beispiele kennt ihr? Welche missglückten? Welche Gründe seht ihr hinter dem Scheitern so mancher architektonischer Kirchenbaukonzepte?
Wir können ja einen Wettbewerb ausrufen:
die hässlichste moderne vs. die schönste moderne Kirche.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 18:16
von Juergen
Hübsch häßlich fand ich die Kirche Maria Königin in Dortmund-Eichlinghofen.

Leider gibt es noch keine
Hompage mit Bildern.
Ich habe die Kirche vor einigen Jahren mal im Rahmen eines Seminars besucht. Der damalig Pfarrer war Dr. der Kunstgeschichte (o.ä.) und hatte in der Kirche, die äußerst schlicht ist (recht hoch, Flachdach, rechteckig, weiße Wände ohne Fenster; vorne vier schmale bunte Fenter vom Fußboden bis zur Decke), moderne Kunst an die Wände gehangen:
- ein Triptychon in der Apsis
- einige Bilder an den langen weißen Wänden im Format von jeweils etwa 2x2 Meter
- einen modernen Kreuzweg: eine Station war z.B. in einer alten Schublade untergebracht
etc.
Auf die Frage, was die Gemeinde dazu sage, meinte er, er habe schließlich Kunst studiert und wisse wohl am besten, was gut ist. Zudem hätten die Kunstwerke der Gemeinde nichs gekostet, sondern seinen entweder von ihm oder von Stiftern bezahlt worden...
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 18:34
von Niels
Robert Gernhardt:
St. Horten in Ahaus
In Ahaus steht eine Kirche,
die nennen die Bürger St. Horten.
Der Fremde verharrt entgeistert
in und vor solchen Orten.
Das Ding das ragt und steht,
die Dummheit ist konkret.
Für diese Kirche in Ahaus
wurde eine alte abgerissen.
Grad noch der Turm blieb übrig,
der Rest hat für immer verschissen.
Er dräut ganz grau und kahl,
die Dummheit ist brutal.
Der Anblick der Kirche in Ahaus
läßt zugleich weinen und lachen.
Traurig, was die sich da trauen,
Komisch, was die da machen:
Das rühmt sich noch des Drecks,
die Dummheit ist komplex.
Die Kirche St. Horten in Ahaus
wird noch in tausend Jahren
Entgeisterten davon künden,
wie willfährig wir waren:
Von wegen der Qual der Wahl,
die Dummheit war total.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 18:41
von Niels
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 18:45
von Juergen
Auch hübsch häßlich:
St. Heinrich, Paderborn

(Ein typischer "Fuchs-Bau")
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 18:49
von Juergen
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 18:56
von Juergen
Die Kirche des Paderborner Theologenkonvikts (war im Krieg zerstört und wurde dann neu aufgebaut):

...da schreitet Christus durch die Zeit... *sing*
(scheint mir der gleiche "Künstler" zu sein, wie bei St. Heinrich)
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 19:03
von Juergen
Nun,
nachdem ich einige nicht so gelungene Beispiele gepostet habe, stelle ich mir nun die Frage, ob es auch moderne Kirchen gibt, die mir wirklich gefallen.
Hm, noch nicht!
Soweit ich mich erinnere war auf Malta eine Kirche in Bau. Der Rohbau sah schon ganz gut aus: dreischiffig, runde Säulen zwischen den Kirchenschiffen, halbrunde Apsis --- klassisch halt

Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 19:17
von Juergen
Auf Malta gibt es aber nicht nur schöne Kirchen.
Z.B. die Kirche des Teresianische Karmel in Birkirkara (gebaut 1982)

Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 19:26
von Erich_D
Juergen hat geschrieben:Auf Malta gibt es aber nicht nur schöne Kirchen.
Z.B. die Kirche des Teresianische Karmel in Birkirkara (gebaut 1982)

schaut wie ein Turbinenrad aus; die Zelt-Architektur gibt's in der Stadt Salzburg gleich 2mal, beide seitlich flankiert mit einem sehr hohen, schlanken Glockenturm aus Beton. Eine andere moderne Kirche kennt keine Kirchenbänke mehr. Statt dessen gibt es Sesseln, selbstverstänlich ohne Kniebank. Es ist praktisch unmöglich, sich niederzuknieen. Bei einer der angesprochenen Zeltkirchen ist die Decke seitlich derart niedrig, dass ich dort nicht gerne sitze, da ich das Gefühl habe, durch sie erdrückt zu werden. Glasfenster mit abstrakter Malerei, Farbschlieren, die sich durchs Glas ziehen, die wohl eine Art Kreuzweg darstellen sollen, "runden" das Ganze ab.
Ich habe aber vor Jahren mal in Südtirol eine neuerbaute Kirche besichtigt, die mir gut gefiel. Nur kann ich mich leider nicht mehr erinnern wo das war.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 19:50
von Dr. Dirk
Noch ein interessantes Exemplar:
St. Jakob in Thal/Graz
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 19:59
von Juergen
..und noch eine:
Heilig Kreuz, Dülmen - schon etwas älter 1938 geweiht.
Beim Bau der Kirche hatte man ursprünglich "vergessen" an der Seite Fenster einzubauen. Diese wurden nach "Nachgerüstet"
Bilder aus der Krypta (mit Grab der A.K. Emmerick)
Bilder aus der Kirche

Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:08
von Juergen
und nochmal was aus Paderborn:
St. Hedwig
Grundriß
Bild des Innenraums (ist recht breit - daher nur ein Link)
http://www.sthedwig-paderborn.de/VR/RK.jpg
Nackte Wände sollen wohl den Geist auf das Wesentliche konzentrieren

Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:29
von Dr. Dirk
noch was sehr einfallsreiches (zumimdest auf den ersten Blick) aus Nürnberg:
http://www.st-bonifaz-nuernberg.de/
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:31
von Robert Ketelhohn
Sankt Melitta haben wir gleich zweimal in Berlin (Modell »umgedrehte Filtertüte«).
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:36
von Robert Ketelhohn
Dirk hat geschrieben:»noch was sehr einfallsreiches (zumimdest auf den ersten Blick) aus Nürnberg:
«
Das paßt: Sankt Salamander (Modell »umgedrehter Schuhkarton«).
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:36
von Juergen
Bilder von der Hompage

Die Hand des Herrn gebietet dem Sturm

Die Erweckung des Lazerus

Heilung des Lahmen

Altar

Tabernakel
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:45
von Juergen
Kapelle der
Bildungsstätte St. Bonifatius, Elkeringhausen
Die Kapelle ist natürlich schon älter, aber die "Innenrenovierung" ist neueren Datums (90er Jahre).

Von außen ja gar nicht so schlecht.
Aber von innen

-- Man beachte den Tabernakel (dieses phallusartige Gebilde links vom Altar). Die Tür ist auf der Rückseite, d.h. es ist eher eine Klappe, die nach unten runter klappt, wenn man sie öffnet.

Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:47
von Dr. Dirk
Von allen Kirchen, die ich je besuchte, hat mich am allermeisten die Wallfahrtskirche in Neviges entsetzt:
wenn die Lichter an sind, sieht es innen schon recht nett aus, ohne Festbeleuchtung hat es mich an ein Parkhaus erinnert.
http://www.mariendom.de/
Zitat von der Homepage:
Die neue Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" hat weltweit große Beachtung und Bewunderung gefunden.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 20:55
von Nietenolaf
Frage eines Unbedarften: gibt es denn für den Bau von Kirchen keinen verbindlichen Kanon? Oder ist der so vage, daß Monstrositäten wie teilweise o.a. entstehen können?
Hier meine 2 Cent:

Smolensk, Hll. Neumärtyrer und Bekenner, Baujahr 2001
Hl. Prophet Elias, Moskauer Gebiet, Baujahr 2002
Geburt der Gottesmutter, Moskauer Gebiet, Baujahr 2002
:N:
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 21:06
von Juergen
Hm,
bisher sind noch keine Bilder/Links zu wirklich gut gelungenen Kirchen gekommen.
Gibt es die gar nicht?
Auch die neue Kirche "San Liborio" in Rom, die mit Unterstützung des Erzbistums Paderborn gebaut wurde, ist m.E. kein gutes Beispiel

- Leider habe ich keine Bilder gefunden.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 21:29
von Ralf
Obwohl ich ja den Franziskanern bekanntermaßen sehr zugeneigt bin, kann ich mich mit Neviges (wo ich aber auch erst 2mal war) auch nicht so recht anfreuden. Zwar ist alles dort theologisch durchdacht, aber vielleicht denke ich ja anders

.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 21:38
von Juergen
Eine Kirche, eine Kirchenarchtektur, eine Kircheneinrichtung, die theologisch durchdacht ist, der mangelt es m.E. meist an der "Herzlichkeit" (da fällt mir kein besseres Wort ein, aber ich denke es ist klar, was ich meine - sie sprechen das "Herz" nicht an - sind oft zu "kühl").
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 22:02
von Ralf
Mir fehlen vor allem die Schnörkel. Alles an der Architektur heutzutage, da sind Sakralbauten auch nur ein beispiel von vielen, sind so gebaut, dass man auch am Modell wirklich alles erkennt. Man stelle sich den Kölner Dom ohne all die vielen Figuren, Details, Winkel etc. vor.
Wäre ziemlich erbärmlich.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 23:03
von Robert Ketelhohn
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 23:05
von Niels
Margarete G. hat geschrieben:Wo ist noch mal die Kirche mit den Chagall-Fenstern in Hochsavoyen? Die gefällt mir nämlich!
Margarete, meinst Du Notre-Dame de Toute Grace in Passy?

Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 23:10
von Niels
Ketelhohn hat geschrieben:
Robert, ist das nicht das künftige Priorat St. Petrus der Piusbruderschaft in Berlin?
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 23:15
von Robert Ketelhohn
Jürgen hat geschrieben:»Eine Kirche, eine Kirchenarchtektur, eine Kircheneinrichtung, die theologisch durchdacht ist, der mangelt es m.E. meist an der "Herzlichkeit" (da fällt mir kein besseres Wort ein, aber ich denke es ist klar, was ich meine - sie sprechen das "Herz" nicht an - sind oft zu "kühl").«
Das gilt aber bloß, wenn du moderne Theologie meinst, oder was heute Theologie sein will. Schau dir mal – na, sagen wir: den Sieneser Dom an! (Dazu gibt es einen interessanten Aufsatz von Friedrich Ohly – bibliographier mal!) Überhaupt unsere alte Kirchenarchitektur. Oder eine Ikonostase der Byzantiner. Keine Theologie? Denkste! Kalt? Ja, wo die zweite Hälfte des 20. Jht.s umgestaltend, vermeintlich kahlwändige Urzustände wiederherstellend und altäre- und kapellenstürmend drüber hinweggefegt ist. Sonst alles andere als kalt.
Kirchenarchitektur muß vor allem eins sein: steingewordene Katechese und Mystagogie. Dann redet sie ganz von allein zum Herzen. Ob im Großen oder bescheiden im Kleinsten. Und sie kann das. Wir heutigen können’s nicht mehr. (Die Byzantiner freilich schon, wie oben zu bestaunen.) Aber wir sollten uns drauf besinnen. Architektur (mitsamt der Malerei und Steinmetzkunst) als Bilderbuch der Heilsgeschichte. Und als Weg aus der unheilen Welt zum Heiltum des Sakraments.
Verfasst: Sonntag 23. November 2003, 23:20
von Robert Ketelhohn
Niels hat geschrieben:»Robert, ist das nicht das künftige Priorat St. Petrus der Piusbruderschaft in Berlin?«
Ja. Der Kandidat hat 100 Punkte! 
Verfasst: Montag 24. November 2003, 00:08
von Niels
Was das Thema Ästhetik angeht, scheint mir Thomas von Aquin hochaktuell zu sein:
Bei den Kirchenbauten, die wir als häßlich ansehen, fehlt immer mindestens eine der drei folgenden Komponenten:
integritas (Unversehrtheit), proportio (Maßverhältnis), claritas (Klarheit)
"Zur Schönheit sind drei Dinge erforderlich. Und zwar erstens die Unversehrtheit oder Vollendung: die Dinge, die verstümmelt sind, sind aus sich heraus häßlich. Ferner das gebührende Maßverhältnis oder die Übereinstimmung. Und schließlich die Klarheit; deshalb werden Dinge, die eine strahlende Farbe haben, schön genannt.“
(Nam ad pulchritudinem tria requiruntur. Primo quidem, integritas sive perfectio: quae enim diminuta sunt, hoc ipso turpia sunt. Et debita proportio sive consonantia. Et iterum claritas: unde quae habent colorem nitidum, pulchra esse dicuntur.[s.th.I,39,8])
Verfasst: Montag 24. November 2003, 03:18
von Lucia
St. Marien, Aachen, - aber nur die Turmspitze. Bitte nicht mit einer Moschee verwechseln.
Verfasst: Montag 24. November 2003, 09:49
von Juergen
Ketelhohn hat geschrieben:Jürgen hat geschrieben:»Eine Kirche, eine Kirchenarchtektur, eine Kircheneinrichtung, die theologisch durchdacht ist, der mangelt es m.E. meist an der "Herzlichkeit" (da fällt mir kein besseres Wort ein, aber ich denke es ist klar, was ich meine - sie sprechen das "Herz" nicht an - sind oft zu "kühl").«
Das gilt aber bloß, wenn du moderne Theologie meinst, oder was heute Theologie sein will. Schau dir mal – na, sagen wir: den Sieneser Dom an! (Dazu gibt es einen interessanten Aufsatz von Friedrich Ohly – bibliographier mal!) Überhaupt unsere alte Kirchenarchitektur. Oder eine Ikonostase der Byzantiner. Keine Theologie? Denkste! Kalt? Ja, wo die zweite Hälfte des 20. Jht.s umgestaltend, vermeintlich kahlwändige Urzustände wiederherstellend und altäre- und kapellenstürmend drüber hinweggefegt ist. Sonst alles andere als kalt.
Erich hatte doch als "Zeitfenster" die Zeit nach 45 angesetzt, und nur auf diese Zeit bezog sich natürlich auch meine Aussage. - Der Sieneser Dom stammt aber aus dem 14. Jh. und passt nicht so recht in dieses Zeitfenster.
Der ganze alte Kirchbau, war natürlich auch von theologischen Überlegungen durchwebt, das bestreite ich ja nicht. Aber vielleicht haben es die alten Baumeister einfach geschafft, diese theologischen Überlegungen so umzusetzten, daß der Betrachter/Besucher sich angesprochen fühlt, gleichsam die Überlegungen durch reines hinsehen gefühlsmäßig erkennt und sich der Bau ihm erschließt.