Glaubensgerechtigkeit

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
Pilgerer
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Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Pilgerer »

Hat der christliche Glauben "nur" die Macht, die Rechtfertigung zu schaffen, oder kann er auch das Herz zu einer gerechten Gesinnung bekehren?

Das Erste würde bedeuten, dass Gott uns die Gerechtigkeit Christi zurechnet, auch wenn die Werke schlecht bleiben.
Das Zweite würde bedeuten, dass Gott uns wohl rechtfertigt, aber uns durch den Glauben zugleich fähig macht, gerecht zu leben.

Paulus sagt ja im Titus-Brief, dass in Jesus Christus die Menschenliebe Gottes offenbart ist (Titus 3,4). Also kann die Bekanntschaft mit Jesus Christus uns die Größe dieser Menschenliebe offenbaren und uns helfen, die Menschen in der Art Gottes wertzuschätzen und sie mit wahrer Gerechtigkeit zu behandeln. Ich persönlich tendiere also zur zweiten These. Wie gut deckt sich das mit den Standpunkten der Reformation?
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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overkott
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Glaube an Gott bedeutet Treue zum Doppelgebot. Das zweite ist richtig.

Fragesteller
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Fragesteller »

Immer wieder wiederholt wird ja der Allgemeinplatz, die guten Werke seien die Früchte, die mehr oder weniger notwendig zum rechtfertigenden Glauben dazugehörten,wenn sie nicht selbst rechtfertigten. Dieser Denkfigur entsprechen die authentische lutherische und reformierte Lehre tatsächlich ungefähr. Der Heidelberger Katechismus behandelt die guten Werke unter dem Titel "Von der Dankbarkeit", sieht sie aber nicht als reines Höflichkeitswerk des Menschen aus eigenem Antrieb, sondern setzt sie in Beziehung zu der durch Christi und des Hl. Geistes Werk wiederhergestellten Gottesebenbildlichkeit des Menschen und weist darauf hin, dass der Undankbare und Unbußfertige nicht in den Himmel kome.

Die Confessio Augustana und die Konkordienformel, die ja die abgeschlossene lutherische Lehre nach Klärung aller Streitfragen enthalten sollte, sagen zu dem Zusammenhang von Glauben und guten Werken folgendes:
1. Sie folgen dem wahren, "lebendigen" Glauben so "gewislich und ungezweifelt [...] als Früchte eines guten Baums" (FC)
2. Sie sind der Gehorsam, den der Christ Gott schuldet. (FC)
3. Sie sind Werk Christi, denn "neben und außerhalb von Christus sind menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach, gute Werke zu tun [...], wie er selbst sagt: 'Ohne mich könnt ihr nichts tun.'" (CA)
4. Durch "muthwillige Sünde" und das Verharren in derselben können Glaube und Gnade verlorengehen. (FC)

Andererseits gilt aber:
5. Auch im Gläubigen ist das freie gute Handeln nicht vollkommen, es finden sich Schwächen, die aber "der Herr seinen Auserwählten nicht zurechnet um des Herrn Christi willen". (FC)

Es scheint ein Widerspruch zu bestehen zwischen Punkt 4 und 5. Auch die Solida Declaratio, sozusagen die ausführliche Fassung der Konkordienformel, ist da keine Hilfe; die Erläuterung zu dem 4. Punkt betont nämlich einerseits mit einem Zitat aus der CA-Apologie, dass die guten Werke die Art seien, wie man bei "seinem himmlischen Beruf" verbleibe, wehrt sich aber andererseits gegen die römische Behauptung, etwas anderes als der Glaube erhalte den Menschen in der Gnade oder könne dazu auch nur einen Teil beitragen. Daran schließt sich auch der Widerspruch an, dass die CA von Gnade redet, die FC von Freiheit, und niemand aufklärt, ob und wie beides zusammenhängt. Das ist ja die Problematik der Bedeutung des freien Willens überhaupt.

Zwei (einander nicht ausschließende und auch nciht wirklich ausgearbeitete) Lösungsvorschläge könnte es für die Problematik geben:
1. Gott rettet, indem er heiligt, und er heiligt, indem er alles auf sich richtet, und alles wird auf Gott gerichtet, indem es zu seinem eigentlichen gottgewollten Wesen zurückgebracht wird. Es ist das eigentliche Wesen des freien Willens, das Gute zu wollen, und dieses eigentliche Wesen gründet in der Schöpfung durch Gott und in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Wenn Gott den Menschen also aus reiner Gnade zu seinem eigentlichen Wesen zurückbringt, geschieht dies nicht, indem er ihm gegen seinen Willen etwas aufdrückt, sondern indem er diesen Willen reinigt, in seinen Dienst nimmt, recht ausrichtet. Gute Werke sind daher ebenso wie der Glaube Ausdruck dieser neuen Gerichtetheit. Mit zwei Einschränkungen: Wer auf die guten Werke vertraut, ohne dabei mitzudenken, dass sie Ausdruck des von Gott geschaffenen und erneuerten und ihm ebenbildlichen Wesens sind, der gleicht einem Adam, der das Urbild vergisst und sich, das Abbild, verabsolutiert. Solches ist Götzendienst. Umgekehrt ist die Gnade eine und unteilbar. Wo der Mensch durch den Glauben prinzipiell auf Gott gerichtet ist, da ist Gottes Gnade am Werk, auf die er trotz partieller Schwächen vertrauen darf.
2. Für den Römer wäre natürlich die Beichte das Mittel, nach geschehenem Fall wieder aufzustehen, sodass hier die Verlierbarkeit der Gnade durch Sünde und der Reparabilität jeder Sünde durch Gnade zusammengedacht werden können. Die Beichte wird nun in den zitierten lutherischen Bekenntnistexten nicht genannt. Sie scheint aber in der voraufklärerischen lutherischen Glaubenspraxis genau diese Rolle gespielt zu haben, und wenn man Webers Protestantischer Ethik vertrauen darf, dann wurde sie auch theoretisch mit der Verlierbarkeit der Gnade begründet. Kennt jemand da einen maßgeblichen "kanonischen" Text dazu?

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overkott
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Wer Gott verstehen will und damit Theologie im eigentlichen Sinn betreibt, versteht ihn mit Christus als Name, Wort und Inbegriff des Guten, also als Schöpfer und Vater, der das Leben schenkt und durch seine Gebote erhalten will. Der Gegner Gottes ist der Zerstörer und Mörder. Der Zerstörer und Mörder ist nicht gerecht, weil er sich nicht nach Gottes Wort richtet. Jesus bleibt in der ethischen Beurteilung des Menschen jedoch nicht rein äußerlich. Der Zerstörer und Mörder kann auch als Täuscher auftreten, der sich rein äußerlich an Gottes Wort hält, aber es gegen seine Intention instrumentalisiert, etwa indem er nicht selbst zerstört und mordet, sondern den Auftrag dazu erteilt. Jesus schaut auf das gute Herz, auf die lautere Absicht, auf das reine Gewissen als Motivation der Werke: Wer im guten Glauben handelt, schaut auf Gott und erweist seine Liebe in der Tat. Dabei ist nicht bereits der gerechtfertigt, der durch Geburt einer bestimmten Glaubensgemeinschaft angehört und "Herr, Herr" ruft, sondern der barmherzige Gutwillige. Die Söhne Gottes erweisen sich als Söhne des Guten, indem sie sich frei für das Gute entscheiden und entsprechend handeln. Im Lied des Moses wird deutlich, dass nicht die Geburt maßgeblich ist, sondern die Glaubenspraxis, weshalb die geistige Sohnschaft auch verloren gehen kann und zum Verlust des Paradieses führt. Äußerlich betrachtet, kann die Freiheit der Söhne Gottes zu unterschiedlichen, gleich guten Werken führen.

Nun stellt sich die Frage nach dem Schicksal des gutwilligen, aber schwachen Menschen. Dieser Mensch ist tatsächlich durch seinen guten Willen gerechtfertigt, soweit seine Schwäche für ihn eine unveränderliche Gegebenheit ist. Anders der als Täuscher, der gute Werke heuchelt, bereut der schwache Mensch seine schlechten Taten und bemüht sich, nach einem Sündenfall wieder aufzustehen.

Mit dem Richtverbot wendet sich Jesus Frieden stiftend gegen eine vorschnelle, überhebliche, endgültige Verurteilung. Nicht immer durchschauen wir die Motivation eines Menschen und seine Fähigkeit, sich in seiner Motivation doch wieder erneut Gott zuzuwenden: Handelt es sich um einen Menschen, der aus böser Absicht Böses tut? der aus böser Absicht Gutes tut? der aus guter Absicht Gutes tut? oder um einen reuigen Sünder? Jeder kann sich selbst jedoch beurteilen und sollte vor dem Splitter aus dem Auge des anderen, das eigene Brett vor dem Kopf bearbeiten.

Dieter
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Dieter »

In allen solchen Diskussionen wird immer wieder eines deutlich: Es gibt in der Theologie Dinge, die man nicht befriedigend theoretisch klären kann. Zu diesen Fragen gehören u.a. die Rechtfertigungslehre und die Prädestinationslehre.

Beide Lehren können also nur ERLEBT werden, und zwar aus einer solchen Situation heraus, wie sie entstanden sind. Die Rechtfertigungslehre kann nur der verinnerlichen, der sie am eigenen Leibe erlitten und erbetet hat. Wer davon eine Ahnung bekommen möchte, sollte die Lieder von Paul Gerhardt auf sich einwirken lassen. Dann wird er mit der Zeit verinnerlichen, was Rechtfertigung allein aus Glaube bedeutet. Die Frage nach den Guten Werken wird sich dann von selbst klären.

Die Rechtfertigungslehre ist nicht etwas, mit dem man sich in Universitäten oder in Internetforen profilieren kann.

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overkott
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Der Mensch ist prädestiniert zu Gottes- und Nächstenliebe. Auch Judas war dazu bestimmt. Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung.

Dieter
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Dieter »

overkott hat geschrieben:Der Mensch ist prädestiniert zu Gottes- und Nächstenliebe. Auch Judas war dazu bestimmt. Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung.


"Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung."

Doch! Denn es gibt keine Waage, auf der der Erzengeln Michael auf der einen Seite die guten, auf der anderen Seite die schlechten Taten des Menschen legt und davon, je nachdem, wohin sich die Waage bewegt, das Heil oder die Verdammnis des Menschen abhängig ist.

Es gibt bei Luther den Gedanken des Gnadenlohns, der besagt, dass wir Menschen zwar allein durch unseren Glauben gerechtfertigt werden, aber dass doch der Grad der himmlischen Seligkeit von den Guten Werken abhängt. Das wusste im übrigen auch schon Augustinus.

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overkott
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Dieter hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Der Mensch ist prädestiniert zu Gottes- und Nächstenliebe. Auch Judas war dazu bestimmt. Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung.


"Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung."

Doch! Denn es gibt keine Waage, auf der der Erzengeln Michael auf der einen Seite die guten, auf der anderen Seite die schlechten Taten des Menschen legt und davon, je nachdem, wohin sich die Waage bewegt, das Heil oder die Verdammnis des Menschen abhängig ist.

Es gibt bei Luther den Gedanken des Gnadenlohns, der besagt, dass wir Menschen zwar allein durch unseren Glauben gerechtfertigt werden, aber dass doch der Grad der himmlischen Seligkeit von den Guten Werken abhängt. Das wusste im übrigen auch schon Augustinus.
Jesus dachte anders. In Mt 16,27 deutet er die Engel und das Seelenwägen an. Das Opfer Christi hat also die Menschen nicht von der Gottes- und Nächstenliebe freigekauft.

Dieter
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Dieter »

overkott hat geschrieben:
Dieter hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Der Mensch ist prädestiniert zu Gottes- und Nächstenliebe. Auch Judas war dazu bestimmt. Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung.


"Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung."

Doch! Denn es gibt keine Waage, auf der der Erzengeln Michael auf der einen Seite die guten, auf der anderen Seite die schlechten Taten des Menschen legt und davon, je nachdem, wohin sich die Waage bewegt, das Heil oder die Verdammnis des Menschen abhängig ist.

Es gibt bei Luther den Gedanken des Gnadenlohns, der besagt, dass wir Menschen zwar allein durch unseren Glauben gerechtfertigt werden, aber dass doch der Grad der himmlischen Seligkeit von den Guten Werken abhängt. Das wusste im übrigen auch schon Augustinus.
Jesus dachte anders. In Mt 16,27 deutet er die Engel und das Seelenwägen an. Das Opfer Christi hat also die Menschen nicht von der Gottes- und Nächstenliebe freigekauft.


Das ist richtig, aber unser Seelenheil ist nicht von diesen Taten abhängig.

Im übrigen würde ich dies gerne mit anderen Protestanten diskutieren, da wir hier in der Klausnerei sind.

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overkott
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Dieter hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Dieter hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Der Mensch ist prädestiniert zu Gottes- und Nächstenliebe. Auch Judas war dazu bestimmt. Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung.


"Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung."

Doch! Denn es gibt keine Waage, auf der der Erzengeln Michael auf der einen Seite die guten, auf der anderen Seite die schlechten Taten des Menschen legt und davon, je nachdem, wohin sich die Waage bewegt, das Heil oder die Verdammnis des Menschen abhängig ist.

Es gibt bei Luther den Gedanken des Gnadenlohns, der besagt, dass wir Menschen zwar allein durch unseren Glauben gerechtfertigt werden, aber dass doch der Grad der himmlischen Seligkeit von den Guten Werken abhängt. Das wusste im übrigen auch schon Augustinus.
Jesus dachte anders. In Mt 16,27 deutet er die Engel und das Seelenwägen an. Das Opfer Christi hat also die Menschen nicht von der Gottes- und Nächstenliebe freigekauft.


Das ist richtig, aber unser Seelenheil ist nicht von diesen Taten abhängig.

Im übrigen würde ich dies gerne mit anderen Protestanten diskutieren, da wir hier in der Klausnerei sind.
Gemäß der Schrift schon. Davon sind auch andere Protestanten nicht befreit. Es gibt keine Gnade ohne Reue und Bußbereitschaft.

Fragesteller
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Fragesteller »

Dieter hat geschrieben:In allen solchen Diskussionen wird immer wieder eines deutlich: Es gibt in der Theologie Dinge, die man nicht befriedigend theoretisch klären kann. Zu diesen Fragen gehören u.a. die Rechtfertigungslehre und die Prädestinationslehre.

Beide Lehren können also nur ERLEBT werden, und zwar aus einer solchen Situation heraus, wie sie entstanden sind. Die Rechtfertigungslehre kann nur der verinnerlichen, der sie am eigenen Leibe erlitten und erbetet hat. Wer davon eine Ahnung bekommen möchte, sollte die Lieder von Paul Gerhardt auf sich einwirken lassen. Dann wird er mit der Zeit verinnerlichen, was Rechtfertigung allein aus Glaube bedeutet. Die Frage nach den Guten Werken wird sich dann von selbst klären.

Die Rechtfertigungslehre ist nicht etwas, mit dem man sich in Universitäten oder in Internetforen profilieren kann.
Die Wahrheit ist kein Gefühl, sondern der Grund für alle Gefühle. Sie kann selbstverständlich nicht ganz verstanden werden, aber die Vernunft kann sich ihr annähern. Das soll sie auch. Sieh Dir die Texte in den Bekenntnisschriften an. Sie leben natürlich von dem persönlichen Erleben, etwa solchem, wie Du es mit dem Luthertext im Nachbarstrang neulich gepostet hast. Dieses Erleben gibt den Anstoß, die Richtung, in die hin zu forschen ist. Sie behandeln die Fragestellung aber in anderer Weise: Sie geben dieses Erleben nicht unmittelbar wieder, sondern fragen nüchtern danach, welche Prinzipien dahinterstecken und wie demenstsprechend bestimmte Einzelfälle zu behandeln sind. Das ist keine Profilierungssucht, sondern natürlich und notwendig, wenn man daran festhalten will, dass das, woran wir glauben, wirklich wahr ist und nicht nur "in unseren Herzen". Das, worauf's (gerade in den beiden von Dir genannten Lehren) ankommt, haben wir ja noch gar nicht voll "erlebt" (außer "im Spiegel" 1. Kor. 13,12), da wollen wir erst noch hin.
Darum stoße ich mich auch an deinem ständigen Hinweis: "Wir sind hier in der Klausnerei". Als Mahnung zum Respekt ist das manchmal notwendig. Als sachlicher Ausschluss bestimmter Positionen: Nein. Die Wahrheit ist eine für alle, sie hängt nicht von (den in der Tat manchmal unterschiedlichen) subjektiven Glaubenserfahrungen von Prottis und Römern ab.
Übrigens müssen Intellekt und Gefühl sich nicht ausschließen. Im schlechtesten Fall tun sie einander nichts zuleide, im besten Fall befruchten sie sich. Wo sie zusammenstoßen, stimmt was nicht.
overkott hat geschrieben:
Dieter hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Der Mensch ist prädestiniert zu Gottes- und Nächstenliebe. Auch Judas war dazu bestimmt. Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung.
"Es gibt auch keine andere persönliche Rechtfertigung."

Doch! Denn es gibt keine Waage, auf der der Erzengeln Michael auf der einen Seite die guten, auf der anderen Seite die schlechten Taten des Menschen legt und davon, je nachdem, wohin sich die Waage bewegt, das Heil oder die Verdammnis des Menschen abhängig ist.

Es gibt bei Luther den Gedanken des Gnadenlohns, der besagt, dass wir Menschen zwar allein durch unseren Glauben gerechtfertigt werden, aber dass doch der Grad der himmlischen Seligkeit von den Guten Werken abhängt. Das wusste im übrigen auch schon Augustinus.
"Gottes- und Nächstenliebe" ist was anderes als Seelenwägen. Liebe ist ja nicht zählbar. Zu Luthers weitem Glaubensbegriff gehört die Liebe (wenigstens die zu Gott) m. E. dazu.

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overkott
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Hintergrund des Themas ist die Frage

a) nach der persönlichen Verantwortung für sein Handeln

b) nach der persönlichen Verantwortung für Sünden

Daraus ergibt sich die Frage nach dem Verhältnis von Sünde und Schuld: Worin liegt der Unterschied? Sünde ist ein Gesetzesverstoß, aus der sich eine Schuld ergibt. Die Schuld ist also Folge der Sünde.

Der Sündiger schuldet als Schuldner dem Gläubiger Schadenersatz, Wiedergutmachung. Betrachtet der Gläubiger die Wiedergutmachung als ausreichend, hat der Schuldner Genugtuung geleistet.

Bei einer Verletzung des ersten Gebots schuldet der Sünder Gott Wiedergutmachung. Die Wiedergutmachung erfolgt durch ein Opfer. Opfer kommt vom lateinischen Wort offerre und bedeutet: anbieten, entgegenbringen, spenden.

Was kann der Sünder Gott anbieten, damit seine Schuld getilgt ist?

Gesetzlich orientierte Glaubensgemeinschaften verstehen Sünde weniger als subjektive Einstellung, denn in Form einer einzelnen Tat als objektives Werk. Entsprechend orientiert sich die Schuldtilgung am jeweiligen Werk.

Daraus ergibt sich eine religiös motivierte Spendenleistung, etwa in Form einer Ablasszahlung.

Jesus hat die Opferpraxis als Form des Freikaufs von Schuld kritisiert. Jesus setzt bei der Ursache an. Der Gläubige soll nicht Schuld tilgen, sondern Sünden unterlassen. Er soll nicht Gott opfern, sondern dem Nächsten gegenüber barmherzig sein. Diese Barmherzigkeit äußert sich etwa in Form von Schulderlass und Vergebung.

Gottes Vergebung orientiert sich gemäß Vaterunser an der Vergebung gegenüber dem Nächsten.

Vergebung ist keine Einbahnstraße, nicht beziehungslos. Sie beruht auf wechselseitigem Handeln. Daher setzt Vergebung die Bitte um Entschuldigung voraus.

Die Bitte um Entschuldigung ergibt sich aus Reue, also Bedauern ( etwa in Form von Beweinen ) der eigenen Sünden. Das kann aus Liebe oder Angst vor Strafe erfolgen. Söhne handeln aus Liebe, Knechte aus Angst vor Strafe.

Gott vergibt, wenn der Mensch seinen Schuldnern vergibt. Vergebungsgerechtigkeit stiftet Frieden.

Pilgerer
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Pilgerer »

Zur Vollständigkeit des Themas gehört auch die "Täufer-Reformation" und deren Nachfolger (Erwachsenen-Täufer), die heute in den meisten evangelikalen Freikirchen sichtbar wird.
Die Täufer-Theologie sieht die Notwendigkeit der freiwilligen und bewussten Entscheidung für Jesus Christus, damit ein Mensch zum "wiedergeborenen Christen" kann und gerettet werden kann. Daher verwenden freikirchlich-evangelikale Christen den Begriff "Christ" auch nur in dem Sinn, dass nur bekehrte Christen tatsächlich Christen seien.
Die evangelikalen Freikirchen der "Täufer-Tradition" betonen darüber hinaus die Bedeutung der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus im Gebet, in der Treue, im Bibellesen, im Vertrauen auf Gottes Eingreifen etc.
All das unterscheidet die heute in der Welt blühenden evangelikalen Freikirchen von der konventionellen Reformation (Lutheraner, Calvinisten).

Hier als Beispiel eine Übersicht über Überzeugungen der Mennoniten: http://www.ambd.de/glauben
Daraus:
Durch den stellvertretenden Tod Seines Sohnes Jesus am Kreuz versöhnte Er die ganze Welt mit sich selbst. Dadurch wurde Jesus der eine Mittler zwischen Gott und Menschheit. Wer Christus im Glauben annimmt, wird aus Gnade errettet, nicht auf Grund eigener Leistungen, sondern als Geschenk Gottes.
Obwohl Jesus in eine von der Sünde beherrschte Welt kam, widerstand Er den Versuchungen und brach damit die Herrschaft der Sünde. Durch Sein gehorsames Leben, Seine bahnbrechende Lehre, Seine vollmächtigen Taten, Seinen Tod am Kreuz und Seine siegreiche Auferstehung hat Christus über Satan und die Mächte der Sünde und des Todes triumphiert. Damit hat Er für alle Menschen die Tür zu einem Leben in der Nachfolge geöffnet. Menschen, denen der Heilige Geist das Herz öffnet, wenden sich von der Sünde ab, vertrauen Gott ihr Leben an, bekennen durch die Taufe Jesus Christus als Herrn und Erlöser und suchen die Gemeinschaft der Familie Gottes. Sie sind wiedergeboren, haben Frieden mit Gott und sind aufgerufen, ihr Leben am Wort Gottes auszurichten, einander zu lieben und in Frieden mit ihren Nächsten zu leben. Als Erlöste leben sie nicht mehr für sich selbst, weil sie von der Macht der Sünde befreit und zu einem neuen Leben berufen wurden.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
Durch den stellvertretenden Tod Seines Sohnes Jesus am Kreuz versöhnte Er die ganze Welt mit sich selbst. Dadurch wurde Jesus der eine Mittler zwischen Gott und Menschheit. Wer Christus im Glauben annimmt, wird aus Gnade errettet, nicht auf Grund eigener Leistungen, sondern als Geschenk Gottes. Obwohl Jesus in eine von der Sünde beherrschte Welt kam, widerstand Er den Versuchungen und brach damit die Herrschaft der Sünde. Durch Sein gehorsames Leben, Seine bahnbrechende Lehre, Seine vollmächtigen Taten, Seinen Tod am Kreuz und Seine siegreiche Auferstehung hat Christus über Satan und die Mächte der Sünde und des Todes triumphiert. Damit hat Er für alle Menschen die Tür zu einem Leben in der Nachfolge geöffnet. Menschen, denen der Heilige Geist das Herz öffnet, wenden sich von der Sünde ab, vertrauen Gott ihr Leben an, bekennen durch die Taufe Jesus Christus als Herrn und Erlöser und suchen die Gemeinschaft der Familie Gottes. Sie sind wiedergeboren, haben Frieden mit Gott und sind aufgerufen, ihr Leben am Wort Gottes auszurichten, einander zu lieben und in Frieden mit ihren Nächsten zu leben. Als Erlöste leben sie nicht mehr für sich selbst, weil sie von der Macht der Sünde befreit und zu einem neuen Leben berufen wurden.
Hier geht es maßgeblich um eine Theologie des Opfers. Um Opfer richtig zu verstehen, sollte man sich noch einmal an das Wort offerre ( = anbieten, darbringen, spenden ) erinnern. Das Opfer ist eine Gabe. Sie bringt die Tauschbeziehung zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck. Gottes Gabe an den Menschen nennt sich gratia ( = Gnade ) - in diesem Sinn sind die Schöpfung, die Mitgeschöpfe und das Leben bereits Gnadengaben -, die Gegengabe des Menschen nennt sich auch gratia ( = Dank ). Auch der Name Juda bedeutet Dank. Die Tauschbeziehung ist rechtlich betrachtet eine Schuldbeziehung. Der Mensch schuldet Gott für dessen Gaben Dank. Diesen zahlt oder zollt er durch Preis. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um eine materielle Gabe, sondern in erster Linie um Lob und Heiligung.

Bei der Heiligung geht es zunächst um Beachtung und Begrüßung. In diesem Sinn ist auch die erste Zeile des Vaterunsers zu verstehen: "geheiligt werde dein Name". Der Heiligung des Namens entspricht die Beachtung des Wortes. Konsequent lautet die zweite Zeile: "dein Wille geschehe". Diese beiden Zeilen entsprechen dem Doppelgebot. Das erste Opfer ist also der geschuldete Gehorsam, der sich in geleisteter Nächstenliebe äußert. Wie wichtig Gott die Nächstenliebe ist, bringt Jesus nicht nur im Vaterunser zum Ausdruck "vergib uns..., wie auch wir vergeben", sondern auch in seinem Wort von der Versöhnung vor dem kultischen Opfer ( vgl. Mt 5,24 ). In diesem Sinn ist auch die Beichte am Samstag vor dem Messopfer am Sonntag als Vergegenwärtigung des neuen Bundes zu verstehen.

Im Paradies gab es noch kein kultisches Opfer. Das einzige, was Gottes Kinder dem himmlischen Vater für seine guten Gaben schuldeten, war Gehorsam. Die ersten Opfer nach dem Sündenfall werden jedoch nicht von Adam und Eva berichtet, sondern von Kain und Abel. Dabei handelte es sich um Dankopfer, nicht um Versöhnungsopfer.

Exkurs: Der Bruderzwist erweist sich als Problem gestörter Gleichwertigkeit. Gott betrachtet die höher wertige Gabe Abels als höher wertig. Kain nimmt das persönlich und fühlt sich nicht beachtet. Das Wort invidia hängt vermutlich mit Nichtansehen zusammen.

Das Dankopfer ist die so genannte Erstlingsgabe. Das hat auch Bedeutung für das Opfer am Sonntag und am Morgen: "von Herzen gern will ich dem Herrn den neuen Tag nun schenken". Die Erstlingsgabe der Herde spielt auch im Opfer Abrahams eine Rolle. ( Vgl. Gen 22,3 ) Gott fordert zunächst das Opfer des Erstgeborenen Sohnes. Dann erweist er sich gnädig: Der gute Wille zählt, mit einer Ersatzleistung ist diesem Genüge getan. ( Vgl. Gen 22,12 ) Das Dankopfer hat Mahlcharakter und bringt damit Gottes- und Nächstenliebe zum Ausdruck. Die Opfergabe wird von der Gemeinde verzehrt. ( Vgl. Gen 31,54 ).

Der Gedanke der Ersatzleistung spielt beim Opfer zunehmend eine Bedeutung: Darum opfere ich dem Herrn alle männlichen Tiere, die den Mutterschoß durchbrechen; alle Erstgeborenen meiner Söhne aber löse ich aus. ( Ex 13,15 ) Die Ersatzleistung ist also die Auslösung, der Austausch. Die Söhne werden durch Opfertiere ausgetauscht. Stellvertretend für die Söhne werden die Tiere geopfert.

Dies wirkt sich auch auf den Sühnegedanke ( vgl. Ex 21,30 ) aus, der erst später hinzukommt ( Vokabeln: Sünde = Fehltritt, Fall, Straftat; Schuld = Tatfolge, Schaden; Sühne = Entschuldigung, Wiedergutmachung; Opfer = Sühneleistung ). Der Sühnegedanke scheint bereits Ausdruck einer weiter entwickelten Gesellschaft zu sein, die von der Schafhaltung zur Rinderzucht übergegangen ist. Der Sühnegedanke spielt bei der Schadenregulierung zwischen Nachbarn ( Nächsten ) eine Rolle.

Die Gesellschaft entwickelt sich auch kulturell weiter. Es differenziert sich eine Priesterschaft heraus. Die Entsühnung für Kollektivschuld ( vgl. Ex 32,30 ) bedeutet bereits eine Überhöhung und Verallgemeinerung des Gedankens von Sünde und Schuld. Der Sprachgebrauch in der Einheitsübersetzung gerät durcheinander: Aus dem Sühnopfer wird das Sündopfer und das Schuldopfer. Der Mahlcharakter des Opfers tritt zurück: Die Gabe gehört dem Priester ( vgl. Lev 7,7 ). Damit führt die gesellschaftliche und kulturelle Differenzierung auch zu einer Professionalisierung der Priesterschaft. Opfern ist ihr Beruf, sie lebt vom Opfer der Gemeinde.

Vor dem Hintergrund, dass Gott Abraham's Sohn und damit auch Abraham seinen Sohn verschonte und die Todesstrafe schon im Alten Bund durch eine Ersatzleistung, also eine Auslösung abgewendet werden konnte, wirkt die Kreuzigung Christi besonders grausam und unbarmherzig. Jesus selbst interpretiert die Kreuzigungen unschuldiger Justizopfer keineswegs verklärend, sondern kritisiert die Theologen seiner Zeit dafür scharf ( vgl. Mt 23,34-37 ).

Johannes und Paulus würdigen das Opfer Christi als Nächstenliebe ( = Opfer, das Gott gefällt ) ( vgl. Joh 15,12; Eph 5,2 ).

Fragesteller
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Fragesteller »

overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:
Durch den stellvertretenden Tod Seines Sohnes Jesus am Kreuz versöhnte Er die ganze Welt mit sich selbst. Dadurch wurde Jesus der eine Mittler zwischen Gott und Menschheit. Wer Christus im Glauben annimmt, wird aus Gnade errettet, nicht auf Grund eigener Leistungen, sondern als Geschenk Gottes. Obwohl Jesus in eine von der Sünde beherrschte Welt kam, widerstand Er den Versuchungen und brach damit die Herrschaft der Sünde. Durch Sein gehorsames Leben, Seine bahnbrechende Lehre, Seine vollmächtigen Taten, Seinen Tod am Kreuz und Seine siegreiche Auferstehung hat Christus über Satan und die Mächte der Sünde und des Todes triumphiert. Damit hat Er für alle Menschen die Tür zu einem Leben in der Nachfolge geöffnet. Menschen, denen der Heilige Geist das Herz öffnet, wenden sich von der Sünde ab, vertrauen Gott ihr Leben an, bekennen durch die Taufe Jesus Christus als Herrn und Erlöser und suchen die Gemeinschaft der Familie Gottes. Sie sind wiedergeboren, haben Frieden mit Gott und sind aufgerufen, ihr Leben am Wort Gottes auszurichten, einander zu lieben und in Frieden mit ihren Nächsten zu leben. Als Erlöste leben sie nicht mehr für sich selbst, weil sie von der Macht der Sünde befreit und zu einem neuen Leben berufen wurden.
Hier geht es maßgeblich um eine Theologie des Opfers. Um Opfer richtig zu verstehen, sollte man sich noch einmal an das Wort offerre ( = anbieten, darbringen, spenden ) erinnern. Das Opfer ist eine Gabe. Sie bringt die Tauschbeziehung zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck. Gottes Gabe an den Menschen nennt sich gratia ( = Gnade ) - in diesem Sinn sind die Schöpfung, die Mitgeschöpfe und das Leben bereits Gnadengaben -, die Gegengabe des Menschen nennt sich auch gratia ( = Dank ). Auch der Name Juda bedeutet Dank. Die Tauschbeziehung ist rechtlich betrachtet eine Schuldbeziehung. Der Mensch schuldet Gott für dessen Gaben Dank. Diesen zahlt oder zollt er durch Preis. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um eine materielle Gabe, sondern in erster Linie um Lob und Heiligung.

Bei der Heiligung geht es zunächst um Beachtung und Begrüßung. In diesem Sinn ist auch die erste Zeile des Vaterunsers zu verstehen: "geheiligt werde dein Name". Der Heiligung des Namens entspricht die Beachtung des Wortes. Konsequent lautet die zweite Zeile: "dein Wille geschehe". Diese beiden Zeilen entsprechen dem Doppelgebot. Das erste Opfer ist also der geschuldete Gehorsam, der sich in geleisteter Nächstenliebe äußert. Wie wichtig Gott die Nächstenliebe ist, bringt Jesus nicht nur im Vaterunser zum Ausdruck "vergib uns..., wie auch wir vergeben", sondern auch in seinem Wort von der Versöhnung vor dem kultischen Opfer ( vgl. Mt 5,24 ). In diesem Sinn ist auch die Beichte am Samstag vor dem Messopfer am Sonntag als Vergegenwärtigung des neuen Bundes zu verstehen.

Im Paradies gab es noch kein kultisches Opfer. Das einzige, was Gottes Kinder dem himmlischen Vater für seine guten Gaben schuldeten, war Gehorsam. Die ersten Opfer nach dem Sündenfall werden jedoch nicht von Adam und Eva berichtet, sondern von Kain und Abel. Dabei handelte es sich um Dankopfer, nicht um Versöhnungsopfer.

Exkurs: Der Bruderzwist erweist sich als Problem gestörter Gleichwertigkeit. Gott betrachtet die höher wertige Gabe Abels als höher wertig. Kain nimmt das persönlich und fühlt sich nicht beachtet. Das Wort invidia hängt vermutlich mit Nichtansehen zusammen.

Das Dankopfer ist die so genannte Erstlingsgabe. Das hat auch Bedeutung für das Opfer am Sonntag und am Morgen: "von Herzen gern will ich dem Herrn den neuen Tag nun schenken". Die Erstlingsgabe der Herde spielt auch im Opfer Abrahams eine Rolle. ( Vgl. Gen 22,3 ) Gott fordert zunächst das Opfer des Erstgeborenen Sohnes. Dann erweist er sich gnädig: Der gute Wille zählt, mit einer Ersatzleistung ist diesem Genüge getan. ( Vgl. Gen 22,12 ) Das Dankopfer hat Mahlcharakter und bringt damit Gottes- und Nächstenliebe zum Ausdruck. Die Opfergabe wird von der Gemeinde verzehrt. ( Vgl. Gen 31,54 ).

Der Gedanke der Ersatzleistung spielt beim Opfer zunehmend eine Bedeutung: Darum opfere ich dem Herrn alle männlichen Tiere, die den Mutterschoß durchbrechen; alle Erstgeborenen meiner Söhne aber löse ich aus. ( Ex 13,15 ) Die Ersatzleistung ist also die Auslösung, der Austausch. Die Söhne werden durch Opfertiere ausgetauscht. Stellvertretend für die Söhne werden die Tiere geopfert.

Dies wirkt sich auch auf den Sühnegedanke ( vgl. Ex 21,30 ) aus, der erst später hinzukommt ( Vokabeln: Sünde = Fehltritt, Fall, Straftat; Schuld = Tatfolge, Schaden; Sühne = Entschuldigung, Wiedergutmachung; Opfer = Sühneleistung ). Der Sühnegedanke scheint bereits Ausdruck einer weiter entwickelten Gesellschaft zu sein, die von der Schafhaltung zur Rinderzucht übergegangen ist. Der Sühnegedanke spielt bei der Schadenregulierung zwischen Nachbarn ( Nächsten ) eine Rolle.

Die Gesellschaft entwickelt sich auch kulturell weiter. Es differenziert sich eine Priesterschaft heraus. Die Entsühnung für Kollektivschuld ( vgl. Ex 32,30 ) bedeutet bereits eine Überhöhung und Verallgemeinerung des Gedankens von Sünde und Schuld. Der Sprachgebrauch in der Einheitsübersetzung gerät durcheinander: Aus dem Sühnopfer wird das Sündopfer und das Schuldopfer. Der Mahlcharakter des Opfers tritt zurück: Die Gabe gehört dem Priester ( vgl. Lev 7,7 ). Damit führt die gesellschaftliche und kulturelle Differenzierung auch zu einer Professionalisierung der Priesterschaft. Opfern ist ihr Beruf, sie lebt vom Opfer der Gemeinde.

Vor dem Hintergrund, dass Gott Abraham's Sohn und damit auch Abraham seinen Sohn verschonte und die Todesstrafe schon im Alten Bund durch eine Ersatzleistung, also eine Auslösung abgewendet werden konnte, wirkt die Kreuzigung Christi besonders grausam und unbarmherzig. Jesus selbst interpretiert die Kreuzigungen unschuldiger Justizopfer keineswegs verklärend, sondern kritisiert die Theologen seiner Zeit dafür scharf ( vgl. Mt 23,34-37 ).

Johannes und Paulus würdigen das Opfer Christi als Nächstenliebe ( = Opfer, das Gott gefällt ) ( vgl. Joh 15,12; Eph 5,2 ).
Was ist nach dieser Deutung das Besondere am Opfer Christi?

TillSchilling

Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von TillSchilling »

Fragesteller hat geschrieben: Die Confessio Augustana und die Konkordienformel, die ja die abgeschlossene lutherische Lehre nach Klärung aller Streitfragen enthalten sollte, sagen zu dem Zusammenhang von Glauben und guten Werken folgendes:
1. Sie folgen dem wahren, "lebendigen" Glauben so "gewislich und ungezweifelt [...] als Früchte eines guten Baums" (FC)
2. Sie sind der Gehorsam, den der Christ Gott schuldet. (FC)
3. Sie sind Werk Christi, denn "neben und außerhalb von Christus sind menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach, gute Werke zu tun [...], wie er selbst sagt: 'Ohne mich könnt ihr nichts tun.'" (CA)
4. Durch "muthwillige Sünde" und das Verharren in derselben können Glaube und Gnade verlorengehen. (FC)

Andererseits gilt aber:
5. Auch im Gläubigen ist das freie gute Handeln nicht vollkommen, es finden sich Schwächen, die aber "der Herr seinen Auserwählten nicht zurechnet um des Herrn Christi willen". (FC)

Es scheint ein Widerspruch zu bestehen zwischen Punkt 4 und 5.
Wo ist da ein Widerspruch?

Fragesteller
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Fragesteller »

TillSchilling hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben: Die Confessio Augustana und die Konkordienformel, die ja die abgeschlossene lutherische Lehre nach Klärung aller Streitfragen enthalten sollte, sagen zu dem Zusammenhang von Glauben und guten Werken folgendes:
1. Sie folgen dem wahren, "lebendigen" Glauben so "gewislich und ungezweifelt [...] als Früchte eines guten Baums" (FC)
2. Sie sind der Gehorsam, den der Christ Gott schuldet. (FC)
3. Sie sind Werk Christi, denn "neben und außerhalb von Christus sind menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach, gute Werke zu tun [...], wie er selbst sagt: 'Ohne mich könnt ihr nichts tun.'" (CA)
4. Durch "muthwillige Sünde" und das Verharren in derselben können Glaube und Gnade verlorengehen. (FC)

Andererseits gilt aber:
5. Auch im Gläubigen ist das freie gute Handeln nicht vollkommen, es finden sich Schwächen, die aber "der Herr seinen Auserwählten nicht zurechnet um des Herrn Christi willen". (FC)

Es scheint ein Widerspruch zu bestehen zwischen Punkt 4 und 5.
Wo ist da ein Widerspruch?
Punkt 4 scheint zu implizieren, dass dem mutwilligen Sünder sein Handeln durchaus zugerechnet wird und er die ihm zuteilgewordene Gnade verliert. Punkt 5 behauptet dagegen, dass auch der Gerechtfertigte selbstverständlich Schwächen habe und in diesen Schwächen erneut gerechtfertigt wird, indem sie ihm um Christi willen gerade nicht zugerechnet werden.

TillSchilling

Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von TillSchilling »

Fragesteller hat geschrieben: Punkt 4 scheint zu implizieren, dass dem mutwilligen Sünder sein Handeln durchaus zugerechnet wird und er die ihm zuteilgewordene Gnade verliert.
Ich denke nicht. Es heisst ja "Glaube und Gnade verlorengehen". In anderen Worten ein mutwilliges Verweilen in Sünde zerstört den Glauben im Herzen, das Vertrauen des Herzens auf den Heiland und darauf vor Gott angenommen zu sein um des Heilands willen. Mit der intellektuellen Fähigkeit die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade verstehen bzw. sogar beschreiben zu können, hat das übrigens nichts zu tun. Wer sein Verharren in der Sünde rechtfertigt mit dem Hinweis darauf vor Gott ja sowieso gerechtfertigt zu sein, zeigt damit nur, dass sein Herz nicht zu Gott bekehrt ist.

Pilgerer
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Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Pilgerer »

Fragesteller hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:
Durch den stellvertretenden Tod Seines Sohnes Jesus am Kreuz versöhnte Er die ganze Welt mit sich selbst. Dadurch wurde Jesus der eine Mittler zwischen Gott und Menschheit. Wer Christus im Glauben annimmt, wird aus Gnade errettet, nicht auf Grund eigener Leistungen, sondern als Geschenk Gottes. Obwohl Jesus in eine von der Sünde beherrschte Welt kam, widerstand Er den Versuchungen und brach damit die Herrschaft der Sünde. Durch Sein gehorsames Leben, Seine bahnbrechende Lehre, Seine vollmächtigen Taten, Seinen Tod am Kreuz und Seine siegreiche Auferstehung hat Christus über Satan und die Mächte der Sünde und des Todes triumphiert. Damit hat Er für alle Menschen die Tür zu einem Leben in der Nachfolge geöffnet. Menschen, denen der Heilige Geist das Herz öffnet, wenden sich von der Sünde ab, vertrauen Gott ihr Leben an, bekennen durch die Taufe Jesus Christus als Herrn und Erlöser und suchen die Gemeinschaft der Familie Gottes. Sie sind wiedergeboren, haben Frieden mit Gott und sind aufgerufen, ihr Leben am Wort Gottes auszurichten, einander zu lieben und in Frieden mit ihren Nächsten zu leben. Als Erlöste leben sie nicht mehr für sich selbst, weil sie von der Macht der Sünde befreit und zu einem neuen Leben berufen wurden.
Hier geht es maßgeblich um eine Theologie des Opfers. Um Opfer richtig zu verstehen, sollte man sich noch einmal an das Wort offerre ( = anbieten, darbringen, spenden ) erinnern. Das Opfer ist eine Gabe. Sie bringt die Tauschbeziehung zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck. Gottes Gabe an den Menschen nennt sich gratia ( = Gnade ) - in diesem Sinn sind die Schöpfung, die Mitgeschöpfe und das Leben bereits Gnadengaben -, die Gegengabe des Menschen nennt sich auch gratia ( = Dank ). Auch der Name Juda bedeutet Dank. Die Tauschbeziehung ist rechtlich betrachtet eine Schuldbeziehung. Der Mensch schuldet Gott für dessen Gaben Dank. Diesen zahlt oder zollt er durch Preis. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um eine materielle Gabe, sondern in erster Linie um Lob und Heiligung.

Bei der Heiligung geht es zunächst um Beachtung und Begrüßung. In diesem Sinn ist auch die erste Zeile des Vaterunsers zu verstehen: "geheiligt werde dein Name". Der Heiligung des Namens entspricht die Beachtung des Wortes. Konsequent lautet die zweite Zeile: "dein Wille geschehe". Diese beiden Zeilen entsprechen dem Doppelgebot. Das erste Opfer ist also der geschuldete Gehorsam, der sich in geleisteter Nächstenliebe äußert. Wie wichtig Gott die Nächstenliebe ist, bringt Jesus nicht nur im Vaterunser zum Ausdruck "vergib uns..., wie auch wir vergeben", sondern auch in seinem Wort von der Versöhnung vor dem kultischen Opfer ( vgl. Mt 5,24 ). In diesem Sinn ist auch die Beichte am Samstag vor dem Messopfer am Sonntag als Vergegenwärtigung des neuen Bundes zu verstehen.

Im Paradies gab es noch kein kultisches Opfer. Das einzige, was Gottes Kinder dem himmlischen Vater für seine guten Gaben schuldeten, war Gehorsam. Die ersten Opfer nach dem Sündenfall werden jedoch nicht von Adam und Eva berichtet, sondern von Kain und Abel. Dabei handelte es sich um Dankopfer, nicht um Versöhnungsopfer.

Exkurs: Der Bruderzwist erweist sich als Problem gestörter Gleichwertigkeit. Gott betrachtet die höher wertige Gabe Abels als höher wertig. Kain nimmt das persönlich und fühlt sich nicht beachtet. Das Wort invidia hängt vermutlich mit Nichtansehen zusammen.

Das Dankopfer ist die so genannte Erstlingsgabe. Das hat auch Bedeutung für das Opfer am Sonntag und am Morgen: "von Herzen gern will ich dem Herrn den neuen Tag nun schenken". Die Erstlingsgabe der Herde spielt auch im Opfer Abrahams eine Rolle. ( Vgl. Gen 22,3 ) Gott fordert zunächst das Opfer des Erstgeborenen Sohnes. Dann erweist er sich gnädig: Der gute Wille zählt, mit einer Ersatzleistung ist diesem Genüge getan. ( Vgl. Gen 22,12 ) Das Dankopfer hat Mahlcharakter und bringt damit Gottes- und Nächstenliebe zum Ausdruck. Die Opfergabe wird von der Gemeinde verzehrt. ( Vgl. Gen 31,54 ).

Der Gedanke der Ersatzleistung spielt beim Opfer zunehmend eine Bedeutung: Darum opfere ich dem Herrn alle männlichen Tiere, die den Mutterschoß durchbrechen; alle Erstgeborenen meiner Söhne aber löse ich aus. ( Ex 13,15 ) Die Ersatzleistung ist also die Auslösung, der Austausch. Die Söhne werden durch Opfertiere ausgetauscht. Stellvertretend für die Söhne werden die Tiere geopfert.

Dies wirkt sich auch auf den Sühnegedanke ( vgl. Ex 21,30 ) aus, der erst später hinzukommt ( Vokabeln: Sünde = Fehltritt, Fall, Straftat; Schuld = Tatfolge, Schaden; Sühne = Entschuldigung, Wiedergutmachung; Opfer = Sühneleistung ). Der Sühnegedanke scheint bereits Ausdruck einer weiter entwickelten Gesellschaft zu sein, die von der Schafhaltung zur Rinderzucht übergegangen ist. Der Sühnegedanke spielt bei der Schadenregulierung zwischen Nachbarn ( Nächsten ) eine Rolle.

Die Gesellschaft entwickelt sich auch kulturell weiter. Es differenziert sich eine Priesterschaft heraus. Die Entsühnung für Kollektivschuld ( vgl. Ex 32,30 ) bedeutet bereits eine Überhöhung und Verallgemeinerung des Gedankens von Sünde und Schuld. Der Sprachgebrauch in der Einheitsübersetzung gerät durcheinander: Aus dem Sühnopfer wird das Sündopfer und das Schuldopfer. Der Mahlcharakter des Opfers tritt zurück: Die Gabe gehört dem Priester ( vgl. Lev 7,7 ). Damit führt die gesellschaftliche und kulturelle Differenzierung auch zu einer Professionalisierung der Priesterschaft. Opfern ist ihr Beruf, sie lebt vom Opfer der Gemeinde.

Vor dem Hintergrund, dass Gott Abraham's Sohn und damit auch Abraham seinen Sohn verschonte und die Todesstrafe schon im Alten Bund durch eine Ersatzleistung, also eine Auslösung abgewendet werden konnte, wirkt die Kreuzigung Christi besonders grausam und unbarmherzig. Jesus selbst interpretiert die Kreuzigungen unschuldiger Justizopfer keineswegs verklärend, sondern kritisiert die Theologen seiner Zeit dafür scharf ( vgl. Mt 23,34-37 ).

Johannes und Paulus würdigen das Opfer Christi als Nächstenliebe ( = Opfer, das Gott gefällt ) ( vgl. Joh 15,12; Eph 5,2 ).
Was ist nach dieser Deutung das Besondere am Opfer Christi?
Das Besondere ist, dass es sich um ein "Gottesopfer" handelt, bei dem Gott sich als Mensch für die Menschen opfert. In anderen Religionen ist es üblich, dass Lebensmittel oder Tiere geopfert werden, früher wurden teils auch Menschen für die Götter geopfert. Bei Jesus ist es anders: hier bringt Gott Sein Opfer, um die Menschen zu erlösen. Es ist nicht nötig, Gott zu besänftigen, weil Gott über alle Maßen barmherzig ist und zum genannten Opfer bereit ist. Doch ist es nötig, dass die Gewissen der Menschen Ruhe finden, und das können sie nur dadurch, dass ein Mensch "von oben" für sie geopfert wird.
Ein weiterer Punkt des Opfers Christi ist, dass das Weizenkorn gesät wird, damit daraus etwas Größeres wachsen kann. Jesus gibt in seinem Kreuztod die absolute Individualität Gottes gegenüber den Menschen auf. Er ist nicht mehr das reine Gegenüber, sondern Gott wird zum "Gott in uns" und "wir in Gott", eine Gemeinschaft der gegenseitigen Verflechtung und Teilhabe.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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overkott
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:
Durch den stellvertretenden Tod Seines Sohnes Jesus am Kreuz versöhnte Er die ganze Welt mit sich selbst. Dadurch wurde Jesus der eine Mittler zwischen Gott und Menschheit. Wer Christus im Glauben annimmt, wird aus Gnade errettet, nicht auf Grund eigener Leistungen, sondern als Geschenk Gottes. Obwohl Jesus in eine von der Sünde beherrschte Welt kam, widerstand Er den Versuchungen und brach damit die Herrschaft der Sünde. Durch Sein gehorsames Leben, Seine bahnbrechende Lehre, Seine vollmächtigen Taten, Seinen Tod am Kreuz und Seine siegreiche Auferstehung hat Christus über Satan und die Mächte der Sünde und des Todes triumphiert. Damit hat Er für alle Menschen die Tür zu einem Leben in der Nachfolge geöffnet. Menschen, denen der Heilige Geist das Herz öffnet, wenden sich von der Sünde ab, vertrauen Gott ihr Leben an, bekennen durch die Taufe Jesus Christus als Herrn und Erlöser und suchen die Gemeinschaft der Familie Gottes. Sie sind wiedergeboren, haben Frieden mit Gott und sind aufgerufen, ihr Leben am Wort Gottes auszurichten, einander zu lieben und in Frieden mit ihren Nächsten zu leben. Als Erlöste leben sie nicht mehr für sich selbst, weil sie von der Macht der Sünde befreit und zu einem neuen Leben berufen wurden.
Hier geht es maßgeblich um eine Theologie des Opfers. Um Opfer richtig zu verstehen, sollte man sich noch einmal an das Wort offerre ( = anbieten, darbringen, spenden ) erinnern. Das Opfer ist eine Gabe. Sie bringt die Tauschbeziehung zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck. Gottes Gabe an den Menschen nennt sich gratia ( = Gnade ) - in diesem Sinn sind die Schöpfung, die Mitgeschöpfe und das Leben bereits Gnadengaben -, die Gegengabe des Menschen nennt sich auch gratia ( = Dank ). Auch der Name Juda bedeutet Dank. Die Tauschbeziehung ist rechtlich betrachtet eine Schuldbeziehung. Der Mensch schuldet Gott für dessen Gaben Dank. Diesen zahlt oder zollt er durch Preis. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um eine materielle Gabe, sondern in erster Linie um Lob und Heiligung.

Bei der Heiligung geht es zunächst um Beachtung und Begrüßung. In diesem Sinn ist auch die erste Zeile des Vaterunsers zu verstehen: "geheiligt werde dein Name". Der Heiligung des Namens entspricht die Beachtung des Wortes. Konsequent lautet die zweite Zeile: "dein Wille geschehe". Diese beiden Zeilen entsprechen dem Doppelgebot. Das erste Opfer ist also der geschuldete Gehorsam, der sich in geleisteter Nächstenliebe äußert. Wie wichtig Gott die Nächstenliebe ist, bringt Jesus nicht nur im Vaterunser zum Ausdruck "vergib uns..., wie auch wir vergeben", sondern auch in seinem Wort von der Versöhnung vor dem kultischen Opfer ( vgl. Mt 5,24 ). In diesem Sinn ist auch die Beichte am Samstag vor dem Messopfer am Sonntag als Vergegenwärtigung des neuen Bundes zu verstehen.

Im Paradies gab es noch kein kultisches Opfer. Das einzige, was Gottes Kinder dem himmlischen Vater für seine guten Gaben schuldeten, war Gehorsam. Die ersten Opfer nach dem Sündenfall werden jedoch nicht von Adam und Eva berichtet, sondern von Kain und Abel. Dabei handelte es sich um Dankopfer, nicht um Versöhnungsopfer.

Exkurs: Der Bruderzwist erweist sich als Problem gestörter Gleichwertigkeit. Gott betrachtet die höher wertige Gabe Abels als höher wertig. Kain nimmt das persönlich und fühlt sich nicht beachtet. Das Wort invidia hängt vermutlich mit Nichtansehen zusammen.

Das Dankopfer ist die so genannte Erstlingsgabe. Das hat auch Bedeutung für das Opfer am Sonntag und am Morgen: "von Herzen gern will ich dem Herrn den neuen Tag nun schenken". Die Erstlingsgabe der Herde spielt auch im Opfer Abrahams eine Rolle. ( Vgl. Gen 22,3 ) Gott fordert zunächst das Opfer des Erstgeborenen Sohnes. Dann erweist er sich gnädig: Der gute Wille zählt, mit einer Ersatzleistung ist diesem Genüge getan. ( Vgl. Gen 22,12 ) Das Dankopfer hat Mahlcharakter und bringt damit Gottes- und Nächstenliebe zum Ausdruck. Die Opfergabe wird von der Gemeinde verzehrt. ( Vgl. Gen 31,54 ).

Der Gedanke der Ersatzleistung spielt beim Opfer zunehmend eine Bedeutung: Darum opfere ich dem Herrn alle männlichen Tiere, die den Mutterschoß durchbrechen; alle Erstgeborenen meiner Söhne aber löse ich aus. ( Ex 13,15 ) Die Ersatzleistung ist also die Auslösung, der Austausch. Die Söhne werden durch Opfertiere ausgetauscht. Stellvertretend für die Söhne werden die Tiere geopfert.

Dies wirkt sich auch auf den Sühnegedanke ( vgl. Ex 21,30 ) aus, der erst später hinzukommt ( Vokabeln: Sünde = Fehltritt, Fall, Straftat; Schuld = Tatfolge, Schaden; Sühne = Entschuldigung, Wiedergutmachung; Opfer = Sühneleistung ). Der Sühnegedanke scheint bereits Ausdruck einer weiter entwickelten Gesellschaft zu sein, die von der Schafhaltung zur Rinderzucht übergegangen ist. Der Sühnegedanke spielt bei der Schadenregulierung zwischen Nachbarn ( Nächsten ) eine Rolle.

Die Gesellschaft entwickelt sich auch kulturell weiter. Es differenziert sich eine Priesterschaft heraus. Die Entsühnung für Kollektivschuld ( vgl. Ex 32,30 ) bedeutet bereits eine Überhöhung und Verallgemeinerung des Gedankens von Sünde und Schuld. Der Sprachgebrauch in der Einheitsübersetzung gerät durcheinander: Aus dem Sühnopfer wird das Sündopfer und das Schuldopfer. Der Mahlcharakter des Opfers tritt zurück: Die Gabe gehört dem Priester ( vgl. Lev 7,7 ). Damit führt die gesellschaftliche und kulturelle Differenzierung auch zu einer Professionalisierung der Priesterschaft. Opfern ist ihr Beruf, sie lebt vom Opfer der Gemeinde.

Vor dem Hintergrund, dass Gott Abraham's Sohn und damit auch Abraham seinen Sohn verschonte und die Todesstrafe schon im Alten Bund durch eine Ersatzleistung, also eine Auslösung abgewendet werden konnte, wirkt die Kreuzigung Christi besonders grausam und unbarmherzig. Jesus selbst interpretiert die Kreuzigungen unschuldiger Justizopfer keineswegs verklärend, sondern kritisiert die Theologen seiner Zeit dafür scharf ( vgl. Mt 23,34-37 ).

Johannes und Paulus würdigen das Opfer Christi als Nächstenliebe ( = Opfer, das Gott gefällt ) ( vgl. Joh 15,12; Eph 5,2 ).
Was ist nach dieser Deutung das Besondere am Opfer Christi?
Das Besondere ist, dass es sich um ein "Gottesopfer" handelt, bei dem Gott sich als Mensch für die Menschen opfert. In anderen Religionen ist es üblich, dass Lebensmittel oder Tiere geopfert werden, früher wurden teils auch Menschen für die Götter geopfert. Bei Jesus ist es anders: hier bringt Gott Sein Opfer, um die Menschen zu erlösen. Es ist nicht nötig, Gott zu besänftigen, weil Gott über alle Maßen barmherzig ist und zum genannten Opfer bereit ist. Doch ist es nötig, dass die Gewissen der Menschen Ruhe finden, und das können sie nur dadurch, dass ein Mensch "von oben" für sie geopfert wird.
Ein weiterer Punkt des Opfers Christi ist, dass das Weizenkorn gesät wird, damit daraus etwas Größeres wachsen kann. Jesus gibt in seinem Kreuztod die absolute Individualität Gottes gegenüber den Menschen auf. Er ist nicht mehr das reine Gegenüber, sondern Gott wird zum "Gott in uns" und "wir in Gott", eine Gemeinschaft der gegenseitigen Verflechtung und Teilhabe.
Hier wäre mystisches Schweigen angebracht, Pilgerer.

Fragesteller
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Fragesteller »

Nein, aber eine Antwort deinerseits.

Tinius
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Registriert: Samstag 28. Juni 2014, 00:13

Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Tinius »

Pilgerer hat geschrieben:Zur Vollständigkeit des Themas gehört auch die "Täufer-Reformation" und deren Nachfolger (Erwachsenen-Täufer), die heute in den meisten evangelikalen Freikirchen sichtbar wird.
Die Täufer-Theologie sieht die Notwendigkeit der freiwilligen und bewussten Entscheidung für Jesus Christus, damit ein Mensch zum "wiedergeborenen Christen" kann und gerettet werden kann. Daher verwenden freikirchlich-evangelikale Christen den Begriff "Christ" auch nur in dem Sinn, dass nur bekehrte Christen tatsächlich Christen seien.
Die evangelikalen Freikirchen der "Täufer-Tradition" betonen darüber hinaus die Bedeutung der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus im Gebet, in der Treue, im Bibellesen, im Vertrauen auf Gottes Eingreifen etc.
All das unterscheidet die heute in der Welt blühenden evangelikalen Freikirchen von der konventionellen Reformation (Lutheraner, Calvinisten).

Hier als Beispiel eine Übersicht über Überzeugungen der Mennoniten: http://www.ambd.de/glauben
Daraus:
Durch den stellvertretenden Tod Seines Sohnes Jesus am Kreuz versöhnte Er die ganze Welt mit sich selbst. Dadurch wurde Jesus der eine Mittler zwischen Gott und Menschheit. Wer Christus im Glauben annimmt, wird aus Gnade errettet, nicht auf Grund eigener Leistungen, sondern als Geschenk Gottes.
Obwohl Jesus in eine von der Sünde beherrschte Welt kam, widerstand Er den Versuchungen und brach damit die Herrschaft der Sünde. Durch Sein gehorsames Leben, Seine bahnbrechende Lehre, Seine vollmächtigen Taten, Seinen Tod am Kreuz und Seine siegreiche Auferstehung hat Christus über Satan und die Mächte der Sünde und des Todes triumphiert. Damit hat Er für alle Menschen die Tür zu einem Leben in der Nachfolge geöffnet. Menschen, denen der Heilige Geist das Herz öffnet, wenden sich von der Sünde ab, vertrauen Gott ihr Leben an, bekennen durch die Taufe Jesus Christus als Herrn und Erlöser und suchen die Gemeinschaft der Familie Gottes. Sie sind wiedergeboren, haben Frieden mit Gott und sind aufgerufen, ihr Leben am Wort Gottes auszurichten, einander zu lieben und in Frieden mit ihren Nächsten zu leben. Als Erlöste leben sie nicht mehr für sich selbst, weil sie von der Macht der Sünde befreit und zu einem neuen Leben berufen wurden.

Kann mir jemand die wirklichen theologischen Hauptunterschiede zwischen Mennoniten und Bekenntnis-Lutheranern kurz auflisten?

Das mit den Sakramenten meine ich nicht.

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Reinhard
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Re: Glaubensgerechtigkeit

Beitrag von Reinhard »

Tinius hat geschrieben:Kann mir jemand die wirklichen theologischen Hauptunterschiede zwischen Mennoniten und Bekenntnis-Lutheranern kurz auflisten?
Na ja, die beiden sind innerhalb des protestantische Spektrums schon ziemliche Antipoden ...

Die Mennoniten sind eine typische Freikirche in der täuferischen Tradition: das Christsein beginnt ausdrücklich mit der Bekehrung, darauf folgt die Taufe als Glaubensbekenntnis, und dann aus dem Glauben eine entsprechende moralisch positive Praxis. "Sakramente" kennen sie überhaupt nicht, das Abendmahl hat als Erinnerungsmahl ebenfalls Bekenntnischarakter, "Liturgie" sagt ihnen nichts.
(innerhalb des freikirchlichen Spektrums fallen die Mennoniten durch eine relativ unfanatische Haltung in theologischen Fragen auf, und durch ihre moralische Konsequenz um ihres Glaubens willen. Dabei ist ihr selbstverständliches Verweigern des Kriegsdienstes sprichwörtlich.)

Für Lutheraner beginnt das Christenleben mit dem Sakrament der Taufe, ihr 2. Sakrament ist das Abendmahl. Sie glauben, dass Christus in gewisser Weise darin anwesend ist. Den freikirchlichen Begriff von Bekehrung lehnen sie i.d.R. ab, dafür gibt es die Konfirmation als Bekenntnis zum Glauben. Überhaupt liegen sie in ihrem Liturgieverständnis den Katholiken noch am nächsten. Während Moralfragen eher hinter dem "allein aus Glauben" zurücktreten, sind ihnen theologische Fragen mitunter sehr wichtig.

Man könnte fast sagen: das einzige, was diese beiden Gruppen verbindet, sind die "4 Soli" und ihre Vorbehalte gegen Katholiken, ob die denn überhaupt Christen sind ... :blinker: - ansonsten könnten sie sich als Christen kaum unähnlicher sein.

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