Pythagoreische Stimmung

Von Orgelpfeifen, Zimbelspielern und Kantoren.
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Volmar
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Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Die pythagoreische Stimmung war im Mittelalter die allgemein gültige und verwendete Stimmung. Sie ist für Vokalisten ideal. Die Frequenzverhältnisse aller Intervalle stellen rationale Zahlen, also Brüche ganzer Zahlen, dar. Es wird ein sauberes Intonieren der folgend genannten Intervalle nach Gehör ohne instrumentelle Hilfe und ein Erarbeiten der entsprechenden pythagoreischen Tonleiter ermöglicht. So beträgt das Frequenzverhältnis der Oktave 2/1, das der Quinte 3/2, das der Quarte 4/3 und das der Sekunde 9/8.

(Tasten-)Instrumente sind dagegen seit 2 Jahrhunderten in gleichstufiger Stimmung gestimmt, um in mehr als 2 bis 3 Tonarten gespielt werden zu können. Die Frequenzverhältnisse der Intervalle stellen irrationale Zahlen, nämlich logarithmische Proportionen, dar. Für Vokalisten ist es ohne instrumentelle Unterstützung oder professionelle Ausbildung kaum möglich, diese Intervalle sauber zu intonieren.

Die Dominierung der Kirchenmusik durch Instrumentalisten (Organisten) hat dazu beigetragen, dass selbst Gregorianik-Fachleuten die eigentliche Stimmung der Gregorianik allenfalls aus der Erinnerung an musikhistorische oder -theoretische Seminare aus dem Studium bekannt ist. Umgekehrt ist Sängern ein Zugang zur (lediglich gleichstufigen) Gregorianik nur noch über das Nachsingen vorgespielter Melodien möglich - jene Methode, von der der Nestor der mittelalterlichen Musikpädagogik, Guido von Arezzo, dringend abgeraten hat.
Schlimmer ist, dass damit die Gregorianik als ursprüngliche und auch nach Vaticanum II eigentliche musikalische Form der gewöhnlichen Liturgie zu einer Musik der professionellen Musiker und kirchlichen Events, ja geradezu fremd und elitär geworden ist.

Meiner Erfahrung nach erleichtert es die - eigentlich recht simple - Erlernung der pythagoreischen Stimmung dem nichtprofessionellen Sänger ungemein, sich gregoriansche Melodien ohne Instrument zu erarbeiten.
Ave Maria Kecharitoméne, dominus tecum, benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui, Jesus. Sancta Maria, Theotókos, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen.
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Protasius
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Protasius »

Ich spiele regelmäßig auf einer Orgel, die größtenteils aus dem Jahre 1714 stammt und modifiziert mitteltönig gestimmt ist. Auch damit ist es problemlos möglich mehr als 2–3 Tonarten zu spielen (von B-Dur bis A-Dur im Uhrzeigersinn durch den Quintenzirkel geht alles, das sind 6 Tonleitern). Die pythagoräische Stimmung ist selbst auch nicht sauber, denn da sie auf reinen Quinten basiert, sind große Terzen Dissonanzen statt des reinen Intervalls 3:4.

Nach meiner Ansicht können Laiensänger heutzutage oftmals keine Noten lesen, weil es ihnen niemand beibringt. Die Gehörbildung im Laienchor (bspw. durch die von Guido von Arezzo empfohlene Solmisation) ist nach meiner Ansicht dabei entscheidender als die Intonation; und die pythagoräische Stimmung ist aufgrund der Tatsache, daß nur Quinten und Oktaven rein sind, für sämtliche Mehrstimmigkeit (die nach Sacrosanctum Concilium ebenfalls einen Schatz der Kirchenmusik darstellt, der gepflegt werden soll) ungeeignet.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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Volmar
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
Ich spiele regelmäßig auf einer Orgel, die größtenteils aus dem Jahre 1714 stammt und modifiziert mitteltönig gestimmt ist. Auch damit ist es problemlos möglich mehr als 2–3 Tonarten zu spielen (von B-Dur bis A-Dur im Uhrzeigersinn durch den Quintenzirkel geht alles, das sind 6 Tonleitern).
Natürlich. Die ab der Neuzeit entwickelten Stimmungen haben ja sämtlich das Ziel, die für Tasteninstrumente durch die pythagoreische (und reine) Stimmung gegebenen Beschränkungen zu überwinden. Die gleichstufige Stimmung war dann als bester Kompromiss nur das Endergebnis dieser Entwicklung.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
Die pythagoräische Stimmung ist selbst auch nicht sauber, denn da sie auf reinen Quinten basiert, sind große Terzen Dissonanzen statt des reinen Intervalls 3:4.
Was ist die Definition von „sauber“?
Statt des Begriffes „Terz“ verwende ich in der pythagoreischen Stimmung zur Abgrenzung lieber die alte Bezeichnung „Ditonus“. Der Ditonus stellt ja tatsächlich, wie der Name schon sagt, ein sekundäres, ein aus zwei „reinen“ 8/9-Ganztönen abgeleitetes Intervall mit dem Wert von 64/81 (8^2/9^2) dar. Deswegen „unsauber“, „unrein“? Nein. Der Ditonus ist als abgeleitetes Intervall nicht so unmittelbar zugänglich wie eine „reine“ (3/4) Terz, aber innerhalb des pythagoreischen Stimmungsystems schlüssig und für den Sänger leicht zu finden.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
Nach meiner Ansicht können Laiensänger heutzutage oftmals keine Noten lesen, weil es ihnen niemand beibringt. Die Gehörbildung im Laienchor (bspw. durch die von Guido von Arezzo empfohlene Solmisation) ist nach meiner Ansicht dabei entscheidender als die Intonation;...
Mit „Intonation“ meine ich im Kontext des unbegleiteten Vokalisten nicht die Fähigkeit, einen bestimmten Ton (= Frequenz) ohne Tonvorgabe (Instrument) singen zu können, sondern die Fähigkeit, ein bestimmtes Intervall ohne Vorgabe exakt singen zu können. Ich behaupte, dass diese Fähigkeit für die rationalen Stimmungen (pythagoreisch/rein) leichter erworben werden kann als für die gleichstufige und dass deswegen die pythagoreische Stimmung wichtig für eine Repopularisierung der Gregorianik ist.
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Volmar
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
... und die pythagoräische Stimmung ist aufgrund der Tatsache, daß nur Quinten und Oktaven rein sind, für sämtliche Mehrstimmigkeit (die nach Sacrosanctum Concilium ebenfalls einen Schatz der Kirchenmusik darstellt, der gepflegt werden soll) ungeeignet.
Dass ein Schraubendreher nicht gut für das Einschlagen von Nägeln und ein Hammer nicht gut für das Eindrehen von Schrauben geeignet ist, spricht weder gegen das eine noch gegen das andere Werkzeug.
Gleichstufige Stimmung ist ideal für Tasteninstrumente, reine Stimmung für unbegleitete mehrstimmige Chöre.
Für eine weite Verbreitung von Gregorianik als unbegleitetem einstimmigem Gesang ist die pythagoreische Stimmung am besten geeignet.
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Protasius
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Protasius »

Volmar hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 00:50
Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
... und die pythagoräische Stimmung ist aufgrund der Tatsache, daß nur Quinten und Oktaven rein sind, für sämtliche Mehrstimmigkeit (die nach Sacrosanctum Concilium ebenfalls einen Schatz der Kirchenmusik darstellt, der gepflegt werden soll) ungeeignet.
Dass ein Schraubendreher nicht gut für das Einschlagen von Nägeln und ein Hammer nicht gut für das Eindrehen von Schrauben geeignet ist, spricht weder gegen das eine noch gegen das andere Werkzeug.
Gleichstufige Stimmung ist ideal für Tasteninstrumente, reine Stimmung für unbegleitete mehrstimmige Chöre.
Für eine weite Verbreitung von Gregorianik als unbegleitetem einstimmigem Gesang ist die pythagoreische Stimmung am besten geeignet.
Der Behauptung, die Gleichstufige Stimmung sei ideal für Tasteninstrumente, widerspreche ich entschieden. Meine Erfahrungen mit modifiziert mitteltönig gestimmten Instrumenten zeigen mir recht deutlich, daß damit zwar nur ein eingeschränkter Teil der Literatur zugänglich ist [dieser Teil kommt meinem Musikgeschmack allerdings sowieso sehr entgegen], die sehr sauberen Intervalle in den vorzeichenarmen Tonarten dem sauberen Singen aber sehr entgegenkommen. Zudem klingen dann eben nicht alle Tonarten gleich, sondern man hört es ganz deutlich, wenn man in die entfernt liegenden Tonarten moduliert; die Phantasie in G-Dur von Johann Sebastian Bach etwa klingt dann bemerkenswert farbig. (Und es gibt viele Leute, die behaupten daß Gemeinden dann besser mitsingen, weil die reinen Intervalle ihrem (unbewußten) musikalischen Empfinden entsprechen, mit ähnlichen Argumenten wie du sie hier für die pythagoräische Stimmung vorbringst.)

Ideal ist die gleichstufige Stimmung allenfalls für bestimmte Epochen, insbesondere die Spätromantik und Moderne; ebenso wie die pythagoräische Stimmung in der Gregorianik verwendet werden kann, aber für mehrstimmige Musik aus bereits erwähnten Gründen unbrauchbar ist.
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taddeo
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von taddeo »

Volmar hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 00:33
Mit „Intonation“ meine ich im Kontext des unbegleiteten Vokalisten nicht die Fähigkeit, einen bestimmten Ton (= Frequenz) ohne Tonvorgabe (Instrument) singen zu können, sondern die Fähigkeit, ein bestimmtes Intervall ohne Vorgabe exakt singen zu können. Ich behaupte, dass diese Fähigkeit für die rationalen Stimmungen (pythagoreisch/rein) leichter erworben werden kann als für die gleichstufige und dass deswegen die pythagoreische Stimmung wichtig für eine Repopularisierung der Gregorianik ist.
Was du da postulierst, gilt allenfalls für einstimmige Musik, und nicht mal da unbedingt.
Sobald es a cappella mehrstimmig wird, singt man gleich notierte Intervalle trotzdem unterschiedlich. Mal höher, mal tiefer, wie es am besten in den klanglichen Kontext paßt.

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Juergen
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Juergen »

Zum Thema Stimmungen habe ich von einem Dutzend an Jahren mal eine Kleinigkeit zusammengeschrieben. Vielleicht hilft es ja bei Eurer Diskussion. Es ist ein kurzes Stück in 4 bis 5 Akten.

Bevor ich hier überhaupt was sage, möchte ich vorausschicken, daß ich selbst keinen richtigen Plan haben und man mich gerne verbessern möge, wenn ich hier Stuss schreibe!
------------------------------------------


Gestern besuchten wir die älteste Orgel der Welt in Ostönnen. Dort sagte man uns, daß die Orgel "mitteltönig" gestimmt sei. Was das genau bedeutet, so meinte man, bräuchte man uns ja nicht erklären, da wir alle Musiker wären.... :roll:

Irgendwie wußte auch jeder, was damit gemeint war - zumindest so Pi-mal-Daumen-Ungefähr.
Aber wie verhält sich das nun genau?
Und warum klingt manches auf einer solchen Orgel "schräg"?
Und die Dame sagte, was davon, daß es keine enharmonische Verwechslung gebe - wie? gibt's nicht? wieso?

Nungut,
Gründe genug mal einen Blick auf die Stimmung(en) von Orgeln zu werfen.

Zuerst einige bekannte "Basics"
- Die Tonleiter hat 12 (Halb)Töne
- Die Frequenz verdoppelt sich von Oktav zu Oktav
- Das Frequenzverhältnis von Intervallen (Quinten etc.) ist aufgrund physikalischer Verhältnisse vorgegeben (reine Stimmung).

Soweit so einfach und gut.

werfen wir zuerst einen Blick auf das Intervallverhältnis bei einer reinen Stimmung:

Prime: 1
Kleine Sekunde: 16/15 = 1,066667
Große Sekunde: 9/8 = 1,125
Kleine Terz: 6/5 = 1,2
Große Terz: 5/4 = 1,25
Reine Quarte: 4/3 = 1,333333
Verminderte Quinte: 7/5 = 1,4
Reine Quinte: 3/2 = 1,5
Kleine Sexte: 8/5 = 1,6
Große Sexte: 5/3 = 1,666667
Kleine Septime: 16/9 = 1,777778
Große Septime: 15/8 = 1,875
Oktave: 2


Schauen wir nun auf die Stimmung einer bei einer "normalen" Orgel an. Dort wird nun die Oktav in 12 gleiche Teile eingeteilt. Jeder Halbtonschritt hat somit zum Vorgänger ein Verhältnis von 12te Wurzel 2; denn 12 mal 12te Wurzel 2 ergibt wiederum 2, also das Verhältnis von Oktav zu Oktav.


Im Einzelnen:
Prime: 1
Kleine Sekunde: 12te Wurzel 2 = 1,059463
Große Sekunde: 12te Wurzel 2Ġ = 12te Wurzel 4 = 1,122462
Kleine Terz: 12te Wurzel 2ġ =12te Wurzel 8 = 1,189207
Große Terz: 12te Wurzel 16 = 1,259921
Reine Quarte: 12te Wurzel 32 = 1,334840
Verminderte Quinte: 12te Wurzel 64 = 1,414214
Reine Quinte: 12te Wurzel 128 = 1,498307
Kleine Sexte: 12te Wurzel 256 = 1,587401
Große Sexte: 12te Wurzel 512 = 1,681793

Kleine Septime: 12te Wurzel 1024 = 1,781797
Große Septime: 12te Wurzel 2048 = 1,887749
Oktave: 12te Wurzel 4086 = 2


Oh! Ha!
Da sehen wir schon, daß die oben aufgeführte Stimmung nicht wirklich mit der reinen Stimmung nicht 100%ig übereinstimmt. Alle Orgeln sind gleichsam "verstimmt". Das ist ja eigentlich blöd und man könnte meinen, man könnte doch einfach "rein" stimmen und es passt. Tut es auch - aber auch nicht, wie wir gleich sehen werden.

Nehmen wir als Gundton mal das C
C = 1
Cis = 1,066667
D = 1,125
Dis = 1,2
E = 1,25
...

nun nehmen wir als Grundton das D mit dem oben angegebenen Wert für D von 1,125 und rechnen die Werte für Dis und E von diesem Wert ausgehen aus:
D = 1,125
Dis = 1,125 * 1,066667 = 1,200000375
E = 1,125 * 1,125 = 1,265625
...

Wir sehen: Wenn wir auf C rein stimmen, stimmt die Stimmung bei D schon nicht mehr. Die C-Dur Tonleiter würde rein klingen, die D-Dur Tonleiter wurde schon schräg klingen.


"Was Tun?", sprach Zeus. - oder sollten wir sagen "sprach Pythagoras"? -- Davon mehr im nächsten Posting.
Gruß Jürgen

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Juergen
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Juergen »

2. Akt


Als Gedächtnisstützt: die reine Stimmung:

Prime: 1
Kleine Sekunde: 16/15 = 1,066667
Große Sekunde: 9/8 = 1,125
Kleine Terz: 6/5 = 1,2
Große Terz: 5/4 = 1,25
Reine Quarte: 4/3 = 1,333333
Verminderte Quinte: 7/5 = 1,4
Reine Quinte: 3/2 = 1,5
Kleine Sexte: 8/5 = 1,6
Große Sexte: 5/3 = 1,666667
Kleine Septime: 16/9 = 1,777778
Große Septime: 15/8 = 1,875
Oktave: 2


Bevor wir uns dem Pythagoras zuwenden können wir mit dem Intervallverhältnis der reinen Stimmung schon die Frage klären, wie es sich nun mit der enharmonischen Verwechslung verhält:

Enharmonische Verwechslung meint gleichsam, daß man sagt: ein Cis ist der gleiche Ton wie ein Des. Das könnte man auch meinen, den beides liegt bei der Orgel auf der gleichen Taste und klingt gleich.
Aber Moment:

C = 1
Cis = 1,066667
D = 1,125

Nun rechnen wir vom D "rückwärts" auf das Des runter.
D = 1,125
Das Des liegt eine kleine Sekunde (16/15) unter dem D
Des = 1,125/1,066667 = 1,054687
*aaarrrg* Des und Cis sind also nicht identisch!
Man kann also auch nicht beliebig Intervalle schichten um sauber auf andere Intervalle zu kommen; wenngleich es bei einigen Intervallen geht:

kleine Terz (1,2) + große Terz (1,25) = reine Quint (1,2*1,125=1,5 -- stimmt!)

---------------------------------------------

Und mit der Quint sind wir auch schon bei einem wichtigen Intervall zur Berechnung von Stimmungen angelangt. Daß die Quinte besonders wichtig ist, hat auch physikalische Gründe. Wenn man sich die Obertonreihe anschaut, stelle man fest, daß der erste Oberton, der nicht auf einer Oktav liegt, eine Quinte ist. Die Quinten sind daher von den Obertönen, die mit zunehmender Frequenz eine geringere Amplitude haben, die am lautesten hervortretenden Obertöne. Wenn es bei Zugriegelorgeln "krumme Fußlagen" gibt, sind die Quinten auch immer die, die am ersten eingebaut werden, andere Lagen sind "Luxus" :P Auch beim Akkordaufbau sind die Quinten wichtig; manch ein Spieler, spielt auch sogenannte "Power-Chords" (heute muß ja alles einen englischen Namen haben), die meist nur aus Grundton und Quinte bestehen. Nun aber genug davon und ab zum Pythagoras.

Der Gute hat sich gedanken gemacht, wie man aus dem Schlamassel herauskommt und sich - vereinfacht gesagt - gedacht, wenn die Quinten so wichtig sind, dann schichte ich einfach solange Quinten aufeinander, bis ich wieder beim Grundton rauskomme. Gesagt - getan:

Machen wir es ihm also mal nacht und "stapeln" reine Quinten (3/2) aufeinander. Die Reihe der Töne sähe dann so aus:

C - G - D - A - E - H - Fis - Cis - Gis - Dis - Ais - Eis - His (gleich C oder vielleicht nicht??)

Nun rechnen wir mal etwas:
1 : 1 = Prim
2 : 3 = 1 : 1,5 = 1. Quinte
4 : 9 = 1 : 2,25 = 2. Quinte
...
4096 : 531441 = 1 : 129,746338 = 12. Quinte

12 Quinten entsprechen 7 Okaven. Nun gucken wir mal auf die Oktaven drauf
1 : 1 = 1. Oktav
1 : 2 (doppelte Frequenz) = 2. Oktav
1 : 4 (vierfache Frequenz) = 3. Oktav
...
1 : 128 = 7. Oktav

*aaarrgh* - Was'n das? Das passt ja gar nicht mit den 12 Quinten überein!
Bei den Oktaven habe ich 1:128
bei den Quinten habe ich 1:129,746338

Also eine Differenz von 128 : 129,746338 oder 1 : 1,01364

Diese Intervall (1 : 1,01364) wird auch Phytagoreisches Komma genannt.

--------------

Nun noch ein Wort zu einem Begriff, der noch wichtig ist/wird: Cent

Man hat sich darauf geeinigt, daß eine Oktav aus 1200 Cent besteht; wenn man die Oktav in 12 gleiche Teile teilt, so hat jeder Teil 100 Cent.

Rechnet man das Pythagoreische Komma in Cent um so ergibt sich:

1200*log(1,01364)/log(2) = 23,45 Cent

--------------

Wie wird man das Pythagoreische Komma los?
Wie verteilt man die 23,45 Cent so, daß es möglichst nicht "schräg" klingt?

--------------

Davon demnächst mehr in diesem Theater....


8)
Gruß Jürgen

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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Juergen »

3. Akt


Die Stimmung nach Quinten führte also zum Phytagoräischen Komma, wobei sie doch recht einfach zu berechnen war, da das Zahlenverhältnis 2:3 recht einfach ist.Ein ähnlich einfaches Verhältnis hat die große Terz, nämlich 5:4.
Nehmen wir die pythagoräische Stimmung und berechnen dort die Terzen, so haben diese ein Verhältnis von 81:64 während es normalerweise ja 5:4 sein müßte.

81:64 / 5:4 = 81:80 = 1,0125

dieser Wert wie auch syntonische Komma genannt.

Berechnen wir nun den abweichenden Centwert, kommen wir auf 21,51.

Und damit sind wir bei der mitteltönigen Stimmung angelangt - jener Stimmung, in der das von uns besichtigte Instrument gestimmt war. Bei der mitteltönigen Stimmung nun wird versucht diese 21,51 Cent durch "verstimmen" von Quinten auszugleichen;

Es gibt aber nicht DIE mitteltönige Stimmung, sondern eine ganze Reihe von verschiedenen mitteltönigen Stimmungen. Die am meisten vorkommende ist die sog. 1/4-Komma-mitteltönige Stimmung. Es gibt auch noch andere wie 1/6-, 1/5-, 2/7-, und 1/3-Komma-mitteltönige Stimmungen. Je nachdem welche man verwendet, ändert sich die Zahl der reinen Quinten. Es wird bei der 1/4-Komma-mitteltönigen Stimmung 1/2 Komma auf die Quinten verteilt. So geht man den ganzen Quintenzirkel durch. Um das C rein zu bekommen muß man bei Es anfangen:

Es – B – F – C – G – D – A – E – H – Fis – Cis – Gis

Wir bekommen dann 11 mitteltönige Quinten:
Es-B
B-F
F-C
C-G
G-D
D-A
A-E
E-H
H-Fis
Fis-Cis
Cis-Gis

Die Quinte Gis-Es ist hier die sog. "Wolfsquinte", die nicht benutzt werden kann, da sie komplett daneben hängt (etwa 737 Cent statt 700 Cent).

Dann haben wir noch einige reine Terzen:
Es-G
B-D
F-A
C-E
G-H
D-Fis
A-Cis
E-Gis


Und vier zu große Terzen (etwa 427 Cent, statt 400 Cent):
H-Es
Fis-B,
Cis-F
Gis-C


Zu beachten ist, daß hier nur die oben aufgeführten Töne zur Verfügung stehen! Andere Halbtöne gibt es nicht. Man darf nicht enharmonisch verwechseln. Wenn also in einem Stück z.B. ein Dis vorkommt kann man nicht einfach ein Es spielen. Das passt nicht. Ebenso bei anderen Halbtönen, die nicht im Schema vorkommen.
Gruß Jürgen

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Juergen
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Juergen »

Wie verteilt man die 23,45 Cent so, daß es möglichst nicht "schräg" klingt?



4. Akt

Nun komme ich auf eine Stimmung zu sprechen, die hier schonmal an anderer Stelle Thema war. Die Werckmeister-Stimmung (Werckmeister I bzw III je nach Zählweise).

Dazu muß ich gar nicht viel schreiben, denn da da ganz interessante Seiten im Netz

Charakteristika der Werckmeister-Stimmung I (Werckmeisterische Temperatur): http://www.groenewald-berlin.de/text/text_T016.html
Charakteristika der Werckmeister-Stimmung II: http://www.groenewald-berlin.de/text/text_T017.html
Charakteristika der Werckmeister-Stimmung III: http://www.groenewald-berlin.de/text/text_T018.html
Charakteristika der Werckmeister-Stimmung IV: http://www.groenewald-berlin.de/text/text_T019.html

Na, das war ja jetzt mal ein Schnelldurchlauf. 8)
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Protasius
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Protasius »

Bei einigen Orgeln, die mitteltönig gestimmt sind, gibt es allerdings – um dem Problem der enharmonischen Verwechselung zu begegnen – doppelte Subsemitonien, sodaß man bspw. sowohl ein reines Es als auch ein reines Dis hat, wie bei diesem Cembalo:
Bild
Das erfordert allerdings offensichtlich jeweils zwei Saiten bzw. Pfeifen pro Register und Oktave mehr, sowie einen Organisten, der damit umgehen kann. Man hat das selten und wenn eher in Orgel in großen Städten gemacht.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Protasius hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 22:18
Volmar hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 00:50
Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
... und die pythagoräische Stimmung ist aufgrund der Tatsache, daß nur Quinten und Oktaven rein sind, für sämtliche Mehrstimmigkeit (die nach Sacrosanctum Concilium ebenfalls einen Schatz der Kirchenmusik darstellt, der gepflegt werden soll) ungeeignet.
Dass ein Schraubendreher nicht gut für das Einschlagen von Nägeln und ein Hammer nicht gut für das Eindrehen von Schrauben geeignet ist, spricht weder gegen das eine noch gegen das andere Werkzeug.
Gleichstufige Stimmung ist ideal für Tasteninstrumente, reine Stimmung für unbegleitete mehrstimmige Chöre.
Für eine weite Verbreitung von Gregorianik als unbegleitetem einstimmigem Gesang ist die pythagoreische Stimmung am besten geeignet.
Der Behauptung, die Gleichstufige Stimmung sei ideal für Tasteninstrumente, widerspreche ich entschieden. Meine Erfahrungen mit modifiziert mitteltönig gestimmten Instrumenten zeigen mir recht deutlich, daß damit zwar nur ein eingeschränkter Teil der Literatur zugänglich ist [dieser Teil kommt meinem Musikgeschmack allerdings sowieso sehr entgegen], die sehr sauberen Intervalle in den vorzeichenarmen Tonarten dem sauberen Singen aber sehr entgegenkommen. Zudem klingen dann eben nicht alle Tonarten gleich, sondern man hört es ganz deutlich, wenn man in die entfernt liegenden Tonarten moduliert; die Phantasie in G-Dur von Johann Sebastian Bach etwa klingt dann bemerkenswert farbig. (Und es gibt viele Leute, die behaupten daß Gemeinden dann besser mitsingen, weil die reinen Intervalle ihrem (unbewußten) musikalischen Empfinden entsprechen, mit ähnlichen Argumenten wie du sie hier für die pythagoräische Stimmung vorbringst.)

Ideal ist die gleichstufige Stimmung allenfalls für bestimmte Epochen, insbesondere die Spätromantik und Moderne; ...
Geschenkt.
Verzeih, dass ich in meinen Ausführungen der Einfachheit halber die mitteltönigen und sonstigen neuzeitlichen Stimmungen übergangen habe. Es liegt mir fern, die mitteltönigen Stimmungen zu diskreditieren, die gar nicht mein Thema sind.
Ich korrigiere mich also und erweitere meine Aussage: „Gleichstufige und mitteltönige und die anderen neuzeitlichen Stimmungen sind ideal für Tasteninstrumente - jeweils entsprechend der jeweiligen Epoche - ,...“.
An dem Punkt dürften wir uns einig sein.
Ave Maria Kecharitoméne, dominus tecum, benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui, Jesus. Sancta Maria, Theotókos, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Protasius hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 22:18
Volmar hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 00:50
Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
... und die pythagoräische Stimmung ist aufgrund der Tatsache, daß nur Quinten und Oktaven rein sind, für sämtliche Mehrstimmigkeit (die nach Sacrosanctum Concilium ebenfalls einen Schatz der Kirchenmusik darstellt, der gepflegt werden soll) ungeeignet.
Dass ein Schraubendreher nicht gut für das Einschlagen von Nägeln und ein Hammer nicht gut für das Eindrehen von Schrauben geeignet ist, spricht weder gegen das eine noch gegen das andere Werkzeug.
Gleichstufige Stimmung ist ideal für Tasteninstrumente, reine Stimmung für unbegleitete mehrstimmige Chöre.
Für eine weite Verbreitung von Gregorianik als unbegleitetem einstimmigem Gesang ist die pythagoreische Stimmung am besten geeignet.
...; ebenso wie die pythagoräische Stimmung in der Gregorianik verwendet werden kann, aber für mehrstimmige Musik aus bereits erwähnten Gründen unbrauchbar ist.
Nun zu meiner eigentlichen Aussageabsicht - siehe Thread-Titel -, auf die du zum Abschluss noch kurz zu sprechen kommst.
Meine These, dass die pythagoreische Stimmung ideal - im Gegensatz zu anderen Stimmungen - für die Gregorianik sei, erfährt keine Erwiderung.
Das Zugeständnis, dass die pythagoreische Stimmung zu diesem Zweck verwendet werden kann, stellt eine unbestrittene Tatsache dar.
Es folgt zum zweiten Male - trotz meiner Analogie über die Zweckbestimmung von Werkzeug - die Aussage, pythagoreische Stimmung sei nicht für Mehrstimmigkeit geeignet. Das habe ich aber gar nicht behauptet. Es handelt sich also um ein sogenanntes Strohmann-Argument ein. Ein solches Schein-Argument kann natürlich keine These widerlegen, sondern nur versuchen, negative Assoziationen, in diesem Fall die von „Untauglichkeit von pythagoreischer Stimmung“ beim Leser zu erwecken.
Vielen Dank für die Stellungnahme, auch wenn sie bei mir lediglich den Eindruck verstärkt, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der originalen Stimmung der Gregorianik erst völlig am Anfang steht.
Ave Maria Kecharitoméne, dominus tecum, benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui, Jesus. Sancta Maria, Theotókos, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen.
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Volmar
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

taddeo hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 23:14
Volmar hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 00:33
Mit „Intonation“ meine ich im Kontext des unbegleiteten Vokalisten nicht die Fähigkeit, einen bestimmten Ton (= Frequenz) ohne Tonvorgabe (Instrument) singen zu können, sondern die Fähigkeit, ein bestimmtes Intervall ohne Vorgabe exakt singen zu können. Ich behaupte, dass diese Fähigkeit für die rationalen Stimmungen (pythagoreisch/rein) leichter erworben werden kann als für die gleichstufige und dass deswegen die pythagoreische Stimmung wichtig für eine Repopularisierung der Gregorianik ist.
Was du da postulierst, gilt allenfalls für einstimmige Musik, und nicht mal da unbedingt.
Sobald es a cappella mehrstimmig wird, singt man gleich notierte Intervalle trotzdem unterschiedlich. Mal höher, mal tiefer, wie es am besten in den klanglichen Kontext paßt.
Ich glaube, du hast mich falsch verstanden. Es geht mir ja eben nicht um eine bestimmte Tonhöhe(=Frequenz). Es geht um ein bestimmtes Intervall(=Frequenzunterschied), das natürlich beliebig höher oder tiefer gesungen werden kann, unabhängig von Ein- oder Mehrstimmigkeit.
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Protasius
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Protasius »

Volmar hat geschrieben:
Mittwoch 3. April 2019, 01:36
Protasius hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 22:18
Volmar hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 00:50
Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
... und die pythagoräische Stimmung ist aufgrund der Tatsache, daß nur Quinten und Oktaven rein sind, für sämtliche Mehrstimmigkeit (die nach Sacrosanctum Concilium ebenfalls einen Schatz der Kirchenmusik darstellt, der gepflegt werden soll) ungeeignet.
Dass ein Schraubendreher nicht gut für das Einschlagen von Nägeln und ein Hammer nicht gut für das Eindrehen von Schrauben geeignet ist, spricht weder gegen das eine noch gegen das andere Werkzeug.
Gleichstufige Stimmung ist ideal für Tasteninstrumente, reine Stimmung für unbegleitete mehrstimmige Chöre.
Für eine weite Verbreitung von Gregorianik als unbegleitetem einstimmigem Gesang ist die pythagoreische Stimmung am besten geeignet.
...; ebenso wie die pythagoräische Stimmung in der Gregorianik verwendet werden kann, aber für mehrstimmige Musik aus bereits erwähnten Gründen unbrauchbar ist.
Nun zu meiner eigentlichen Aussageabsicht - siehe Thread-Titel -, auf die du zum Abschluss noch kurz zu sprechen kommst.
Meine These, dass die pythagoreische Stimmung ideal - im Gegensatz zu anderen Stimmungen - für die Gregorianik sei, erfährt keine Erwiderung.
Das Zugeständnis, dass die pythagoreische Stimmung zu diesem Zweck verwendet werden kann, stellt eine unbestrittene Tatsache dar.
Es folgt zum zweiten Male - trotz meiner Analogie über die Zweckbestimmung von Werkzeug - die Aussage, pythagoreische Stimmung sei nicht für Mehrstimmigkeit geeignet. Das habe ich aber gar nicht behauptet. Es handelt sich also um ein sogenanntes Strohmann-Argument ein. Ein solches Schein-Argument kann natürlich keine These widerlegen, sondern nur versuchen, negative Assoziationen, in diesem Fall die von „Untauglichkeit von pythagoreischer Stimmung“ beim Leser zu erwecken.
Vielen Dank für die Stellungnahme, auch wenn sie bei mir lediglich den Eindruck verstärkt, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der originalen Stimmung der Gregorianik erst völlig am Anfang steht.
Die pythagoräische Stimmung in der Praxis durchzusetzen wird auf das große Problem stoßen, daß alle Mitsingenden durch die europäische Musik der letzten tausend Jahre daran gewöhnt sind, daß Terzen reine Intervalle sind. Was ich für realistisch halte, wäre eine reine Stimmung, wie sie Jürgen oben skizziert hat und wie sie bspw. auch professionelle Streicher und Sänger praktizieren. Dadurch, daß die Gregorianik nicht zu anderen Grundtönen moduliert, wird es sogar einfacher, weil man sich um die Kommata keine Gedanken machen muß.

Warum man sich auf die pythagoräische Stimmung versteift, die zwar in den allerersten Jahrhunderten mutmaßlicherweise verwendet wurde, einem aber den Schatz der Kirchenmusik der kommenden Jahrhunderte verschließt, ist mir schleierhaft, wenn in der reinen Stimmung mit ihren sauberen Terzen beide Probleme nicht bestehen.

Außerdem ist in Bezug auf den Volkschoral – etwa beim Ordinarium – meine Erfahrung, daß Gemeinden ohne Orgelbegleitung eher spärlich mitsingen. Und in diesem Fall sowie bei den mE wünschenswerten Vor- und Nachspielen zu den gregorianischen Chorälen wird ebenfalls etwas mehrstimmiges zu Gehör kommen mit einer dafür brauchbaren Stimmung.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

taddeo hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 23:14
Volmar hat geschrieben:
Montag 1. April 2019, 00:33
... Ich behaupte, dass diese Fähigkeit für die rationalen Stimmungen (pythagoreisch/rein) leichter erworben werden kann als für die gleichstufige und dass deswegen die pythagoreische Stimmung wichtig für eine Repopularisierung der Gregorianik ist.
Was du da postulierst, gilt allenfalls für einstimmige Musik, ...
Deine Einschränkung auf einstimmige Musik ist gegenstandslos in Bezug auf meinen Beitrag, da meine These sich auf einstimmige Musik beschränkt.
Ave Maria Kecharitoméne, dominus tecum, benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui, Jesus. Sancta Maria, Theotókos, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

Juergen hat geschrieben:
Dienstag 2. April 2019, 16:49
...
Zuerst einige bekannte "Basics"
- Die Tonleiter hat 12 (Halb)Töne
...
Einspruch, Euer Ehren.
Wenn schon, müsste es präziser heißen: „Seit der Neuzeit fing man an, die Oktave in 12 Halbtonschritte zu unterteilen und dementsprechend 12 Töne zu verwenden.“
In der Zeit vor der Renaissance, in der Kirchenmusik des Mittelalters, der Gregorianik, hatte man nur ein Repertoire von 8 Tönen. Für diesen Tonvorrat war die ursprüngliche einzig - die später pythagoreisch genannte - Stimmung ausreichend.
Mit der Entwicklung von Mehrstimmigkeit und Modulation wurden Schwächen der pythagoreischen Stimmung deutlich, zu deren Überwindung dann all die anderen Stimmungen entwickelt wurden.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von taddeo »

Volmar hat geschrieben:
Mittwoch 3. April 2019, 23:24
In der Zeit vor der Renaissance, in der Kirchenmusik des Mittelalters, der Gregorianik, ...
Ja was denn nun? :hmm: :achselzuck:
"In der Zeit vor der Renaissance, in der Kirchenmusik des Mittelalters" hat man schon ca. 400 Jahre lang mehrstimmig gesungen. Gregorianik allein gab es nur bis ca. 1100. Und selbst die Gregorianik kannte nicht nur diatonische Tonleitern mit 8 Tönen, sondern zumindest schon das b als zusätzlichen Halbton.

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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

taddeo hat geschrieben:
Donnerstag 4. April 2019, 00:11
Volmar hat geschrieben:
Mittwoch 3. April 2019, 23:24
In der Zeit vor der Renaissance, in der Kirchenmusik des Mittelalters, der Gregorianik, ...
Ja was denn nun?
:hmm: :achselzuck:
Was du willst. Mit jeder der drei aufgezählten Adverbiale ergibt der Satz jeweils einen Sinn.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

taddeo hat geschrieben:
Donnerstag 4. April 2019, 00:11
Volmar hat geschrieben:
Mittwoch 3. April 2019, 23:24
In der Zeit vor der Renaissance, in der Kirchenmusik des Mittelalters, der Gregorianik, ...
"In der Zeit vor der Renaissance, in der Kirchenmusik des Mittelalters" hat man schon ca. 400 Jahre lang mehrstimmig gesungen.
Das habe ich nicht bestritten.
Im übrigen widerlegst du mit diesem Hinweis, dass schon während des Mittelalters - also in pythagoreischer Stimmung - über 400 Jahre Mehrstimmigkeit gepflegt wurde, nicht mich, sondern Protasius, welcher behauptet hatte:
Protasius hat geschrieben:
Montag 18. Februar 2019, 08:36
... und die pythagoräische Stimmung ist aufgrund der Tatsache, daß nur Quinten und Oktaven rein sind, für sämtliche Mehrstimmigkeit (die nach Sacrosanctum Concilium ebenfalls einen Schatz der Kirchenmusik darstellt, der gepflegt werden soll) ungeeignet.
Zuletzt geändert von Volmar am Donnerstag 4. April 2019, 14:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Pythagoreische Stimmung

Beitrag von Volmar »

taddeo hat geschrieben:
Donnerstag 4. April 2019, 00:11
Volmar hat geschrieben:
Mittwoch 3. April 2019, 23:24
In der Zeit vor der Renaissance, in der Kirchenmusik des Mittelalters, der Gregorianik, ...
Und selbst die Gregorianik kannte nicht nur diatonische Tonleitern mit 8 Tönen, sondern zumindest schon das b als zusätzlichen Halbton.
Wegen der gleichen Tonigkeit des ersten und letzten Tones der diatonischen Tonleiter spricht man von 7 echt verschiedenen Tönen. Deswegen werden sowohl die Kirchentonarten als die diatonischen Dur- und Molltonarten als heptatonisch (griech., „siebentönig“) bezeichnet. Siehe auch „Heptatonik“.
Nimmt man das b hinzu, sind wir bei 8.
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Juergen
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alles nur akademische Diskussionen

Beitrag von Juergen »

Das Problem mit den Stimmungen tritt doch nur (erst) dann auf, wenn ich ein Instrument benutze, welches in einer einzigen Stimmung gestimmt ist und nicht (oder nicht mit vertretbarem Aufwand) umgestimmt werden kann und welches ich für verschiedene Tonarten benutzen will.
Instrumente wie eine Geige oder steglose Saiteninstrumente können technisch gesehen problemlos jeden Ton produzieren. Bei klassischen Orgeln, mechanischen Klavieren oder auch Saiteninstrumenten mit Steg etc. muß man mit einer festen Stimmung zurande kommen.

Heutzutage ist die Technik zumindest bei elektronischen Instrumenten in der Lage auch Tasteninstrumente (elektr. Kirchenorgeln, Keyboard, Synthessizer, Digitalpianos/-cembalos) zu produzieren, die per einfachen Knopfdruck umgestimmt werden können.
Insofern ist es heutzutage möglich immer die reine Stimmung zu verwenden. – Es macht nur keiner.

Die Diskussion hier ist letztlich ein akademisches Gespräch im Elfenbeinturm.
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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taddeo
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Re: alles nur akademische Diskussionen

Beitrag von taddeo »

Juergen hat geschrieben:
Freitag 5. April 2019, 13:34
Heutzutage ist die Technik zumindest bei elektronischen Instrumenten in der Lage auch Tasteninstrumente (elektr. Kirchenorgeln, Keyboard, Synthessizer, Digitalpianos/-cembalos) zu produzieren, die per einfachen Knopfdruck umgestimmt werden können.
Insofern ist es heutzutage möglich immer die reine Stimmung zu verwenden. – Es macht nur keiner.
Das ist völlig korrekt. Ich hab eine kleine Digitalorgel in Gebrauch (Viscount Cantorum VI), die hat sechs verschiedene Stimmungen auf Knopfdruck parat. Für den Normalgebrauch - also Begleitung von Kirchenliedern - ist nur die "wohltemperierte" Stimmung brauchbar.

Und für das, was Volmar hier ins Gespräch gebracht hat - also eine Renaissance der Gregorianik - braucht man sich um Stimmungen sowieso nicht im mindesten zu scheren. Gregorianik ist reine Vokalmusik, und kein Sänger ist realistisch in der Lage, eine bestimmte "Stimmung" zu singen. Das ist auch überhaupt nicht nötig, solang keine Begleitung dabei ist.
Die Diskussion hier ist letztlich ein akademisches Gespräch im Elfenbeinturm.
Auch das ist völlig korrekt.

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