Simul iustus et peccator - Biblisch?

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pneumatikos
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Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von pneumatikos »

Ist eigentlich Luthers theologische Auffassung, dass Christen immer "Sünder und Gerechte" (iustus et peccator) sind, auch nach Bekehrung resp. Taufe bzw. nachdem sie Christ geworden sind, biblisch, oder steckt da psycholog. Wunschdenken dahinter?

Bestimmte Bibelstellen stehen im krassen Widerspruch dazu.

Röm 5,8 Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

1Joh 3,6 Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.


1Joh 5,18 Wir wissen, dass, wer von Gott geboren ist, der sündigt nicht, sondern wer von Gott geboren ist, den bewahrt er und der Böse tastet ihn nicht an.
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ChrisCross
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von ChrisCross »

Aus dem zweiten Kapitel des zweiten Briefes an die Kolosser sei noch nachgetragen:

13 Ihr wart tot infolge eurer Sünden, und euer Leib war unbeschnitten; Gott aber hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht und uns alle Sünden vergeben.
14 Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

Pilgerer
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Pilgerer »

pneumatikos hat geschrieben:Ist eigentlich Luthers theologische Auffassung, dass Christen immer "Sünder und Gerechte" (iustus et peccator) sind, auch nach Bekehrung resp. Taufe bzw. nachdem sie Christ geworden sind, biblisch, oder steckt da psycholog. Wunschdenken dahinter?
Aus Sicht der Bibel halte ich die Sündlosigkeit für möglich, aber in der Regel für unwahrscheinlich. Es gibt so viele Formen kleiner und kleinster Sünde, dass es besser ist, täglich für die Sündenvergebung zu bitten als sich für vollkommen "gerecht" zu halten.
Das Grundprinzip Luthers ist, dass wie sündhaft und dunkel du dich auch vor Gott fühlen mögst, du durch das Opfer und die Mittlerschaft Jesu Christi vor Gott als "gerecht" angesehen wird. Gott rechnet dir die untadelige Gerechtigkeit Christi zu. Nach lutherischer Vorstellung steht Jesus ferner in der Rolle des Fürbeters, in der in der katholischen Kirche zum Teil die Heiligen stehen. Es wäre auch undenkbar, dass ein Heiliger etwa mehr Barmherzigkeit gegenüber den Menschen hätte als Gott selbst, sodass die Heiligen den unerbittlichen Gott erst sanft stimmen müssten.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Lutheraner
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Lutheraner »

pneumatikos hat geschrieben:Ist eigentlich Luthers theologische Auffassung, dass Christen immer "Sünder und Gerechte" (iustus et peccator) sind, auch nach Bekehrung resp. Taufe bzw. nachdem sie Christ geworden sind, biblisch, oder steckt da psycholog. Wunschdenken dahinter?
Bist du kein Sünder?
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pneumatikos
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von pneumatikos »

Bist du kein Sünder?
Du bist rhetorisch sehr geschickt.


ich bin nicht ohne Sünde, aber mir geht es um die Aussagen der von mir zit.
Bibelstellen,

um die implizite Aussage in Röm 5,8 dass wir, nachdem Christus für uns starb, keine Sünder mehr sind

von 1Joh 3,6 Jeder der " in Christus" ist der sündigt nicht, wobei man streiten könnte, was dieses "In Christus sein bedeutet"

und die Aussage dass von Gott geborene nicht sündigen in 1Joh 5,18.



Außerdem gibt es noch irgendeine Bibelstelle in der es sinngemäß heißt, dass wir nicht erneut sündigen sollen, da dies bedeutete Christus erneut zu kreuzigen.
Ich bin kein Gnostiker, auch wenn dies mein Username suggeriert.

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

pneumatikos hat geschrieben:
Lutheraner hat geschrieben:Bist du kein Sünder?
Du bist rhetorisch sehr geschickt.

Nein, die Frage ist rhetorisch sehr ungeschickt, denn sie will in die falsche Richtung führen. Die Richtung, in die diese Frage weist, ist die quasi automatisch folgende defensive Haltung des Gefragten.

Solcherlei Fragen haben ihren Grund in der übermäßig subjektivistischen Denke protestantischer Theologie und in der mangelnden Unterscheidung zwischen dem, was der Mensch ist, und dem, was der Mensch tut.

1. Wenn der Mensch sündigt, dann erlangt er ohne Zweifel einen Status als Sünder.
2. Wenn der Mensch jedoch nicht sündigt, dann erlangt er ebenso ohne Zweifel keinen Status als Sünder.
3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.

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Protasius
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Protasius »

Raphael hat geschrieben:1. Wenn der Mensch sündigt, dann erlangt er ohne Zweifel einen Status als Sünder.
2. Wenn der Mensch jedoch nicht sündigt, dann erlangt er ebenso ohne Zweifel keinen Status als Sünder.
3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
Heißt das, daß ich lüge wenn ich vor der Messe zur Beichte gehe und bei der Messe das Schuldbekenntnis spreche?
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

Protasius hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:1. Wenn der Mensch sündigt, dann erlangt er ohne Zweifel einen Status als Sünder.
2. Wenn der Mensch jedoch nicht sündigt, dann erlangt er ebenso ohne Zweifel keinen Status als Sünder.
3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
Heißt das, daß ich lüge wenn ich vor der Messe zur Beichte gehe und bei der Messe das Schuldbekenntnis spreche?
Wann bist Du denn das letzte Mal unmittelbar vor dem Besuch einer Hl. Messe zur Beichte gegangen? :hmm:

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Protasius
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Protasius »

Raphael hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:1. Wenn der Mensch sündigt, dann erlangt er ohne Zweifel einen Status als Sünder.
2. Wenn der Mensch jedoch nicht sündigt, dann erlangt er ebenso ohne Zweifel keinen Status als Sünder.
3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
Heißt das, daß ich lüge wenn ich vor der Messe zur Beichte gehe und bei der Messe das Schuldbekenntnis spreche?
Wann bist Du denn das letzte Mal unmittelbar vor dem Besuch einer Hl. Messe zur Beichte gegangen? :hmm:
Letztes Jahr, in meiner Gemeinde ist eine Stunde vor der Vorabendmesse Beichtgelegenheit. Da das Schuldbekenntnis zum Kommunionritus extra missam zwingend gehört, stoßen wir da auf das gleiche Problem. Allerdings gleiten wir gerade vom Klausnereispezifischen ins Katholische ab.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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lifestylekatholik
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von lifestylekatholik »

Raphael hat geschrieben:3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
Nicht jede sünde wirft den Menschen aus dem Gnadenstand. Des Gnadenstandes geht er nur bei Begehen einer schweren Sünde verlustig, oder?

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

lifestylekatholik hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
Nicht jede sünde wirft den Menschen aus dem Gnadenstand.
Das war auch nicht behauptet worden! :huhu:
lifestylekatholik hat geschrieben:Des Gnadenstandes geht er nur bei Begehen einer schweren Sünde verlustig, oder?
Ausgangspunkt war die lutheranische Frage, ob denn der pneumatikos kein Sünder sei.

Diese Frage ist schon so undifferenziert, daß man die ansich richtige Differenzierung zwischen schweren Sünden und läßlichen Sünden aus pädagogischen Gründen erst zu einem spätereren Zeitpunkt vornehmen sollte, zumal IMHO die Trennlinie dazwischen sowieso nicht rasiermesserscharf am grünen Tisch gezogen werden kann.
Da spielen halt sehr die jeweiligen Tatumstände eine Rolle ............

Pilgerer
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Pilgerer »

pneumatikos hat geschrieben:1Joh 3,6 Jeder der " in Christus" ist der sündigt nicht, wobei man streiten könnte, was dieses "In Christus sein bedeutet"
In Abweichung von der klassischen protestantischen Auffassung halte ich es für möglich, wenigstens ein paar Augenblicke lang sündlos zu sein. Doch ist dazu viel Selbstbeherrschung und eine vollkommene Gottesbeziehung plus absolute Hingabe notwendig. Für Christen ist es gut, sich nach dem Vollkommenen auszustrecken und an ein Leben ohne Sünde zu glauben. Dennoch ist es um der persönlichen Demut willen angebracht, sich bis zum Jüngsten Gericht als Sünder zu bekennen und Gott um Erbarmen zu bitten.
Ohnehin kann niemand aus sich persönlich heraus vollkommen werden, sondern ausschließlich in der Gemeinschaft mit Gott, die erst den Menschen zum vollkommenen Guten hin erleuchtet. Es ist unmöglich, sich seiner eigenen Vollkommenheit zu rühmen oder darauf stolz zu sein. Denn die Vollkommenheit können Christen nur erben. Gott verheißt uns weder gratis Geschenke noch Verdienste für Werke, sondern das Erbe aller Dinge, Einstellungen, Werke etc., die Gott Selbst besitzt. Wie können Christen erben? Weil Jesus gestorben ist und im Testament alle zu Erben Seiner Fülle eingesetzt hat, die in Ihm und durch Ihn Gottes Kinder werden.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

Protasius hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:1. Wenn der Mensch sündigt, dann erlangt er ohne Zweifel einen Status als Sünder.
2. Wenn der Mensch jedoch nicht sündigt, dann erlangt er ebenso ohne Zweifel keinen Status als Sünder.
3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
Heißt das, daß ich lüge wenn ich vor der Messe zur Beichte gehe und bei der Messe das Schuldbekenntnis spreche?
Wann bist Du denn das letzte Mal unmittelbar vor dem Besuch einer Hl. Messe zur Beichte gegangen? :hmm:
Letztes Jahr, in meiner Gemeinde ist eine Stunde vor der Vorabendmesse Beichtgelegenheit. Da das Schuldbekenntnis zum Kommunionritus extra missam zwingend gehört, stoßen wir da auf das gleiche Problem. Allerdings gleiten wir gerade vom Klausnereispezifischen ins Katholische ab.
Gut, dann schließt sich noch 'ne weitere Frage an: Bei welchem Satz des Confiteors sollte denn der frisch entsündigte Pönitent gelogen haben? :hmm:

Hier der Text:
Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen,
und allen Brüdern und Schwestern,
dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe.
Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken
durch meine Schuld, durch meine Schuld,
durch meine große Schuld.

Darum bitte ich
die selige Jungfrau Maria,
alle Engel und Heiligen,
und Euch, Brüder und Schwestern,
für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.

Fragesteller
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Fragesteller »

1. Ist jemand, der seine Sünden gebeichtet hat (also im Stand der Gnade ist), kein Sünder mehr (die innerweltlichen Folgen sind ja noch spürbar!)?
2. Ist jemand, der nur lässliche Sünden begangen hat (also im Stand der Gnade ist) kein Sünder?
Ich glaube, mit dem Gnadenstand kann man hier nicht argumentieren. Auch der entsündigte Mensch lebt noch in der gefallenen Welt und hat (wenn auch nicht nur) an ihr teil.

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incarnata
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von incarnata »

Selbst wenn ich beim Sprechen des rituellen o.g. Bekenntnisses gerade gebeichtet und die Lossprechung erhalten habe ist es doch nicht gelogen,dass ich davor gesündigt hatte-und auch nach wie vor richtig,dass ich der Gebete bedarf,damit ich nicht so schnell wieder der Versuchung ,erneut zu sündigen erliege !Ich bin ja nicht die Jungfrau Maria !
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende
Licht aus der Höhe.......(Lk1,76)

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berneuchen
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von berneuchen »

Fragesteller hat geschrieben:1. Ist jemand, der seine Sünden gebeichtet hat (also im Stand der Gnade ist), kein Sünder mehr (die innerweltlichen Folgen sind ja noch spürbar!)?
2. Ist jemand, der nur lässliche Sünden begangen hat (also im Stand der Gnade ist) kein Sünder?
Ich glaube, mit dem Gnadenstand kann man hier nicht argumentieren. Auch der entsündigte Mensch lebt noch in der gefallenen Welt und hat (wenn auch nicht nur) an ihr teil.
Wenn ich es richtig verstanden habe, lehnt Luther den Gnadenstand als STATUS ab. In der Beziehung zu Gott ist der Mensch immer der Empfangende, nie der Besitzende. Er ist auch als Gerechtfertigter immer ein Empfänger der Gnade, nie ihr Besitzer.
Dahinter steht wohl die persönliche Erfahrung Luthers, dass er nach der Beichte oft unsicher war, ob denn alles ausgesprochen und damit vergeben sei. Aus diesem Dilemma hat sein Seelsorger und Ordensoberer Staupitz ihn nicht zu erlösen vermocht. Die Befreiung kam, als Luther für sich erkannte: der Gerechte lebt aus dem Glauben, also dem Vertrauen auf das, was ihm zugesagt wird. Nicht das subjektives Bewusstsein der Vergebung macht den Menschen zum "justus" sondern Gottes Gnade, die ihm zugesprochen wird. Im Bewusstsein und im aktuellen Handeln ist er immer wieder peccator. Die Unterscheidung verschiedener Sündenarten spielt dabei überhaupt keine Rolle.

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

incarnata hat geschrieben:Selbst wenn ich beim Sprechen des rituellen o.g. Bekenntnisses gerade gebeichtet und die Lossprechung erhalten habe ist es doch nicht gelogen,dass ich davor gesündigt hatte-und auch nach wie vor richtig,dass ich der Gebete bedarf,damit ich nicht so schnell wieder der Versuchung ,erneut zu sündigen erliege !Ich bin ja nicht die Jungfrau Maria !
Exakt! :daumen-rauf:

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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Fragesteller »

berneuchen hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:1. Ist jemand, der seine Sünden gebeichtet hat (also im Stand der Gnade ist), kein Sünder mehr (die innerweltlichen Folgen sind ja noch spürbar!)?
2. Ist jemand, der nur lässliche Sünden begangen hat (also im Stand der Gnade ist) kein Sünder?
Ich glaube, mit dem Gnadenstand kann man hier nicht argumentieren. Auch der entsündigte Mensch lebt noch in der gefallenen Welt und hat (wenn auch nicht nur) an ihr teil.
Wenn ich es richtig verstanden habe, lehnt Luther den Gnadenstand als STATUS ab. In der Beziehung zu Gott ist der Mensch immer der Empfangende, nie der Besitzende. Er ist auch als Gerechtfertigter immer ein Empfänger der Gnade, nie ihr Besitzer.
Dahinter steht wohl die persönliche Erfahrung Luthers, dass er nach der Beichte oft unsicher war, ob denn alles ausgesprochen und damit vergeben sei. Aus diesem Dilemma hat sein Seelsorger und Ordensoberer Staupitz ihn nicht zu erlösen vermocht. Die Befreiung kam, als Luther für sich erkannte: der Gerechte lebt aus dem Glauben, also dem Vertrauen auf das, was ihm zugesagt wird. Nicht das subjektives Bewusstsein der Vergebung macht den Menschen zum "justus" sondern Gottes Gnade, die ihm zugesprochen wird. Im Bewusstsein und im aktuellen Handeln ist er immer wieder peccator. Die Unterscheidung verschiedener Sündenarten spielt dabei überhaupt keine Rolle.
Das ist aber eine elementare Erkenntnis, die sich mit Raphaels Punkt
Raphael hat geschrieben: 3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
eben nicht aushebeln lässt. Gerade wenn man jeden "protestantischen Subjektivismus" außen vor lässt und die Sakramente als objektive Heilsmittel anerkennt, kommt es zu dieser Bipolarität des vor Gott gerechten, aber "ohne Gott" nach wie vor sündigen Menschen.

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

Fragesteller hat geschrieben:
berneuchen hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:1. Ist jemand, der seine Sünden gebeichtet hat (also im Stand der Gnade ist), kein Sünder mehr (die innerweltlichen Folgen sind ja noch spürbar!)?
2. Ist jemand, der nur lässliche Sünden begangen hat (also im Stand der Gnade ist) kein Sünder?
Ich glaube, mit dem Gnadenstand kann man hier nicht argumentieren. Auch der entsündigte Mensch lebt noch in der gefallenen Welt und hat (wenn auch nicht nur) an ihr teil.
Wenn ich es richtig verstanden habe, lehnt Luther den Gnadenstand als STATUS ab. In der Beziehung zu Gott ist der Mensch immer der Empfangende, nie der Besitzende. Er ist auch als Gerechtfertigter immer ein Empfänger der Gnade, nie ihr Besitzer.
Dahinter steht wohl die persönliche Erfahrung Luthers, dass er nach der Beichte oft unsicher war, ob denn alles ausgesprochen und damit vergeben sei. Aus diesem Dilemma hat sein Seelsorger und Ordensoberer Staupitz ihn nicht zu erlösen vermocht. Die Befreiung kam, als Luther für sich erkannte: der Gerechte lebt aus dem Glauben, also dem Vertrauen auf das, was ihm zugesagt wird. Nicht das subjektives Bewusstsein der Vergebung macht den Menschen zum "justus" sondern Gottes Gnade, die ihm zugesprochen wird. Im Bewusstsein und im aktuellen Handeln ist er immer wieder peccator. Die Unterscheidung verschiedener Sündenarten spielt dabei überhaupt keine Rolle.
Das ist aber eine elementare Erkenntnis, die sich mit Raphaels Punkt
Raphael hat geschrieben: 3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
eben nicht aushebeln lässt. Gerade wenn man jeden "protestantischen Subjektivismus" außen vor lässt und die Sakramente als objektive Heilsmittel anerkennt, kommt es zu dieser Bipolarität des vor Gott gerechten, aber "ohne Gott" nach wie vor sündigen Menschen.
An diesem Punkt gibt es tatsächlich keine "Schnittmenge" zwischen dem protestantischen simul iustus et peccator und dem katholischen Verständnis der Rechtfertigung.
Dies liegt jedoch nicht an dem logisch nachvollziehbaren Verständnis der Rechtfertigung im Katholischen, sondern am dem selbstwidersprüchlichen simul iustus et peccator im Protestantischen.
Diese Kernformel Luthers ist eine klassische Contradictio in adiecto und daher für das Handeln Gottes am Menschen unzulässig.

Stephen Dedalus
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Fragesteller hat geschrieben:
berneuchen hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:1. Ist jemand, der seine Sünden gebeichtet hat (also im Stand der Gnade ist), kein Sünder mehr (die innerweltlichen Folgen sind ja noch spürbar!)?
2. Ist jemand, der nur lässliche Sünden begangen hat (also im Stand der Gnade ist) kein Sünder?
Ich glaube, mit dem Gnadenstand kann man hier nicht argumentieren. Auch der entsündigte Mensch lebt noch in der gefallenen Welt und hat (wenn auch nicht nur) an ihr teil.
Wenn ich es richtig verstanden habe, lehnt Luther den Gnadenstand als STATUS ab. In der Beziehung zu Gott ist der Mensch immer der Empfangende, nie der Besitzende. Er ist auch als Gerechtfertigter immer ein Empfänger der Gnade, nie ihr Besitzer.
Dahinter steht wohl die persönliche Erfahrung Luthers, dass er nach der Beichte oft unsicher war, ob denn alles ausgesprochen und damit vergeben sei. Aus diesem Dilemma hat sein Seelsorger und Ordensoberer Staupitz ihn nicht zu erlösen vermocht. Die Befreiung kam, als Luther für sich erkannte: der Gerechte lebt aus dem Glauben, also dem Vertrauen auf das, was ihm zugesagt wird. Nicht das subjektives Bewusstsein der Vergebung macht den Menschen zum "justus" sondern Gottes Gnade, die ihm zugesprochen wird. Im Bewusstsein und im aktuellen Handeln ist er immer wieder peccator. Die Unterscheidung verschiedener Sündenarten spielt dabei überhaupt keine Rolle.

Für Luther bleibt der Mensch auch unter der Gnade Sünder. Die Rechtfertigung macht ihn nicht zu einem Nicht-Sünder, sondern nur zu einem vor Gott gerecht gesprochenen Sünder. Daher ist er iustus (gerechtfertigt) und zugleich peccator (Sünder). Die Rechtfertigung verändert nicht den Menschen selbst, sondern nur seinen Status vor Gott. Die Gerechtigkeit Gottes wird dem Menschen beigelegt (imputatio). Man spricht im Luthertum daher auch von einer forensischen Rechtfertigung: Der Sünder ist ein begnadigter Angeklagter. Die katholischen Gnadenlehre hingegeben betonte die Effektivität der Gnade, die im Prozeß der Rechtfertigung den Menschen verändert. Die katholische Rechtfertigungslehre spricht daher nicht von einer Beilegung (imputatio) der Gerechtigkeit Gottes, sondern von einer Eingießung (infusio), die die Seele von innen her verändert. Für Luther ist die Rechtfertigung zunächst einmal ein Rechtsakt, während sie für die katholische Theologie eher ein dynamischer Prozess ist.

Insofern ist Luthers dictum keineswegs eine contradictio in adiecto, wie hier unterstellt wurde.

Allerdings stehen die Denkmodelle erst einmal gegeneinander. Die Frage ist aber, was das für Konsequenzen hat. Denn die allgemeine menschlich-christliche Erfahrung lehrt uns ja, dass auch die gerechtfertigten Sünder wieder sündigen und Vollkommenheit eher selten ist. Und da geht es dem Lutheraner wie dem Katholiken.
Zuletzt geändert von Stephen Dedalus am Mittwoch 30. Mai 2012, 16:27, insgesamt 2-mal geändert.
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Marcus
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Marcus »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:
berneuchen hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:1. Ist jemand, der seine Sünden gebeichtet hat (also im Stand der Gnade ist), kein Sünder mehr (die innerweltlichen Folgen sind ja noch spürbar!)?
2. Ist jemand, der nur lässliche Sünden begangen hat (also im Stand der Gnade ist) kein Sünder?
Ich glaube, mit dem Gnadenstand kann man hier nicht argumentieren. Auch der entsündigte Mensch lebt noch in der gefallenen Welt und hat (wenn auch nicht nur) an ihr teil.
Wenn ich es richtig verstanden habe, lehnt Luther den Gnadenstand als STATUS ab. In der Beziehung zu Gott ist der Mensch immer der Empfangende, nie der Besitzende. Er ist auch als Gerechtfertigter immer ein Empfänger der Gnade, nie ihr Besitzer.
Dahinter steht wohl die persönliche Erfahrung Luthers, dass er nach der Beichte oft unsicher war, ob denn alles ausgesprochen und damit vergeben sei. Aus diesem Dilemma hat sein Seelsorger und Ordensoberer Staupitz ihn nicht zu erlösen vermocht. Die Befreiung kam, als Luther für sich erkannte: der Gerechte lebt aus dem Glauben, also dem Vertrauen auf das, was ihm zugesagt wird. Nicht das subjektives Bewusstsein der Vergebung macht den Menschen zum "justus" sondern Gottes Gnade, die ihm zugesprochen wird. Im Bewusstsein und im aktuellen Handeln ist er immer wieder peccator. Die Unterscheidung verschiedener Sündenarten spielt dabei überhaupt keine Rolle.
Das ist aber eine elementare Erkenntnis, die sich mit Raphaels Punkt
Raphael hat geschrieben: 3. Wenn der Mensch gesündigt hat, jedoch die gültige Absolution nach der Beichte erhalten hat, dann ist der Mensch wieder im Stande der Gnade und somit kein Sünder mehr.
eben nicht aushebeln lässt. Gerade wenn man jeden "protestantischen Subjektivismus" außen vor lässt und die Sakramente als objektive Heilsmittel anerkennt, kommt es zu dieser Bipolarität des vor Gott gerechten, aber "ohne Gott" nach wie vor sündigen Menschen.
Für Luther bleibt der Mensch auch unter der Gnade Sünder. Die Rechtfertigung macht ihn nicht zu einem Nicht-Sünder, sondern nur zu einem vor Gott gerecht gesprochenen Sünder. Daher ist er iustus (gerechtfertigt) und zugleich peccator (Sünder). Die Rechtfertigung verändert nicht den Menschen selbst, sondern nur seinen Status vor Gott. Die Gerechtigkeit Gottes wird dem Menschen beigelegt (imputatio). Man spricht im Luthertum daher auch von einer forensischen Rechtfertigung: Der Sünder ist ein begnadigter Angeklagter. Die katholischen Gnadenlehre hingegeben betonte die Effektivität der Gnade, die im Prozeß der Rechtfertigung den Menschen verändert. Die katholische Rechtfertigungslehre spricht daher nicht von einer Beilegung (imputatio) der Gerechtigkeit Gottes, sondern von einer Eingießung (infusio), die die Seele von innen her verändert. Für Luther ist die Rechtfertigung zunächst einmal ein Rechtsakt, während sie für die katholische Theologie eher ein dynamischer Prozess ist.

So stehen die Denkmodelle erst einmal gegeneinander. Die Frage ist aber, was das für Konsequenzen hat. Denn die allgemeine menschlich-christliche Erfahrung lehrt uns ja, dass auch die gerechtfertigten Sünder wieder sündigen und Vollkommenheit eher selten ist. Und da geht es dem Lutheraner wie dem Katholiken.
:daumen-rauf:
Jesus spricht: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh. 14,6)

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Für Luther bleibt der Mensch auch unter der Gnade Sünder.
Damit wird implizit Jesus Christus der Lüge bezichtigt, denn ER sagt in Joh 20,23:
Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.
Diese Vergebung glaubt Luther offenbar dem Erlöser nicht ................
Stephen Dedalus hat geschrieben:Die Rechtfertigung macht ihn nicht zu einem Nicht-Sünder, sondern nur zu einem vor Gott gerecht gesprochenen Sünder.
Also wirken Gottes Worte Deiner Ansicht nach nicht auf der ontologischen Ebene, sondern nur auf einer wie auch immer gearteten "deklaratorischen"? :hmm:
Stephen Dedalus hat geschrieben:Daher ist er iustus (gerechtfertigt) und zugleich peccator (Sünder).
Eben das ist die schon erwähnte Contradictio in adiecto!

Stephen Dedalus
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Raphael hat geschrieben: Diese Vergebung glaubt Luther offenbar dem Erlöser nicht.
Luther glaubt natürlich die Vergebung. Aber auch ein Sünder, dem die Sünden vergeben sind, ist und bleibt eben ein Sünder. Die Vergebung ändert daran nichts. Darin liegt der Unterschied in Luthers Auffassung zu der Ansicht, ein Sünder sei nach Buße und Beichte kein Sünder mehr.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Die Rechtfertigung macht ihn nicht zu einem Nicht-Sünder, sondern nur zu einem vor Gott gerecht gesprochenen Sünder.
Also wirken Gottes Worte Deiner Ansicht nach nicht auf der ontologischen Ebene, sondern nur auf einer wie auch immer gearteten "deklaratorischen"? :hmm:
Ich habe hier nicht meine Position dargestellt, sondern die Luthers.

Aber Diskussionen mit Dir bringen erfahrungsgemäß nichts.
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Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Luther glaubt natürlich die Vergebung.
Dann wird seine Formel "simul iustus et peccator" ja noch unlogischer! 8)
Stephen Dedalus hat geschrieben:Aber auch ein Sünder, dem die Sünden vergeben sind, ist und bleibt eben ein Sünder.
Neeee, eben nich', weil vergebene Sünden ganz und gar weg sind; sozusagen im Nichts, wenn Du das besser verstehst!
Stephen Dedalus hat geschrieben:Die Vergebung ändert daran nichts.
Die Vergebung ändert alles, insbesondere wenn sie mit göttlicher Macht gesprochen wird! :)

GESTRICHEN asder
Stephen Dedalus hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:
Stephen Dedalus hat geschrieben:Die Rechtfertigung macht ihn nicht zu einem Nicht-Sünder, sondern nur zu einem vor Gott gerecht gesprochenen Sünder.
Also wirken Gottes Worte Deiner Ansicht nach nicht auf der ontologischen Ebene, sondern nur auf einer wie auch immer gearteten "deklaratorischen"? :hmm:
Ich habe hier nicht meine Position dargestellt, sondern die Luthers.

Gut, dann gibt's noch zwei Fragen:
1. Also wirken Gottes Worte nach Ansicht Luthers nicht auf der ontologischen Ebene, sondern nur auf einer wie auch immer gearteten "deklaratorischen"?
und
2. Welche Position hast Du denn? :roll:

Pilgerer
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Pilgerer »

Raphael hat geschrieben:An diesem Punkt gibt es tatsächlich keine "Schnittmenge" zwischen dem protestantischen simul iustus et peccator und dem katholischen Verständnis der Rechtfertigung.
Rechtfertigung bedeutet im evangelischen Sinn, den Platz im Himmel sicher zu haben - nicht aufgrund eigener Werke, sondern aufgrund Gottes Werke in Christo. Luther zitiert irgendwo folgende Bibelstelle: "28 Da fragten sie ihn: Was sollen wir tun, dass wir Gottes Werke wirken? 29 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat." (Johannes 6,28-29)

Gott hat 1. in der Passion Werke vollbracht und tut 2. durch den Glauben weitere Werke (in der Art unsichtbarer unmittelbarer Sakramente). Diese Werke Gottes können im Gegensatz zu menschlichen Werken als vollkommen angesehen werden. Sie können daher den Weg zwischen Gott und Menschen öffnen. Die Sünde, der Teufel, der Tod sind erledigt.
Die Reformatoren sind selbstverständlich der Meinung, dass die Rechtfertigung die Menschen verändert und besser macht. Deshalb z.B. die strenge Kirchenzucht der Calvinisten, die davon ausgeht, dass der glaubende Mensch auch sittlich gut lebe. Bei Luther ist es die Vorstellung, dass das unbefleckte Gewissen der ideale Grund für gute Werke sei. Weil vor Gott aber schon Unvollkommenheit Sünde ist, bleiben die gerechtfertigten Christen, solange sie unvollkommen bleiben, Sünder.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Die katholische Rechtfertigungslehre spricht daher nicht von einer Beilegung (imputatio) der Gerechtigkeit Gottes, sondern von einer Eingießung (infusio), die die Seele von innen her verändert.
Diese Eingießung gibt es in ähnlicher Form wohl auch in der protestantischen Vorstellung, allerdings als Folge der Rechtfertigung. Oder wie ich in einer FeG-Predigt mal hörte: Erst gehst du zum Kreuz und wirst gerettet, und dann gehst du zu Jakobus und tust aus der Kraft der Rechtfertigung/Rettung gerechte Werke.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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berneuchen
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von berneuchen »

Rechtfertigung bedeutet im evangelischen Sinn, den Platz im Himmel sicher zu haben - nicht aufgrund eigener Werke, sondern aufgrund Gottes Werke in Christo.

Das Unterscheidende ist die vorausgesetzte Situation des Menschen: Luther - hierin ganz im juridischen Denkmodell Anselms gefangen - sieht den Menschen sozusagen ständig vor einem Tribunal ( bis hin zum Verständnisvdes AT geht das: es ist nur anklagende Rede gegen den Menschen ("lex semper accusat"). Vor diesem Tribunal tritt nun Christus auf und für den Sünder ein. Sodann erhält dieser eine fremde, nämlich Christi Gerechtigkeit zugerechnet.
Das ist m. E. eine problematische Engführung, geht es doch in dem, was Christus an uns tut, nicht nur um einen ständig neuen Freispruch, sondern auch um das Einpflanzen neuen Lebens, um ein neues Sein ( ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, ..) T
rotzdem: das "simul justus ... " ist keine notwendigerweise kirchentrennende Lehre, denn es kann sich auch auf biblische und patristische Zitate berufen.
Überhaupt ist es die Frage, ob die Basis für den ökumenischen Dialog eine Einigung über die Fragen und Postionen der Theologie des 16. Jahrhunderts sein muss. Ebensowenig halte ich die verbliebenen Differenzen aus dieser Zeit für notweigerweise kirchentrennend. Was kirchentrennend gewirkt hat war die Verabsolutierung von bis dato diskutablen Standpunkten in der lutherischen Orthodoxie und der nachtridentinschen Epoche. Die Quittung dafür erhielten beide Seiten dann in der Aufklärung.

Pilgerer
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Pilgerer »

berneuchen hat geschrieben:Das ist m. E. eine problematische Engführung, geht es doch in dem, was Christus an uns tut, nicht nur um einen ständig neuen Freispruch, sondern auch um das Einpflanzen neuen Lebens, um ein neues Sein ( ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, ..) T
Das stimmt. Luther hat mit seiner Rechtfertigungslehre ein wichtige Punkte gelehrt, die das Vertrauen in Gott stärken und das Herz für Jesus Christus öffnen. Dennoch halte ich es für problematisch, eine ganze Kirche auf ihn zu gründen und alles genau so zu machen, wie Luther das sich ausdachte.
Es geht um mehr als die Rettung, nämlich auch um die Befreiung aus den Leidenschaften, die Heilung von Verletzungen und das Vertrautwerten mit der himmlichen Welt, an der Christen schon jetzt teilhaben können. Für Gott ist die Gemeinschaft mit uns Menschen sehr wichtig. Er hat uns dafür geschaffen, mit uns zu leben, uns zu lieben und zu erleuchten. Die Gemeinschaft mit Gott zu haben, ist die höchste Glückseligkeit, besser als alles, was wir Menschen uns sonst träumen. Das Bewusstsein hierfür geht verloren, wenn das Christentum zu einseitig auf den juristischen Status vor Gott reduziert wird.

Nach meiner Erfahrung ist ohnehin der strengste Richter eines Menschen er selbst. Denn wer entzieht dem Menschen das Recht, mit Gott unbeschwert und glücklich verkehren zu dürfen? Ist es nicht die Sünde, die dem Menschen einredet, nicht zu Gott zu passen? Es ist, denke ich, ein Geheimnis der Bibel, dass unbarmherzige Menschen große Sünder sind, während mitfühlende Menschen gerecht sind. Vielleicht ist es die eigentliche Wahrheit, dass Gott die Vergebung an sich ist und der Weg zu Ihm der Weg zur Vergebung ebnet. Wenn Johannes schreibt, dass Gott die Liebe ist, die uns zuerst geliebt hat, dann ist diese göttliche Liebe bedingungslos. Und: weil diese Liebe Gott ist, ist sie unsterblich, und wer sie in sich hat, wird durch sie ewig leben.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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berneuchen
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von berneuchen »

Pilgerer hat geschrieben:
berneuchen hat geschrieben:Das ist m. E. eine problematische Engführung, geht es doch in dem, was Christus an uns tut, nicht nur um einen ständig neuen Freispruch, sondern auch um das Einpflanzen neuen Lebens, um ein neues Sein ( ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, ..) T
Das stimmt. Luther hat mit seiner Rechtfertigungslehre ein wichtige Punkte gelehrt, die das Vertrauen in Gott stärken und das Herz für Jesus Christus öffnen. Dennoch halte ich es für problematisch, eine ganze Kirche auf ihn zu gründen und alles genau so zu machen, wie Luther das sich ausdachte.
Es geht um mehr als die Rettung, nämlich auch um die Befreiung aus den Leidenschaften, die Heilung von Verletzungen und das Vertrautwerten mit der himmlichen Welt, an der Christen schon jetzt teilhaben können. Für Gott ist die Gemeinschaft mit uns Menschen sehr wichtig. Er hat uns dafür geschaffen, mit uns zu leben, uns zu lieben und zu erleuchten. Die Gemeinschaft mit Gott zu haben, ist die höchste Glückseligkeit, besser als alles, was wir Menschen uns sonst träumen. Das Bewusstsein hierfür geht verloren, wenn das Christentum zu einseitig auf den juristischen Status vor Gott reduziert wird.

Nach meiner Erfahrung ist ohnehin der strengste Richter eines Menschen er selbst. Denn wer entzieht dem Menschen das Recht, mit Gott unbeschwert und glücklich verkehren zu dürfen? Ist es nicht die Sünde, die dem Menschen einredet, nicht zu Gott zu passen? Es ist, denke ich, ein Geheimnis der Bibel, dass unbarmherzige Menschen große Sünder sind, während mitfühlende Menschen gerecht sind. Vielleicht ist es die eigentliche Wahrheit, dass Gott die Vergebung an sich ist und der Weg zu Ihm der Weg zur Vergebung ebnet. Wenn Johannes schreibt, dass Gott die Liebe ist, die uns zuerst geliebt hat, dann ist diese göttliche Liebe bedingungslos. Und: weil diese Liebe Gott ist, ist sie unsterblich, und wer sie in sich hat, wird durch sie ewig leben.
:daumen-rauf: :daumen-rauf: :daumen-rauf:

Stephen Dedalus
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Stephen Dedalus »

berneuchen hat geschrieben: Das ist m. E. eine problematische Engführung, geht es doch in dem, was Christus an uns tut, nicht nur um einen ständig neuen Freispruch, sondern auch um das Einpflanzen neuen Lebens, um ein neues Sein ( ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, ..) T
rotzdem: das "simul justus ... " ist keine notwendigerweise kirchentrennende Lehre, denn es kann sich auch auf biblische und patristische Zitate berufen.
Es kann vor allem in der praktischenTheologie und in der Bußpraxis seinen Platz behalten - so wie Luther es ja auch verstanden hat: Nur der Mensch, der sich vor Gott als Sünder erkennt und bekennt, wird von ihm gerechtfertigt. Derjenige jedoch, der sich vor Gott als gerecht und sündlos sieht, wird von ihm weiterhin als Sünder angesehen. So sind beide simul iustus et peccator - der eine zum Heil, der andere zum Unheil.
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Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

berneuchen hat geschrieben:Trotzdem: das "simul justus ... " ist keine notwendigerweise kirchentrennende Lehre, denn es kann sich auch auf biblische und patristische Zitate berufen.
Welche denn? :hmm:

Raphael

Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Raphael »

berneuchen hat geschrieben:Das ist m. E. eine problematische Engführung, geht es doch in dem, was Christus an uns tut, nicht nur um einen ständig neuen Freispruch, sondern auch um das Einpflanzen neuen Lebens, um ein neues Sein ( ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, ..)
Wenn "das Alte" vergangen ist, dann ist der Mensch aber kein Sünder mehr; wie bspw. nach gültiger Absolution! 8)

Mit der Formel "simul iustus et peccator" halten jedoch Luther's Epigonen den Menschen in einem Schwebezustand der Unentschiedenheit; Gottes Vergebung bewirkt in dieser Formulierung keine Entsündigung des Menschen und stempelt daher den Erlöser zu einem Lügner.
Zuletzt geändert von Raphael am Donnerstag 31. Mai 2012, 14:59, insgesamt 1-mal geändert.

Stephen Dedalus
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Re: Simul iustus et peccator - Biblisch?

Beitrag von Stephen Dedalus »

berneuchen hat geschrieben: Das ist m. E. eine problematische Engführung, geht es doch in dem, was Christus an uns tut, nicht nur um einen ständig neuen Freispruch, sondern auch um das Einpflanzen neuen Lebens, um ein neues Sein ( ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, ..)
Auch den Gedanken der Theosis gibt es bei Luther. Das ist gerade in den letzten Jahren wieder stärker ins Bewußtsein gerückt. In Finnland hat sich eine ganze Schule der Lutherinterpretation daraus entwickelt. Google mal 'Luther' und 'Theosis', dann findest Du einige Verweise.
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