Abendmahl

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NurNochKatholisch
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Re: Abendmahl

Beitrag von NurNochKatholisch »

Niels hat geschrieben:Ich sehe da kein Problem, im Gegenteil. In dubio: consecratio sub conditione.
Im Zweifelsfall muss natürlich konsekriert werden, na klar! Aber wie kann es überhaupt so dubios werden, dass sich diese Frage überhaupt stellt? Und wer ist dafür verantwortlich? :/
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Niels
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Re: Abendmahl

Beitrag von Niels »

KatholischAB hat geschrieben: @Clemens: Was hindert dich denn daran, vorher schon konsekrierte von unkonsekrierten Partikeln zu trennen und zu unterscheiden? Ich finde deine "Notlösung" nicht wirklich gut.
Ich gehe davon aus, dass Clemens einen Fall beschreibt, wo er in einer fremden Kirche aushilft und ihm niemand genaue Auskünfte geben kann, ob etwas bereits konsekriert wurde oder nicht.
(Alles andere wäre in der Tat äußerst dubios.)
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Clemens
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Re: Abendmahl

Beitrag von Clemens »

Selbstverständlich handelte es sich um einen Fall, den ich nicht absichtlich herbeigeführt habe!
Das dürfte doch wohl jedem, der mich ein bisschen kennt, klar sein (danke Niels)!
(Wenn Mesnerinnen unbefugt - aber nach altem Brauch - dreinpfuschen, kann so etwas passieren.)
(In fremden evangelischen Kirchen dagegen muss ich normalerweise leider grundsätzlich davon ausgehen, dass NICHTS konsekriert wurde.)

Es ging mir nur um die grundsätzliche Frage zur Illustration des von Allons angesprochenen Problems.

NurNochKatholisch
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Re: Abendmahl

Beitrag von NurNochKatholisch »

Clemens hat geschrieben:Selbstverständlich handelte es sich um einen Fall, den ich nicht absichtlich herbeigeführt habe!
Das dürfte doch wohl jedem, der mich ein bisschen kennt, klar sein (danke Niels)!
Ich konnte es mir auch gar nicht so wirklich vorstellen ;-)
Clemens hat geschrieben:(Wenn Mesnerinnen unbefugt - aber nach altem Brauch - dreinpfuschen, kann so etwas passieren.)
:regel: Na gut, da haben wir sicherlich sehr unterschiedliche Verhältnisse.
Clemens hat geschrieben:(In fremden evangelischen Kirchen dagegen muss ich normalerweise leider grundsätzlich davon ausgehen, dass NICHTS konsekriert wurde.)
Das ist anzunehmen, zumal ja i.d.R. jegliche Intention bei deinen "Amtsgeschwistern" fehlt, irgendetwas zu wandeln... :(
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Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Ich hatte jetzt in Berlin Gelegenheit, mir das Buch von Hardt einmal etwas gründlicher anzusehen. Danach ist mir vieles deutlich klarer. Hardt analysiert die Wolferinusbriefe ausführlich (er zitiert auch aus dem lat. Original). Ebenso beschäftigt er sich mit dem Saligerschen Streit und dem Adorationsstreit ab ca. 1560, der ein interessantes Licht auf die besprochenen Fragen wirft und recht gut aufzeigt, wo zwischen Luther und Melanchthon die Trennlinien lagen - aber eben auch zwischen ihren Nachfolgern.

Festzuhalten ist für mich, daß eigentlich alle Konflikte, die hier angesprochen wurden, das Wesen der Elemente während der Feier der Messe zum Gegenstand haben. Sowohl Luther wie auch Melanchthon stimmten dem Grundsatz zu, daß es außerhalb des rechtmäßigen Gebrauches kein Sakrament gebe. Melanchthon ging dabei jedoch soweit, den "Gebrauch" auf den Empfang der Elemente zu reduzieren und die sumptio zur causa der Realpräsenz zu machen. Erst durch die sumptio konnte sichergestellt werden, daß Christus seine Gegenwart wirklich schenkte - daher konnte diese auch nur für den Moment des Genusses sicher behauptet werden. Kam es aus irgendeinem Grund nicht zum Verzehr der Gaben, wurden diese von M. nicht als konsekriert anerkannt. Sie konnten daher behandelt werden wie normales Brot und normaler Wein. Dies galt in letzter Konsequenz auch für die Gaben nach der Konsekration und vor dem Empfang, weshalb die Philippisten auch Nachkonsekrationen für unsinnig hielten.

Luther hingegen sah zwar die sumptio als Ziel der eucharistischen Handlung an, jedoch galt für ihn: Christus schenkt in der Konsekration seine Gegenwart, damit wir die heiligen Gaben empfangen. Für ihn und die Gnesiolutheraner galt also die Realpräsenz von der Konsekration bis zum Verzehr. Sie galt auch für die Reliquia während der Feier der Messe. Luther und seine direkten Nachfolger übten daher auch die Elevation und die Adoration der geweihten Gaben.

In all diesen Diskussionen spielte jedoch die Frage nach dem Wesen der Gaben nach Abschluß der Messe so gut wie keine Rolle. Luther bestand auf einem vollständigen Verzehr am Ende der Messe, weshalb sich das Problem nicht stellte. Für die Melanchthonianer stellte sich das Problem nicht, da für sie eine dauerhafte Konsekration gar nicht stattfand, die Gaben waren nach der Messe für sie wieder Brot und Wein. Dies wäre also die Position von Pastor Wolferinus, wobei Luther ihn ermahnt, die Gaben während der Messe als Leib und Blut Christi anzusehen und am Ende vollständig zu verzehren.

Aus dem wenigen, das man bei Luther findet, schließt Hardt jedoch, daß Luther nicht an eine unbedingte Fortdauer der Realpräsenz glaubte. Luther wollte zu diesem Thema keine definitiven Aussagen machen. Für ihn war die Realpräsenz während der Messe das zu sichernde Glaubensgut, alles Weitere Spekulation.

Hardt schreibt:
"Genausowenig wie seine gensiolutherischen Nachfolger wollte Luther (...) behaupten, daß eine nach der Messe übriggebliebene Hostie der Leib Christi wäre." (S. 263).

Ebenso habe Luther die Möglichkeit eingeräumt, daß das Fehlen des stiftungsgemäßen Gebrauchs das Heilige exsekriere.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Aufbewahrung der geweihten Gaben. Es scheint, daß Luther und die Gnesiolutheraner auch bei den aufbewahrten Gaben nicht von einer fortdauernden Präsenz ausgingen. Hardt zitiert einen der Gnesiolutheraner (Wigand), der die Meinung vertritt, daß die solcherart aufbewahrten Gaben nicht mehr als Blut und Leib Christi anzusehen seien, da niemand da sei, der sie empfing. (S. 292). Die Elemente sollen zwar aufbewahrt und bei der nächsten Sakramentsfeier wieder verwendet werden, jedoch seien dann die Einsetzungsworte erneut über ihnen zu sprechen. Insofern ist die weitere Verwendung von Tabernakeln in lutherischen Kirchen kein direkter Beleg für den Glauben an ein Bleiben der Realpräsenz nach Abschluß der Messe.

Tom Hardt komentiert: "Gleich wie Luther räumt er (i.e. Wigand) ein Aufhören der Gegenwart für den Fall ein, daß die Sumptio nicht geschehen kann." (S. 292)
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Evagrios Pontikos
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Lieber Stephen,

aufgrund Deiner Bemerkung zum lutherischen Eucharistieverständnis des 16. Jahrhunderts bei unserem Austausch über Schleiermacher (der Thread zu Nikolaus Schneider), habe ich Deine Beiträge hier im Abendmahls-Thread nochmals angeschaut. Ein paar Dinge sind mir nicht klar. Wenn ich es richtig verstehe, meinst Du, Luther wäre nicht von einer fortdauernden Präsenz Christi in den konsekrierten Gaben ausgegangen. Sehe ich das richtig? Wenn dies so ist, dann sind mir allerdings ein paar Dinge bei Luther nicht klar:

- Nachweislich leckte Luther mehrmals unter Tränen konsekrierten Wein vom Boden auf, der bei der Kommunion versehentlich verschüttet worden war.
- Auch ließ er nachweislich eine Kommunionsbank, auf die konsekrierter Wein getropft worden war, abhobeln und die Späne verbrennen.
- Gleiches tat er mit Kleidungsstücken, auf die konsekrierter Wein getropft war.

Bei all diesen Fällen ist davon auszugehen, dass der so verschüttete Wein nicht getrunken wird, also keine sumptio stattfindet (um Dein Zitat von T. Hardt, S. 292 aufzugreifen). Warum dann dieser Aufwand, wenn in diesem Fall die Realpräsenz aufhören würde? Und wenn Luther tatsächlich so dachte, müsste ich ihn fragen: Kann überhaupt die Realpräsenz kasuistisch gefasst werden, sprich: hängt sie von unserer Definition ab, welchen konsekrierten Wein wir als solchen ansehen, der noch die Chance hat, konsekriert zu werden, und welchen nicht? Schließlich hängt die Realpräsenz doch nicht an unserem Glauben und Meinen, ob noch eine sumptio stattfinden könnte oder nicht, sondern an Gottes segnendem Wort. So müsste ich Luther fragen.

Hinzu kommt ein grundsätzlicher Gedanke: Luthers Denkmodell der Realpräsenz ist die Zweinaturenlehre Christi: Wie sich in Christus Mensch und Gott unvermischt und ungetrennt etc. verbinden, so verbinden sich nach Luther in den Gaben bei der Konsekration Brot und Leib bzw. Wein und Blut Christi. Von diesem Denkmodell her ist doch davon auszugehen, dass die Realpräsenz so lange fortdauert, wie das Brot Brot und der Wein Wein ist (so lehrt es m. W. auch die orthodoxe und die katholische Kirche). Denn die Doppelnatur Christi hat ja mit seiner Himmelfahrt auch nicht aufgehört, sondern dauert fort in Ewigkeit. Insofern müsste ein Aufhören der Realpräsenz und nicht ihr Fortdauern begründet werden, wenn als Denkmodell die Zweinaturenlehre dient. Ich sehe aber nicht, wie ein solches Aufhören begründet werden könnte, wenn damit nicht das Denkmodell an sich angetastet und dieses somit seine Stringenz verlieren würde.

Nehme ich beides zusammen, also Luthers Denkmodell der Realpräsenz und seine persönliche Praxis der Abendmahlsverwaltung, so kann ich es mir nicht vorstellen, dass er keine fortdauernde Abendmahlspräsenz geglaubt hätte. Dies umso mehr, als im Tabernakel für eine mögliche Krankenkommunion aufbewahrte konsekrierte Elemente ja als konsekriert geglaubt wurden unabhängig von einem tatsächlich eintretenden Fall einer Krankenkommunion. Denn ob nicht tatsächlich noch eine sumptio geschieht, lässt sich ja nicht von vorneherein absehen. Deshalb würde eine mögliche sumptio, die ja immer gegeben ist, eine fortdauernde Realpräsenz implizieren. Dies wäre allerdings nur unser Erkenntnisvorgang. Ontologisch sähe es andersherum aus: Weil die Elemente Leib und Blut Christi sind und bleiben (hier sei das lutherische est vom Marburger Religionsgespräch zitiert), können sie bei einer möglichen Krankenkommunion verwendet werden. Und diese Einwände und Erwägungen müssten eigentlich die Gnesiolutheraner des 16. Jahrhunderts doch wohl auch reflektiert haben. Aber ob dem so ist? Dazu liegt meine Lektüre von Tom Hardt schon zu lange zurück.

Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Wenn ich es richtig verstehe, meinst Du, Luther wäre nicht von einer fortdauernden Präsenz Christi in den konsekrierten Gaben ausgegangen. Sehe ich das richtig?
Ich sehe keine überzeugenden und eindeutigen Anhaltspunkte dafür, daß Luther von einer dauerhaften Realpräsenz ausging. Was Du andeutest, sind letztlich Extrapolationen. Einige der Beispiele könnte man in der Tat so deuten, wie Du es tust. Daß Luther allerdings während der Messe verschütteten Wein mit dem Mund aufnimmt, läßt sich auch mit dem Glauben an eine Realpräsenz in usu erklären.

Hätte Luther an eine dauerhafte Realpräsenz außerhalb der Messe geglaubt, blieben ebenso viele Frage offen. Mir wäre dann nicht klar, warum Luther nicht deutlicher die Kontinuität mit dem alten Glauben betont hat. Warum hat er in entsprechenden Streitigkeiten signalisiert, es sei seiner Meinung nach 'ausreichend', wenn die Elemente während der Feier (in usu) als Leib und Blut Christi angesehen und verehrt würden? Warum hat er die Diskurspartner dazu angehalten, die gesamte Feier der Messe als usus anzusehen und nicht klar gesagt, daß nach der Konsekration die Realpräsenz bis Konsumption oder bis zum Zerfall der Elemente besteht? So, wie Luther sich in diesem Streit geäußert hat, mußten seine Gesprächspartner davon ausgehen, daß Luther der Begrenzung der Realpräsenz auf den usus zugestimmt habe - dieser Usus aber bis zum Ende der Messe bestehe (also etwas länger als sie angenommen hatten).

Luther äußert sich also nicht nur eindeutig in dieser Frage, er akzeptiert unter seinen engsten Mitarbeitern auch die Ansicht, daß eine Realpräsenz klar zeitlich begrenzt sei (in usu) und außerhalb der Feier kein Sakrament sei.

Der zweite Punkt - und darin hat mich die Lektüre Tom Hardts bestärkt: Selbst unter den Gnesiolutheranern des 16. Jahrhunderts findet sich keiner, der diese Ansicht explizit so vertreten hätte.

Aus allem, was mir bisher an Informationen zu diesem Thema zugänglich war, schließe ich daher:

1. Der Glaube an eine dauerhafte (absolute) Realpräsenz in den konsekrierten Elementen wurde im Luthertum des 16. Jahrhunderts auch von den Gnesiolutheranern nicht vertreten. (Einzige mögliche Ausnahme: Die zeitlich begrenzte Aufbewahrung zur sumptio in der Krankenkommunion).

2. Ob Luther selbst an eine solche zeitlich unbegrenzte Realpräsenz geglaubt hat, ist unklar. Es deutet einiges darauf hin, daß Luther eine solche Ansicht selbst als spekulativ angesehen hat.*

*Das würde dann auch das Vorgehen Luthers im Falle des Verschüttens von konsekriertem Wein auf die Gewänder und die Kommunionbank erklären. Wenn er sich nicht im Klaren darüber war, wie lange die Realpräsenz dauerte und was der Charakter der Elemente nach der Feier der Messe war, ergibt sein Handeln im Sinne einer Vorsichtsmaßnahme Sinn, muß aber nicht als zwingender Beleg für seinen Glauben an eine dauerhafte Realpräsenz gesehen werden.

Lutheraner, die heute eine dauerhafte Realpräsenz in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein annehmen, gehen daher m. E. nicht nur über das Luthertum des 16. Jahrhunderts hinaus, sondern auch über das, was wir mit einiger Sicherheit über Luthers Ansicht in der Frage sagen können.

Was natürlich nicht heißt, daß sie darin irren. ;)
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Evagrios Pontikos
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Ich versuche, für mich selbst einmal eine Zusammenfassung und Bewertung:

Ich möchte daran festhalten, dass Luther so gedeutet werden kann, wie ich es tue. Für mich verliert der lutherische Realpräsenzglauben, der ja von der Christologie, von der Zweinaturenlehre, her denkt, seine Stringenz, wenn die bleibende Realpräsenz aufgegeben wird, welche von Luther durch seine Abendmahlspraxis aber bezeugt wird. (Luther war sich im Klaren, dass seine Praxis entsprechend interpretiert wird. Ansonsten hätte er sie deutlich erklären müssen, was er aber nicht tat. Die Praxis redet mehr als Worte.) Ein Realpräsenzglaube, der von der "sakramentalen Einung" her denkt, ganz egal, ob dieser nun als Transsubstantiationslehre gedacht wird oder mit Luther als Einung von Element und Leib/Blut Christi analog der beiden Naturen in Christus, muss den Gedanken der bleibenden Realpräsenz nicht begründen. Die christologische Begründung beinhaltet ihn. Die Beweislast liegt deshalb beim Gegner, der keine bleibende Realpräsenz vertritt, und nicht beim Befürworter. Aus diesem Grund denke ich hochkirchlich.

Hinzu kommt der Brauch der Kirche, die konsekrierten Elemente für eine mögliche Krankenkommunion aufzubewahren. Dies war Praxis von Anfang an. So bezeugen es die Väter. Und so war es schon immer Konsens der Kirche. Anfangs behielt die lutherische Kirche diese Praxis bei. Dies bedeutet aber: Für die aufbewahrten konsekrierten Elemente muss offensichtlich eine bleibende Realpräsenz über das Ende des Gottesdienstes (Schlusssegen) hinaus angenommen werden. Lässt sich diese auf Elemente beschränken, die der sumptio dienen sollen? Nein, denn bei für eine mögliche Krankenkommunion aufbewahrten konsekrierten Gaben kann nie gesagt werden, ob es zu einer tatsächlichen sumptio kommt. Daraus folgt, so meine ich, zwangsläufig, dass eine dauernde Präsenz unabhängig von der beabsichtigten sumptio geglaubt werden muss, weil wir eben nicht definieren können, ob tatsächlich eine sumptio erfolgt oder nicht. Außerdem kann die Realpräsenz nach lutherischer Auffassung nicht von unserem Meinen abhängig sein. Sollten die Gnesiolutheraner anders gedacht haben, so leuchtet mir das nicht ein.

Über Luthers eigenartiges Schwanken, seine Undeutlichkeit etc., auf welches Stephen ja zu Recht hinweist, denke ich folgendes: Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass Luther zu jener Spätzeit seines Lebens im Blick auf die Abendmahlstheologie schon sehr resigniert hatte. Es gibt manche Äußerungen aus jener Zeit, wo er z.B. ganz und gar resignierend sagt, sollte nichts von seinem Werk bestehen bleiben (womit er offenbar rechnete), so doch wenigstens sein Hass gegen den Papst. Ich denke, Luther hatte resigniert und war schon damit zufrieden, dass wenigstens innerhalb des Gottesdienstes eine vernünftige Praxis erhalten werden konnte. Er wollte retten, was zu retten war. Er merkte wohl, dass die Kirchen der CA theologisch schon sehr inhomogen geworden waren und letztlich der politische Druck von katholischer Seite ( 1546 kam es ja dann zum Schmalkaldischen Krieg) einen Zusammenhalt der evangelischen Territorien beinahe um jeden Preis notwendig machte. Bei dieser Entwicklung zur Inhomogenität spielt Melanchthon als der lutherische Dogmatiker und Mann der ersten Stunde eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass Luther Alttestamentler und nicht Systematiker war. Sonst hätte er wohl deutlicher gesehen, dass seine Begründung der Abendmahlslehre von der Christologie her eigenartig inkonsequent blieb, wenn er die theologische Inhomogenität in seinen Reihen duldete. Außerdem machte sich in der Spätzeit Luthers schon die Tendenz der Konfessionalisierung in den evangelischen Reihen bemerkbar, d.h. ein Selbstbild, das sich mehr und mehr durch die Abgrenzung gegen die katholische Kirche definierte. Welch ein Unterschied etwa ist die CA zum Tractatus, obwohl beide Texte von Melanchthon verfasst sind. Oder man vergleiche Luthers tolerante Haltung gegenüber der Transsubstantiationslehre mit der Verwerfung derselben in der Konkordienformel. Auch dies begünstigte eine sukzessive Aufgabe der bleibenden Realpräsenz. Es wurde zum Kennzeichen des "Katholischen" wie auch das Kreuzzeichen. So würde ich die Situation des späten Luther einschätzen.

Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Ich versuche, für mich selbst einmal eine Zusammenfassung und Bewertung:

Ich möchte daran festhalten, dass Luther so gedeutet werden kann, wie ich es tue.
Deine persönliche Meinung bleibt Dir natürlich unbenommen.
Für mich verliert der lutherische Realpräsenzglauben, der ja von der Christologie, von der Zweinaturenlehre, her denkt, seine Stringenz, wenn die bleibende Realpräsenz aufgegeben wird, welche von Luther durch seine Abendmahlspraxis aber bezeugt wird. (Luther war sich im Klaren, dass seine Praxis entsprechend interpretiert wird. Ansonsten hätte er sie deutlich erklären müssen, was er aber nicht tat. Die Praxis redet mehr als Worte.)
Wie oben erläutert, lassen sich die überlieferten Augenzeugenberichte wesentlich besser mit den schriftlichen Quellen in Einklang bringen, wenn man - wie Tom Hardt - unterstellt, daß Luther Annahmen über eine dauerhafte Realpräsenz als spekulativ verworfen hat.
Ein Realpräsenzglaube, der von der "sakramentalen Einung" her denkt, ganz egal, ob dieser nun als Transsubstantiationslehre gedacht wird oder mit Luther als Einung von Element und Leib/Blut Christi analog der beiden Naturen in Christus, muss den Gedanken der bleibenden Realpräsenz nicht begründen. Die christologische Begründung beinhaltet ihn. Die Beweislast liegt deshalb beim Gegner, der keine bleibende Realpräsenz vertritt, und nicht beim Befürworter. Aus diesem Grund denke ich hochkirchlich.
Das heißt natürlich Luthers Denken eine Konsistenz und Systematik zu unterstellen, die es leider selten aufweist (wie Du weiter unten auch zugestehst).
Hinzu kommt der Brauch der Kirche, die konsekrierten Elemente für eine mögliche Krankenkommunion aufzubewahren. Dies war Praxis von Anfang an. So bezeugen es die Väter. Und so war es schon immer Konsens der Kirche. Anfangs behielt die lutherische Kirche diese Praxis bei. Dies bedeutet aber: Für die aufbewahrten konsekrierten Elemente muss offensichtlich eine bleibende Realpräsenz über das Ende des Gottesdienstes (Schlusssegen) hinaus angenommen werden. Lässt sich diese auf Elemente beschränken, die der sumptio dienen sollen? Nein, denn bei für eine mögliche Krankenkommunion aufbewahrten konsekrierten Gaben kann nie gesagt werden, ob es zu einer tatsächlichen sumptio kommt. Daraus folgt, so meine ich, zwangsläufig, dass eine dauernde Präsenz unabhängig von der beabsichtigten sumptio geglaubt werden muss, weil wir eben nicht definieren können, ob tatsächlich eine sumptio erfolgt oder nicht. Außerdem kann die Realpräsenz nach lutherischer Auffassung nicht von unserem Meinen abhängig sein. Sollten die Gnesiolutheraner anders gedacht haben, so leuchtet mir das nicht ein.
Hardts Verweis auf Wigand macht deutlich, daß man unter den Gnesiolutheranern offenbar der Meinung war, daß solcherart aufbewahrte Elemente neu zu konsekrieren seien. Die Spannung bleibt also bestehen. Wenn Du recht hast, dann hätten sich die Gnesiolutheraner des 16. Jahrhunderts geirrt? Wenn aber schon deren Auffassung nicht 'lutherisch' war, dann bin ich als Nichtlutherane doch wenigstens zurecht verwirrt... :)
Über Luthers eigenartiges Schwanken, seine Undeutlichkeit etc., auf welches Stephen ja zu Recht hinweist, denke ich folgendes: Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass Luther zu jener Spätzeit seines Lebens im Blick auf die Abendmahlstheologie schon sehr resigniert hatte.
Diese Frage halte ich nun für das Abendmahlsverständnis für sehr zentral. Luther war nicht zimperlich und gab seine Meinung gern sehr deutlich bekannt - im Abendmahlsstreit mit den Reformierten ließ er an seiner Auffassung keine Zweifel aufkommen und wollte lieber Leib und Blut des Herrn mit den Katholischen haben als Brot und Wein mit den Reformierten. Warum soll man also annehmen, daß er aus 'Resignation' im eigenen Lager seine Meinung in dieser zentralen Frage so sehr zurückgehalten hätte, um den 'Burgfrieden' nicht zu gefährden? Die Gefahr des Mißbrauchs oder des unwürdigen Umgangs mit den euch. Gaben hätte Luthers Gewissen dann doch sehr belastet.

Auch hier erscheint mir Luthers Position am ehesten nachvollziehbar, wenn man annimmt, er habe entweder eine dauerhafte Realpräsenz abgelehnt oder das Nachdenken darüber für spekulativ erachtet. Im letzteren Fall konnte er die philippistischen Positionen tolerieren, solange seine Regeln (kompletter Verzehr der euch. Gaben bis zum Ende der Messe) eingehalten wurden.
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Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Noch eine Nachfrage:

soweit ich es überblicken kann, wird in der gängigen Lutherforschung nirgendwo vertreten, Luther oder das Frühluthertum habe eine dauerhafte Realpräsenz gelehrt. Allgemein liest man, daß im Frühluthertum die Lehre von der Realpräsenz in usu gelehrt wurde. Auch bei Tom Hardt findet man eine entsprechende These nicht, das haben wir oben ausführlich diskutiert . Gibt es überhaupt Lutherforscher, die sie explizit vertreten? Diestelmann, Sasse?
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Evagrios Pontikos
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Hinzu kommt der Brauch der Kirche, die konsekrierten Elemente für eine mögliche Krankenkommunion aufzubewahren. Dies war Praxis von Anfang an. So bezeugen es die Väter. Und so war es schon immer Konsens der Kirche. Anfangs behielt die lutherische Kirche diese Praxis bei. Dies bedeutet aber: Für die aufbewahrten konsekrierten Elemente muss offensichtlich eine bleibende Realpräsenz über das Ende des Gottesdienstes (Schlusssegen) hinaus angenommen werden. Lässt sich diese auf Elemente beschränken, die der sumptio dienen sollen? Nein, denn bei für eine mögliche Krankenkommunion aufbewahrten konsekrierten Gaben kann nie gesagt werden, ob es zu einer tatsächlichen sumptio kommt. Daraus folgt, so meine ich, zwangsläufig, dass eine dauernde Präsenz unabhängig von der beabsichtigten sumptio geglaubt werden muss, weil wir eben nicht definieren können, ob tatsächlich eine sumptio erfolgt oder nicht. Außerdem kann die Realpräsenz nach lutherischer Auffassung nicht von unserem Meinen abhängig sein. Sollten die Gnesiolutheraner anders gedacht haben, so leuchtet mir das nicht ein.
Hardts Verweis auf Wigand macht deutlich, daß man unter den Gnesiolutheranern offenbar der Meinung war, daß solcherart aufbewahrte Elemente neu zu konsekrieren seien. Die Spannung bleibt also bestehen. Wenn Du recht hast, dann hätten sich die Gnesiolutheraner des 16. Jahrhunderts geirrt? Wenn aber schon deren Auffassung nicht 'lutherisch' war, dann bin ich als Nichtlutherane doch wenigstens zurecht verwirrt... :)
Neu konsekrieren? Warum dann die Aufbewahrung im Tabernakel? Das widerspricht sich! Auch kann Luthers Praxis im Blick auf das Abhobeln der Kommunionbank und des Verbrennens von Kleidungsstücken, die ja deutlich redet und von ihm nicht kommentiert wurde, nicht so einfach abgetan werden, wie Du es versuchst.* Mich überzeugt das nicht.

* Eine kleine Episode, die ich beim Blättern in Diestelmanns Buch "Usus und Actio" gefunden habe: Ein Mann verstarb beim Empfang des konsekrierten Brotes, noch bevor er es schlucken konnte. Nachdem der Gottesdienst zu Ende war, stellte sich die Frage, wie nun mit dem Brot umzugehen sei. Luther ordnete an, dass das Brot verbrannt werde.

An dieser Stelle muss ich nun eine Zwischenfrage einfügen. Du sagst, dass kein Gnesiolutheraner die bleibende Realpräsenz vertreten hätte. Wie ist es dann mit Johann Hachenburg*? Diestelmann geht in seinem Buch "Usus und Actio" (S. 141ff) ausführlich auf Hachenburgs zwei Bücher gegen die "neuen Zwinglianer" ein. Dann referiert er Hachenburgs Kommentar zu Luthers zweitem Wolferinusbrief. Hachenburgs Kernaussagen: Nach Luther dauere die actio sacramentalis bis zum restlichen Verzehr alles dessen, was konsekriert wurde. Deshalb, so Hachenburg, irren alle, die das übriggebliebene Sakrament für kein Sakrament mehr halten würden. Hachenburg sagt, dass die nihil-habet-regel nach Luther nur auf die papistischen Missbräuche ("relatiue ad extra") anzuwenden sei, nicht aber auf das übrig gebliebene Sakrament. Hachenburg sagt, dass nach Luthers Meinung das übriggeblieben Sakrament nach dem Gottesdienst von den noch anwesenden Teilnehmern verzehrt werden solle, "welchen befehl er nun nicht würde gethan haben / wenn er das vbrige Sacrament für ein lauter Element gehalten hette." Hachenburg ist der Meinung, dass die Realpräsenz über den Gottesdienst hinaus andauert und dass dies auch die Meinung Luthers gewesen sei. Dies wird noch unterstrichen, wenn er betont, dass auch das versehentlich auf die Erde gefallene bzw. getropfte Sakrament weiterhin bleibend Sakrament sei. Wieder zieht er als Beleg Luthers Praxis heran, nämlich eben jene Episode mit der Frau, die versehentlich etwas vom konsekrierten Wein verschüttet habe. Hachenburg deutet Luthers Praxis in der Weise, dass das Sakrament auch über das Ende des Gottesdienstes hinaus ein Sakrament bleibe. Bei Hachenburg kann also keine Rede davon sein, dass er die reliqua nur aus Zweifelsgründen aufaß/austrank, sondern weil er davon überzeugt war, dass sie auch weiterhin das Sakrament seien. Und er war davon überzeugt, dass dies auch Luthers Meinung gewesen sei. Auch kann sich T. Hardt mit seiner Aussage, die Realpräsenz höre nach Meinung der Gnesiolutheraner auf, wo keine sumptio geschehen könne, nicht auf Hachenburg berufen. Denn Hachenburg sah ja das versehentlich heruntergefallene Sakrament, das vielleicht erst nach Tagen bemerkt wurde, immer noch als Sakrament an.

*Johann Hachenburg studierte ab 1529 an der Universität Wittenberg, kannte Luther also noch persönlich. Ab 1540 war er Pfarrer in Erfurt, ab 1543 Superintendent in Weißensee nördlich von Erfurt. Er starb 1562.

Insofern kann ich Deine Meinung, kein Gnesiolutheraner hätte die bleibende Reealpräsenz vertreten, nicht teilen.
Zuletzt geändert von Evagrios Pontikos am Freitag 5. August 2011, 12:36, insgesamt 1-mal geändert.

Evagrios Pontikos
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Noch eine Nachfrage:

soweit ich es überblicken kann, wird in der gängigen Lutherforschung nirgendwo vertreten, Luther oder das Frühluthertum habe eine dauerhafte Realpräsenz gelehrt. Allgemein liest man, daß im Frühluthertum die Lehre von der Realpräsenz in usu gelehrt wurde. Auch bei Tom Hardt findet man eine entsprechende These nicht, das haben wir oben ausführlich diskutiert . Gibt es überhaupt Lutherforscher, die sie explizit vertreten? Diestelmann, Sasse?
Diestelmann ist in seinem Buch "Usus und Actio" folgender Meinung: Actio sacramentalis und Dauer der Realpräsenz sind für Luther nicht dasselbe, was Melanchthon anders sieht. Die actio sacramentalis beginnt für Luther mit der oratio Dominica und endet mit der Entlassung des Volkes aus dem Altarraum. (Strittig ist, was oratio Dominica meint: das Vaterunser, das im lutherischen Gottesdienst vor dem Einsetzungsworten stand, oder die Einsetzungsworte selbst? Diestelmann vertritt ersteres.) Demgegenüber endet die Realpräsenz erst mit der sumptio der reliqua und der ablutio calicis. Nach Diestelmann sind also die reliqua immer noch Sakrament.

Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Neu konsekrieren? Warum dann die Aufbewahrung im Tabernakel? Das widerspricht sich!
Eine Frage, die Du nicht mir stellen mußt.
Ich sehe aber nicht notwendigerweise einen Widerspruch. Die Tabernakel waren ja - als Sakramentnischen oder Sakramentshäuser - Teil des Kirchenraums. Wenn nun Elemente nach der Messe aufbewahrt werden sollten, boten sie sich an. Eine Benutzung der Tabernakel zum Aufbewahren der reliqua heißt aber nicht notwendigerweise, daß diese auch weiterhin im Sinne der Realpräsenz verstanden wurden. Eine Verehrung der Gaben außerhalb der Messe wurde durch Luther ja ohnehin abgelehnt. Und wenn Wigand schreibt, daß neu konsekriert werden müsse, läßt das den Schluß zu, daß eine Aufbewahrung nicht per se so gedeutet werden kann, als wäre man von einer andauernden Realpräsenz ausgegangen.

Auch kann Luthers Praxis im Blick auf das Abhobeln der Kommunionbank und des Verbrennens von Kleidungsstücken, die ja deutlich redet und von ihm nicht kommentiert wurde, nicht so einfach abgetan werden, wie Du es versuchst.*
Bitte! Ich habe das nicht 'einfach abgetan', sondern eine Erklärungsoption dafür angeboten, die ich für schlüssig halte.
An dieser Stelle muss ich nun eine Zwischenfrage einfügen. Du sagst, dass kein Gnesiolutheraner die bleibende Realpräsenz vertreten hätte. Wie ist es dann mit Johann Hachenburg*?
Jetzt drehen wir uns im Kreis. Auch das Beispiel Hachenburgs bewegt sich ja im Kontext der Diskussion, wie die eucharistischen Gaben nach der Kommunion bis zum Verzehr am Ende oder kurz nach Ende des Gottesdienstes zu behandeln seien. Wir haben nun schon des langen und breiten diskutiert, daß Luther im Gegensatz zu den Philippisten der Meinung war, daß auch die bei der Kommunion übriggebliebenen Gaben als Leib und Blut Christi anzusehen seien, bis sie am Ende (oder direkt nach dem Ende des Gottesdienstes) von den Anwesenden verzehrt würden. Luther bestand auf dieser Praxis - darauf weist auch Hachenburg zurecht hin.

Es gibt aber nun weder hier bei Hachenburg noch in den Wolferinusbriefen oder sonstwo irgendeinen Anhaltspunkt, den Geltungsbereich der gemachten Aussagen auf einen Zeitpunkt auszudehnen, der jenseits dieser vorausgesetzten sumptio am Ende oder kurz nach Ende des Gottesdienstes liegt. Ich gehe davon aus, daß sich der Verweis auf das vielleicht erst nach Tagen entdeckte Brotstück auf dem Boden nicht bei Hachenburg findet, sondern von Dir hier eingefügt wurde. Das generelle Problem, das ich bei Diestelmann habe, ist sein fortwährender Versuch, die Betonung der Realpräsenz, die Luther und die Gnesiolutheraner für den Bereich des usus angenommen haben, auf den zeitlichen Bereich außerhalb dieses unstrittigen usus ausdehnen zu wollen. Daß Luther diesen usus bis zum Ende des Gottesdienstes und die dann erfolgende sumptio durch die Anwesenden definierte, ist doch ebenso unstrittig.

Aber mehr eben auch nicht. Der Argumentation, wenn die Realpräsenz bis zu diesem Punkte bestehe, dann müsse sie notwendigerweise auch dauerhaft danach bestehen, ist im frühen Luthertum so nicht zu finden. Wenn man sich überhaupt einmal der Frage zuwandte, wie die Gaben zu behandeln seien, wenn die oben thematisierte sumptio am Ende des Gottesdienstes nicht stattfinde (Belege bei Tom Hardt) ist auch unter den Gnesiolutheranern die Ansicht vertreten worden, daß es dann zu einer exsecratio komme oder kommen könne, daß also eine Realpräsenz dann nicht mehr mit Sicherheit angenommen werden könne.

Daraus folgt auch die Praxis, die Elemente nicht mehr zur Verehrung oder für später folgende Gottesdienste aufzubewahren. Einzige Ausnahme bildet ganz offenbar die altkirchliche Praxis der Krankenkommunion als extensio des usus.

Alle anderen Annahmen sehe ich als Extrapolationen, die durch die Quellen nicht gedeckt sind.

(Natürlich kann man für sich persönlich daraus ableiten, an eine dauerhafte Realpräsenz zu glauben. Das ist völlig legitim. Aber man sollte nicht soweit gehen, dies in die Quellen hineinzulesen.)
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Evagrios Pontikos
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Du meinst, dass Luthers Praxis des Verbrennens etc. auch mit der Auffassung des Sakraments in usu vereinbar sei. Sehe ich das richtig?

Dann aber wäre ja die zeitliche Dauer des usus prinzipiell nicht mehr begrenzbar, meine ich. Zeitlich Begrenzbar ist lediglich die actio (Entlassung aus dem Altarraum als Ende der actio). Weil dem konsekrierten Element die Möglichkeit des usus innewohnt, würde dann ja eine Dauer der Realpräsenz nicht mehr fixierbar sein. Ein bloßer Hinweis darauf, dass dies spekulativ sei, würde irgendwie nicht befriedigen. Insofern würde ich die gnesiolutherische Position, dass die reliqua zwar weiterhin ein Sakrament seien und nach der actio (Entlassung/Schlussegen) konsumiert werden sollen, die reliqua im Tabernakel aber ein paar Tage später nicht, nicht ganz nachvollziehen können. Hier würde die Realpräsenz zu einer Frage der Wertung. Und das hätte doch den Gnesiolutheranern auch auffallen müssen?

Denn es ist ja klar, dass die Realpräsenz nicht an unserer Wertung festgemacht werden kann: "Das ist noch Brot im Zusammenhang des Gottesdienstes und deshalb der Leib Christi; das aber nicht mehr... Dieses Brot soll als Krankenabendmahl dienen, dieses nicht mehr...". Nicht vorstellen kann ich mir, dass die Gnesiolutheraner eine solche Wertungstheologie vertreten hätten. Dann hätten sie die urlutherische Auffassung von der schöpferischen Wirkmächtigkeit des Wortes Gottes aufgegeben, nach der nicht der Glaube das Sakrament macht, sondern das Sakrament den Glauben.

Es muss ja umgekehrt sein: Weil das Brot Leib Christiist, werten wir es als Leib Christi. D.h.: Wir vollziehen beim gläubigen Empfang des Abendmahls eine ontologische Wertung, aus der ja für Lutheraner auch die manducatio impiorum folgt. Wenn aber das Sein des Sakraments unabhängig ist von unserer Wertung, dann kann die Realpräsenz eigentlich nicht zeitlich begrenzt gedacht werden. Die einzige Begrenzung, die mir einleuchtet, ist die durch das Sein des Elements: wenn das Brot aufhört Brot zu sein, hört die Realpräsenz auf. Aber mir ist klar, dass wir uns wieder im Kreis bewegen...

Wie siehst Du persönlich die Dauer der Realpräsenz, Stephen?

Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Du meinst, dass Luthers Praxis des Verbrennens etc. auch mit der Auffassung des Sakraments in usu vereinbar sei. Sehe ich das richtig?
Ja. Ich sehe bei Luther einerseits das Bemühen, für den liturgischen Vollzug die Realpräsenz unmißverständlich zu glauben und zu bekennen. Für Luther kann vom Moment der Konsekration an bis zum Verzehr (und dies gilt sowohl für den Akt der Kommunion wie den Verzehr der reliqua) sicher geglaubt werden, daß eine Realpräsenz besteht. Ob es darüber hinaus eine Realpräsenz gibt, beantwortet Luther nicht eindeutig positiv - er schließt es aber auch nicht eindeutig aus. Mit dieser Grundhaltung ist m. E. durchaus vereinbar, daß er sich im Zweifelsfall so verhalten hat, wie die Tradition ihm dies vorschrieb (Verbrennen des Gewandes), von seinen Mitarbeitern einen solchen Realpräsenzglauben für den Bereich außerhalb des usus aber an keiner Stelle eingefordert hat.
Wie siehst Du persönlich die Dauer der Realpräsenz, Stephen?
Ich praktiziere die Verehrung der eucharistischen (geweihten) Gaben auch außerhalb der Messe. Ich habe keine Probleme mit eucharistischer Adoration, euch. Prozessionen (Corpus Christi) und Kommunion mit vorgeweihten Gaben (wie wir es etwa am Karfreitag praktizieren).
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Ich praktiziere die Verehrung der eucharistischen (geweihten) Gaben auch außerhalb der Messe. Ich habe keine Probleme mit eucharistischer Adoration, euch. Prozessionen (Corpus Christi) und Kommunion mit vorgeweihten Gaben (wie wir es etwa am Karfreitag praktizieren).
Sehr sympathisch! Und wie begründest Du es theologisch? Es ist ja nicht uranglikanische Tradition, oder?

Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Das ist ein weites Feld...

Nicht 'uranglikanisch'? Das hängt davon ab, wie man anglikanisch definiert... Zwischen 1549/1552 und ungefähr 188 wohl eher nicht.

Ich halte den Glauben an die Realpräsenz für altkirchlich und katholisch (mit kleinem k). Auf ein bestimmtes Modell zur Erklärung der Realpräsenz lege ich mich nicht fest. Die Transsubstantiationslehre hat einige gute Seiten, aber auch einige Probleme (vor allem die Annihilation von Brot und Wein). Das lutherische Modell ist mir insgesamt zu wenig trinitarisch und philsophisch problematisch. Calvin bleibt streng trinitarisch, ist aber etwas schwach in seinem Wandlungsverständnis... Für mich ist es in erster Linie ein dynamisches und trinitarisches Geschehen - mir ist daher in der Liturgie die Epiklese als Gabenepiklese sehr wichtig. D. h. für mich: Es findet eine Wandlung statt, sodaß wir dann in den Gaben (nicht nur mit den Gaben!) Christus selbst begegnen und empfangen. Solcherart gewandelte Gaben verlieren diese Potentialität nicht - die Präsenz Christi bleibt in ihnen wirksam, daher verehre ich Christus auch im aufbewahrten Sakrament. Mit den Reformatoren bin ich darin einig, daß die Wandlung zum Zwecke der Nießung erfolgen muß, d.h. daß eine Wandlung im Kontext einer Kommunionfeier stattfinden sollte, denn Christus hat das Sakrament gestiftet, um die dauerhafte sakramentale Gemeinschaft der Kirche mit ihm zu ermöglichen, und die vollzieht sich vor allem in der Kommunion, nicht in der Aufbewahrung im Tabernakel.

Ansonsten verweise ich auf diesen uralten Strang:
http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?f=22&t=3984
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Vielen Dank! Das waren schon sehr informative und auch gedanklich tiefe Ausführungen.

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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Stephen Dedalus hat geschrieben:... Annihilation von Brot und Wein ...
Eine kurze Frage, da Du eventuell darüber Bescheid weißt: Ist der Begriff der annihilatio ein Begriff der Gegner der Transsubstantiationslehre oder stammt er von Thomas von Aquin selbst? In den Konzilsakten des Tridentinum kommt er, glaube ich, nicht vor.

Ich frage aus dem Grund, weil in diesem Begriff ja eine polemische Note enthalten ist, als ob das Brot/der Wein bei der Wandlung "vernichtet" würde. Hingegen leuchtet mir die Transsubstantiationslehre unter sprachlogischer Perspektive ein: "Dieses Brot ist der Leib Christi." Hier wird eine ontologische Aussage gemacht. Der aristotelische Begriff der forma besagt jene Eigenschaften an einem "Etwas", die wir sinnlich wahrnehmen. Der Begriff substantia hingegen besagt das Wesen, das wir eben nicht sinnlich wahrnehmen, sondern in einem ontologischen Bezeichnungsakt aussprechen. Und genau dies geschieht ja in dem Satz "Dieses Brot ist der Leib Christi." "Dieses Brot", das ist die forma, nämlich die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften, während "ist der Leib Christi" jenen ontologischen Bezeichnungsakt darstellt, der von der substantia redet.

Unter dieser sprachlogischen Perspektive meine ich deshalb, dass die reformatorische Kritik an der Transsubstantiationslehre eigentlich an der Sache vorbeigeht. Luthers Kritik ist schon darin etwas - na ja - naiv, dass er es ablehnt, dass philosophische Begriffe und Denkmodelle verwendet werden, um das Geheimnis der sakramentalen Einung zu beschreiben. Dann hätte man auch das Nicaenum sein lassen müssen. Die ganze altkirchliche Theologie würde strenggenommen diesem Verdikt anheimfallen: Augustinus, die Kappadozier etc. Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass der Begriff annihilatio, der ja wie gesagt eine polemische Komponente in sich zu tragen scheint, von den Gegnern kommt. Weißt Du da Bescheid? Danke fürs Weiterhelfen!

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Niels
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Re: Abendmahl

Beitrag von Niels »

Ich meine, bei Albertus Magnus käme die annihilatio auch schon vor (bin aber nicht sicher).
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Ist der Begriff ein Standardbegriff in katholischen Dogmatiken? Das wäre schade, denn ich glaube, er ist sehr missverständlich. Er suggeriert, dass das Brot bei der Wandlung einen "Defekt" erleide. So wenigstens wird die Transsubstantiationslehre auf evangelischer Seite immer interpretiert. Und genau das meint Transsubstantiation ja nicht. Das Brot erleidet ja keinen Defekt, sondern es bekommt eine neue ontologische Qualität: "Leib Christi".

Ungeheuer spannend! Das wäre einen eigenen Thread wert: "Die Transsubstantiationslehre - ökumenische Missverständnisse?".

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ChrisCross
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Re: Abendmahl

Beitrag von ChrisCross »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Ist der Begriff ein Standardbegriff in katholischen Dogmatiken? Das wäre schade, denn ich glaube, er ist sehr missverständlich. Er suggeriert, dass das Brot bei der Wandlung einen "Defekt" erleide. So wenigstens wird die Transsubstantiationslehre auf evangelischer Seite immer interpretiert. Und genau das meint Transsubstantiation ja nicht. Das Brot erleidet ja keinen Defekt, sondern es bekommt eine neue ontologische Qualität: "Leib Christi".

Ungeheuer spannend! Das wäre einen eigenen Thread wert: "Die Transsubstantiationslehre - ökumenische Missverständnisse?".
Wieso ökuminische Missverständnisse? Die katholische Kirche hat, glaube ich, immer gewusst, was sie selber über die Wandlung lehrt.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
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Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Stephen Dedalus hat geschrieben:... Annihilation von Brot und Wein ...
Eine kurze Frage, da Du eventuell darüber Bescheid weißt: Ist der Begriff der annihilatio ein Begriff der Gegner der Transsubstantiationslehre oder stammt er von Thomas von Aquin selbst? In den Konzilsakten des Tridentinum kommt er, glaube ich, nicht vor.
Soweit ich weiß, taucht der Begriff in den mittelalterlichen Diskussionen zum Eucharistieverständnis auf. Die Transsubstantiationslehre war ja nicht das einzige Modell und war auch unter den scholastischen Theologen nicht unumstritten. Insofern hat der Begriff durchaus eine polemische Note, jedoch keine protestantische. Thomas selbst hat hingegeben darauf bestanden, daß es in seinem Modell nicht zu einer Annihilation des Wesens von Brot und Wein komme, sondern zu einer Wandlung. Wie dem auch sei: Am Ende der Wandlung ist das Wesen des Brotes nicht mehr vorhanden. Es ist dann die Frage, ob ein Brot, dessen Wesen in etwas anderes gewandelt wurde, als Brot 'annihiliert' wurde.

Ich denke, die Transsubstantiationslehre ist stark darin, die leibliche Anwesenheit Christ im Himmel beizubehalten und klar zu beschreiben, was wir in der Eucharistie empfangen. Damit sind eine Reihe von möglichen naturalistischen Mißverständnissen ausgeschlossen. Die Lehre kann auch befriedigend lösen, daß ein Leib in Raum und Zeit eine Ausdehnung braucht. Gerade an dem Punkt ist das lutherische Modell philosophisch unklar.
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Evagrios Pontikos
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Vielleicht müsste ich besser sagen: "Missverständnisse im ökumenischen Gespräch?" Genau deshalb habe ich ja ein Fragezeichen gesetzt. Und ob katholische Theologen (die ja nicht einfach "die katholische Kirche" sind) immer genau gewusst haben, was Transsubstantiation meint, weiß ich eben nicht. Deshalb mein Hinweis, dass im Tridentinum meiner ersten flüchtigen Beobachtung der Begriff annihilatio nicht verwendet wird. Das könnte ja durchaus der Beistand des Hl. Geistes gewesen sein, diesen Begriff zu vermeiden.

Wie gesagt: Ich vermute, dass Transsubstantiation eben keinen "Defekt" des Brotes meint (was für evangelische Ohren der Begriff annihilatio suggeriert), sondern eine neue Qualität. Die Einung von Element und Christus darf ja nicht in der Weise gedacht werden, als ob species (Gestalt; ich habe oben das falsche Wort gebraucht :/ ) und substantia des Brotes zwei aneinandergepappten Legosteinchen glichen, bei dem das Legosteinchen "substantia des Brotes"gegen das Legosteinchen "substantia des Leibes Christi" ausgetauscht wird. Das Brot erleidet keinen Defekt, sondern empfängt eine neue, eine höhere ontologische Qualität. Aber genau das wäre ja interessant, hier von Kundigeren, als ich es bin, Genaueres zu erfahren.

Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Ich denke, daß jede Form des ontologischen Wandels zwangsläufig heißt, daß das Brot am Ende nicht mehr 'Brot' ist. Das ist eine notwendige Folge der Transsubstantiation. Das philosophische Modell der Konsubstantiation (das ebenfalls unter den Scholastikern diskutiert wurde) vermeidet dies freilich. Jedoch war Thomas nicht bereit, an diesem Punkt Zugeständnisse zu machen - für ihn war das Herrenwort nur dann gültig, wenn das Brot durch die Wandlung ausschließlich zum Leib Christi wurde. Und diese Ausschließlichkeit kann die Konsubstantiation nicht gewährleisten.
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Stephen Dedalus hat geschrieben:... daß das Brot am Ende nicht mehr 'Brot' ist...
Das wäre in der Tat so, wenn man die substantia des Leibes Christi entsprechend einer anderen geschaffenen substantia denkt. Z.B. wenn die substantia des Brotes durch die substantia von Wasser ersetzt würde, und das scheinbare Brot in Wirklichkeit Wasser wäre: in seiner "Wasserwerdung" hätte das Bot hinsichtlich seines Brotseins in der Tat einen Verlust erlitten, bei dem die Aussage "nicht mehr" Sinn machen würde. Aber Christus ist als ens entissimum ja geradezu "übersubstantiell", weshalb das Brot keinen Verlust erleidet, der in unserer Sprache als ein "nicht mehr" ausgedrückt werden könnte bzw. müsste. Wandlung meint ja gerade etwas anderes als ein reines Ersetzen oder eine creatio ex nihilo. Die Substanz wird ja gewandelt, ist also in ein höheres Sein hinein aufgehoben, emporgehoben. Die Wandlung ist kein ontologischer Wandel "in der Horizontalen", sondern "in der Vertikalen". Deshalb trifft die Aussage "nicht mehr Brot" meiner Meinung nach die Sache nicht. Ich denke, dass die protestantische Kritik an der Transsubstantiation voraussetzt, dass unsere für das Geschaffene gültige Sprache eins zu eins auf das Geheimnis Christi angewandt wird. Aber, wie gesagt, hier bin ich nicht der Fachmann. Und ob ich mich mit meinen tastenden, geradezu im Dunkeln tappenden Überlegungen überhaupt verständlich machen konnte, weiß ich auch nicht... :achselzuck:

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ad-fontes
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Re: Abendmahl

Beitrag von ad-fontes »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Und ob ich mich mit meinen tastenden, geradezu im Dunkeln tappenden Überlegungen überhaupt verständlich machen konnte, weiß ich auch nicht... :achselzuck:
Ja! Das Brot wird nicht vernichtet, sondern konsumiert*.





Ich meine nicht "sumiert", sondern "vollendet".
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Stephen Dedalus
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Re: Abendmahl

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Stephen Dedalus hat geschrieben:... daß das Brot am Ende nicht mehr 'Brot' ist...
Das wäre in der Tat so, wenn man die substantia des Leibes Christi entsprechend einer anderen geschaffenen substantia denkt. Z.B. wenn die substantia des Brotes durch die substantia von Wasser ersetzt würde, und das scheinbare Brot in Wirklichkeit Wasser wäre: in seiner "Wasserwerdung" hätte das Bot hinsichtlich seines Brotseins in der Tat einen Verlust erlitten, bei dem die Aussage "nicht mehr" Sinn machen würde. Aber Christus ist als ens entissimum ja geradezu "übersubstantiell", weshalb das Brot keinen Verlust erleidet, der in unserer Sprache als ein "nicht mehr" ausgedrückt werden könnte bzw. müsste. Wandlung meint ja gerade etwas anderes als ein reines Ersetzen oder eine creatio ex nihilo. Die Substanz wird ja gewandelt, ist also in ein höheres Sein hinein aufgehoben, emporgehoben. Die Wandlung ist kein ontologischer Wandel "in der Horizontalen", sondern "in der Vertikalen". Deshalb trifft die Aussage "nicht mehr Brot" meiner Meinung nach die Sache nicht. Ich denke, dass die protestantische Kritik an der Transsubstantiation voraussetzt, dass unsere für das Geschaffene gültige Sprache eins zu eins auf das Geheimnis Christi angewandt wird. Aber, wie gesagt, hier bin ich nicht der Fachmann. Und ob ich mich mit meinen tastenden, geradezu im Dunkeln tappenden Überlegungen überhaupt verständlich machen konnte, weiß ich auch nicht... :achselzuck:
Bei dieser Erklärung hätte ich ein wenig den Verdacht, daß man eine philosophisch problematische Vorgehensweise nur deswegen in Kauf nimmt, weil es sich um den Leib Christi handelt, in den die Substanz hinein verwandelt wird. Das ist m. W. eine Vorgehensweise, die die Scholastiker sonst eher abgelehnt hätten. Auch Thomas wendet auf den Leib Christi keine anderen philosophischen Kategorien und Gesetze als für andere Leiber auch - gerade deshalb hält er ja die Transsubstantiation für so ein geeignetes Modell. Daher halte ich für fraglich, daß er dem Leib Christi eine höhere Form der Substanz zugesteht als anderen Leibern, ob er also als 'übersubstanziell' gelten darf. Ich nehme an, daß Thomas selbst hier strenger gewesen wäre. Wenn die Verwandlung der Substanz einer Sache in die Substanz einer anderen Sache die Annihilation der ersten Sache bedeutet, dann gilt das auch für die Transsubstantiation im Falle der Eucharistie. Vielleicht gibt es aber einen philosophischen Weg, bei der Wesensverwandlung grundsätzlich eine Annhihilation auszuschließen?

EDIT: Ich habe die Stelle jetzt bei Thomas nachgelesen (Summa III 75). Er setzt sich mit dem Vorwurf auseinander, die Substanz des Brotes werde 'annihiliert'. In der Tat begegnet er dem Einwand damit, daß eine Wandlung eben keine Vernichtung der Substanz darstellen könne. Im Falle einer Annihilation müsse man aber erst die Substanz einer Sache vernichten (annihilieren), um sie dann durch eine andere Substanz zu ersetzen. Genau ein solcher Moment sei aber im Falle der Transsubstantiation gar nicht auszumachen, da es keinen Moment gebe, in der das Brot abwesend, die neue Substanz aber noch nicht anwesend sei. Transsubstantiation meine eben nicht das Ersetzen einer Substanz durch eine andere (bei welchem Vorgang die alte Substanz dann entweder in ihre Bestandteile zersetzt oder vernichtet werden müsse), sondern die Wandlung einer Substanz in eine andere, bei der die erste Substanz nicht zerstört werde.
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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Danke für die Stelle bei Thomas! Genau so hätte ich es auch gesagt. Ich glaube immer mehr, dass ich Thomist bin... :roll:

Noch etwas sehr Interessantes und meiner Meinung nach nicht Unwichtiges in diesem Zusammenhang: "Dieses Brot ist der Leib Christi." Damit ist ja sprachlogisch gesagt, dass das konsekrierte Brot wesentlich, also dem Wesen nach der Leib Christi ist. Ich hatte ja darauf hingewiesen, dass unter sprachlogischer Perspektive mir die Transsubstantiationslehre völlig einleuchtet.

Was wäre nun, wenn auch das Wesen des Brotes einfach erhalten bliebe, wie die protestantische Kritik es ja einfordert? Könnte, ja müsste dann nicht der Satz in seinem ontologischen Sinne nicht auch umgedreht werden: "Der Leib Christi ist dieses Brot"? Das würde aber bedeuten: der Leib Christi wäre wesensmäßig (auch) Brot. Eine solche ontologische Aussage würde ich aber als problematisch ansehen. Denn die ontologische Bewegung geht ja vom Brot zum Leib Christi hin (das Brot wird zum Leib Christi), aber nicht umgekehrt (der Leib Christi wird eben nicht zum Brot!). Denn sonst hätte ja der Leib Christi Anteil an der Vergänglichkeit des Brotes, die ja zu dessen Wesen gehört, weil etwas Geschaffenes.

Insofern, wenn diese Überlegungen richtig sind, kann ich durchaus verstehen und kann es bejahen, dass Thomas von Aquin von einer Verwandlung des Wesens, der Substanz des Brotes in den Leib Christi hinein spricht. Ansonsten würde man ja christologisch in Teufels Küche kommen. Und so sympathisch mir Luthers Ansatz von der sakramentalen Einung eigentlich ist: Würde seine Substanzerhaltung des Brotes nicht zu ebendieser Aporie führen, wenn er tatsächlich von einer Einung und nicht bloß von ein Konsubstantiation redet?

Insofern wäre für mich die Frage, was die Alternative zur Transsubstantiation wäre. Eine Alternative, die zu solchen Aporien führen würde, wie ich sie eben skizziert habe, wäre keine echte Alternative.

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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

ad-fontes hat geschrieben:...Ich meine nicht "sumiert", sondern "vollendet".
Das klingt interessant! Meinst Du damit so ungefähr dasselbe, was ich damit sagen wollte, dass die Substanz des Brotes in ein höheres Sein hinein (Leib Christi) auf-gehoben (im Sinne von hinaufgehoben) wird?

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ad-fontes
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Re: Abendmahl

Beitrag von ad-fontes »

Ja, genau..kann auch noch mit einer weiteren Nuance gelesen oder verstanden werden: die Verwandlung des Brotes als zeichenhafte Vorwegnahme der consummatio mundi.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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Re: Abendmahl

Beitrag von Evagrios Pontikos »

ad-fontes hat geschrieben:Ja, genau..kann auch noch mit einer weiteren Nuance gelesen oder verstanden werden: die Verwandlung des Brotes als zeichenhafte Vorwegnahme der consummatio mundi.
Sehr gut! Hast Du hierfür eine gute Lektüreempfehlung? Wäre Dir sehr dankbar!

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