Gibt es auch außerhalb der Bibel heilige Schriften?

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
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Edi
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Gibt es auch außerhalb der Bibel heilige Schriften?

Beitrag von Edi »

Der Strang wurde nicht von Edi eröffnet, sondern vom Moderator vom Thread "Darf ein Christ Gott auch außerhalb der Kirche suchen" abgetrennt. Tacitus.

Tacitus hat geschrieben:Könnte man daraus nicht auch den Schluss ziehen, dass diese weniger wichtig sind?
Und auf welche Ritenkreise willst Du Dich denn beziehen?
Warum weniger wichtig? Manches ist nur später aufgeschrieben worden und u.a auch daher ist es nicht in den Schriftkanon gelangt.

Tacitus
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Beitrag von Tacitus »

Bist Du etwa der Meinung, dass es in der Tradition Schriften gibt, die der Bibel gleichzusetzen sind? Wenn ja, welche? Und wer - außer Dir - hat die Autorität, irgendeine Schrift als der Heiligen Schrift gleichwertig zu qualifizieren?
Die Frage stellt sich: Ist der liebe Gott wohl zu spät gekommen mit seiner Offenbarung? Nach Redaktionsschluss, sozusagen?

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Edi
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Beitrag von Edi »

Tacitus hat geschrieben:Bist Du etwa der Meinung, dass es in der Tradition Schriften gibt, die der Bibel gleichzusetzen sind? Wenn ja, welche? Und wer - außer Dir - hat die Autorität, irgendeine Schrift als der Heiligen Schrift gleichwertig zu qualifizieren?
Die Frage stellt sich: Ist der liebe Gott wohl zu spät gekommen mit seiner Offenbarung? Nach Redaktionsschluss, sozusagen?
Diese Frage stellt sich doch gar nicht. Ich weiß auch nicht wie du darauf kommst. Wenn man sie aber wie du schon stellt, so bin ich durchaus der Meinung, dass z.B. der Clemensbrief, was seine Qualität angeht, hätte auch in das NT aufgenommen werden können. Er ist aber wohl deswegen nicht dazu gekommen, weil er eben später als die im Kanon enthaltenen Schriften entstand. Immerhin hat es schon einige Zeit gedauert bis man sich klar, war, was in den Kanon kommt und was nicht. Der o.g. Clemensbrief wurde ja neben den Paulusbriefen auch in den Gemeinden gelesen.

Andere Schriften sind wohl meist eher heute wichtig, weil man heute (früher teilweise auch mal) das eine oder andere infrage stellt, was die Tradition angeht.
Zuletzt geändert von Edi am Freitag 2. Dezember 2005, 21:54, insgesamt 1-mal geändert.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Gibt es auch außerhalb der Bibel heilige Schriften?
Es gibt außerhalb der Heiligen Schrift und über sie hinaus
die Heilige Tradition (deren hervorragender Teil die Heilige
Schrift selbst ist).
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Pit
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Beitrag von Pit »

Hallo Robert,

dem stimme ich zu, da die Heilige Schrift ja auch eine Überlieferungs- und Tradierungsgeschichte hat.
Sie ist Teil der christlichen Tradition (das Wort kommt ja von tradire: weitergeben, überliefern), ist aber eben auch Grundlage christlichen Glaubens, da wir Informationen über Leben, Lehre, Tod und Auferstehung aus der Heiligen Schrift haben. Man darf nicht vergessen, daß die katholische Tradition, wie sie auch die Kirchenväter weitergeben ja erst nach Ostern entstanden sind. Über die christlichen Grundlagen können sie also nur bedingt Auskunft geben.

Gruß, Pit
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Gibt es auch außerhalb der Bibel heilige Schriften?
Es gibt außerhalb der Heiligen Schrift und über sie hinaus
die Heilige Tradition (deren hervorragender Teil die Heilige
Schrift selbst ist).
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Tacitus
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Beitrag von Tacitus »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Gibt es auch außerhalb der Bibel heilige Schriften?
Es gibt außerhalb der Heiligen Schrift und über sie hinaus
die Heilige Tradition (deren hervorragender Teil die Heilige
Schrift selbst ist).
Und für manche steht neben der Heiligen Schrift die Heilige Vernunft. Suum cuique.

Stephen Dedalus
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Beitrag von Stephen Dedalus »

Ja.

Das Book of Common Prayer in der Fassung von 1662.

;)

Stephen Dedalus
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Beitrag von Stephen Dedalus »

Tacitus hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Gibt es auch außerhalb der Bibel heilige Schriften?
Es gibt außerhalb der Heiligen Schrift und über sie hinaus
die Heilige Tradition (deren hervorragender Teil die Heilige
Schrift selbst ist).
Und für manche steht neben der Heiligen Schrift die Heilige Vernunft. Suum cuique.
Stimmt!
Bei uns gilt schließlich für die kirchliche Lehrbildung die Trias: Scripture, Tradition, Reason.

Idefix
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Beitrag von Idefix »

...Koran,TaoTeKing,Pali Kanon,...
(manche halten sogar Asterix u. Obelix für "Heilige Schriften" - z.b. der Idefix)

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asderrix
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Beitrag von asderrix »

Idefix hat geschrieben:...Koran,TaoTeKing,Pali Kanon,...
(manche halten sogar Asterix u. Obelix für "Heilige Schriften" - z.b. der Idefix)
Ja, stimmt es gibt viele Schriften die Menschen als Heilige Schriften ansehen und verehren, ich bin aber davon überzeugt das nur die Bibel die Heilige Schrift ist, in der sich Gott uns Menschen offenbarte.

Andere Schriften sind lehrreich und nützlich, ihnen darf, muss, kann, aber niemals diese Achtung und Ehrfurcht entgegengebracht werden wie dem Buch in dem uns Gott sich selbst und seinen Willen vorstellt.

Also Asterix und Obelix, ist sicher lehrreich, gut zu lesen, es gibt nie Tote, man kann lachen, aber lieber Idefix, welche Religion verbirgt sich hinter dieser Heiligen Schrift? :hmm: :hmm: :hmm:

lg
asder
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Idefix
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Beitrag von Idefix »

:) Hier verbirgt sich keine Religion, sondern die Gottheit selbst :) lieber Asterrix
Wuff

matze
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Beitrag von matze »

hmmmmm...

wo bleibt denn hier das protestantissche sola scriptura?

Fragende Grüße in die Runde,
Matze
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Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Irgendein hoher islamischer Würdenträger soll ja jetzt überall stolz herumerzählen, der letzte Papst habe ihm anvertraut, jeden Abend einen Satz aus dem heiligen Koran zu lesen! Zu seinem Koran-Kuss würde es passen.
*vollkommen baff*

Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Tacitus hat geschrieben:Bist Du etwa der Meinung, dass es in der Tradition Schriften gibt, die der Bibel gleichzusetzen sind? Wenn ja, welche? Und wer - außer Dir - hat die Autorität, irgendeine Schrift als der Heiligen Schrift gleichwertig zu qualifizieren?
Die Frage stellt sich: Ist der liebe Gott wohl zu spät gekommen mit seiner Offenbarung? Nach Redaktionsschluss, sozusagen?


Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen - sicherlich hat die hl. Schrift unter allen Schriften der Kirche eine abgehobene Stelle. Danach kommen vielleicht die Schriften der Kirchenväter und die Konzilstexte.

Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Tacitus hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Gibt es auch außerhalb der Bibel heilige Schriften?
Es gibt außerhalb der Heiligen Schrift und über sie hinaus
die Heilige Tradition (deren hervorragender Teil die Heilige
Schrift selbst ist).
Und für manche steht neben der Heiligen Schrift die Heilige Vernunft. Suum cuique.
Stimmt!
Bei uns gilt schließlich für die kirchliche Lehrbildung die Trias: Scripture, Tradition, Reason.


Cool! Aber wir haben auch unser Fides & Ratio *ätsch*

Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Andere Religionen haben natürlich auch ihre heiligen Schriften. Qualitätsmäßig sind sie unserer Schrift aber natürlich untergeordnet.

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asderrix
Moderator
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Beitrag von asderrix »

Ich denke es gibt viele Schriften die Menschen heilig sind.

Meine Überzeugung ist das es nur eine Schrift gibt, die von dem einen Gott inspiriert und verantwortet ist, nämlich die Bibel (ob nun mit oder ohne Spätschriften), als heilige Offenbarung des Willens Gottes für alle Menschen.

lg
asder

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Granuaile
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Der Kanon muss nicht abschliessend sein.

Beitrag von Granuaile »

Die Konzilien im 4. Jahrhundert standen vor der schwierigen Aufgabe, aus den Vielzahl von Evangelien, Geschichtsbüchern, Apostelbriefen, Offenbarungen usw. eine vernünftige Auswahl zu treffen. Diese wurde dann zum Kanon erhoben und bildet heute traditionell das Zweite oder Neue Testament. Über diese Auswahl kann man diskutieren, sie ist aus meiner Sicht nicht sakrosankt. Es ist auch denkbar, dass eine später verfasste Schrift vom Heiligen Geist inspiriert ist. (Die etwas spöttische Anfrage am Anfang dieses Themas, ob Gott allenfalls "den Redaktionsschluss verpasst habe", ist gar nicht dumm.)
Ich denke, die Auswahl, die damals getroffen wurde, ist im grossen Ganzen gelungen und repräsentativ für die damaligen Strömungen. Es gibt durchaus Sinn, sich - auch im Interesse der Einheit der Christenheit - im wesentlichen an diese zu halten., insbesondere da die historischen Ereignisse, welche der Bibel zugrundeliegen, zeitlich immer mehr in die Ferne rücken und die Konzilsväter des 4. Jahrhunderts diesen näher gestanden sind als wir dies heute können
Persönlich erachte ich das Thomas-Evangelium als wertvolle Ergänzung und würde ihm den Status einer heiligen Schrift zuerkennen.

HeGe
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Re: Der Kanon muss nicht abschliessend sein.

Beitrag von HeGe »

Granuaile hat geschrieben:Persönlich erachte ich das Thomas-Evangelium als wertvolle Ergänzung und würde ihm den Status einer heiligen Schrift zuerkennen.
Und warum gerade das sog. Thomas-Evangelium? Warum nicht auch allen anderen x-tausend Schriften, die gefunden wurden und sich z.T. auch als Evangelium bezeichnen? Woher weißt du welche vom Heiligen Geist inspiriert sind, welche nicht?

Das hat bisher die kirchliche Leitung entschieden und so soll es auch bleiben. Im übrigen behauptet die Kirche ja gar nicht, dass alles was darin steht falsch ist, nur weil es nicht zum festen Kanon gehört. Aber das kann weder eine demokratische Entscheidung sein, noch die Entscheidung einzelner Gläubiger, sondern nur der Bischöfe und des Papstes als Nachfolger der Apostel.
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Pit
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Beitrag von Pit »

Hallo HeGe,

Martin Luther hat einmal über die Apokryphen geschrieben, sie wären nicht Heilige Schrift, aber "gut und nützlich zu lesen" (wenn ich Luther richtig zitiere). Und der Meinung bin ich auch. Für mich sind die Apokryphen kein Teil der Heiligen Schrift, da ich nicht weiss, ob sie unter Inspiration verfasst wurden, aber ich lese sie trotzdem, da sie z.B. sehr gut die Denkweise der Menschen zur Zeit zwischen "AT" und "NT" wiedergeben.

Gruß, Pit
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Linus
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Beitrag von Linus »

Du brauchst es auch nicht zu wissen, es reicht, wenn du deine Katholizität unter beweis stellst, indem du die Entscheidung des unfehlbaren Lehramtes - die Deuterokanonischen Schriften des Alten Bundes sind vom heiligen Geist inspiriert - akzeptierst unds rezipierst.

Oder vertraust du nicht auf das Lehramt, das ein ordentliches ist, und daher im Heiligen Geist in einklang steht? :roll:
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Granuaile hat geschrieben:Die Konzilien im 4. Jahrhundert standen vor der schwierigen Aufgabe, aus den Vielzahl von Evangelien, Geschichtsbüchern, Apostelbriefen, Offenbarungen usw. eine vernünftige Auswahl zu treffen. Diese wurde dann zum Kanon erhoben und bildet heute traditionell das Zweite oder Neue Testament. Über diese Auswahl kann man diskutieren, sie ist aus meiner Sicht nicht sakrosankt. Es ist auch denkbar, dass eine später verfasste Schrift vom Heiligen Geist inspiriert ist.
Du stellst dir die Lage hinsichtlich des Kanons im vierten Jahrhundert völlig verkehrt vor. Der Kanon der Schrift hat sich im wesentlichen im Laufe des zweiten Jahrhunderts herauskristallisiert, und zwar einfach durch den Gebrauch der Schriften in der Liturgie.

Lediglich bei einzelnen Büchern des Neuen Testaments schwankte die Haltung unter den verschiedenen Ortskirchen, so daß es gelegentlich Diskussionen gab. Lediglich diese letzten Streitfragen wurden im vierten Jahrhundert abschließend entschieden.

Keine Rede also davon, daß man erst damals angefangen hätte, auf apocryphen Krabbeltischen zu wühlen und über den Fundstücken zu brüten, bis man endlich, mehr oder weniger willkürlich, irgendeine Auswahl getroffen hätte.
Granuaile hat geschrieben:Persönlich erachte ich das Thomas-Evangelium als wertvolle Ergänzung und würde ihm den Status einer heiligen Schrift zuerkennen.
Welches „Thomas-Evangelium“ meinst du überhaupt? Das »Kindheitsevangelium des Pseudothomas« oder das koptische »Pseudothomas-Evangelium von Nag Hammadi«? – Jedenfalls sind natürlich beide durch und durch gnostisch. Späte, genuin außerkirchliche Schriften, die von der Kirche niemals auch nur entfernt in Erwägung gezogen wurden, sondern immer verworfen. Bei der Lektüre wird der Gläubige sofort leicht feststellen, daß ihr Geist dem christlichen ganz entgegengesetzt ist.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Pit hat geschrieben:Martin Luther hat einmal über die Apokryphen geschrieben, sie wären nicht Heilige Schrift, aber "gut und nützlich zu lesen" (wenn ich Luther richtig zitiere).
Was Luther damit meinte, sind die von ihm aus dem Kanon gekegelten, von der Kirche jedoch definitiv anerkannten Teile der Heiligen Schrift. Die sind aber nicht apocryph, sondern kanonisch.
Pit hat geschrieben:Und der Meinung bin ich auch.
Manchmal täte Wissen besser als Meinung.
Pit hat geschrieben:Für mich sind die Apokryphen kein Teil der Heiligen Schrift, da ich nicht weiss, ob sie unter Inspiration verfasst wurden, aber ich lese sie trotzdem, da sie z.B. sehr gut die Denkweise der Menschen zur Zeit zwischen "AT" und "NT" wiedergeben.
Lerne zu unterscheiden. Es gibt alttestamentliche und neutestamentliche Apocryphen (aber nichts „dazwischen“). Es gibt orthodoxe Apocryphen (die sind in der Tat »gut und nützlich zu lesen«), und es gibt heterodoxe, namentlich ein Sammelsurium gnostisierender und gnostischer Texte. Die ohne hinreichende Unterscheidungsgabe zu lesen ist überaus schädlich. Zu dieser Gruppe zählen die oben erwähnten Pseudothomanen.
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Edi
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Beitrag von Edi »

Pit hat geschrieben: Martin Luther hat einmal über die Apokryphen geschrieben, sie wären nicht Heilige Schrift, aber "gut und nützlich zu lesen" (wenn ich Luther richtig zitiere). Und der Meinung bin ich auch. Für mich sind die Apokryphen kein Teil der Heiligen Schrift, da ich nicht weiss, ob sie unter Inspiration verfasst wurden, aber ich lese sie trotzdem, da sie z.B. sehr gut die Denkweise der Menschen zur Zeit zwischen "AT" und "NT" wiedergeben.
Luther hat auch den Jakobusbrief als "stroherne Epistel" bezeichnet, weil er ihm nicht in seine Philosophie von Sola fide passte.

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holzi
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Beitrag von holzi »

Pit hat geschrieben:Hallo HeGe,

Martin Luther hat einmal über die Apokryphen geschrieben, sie wären nicht Heilige Schrift, aber "gut und nützlich zu lesen" (wenn ich Luther richtig zitiere). Und der Meinung bin ich auch. Für mich sind die Apokryphen kein Teil der Heiligen Schrift, da ich nicht weiss, ob sie unter Inspiration verfasst wurden, aber ich lese sie trotzdem, da sie z.B. sehr gut die Denkweise der Menschen zur Zeit zwischen "AT" und "NT" wiedergeben.
Meinst Du damit sowas wie z.B. das Protoevangelium des Jakobus?

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holzi
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Beitrag von holzi »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Lerne zu unterscheiden. Es gibt alttestamentliche und neutestamentliche Apocryphen (aber nichts „dazwischen“). Es gibt orthodoxe Apocryphen (die sind in der Tat »gut und nützlich zu lesen«), und es gibt heterodoxe, namentlich ein Sammelsurium gnostisierender und gnostischer Texte. Die ohne hinreichende Unterscheidungsgabe zu lesen ist überaus schädlich. Zu dieser Gruppe zählen die oben erwähnten Pseudothomanen.
Vielleicht einigen wir uns auf die Terminologie:

Katholisch: Deuterokanonische Schriften (Spätschriften) = Protestantisch: Apokryphen

Katholisch: Apokryphen = Protestantisch: Pseudepigraphen

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Nein, diesen Begriffen kann ich nicht zustimmen. – Was die alttesta-
mentlichen „Spätschriften“ betrifft, die Luther nicht gelten ließ, ob-
gleich die Kirche sie als kanonisch erachtet, so wäre eben „Spätschrif-
ten“ eine zwar unspezifische, aber doch vermutlich halbwegs zutref-
fende Bezeichnung – wobei aber noch zu beweisen wäre, daß es sich
bei den Langfassungen einiger Bücher tatsächlich um Erweiterungen
handelt und nicht umgekehrt bei den Kurzfassungen um sekundäre
Kürzungen.

»Deuterokanonisch« sind sie aber nicht. Das bedeutete ja, sie seien
gleichsam in einer „zweiten Runde“ kanonisiert worden, also einem
bereits bestehenden Kanon hinzugefügt. Das jedoch ist nicht der Fall.

Es gab keinen älteren oder vorausgehenden ersten Kanon, insbeson-
dere keinen jüdischen Kanon, welchen die Rede von einer Deuteroka-
nonizität möglicherweise impliziert oder suggeriert.

Die Kanonbildung ist zuerst und eigentlich eine Sache der Kirche.
Erst sekundär – gewissermaßen deuterurgisch und deuterophonisch
– zogen die Juden nach und schieden bestimmte Schriften – oder
Teile längerer Rezensionen – aus dem von Ihnen akzeptierten syna-
gogalen Schrifttum aus. Das geschah nach dem Untergang des
Tempels bis etwa ums Jahr 100, und zwar durchaus in bewußter
und eigentlich bezweckter Abgrenzung von den Christen. Zugleich
verwarfen sie aus demselben Grund die griechisch-jüdische, von der
Kirche angenommene Übersetzung der Septuaginta.

Darin liegt der Grund, daß die fälschlich so genannten „deuteroka-
nonischen“ Schriften und Schriftteile nicht auf hebräisch, sondern
bloß griechisch oder aramäisch vorliegen. Das war ja schon für Lut-
her das Kriterium, sie auszuschließen. Sie liegen aber nicht darum
nicht auf hebräisch vor, weil sie nicht hebräisch vorfaßt worden wä-
ren, sondern weil die Juden die hebräischen Fassungen ziemlich rest-
los vernichtet haben. Freilich nicht ganz: So hat man zum Beispiel
Teile der hebräischen Urfassung des Buchs Ecclesiasticus (Jesus Si-
rach) in der Kairoer Geniza entdeckt.

Der Begriff der „Pseudepigraphen“ führt auch nicht sehr weit und
scheint mir auch im Sprachgebrauch nicht die protestantische Ent-
sprechung katholischer Rede von „Apocryphen“ zu sein.

Zur Pseudepigraphie habe ich ja erst kürzlich in einem Nachbar-
strang einiges geschrieben. Man versucht neuerdings sogar, eine
Reihe selbst für Luther unbestritten kanonischer Schriften (beinahe
das ganze Neue Testament, den extremeren Vertretern zufolge) als
pseudepigraph zu brandmarken. Andererseits paßt der Begriff auf
die Apocryphen nicht, weil deren nicht wenige ganz offensichtlich
gar nicht pseudepigraph, sondern anonym überliefert sind. Viele sind
natürlich Pseudepigraphen, aber dann gibt es auch noch ein paar, bei
welchen mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß sie vielleicht doch un-
ter den Namen ihrer wirklichen Verfasser überliefert sind: Ich denke
an das Protevangelium Jacobi und an den Briefwechsel Pauli mit Se-
neca.

Der Begriff der „Apocryphen“ endlich ist zwar derart eingebürgert,
daß er kaum ersetzbar sein dürfte, er ist aber zugleich so mißver-
ständlich, daß er immer erklärungsbedürftig bleibt. Zunächst muß
der Katholik oder Orthodoxe im Dialog mit Protestanten betonen,
daß er darunter keinesfalls die von Luther gestrichenen kanonischen
Schriftteile versteht.

Sodann ist strikt zwischen orthodoxen „Apocryphen“ – also gut kat-
holischer, altkirchlicher, aber nicht kanonisierter Litteratur ungeklär-
ter Verfasserschaft – und jenen gnostischen oder gnostisierenden
Büchern der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt zu unterschei-
den, welche die Kirche nicht wegen ungesicherter Autorität nicht ka-
nonisiert, sondern wegen des eindeutig häretischen oder fundamental
antichristlichen Inhalts niemals erwogen, sondern stets vollständig
verworfen hat.

Es bleibt unglücklich, daß es sich eingebürgert hat, beide Gruppen
„Apocryphen“ zu nennen. Aber eine bessere Lösung als jeweils um-
ständliche Erläuterung fällt mir auch nicht ein.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Holzi hat geschrieben:Protestantisch: Apokryphen
P.S.: Wittenbergisch müßte man eigentlich „Abogriefen“ sagen, oder? ;D
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rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Uwe Schmidt
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Re: Der Kanon muss nicht abschliessend sein.

Beitrag von Uwe Schmidt »

Granuaile hat geschrieben:Die Konzilien im 4. Jahrhundert standen vor der schwierigen Aufgabe, aus den Vielzahl von Evangelien, Geschichtsbüchern, Apostelbriefen, Offenbarungen usw. eine vernünftige Auswahl zu treffen. Diese wurde dann zum Kanon erhoben und bildet heute traditionell das Zweite oder Neue Testament. Über diese Auswahl kann man diskutieren, sie ist aus meiner Sicht nicht sakrosankt. Es ist auch denkbar, dass eine später verfasste Schrift vom Heiligen Geist inspiriert ist. (Die etwas spöttische Anfrage am Anfang dieses Themas, ob Gott allenfalls "den Redaktionsschluss verpasst habe", ist gar nicht dumm.)
Ich denke, die Auswahl, die damals getroffen wurde, ist im grossen Ganzen gelungen und repräsentativ für die damaligen Strömungen. Es gibt durchaus Sinn, sich - auch im Interesse der Einheit der Christenheit - im wesentlichen an diese zu halten., insbesondere da die historischen Ereignisse, welche der Bibel zugrundeliegen, zeitlich immer mehr in die Ferne rücken und die Konzilsväter des 4. Jahrhunderts diesen näher gestanden sind als wir dies heute können
Persönlich erachte ich das Thomas-Evangelium als wertvolle Ergänzung und würde ihm den Status einer heiligen Schrift zuerkennen.


Ah, du meinst also das Thomasevangelium von 110n.Chr., das erste gnostische Evangelium, das aus 114 Versen wie der Koran besteht?
Ich habe mir ja jetzt auch den NATIONAL GEOGRAPHIC wegen dem Judas-Evangelium gekauft, und dort ist eine schöne Zeittafel, wo die 4 christlichen Evangelien zwischen 60 und 100n.Chr. veranschlagt werden, wonach dann eine lange gnostische Phase der Evangelienproduktion eingesetzt habe. Die gnostischen "Evangelien" sind also allesamt sekundär, vermitteln ein ganz anderes Lehrgebäude und bedienen sich der Form halber der christlichen Evangelien - das gibt sogar der NATIONAL GEOGRAPHIC zu!

Uwe Schmidt
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Re: Der Kanon muss nicht abschliessend sein.

Beitrag von Uwe Schmidt »

HeGe hat geschrieben:
Granuaile hat geschrieben:Persönlich erachte ich das Thomas-Evangelium als wertvolle Ergänzung und würde ihm den Status einer heiligen Schrift zuerkennen.
Und warum gerade das sog. Thomas-Evangelium? Warum nicht auch allen anderen x-tausend Schriften, die gefunden wurden und sich z.T. auch als Evangelium bezeichnen? Woher weißt du welche vom Heiligen Geist inspiriert sind, welche nicht?

Das hat bisher die kirchliche Leitung entschieden und so soll es auch bleiben. Im übrigen behauptet die Kirche ja gar nicht, dass alles was darin steht falsch ist, nur weil es nicht zum festen Kanon gehört. Aber das kann weder eine demokratische Entscheidung sein, noch die Entscheidung einzelner Gläubiger, sondern nur der Bischöfe und des Papstes als Nachfolger der Apostel.


Prof. Berger, der große Exeget, hält tatsächlich einzelne Sonderworte Jesu aus dem Thomasevangelium für authentisch - jedenfalls sei die Möglichkeit gegeben.

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Sunny0815
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Beitrag von Sunny0815 »

Hallo,

ich finde es durchaus interessant, auch mal einen Blick in die nichtkanonischen Schriften (z.B. auch das Thomas-Evangelium) zu werfen, soweit sie in deutsch verfügbar sind. Gerade weil sie nicht in den Kanon aufgenommen wurden.

So erhält man einen gewissen Eindruck, was seinerzeit im Umfeld der christlichen Gemeinden sonst noch so gedacht und geschrieben wurde; was ist "in Ordnung" und was nicht, kann also den tatsächlichen christlichen Glauben gegen "Abweichungen" abgrenzen.

Schon damals gab es Leute die unter dem Label "christlich" Dinge verbreiten wollten, die eben nicht wirklich christlich waren, sondern nur auf den ersten Blick so aussahen. Auch heute gibt es genug solche Versuche. Auf diese Art lernt man ein wenig, diese Versuche zu durchschauen, und nicht darauf hereinzufallen.

Viele Grüße
Matthias

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Linus
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Beitrag von Linus »

Bitte bleib als Katechumene/Frischgetaufter mal bei den kanonischen Schriften :kiss:
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