Re: Papst Franz I.
Verfasst: Freitag 5. April 2013, 09:34
Der Dialog über das „Babel-Syndrom“
Anm. von Jorge_: Joseph Ratzinger nannte es das „Theorem der Machbarkeit“.Card. Jorge Bergoglio hat geschrieben:(...) Dem Menschen wird die Schöpfung in die Hände gelegt, als Gabe.
Gott übergibt sie ihm, stellt ihm aber zugleich eine Aufgabe: Er soll die Erde beherrschen. Hier erscheint die erste Art der Unkultur. Was der Mensch empfängt, ist Rohmaterie, die er beherrschen soll, um so Kultur zu verwirklichen: ein Stück Holz zu einem Tisch umzuformen.
Aber da kommt ein Punkt, an dem der Mensch über diese Aufgabe hinausgeht, er berauscht sich zu sehr und verliert den Respekt vor der Natur. Da treten die ökologischen Probleme auf, die Erderwärmung etc. Das ist neuerliche Unkultur. Der Mensch ist Gott gegenüber und sich selbst gegenüber gefordert, sein Arbeiten in konstanter Spannung zwischen Gabe und Aufgabe zu halten.
Wenn sich der Mensch allein mit der Gabe begnügt, aber seine Aufgabe nicht macht, wird er seinem Auftrag nicht gerecht und bleibt primitiv. Wenn der Mensch sich zu sehr für die Aufgabe begeistert und die Gabe vergisst, entwickelt er eine konstruktivistische Ethik: Er meint, alles sei Frucht seiner eigenen Hände und nichts sei ihm geschenkt. Das nenne ich das Babel-Syndrom.
Abraham Skorka hat geschrieben:Nach talmudischer Interpretation regierte Nimrod in Babylon als Diktator, der mit harter Hand alle unterdrückte. Deshalb sprach man nur eine Sprache, nämlich seine.Card. Jorge Bergoglio hat geschrieben:Was Sie gesagt haben, ist genial. Das Babel-Syndrom birgt nicht nur die konstruktivistische Weltsicht, sondern es kommt auch zur Verwirrung der Sprachen. Das ist typisch für Situationen, in denen man die Aufgabe überbetont und die Gabe vernachlässigt. Der reine Konstruktivismus führt in solchen Fällen zu einem Mangel an [Miteinander, an] Dialog, was wiederum Aggression, Missverständnisse, Gereiztheit hervorruft ...Abraham Skorka hat geschrieben:In der rabbinischen Literatur taucht die Frage auf, was Gott eigentlich am Turmbau von Babel missfiel. Weshalb hemmte er den Bau, indem er die Sprachverwirrung herbeiführte? Die einfachste Erklärung ist die, die sich unmittelbar aus der Lektüre des Textes ergibt: Es lag daran, dass diese Bauten, die den Himmel zu erreichen suchten, Teil eines heidnischen Kultes waren. Das beinhaltete einen Akt des Hochmuts gegenüber Gott.
Der Midrasch sagt, Gott habe sich daran gestört, dass es den Erbauern des Turms mehr bedeutete, einen Ziegelstein zu verlieren als einen Arbeiter, der aus solcher Höhe abstürzte. Das ist es, was heute passiert, es ist die Gratwanderung zwischen Gabe und Aufgabe. Es bedarf eines genau austarierten Gleichgewichts. Der Mensch muss fortschreiten, aber um wieder Mensch zu werden. Natürlich ist es Gott, der alles gesät und hervorgebracht hat, doch das Zentrum der materiellen Welt und des großen Werkes Gottes ist der Mensch.
In der Wirklichkeit, wie wir sie heute erleben, ist das einzige, worauf es ankommt, der Erfolg des ökonomischen Systems und das Letzte, worauf es ankommt, ist das Wohlbefinden aller Menschen.
Wenn man Maimonides liest und Thomas von Aquin, zwei Philosophen, die nahezu Zeitgenossen waren, ist interessant zu beobachten, wie sie immer damit beginnen, sich in die Lage des Gegners zu versetzen, um dessen Position zu verstehen: Sie treten in Dialog mit dem Standpunkt des anderen.
Der Tyrann befahl, einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel reicht, um sich ein Denkmal zu setzen und um auf diese Weise – darin steckt ein gewisser Hochmut – näher bei Gott zu sein. Man dachte bei dem Bauwerk also nicht an die Bedürfnisse der Menschen. Wichtig war nicht, dass alle gut leben können. Die Strafe bestand darin, dass von nun an jeder seine eigene Sprache besaß, weil sich mittels einer despotischen Sprache, die nichts Universelles mehr an sich hatte, jeder seine eigene Welt gebaut hatte.
Diese Erzählung erschreckt, ihre Aktualität ist mit Händen greifbar.