die Diaconie der Fremdlingen Armen in Emden

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Amandus2
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die Diaconie der Fremdlingen Armen in Emden

Beitrag von Amandus2 »

In Emden, der reformiert geprägten Hafenstadt in Nordwestdeutschland, auch Genf des Nordens genannt, gibt es seit mehr als 400 Jahren eine bemerkenswerte diakonische Einrichtung:

Mit Unterstützung der Gräfin Anna gründete Johannes á Lasco, der Reformator Ostfrieslands, im Jahre 1553 die Diaconie speziell zur Unterstützung der nach Emden einströmenden Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden.

Anfang des 16. Jahrhunderts gab es eine fortschreitende Bildung der bürgerlichen und bäuerlichen Schichten. Die Schaffung neuer Schulen für den Mittelstand und der immer mehr Verbreitung findende Buchdruck ermöglichten diesen Bevölkerungskreisen eine bessere Bildung, förderten dadurch aber auch eine viel kritischere Betrachtungsweise der Kirche und damit mehr Aufgeschlossenheit für ihre Erneuerung. Das waren die wesentlichen Gründe für die beginnende Reformation, die von der bisherigen alleinherrschenden Kirche vehement bekämpft wurde.

Die neue Glaubensrichtung wurde von der katholischen Kirche mit ungeheurer Grausamkeit verfolgt und bekämpft. Dennoch hielten die "Ketzer" mit großer Festigkeit an ihrem neuen Glauben fest und nahmen Vertreibung und Armut hierfür in Kauf.

In der Mitte des 16. Jahrhunderts kamen daher sehr viele Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden und aus Flandern nach Emden. Man spricht von etwa 6000 Flüchtlingen, die hier Zuflucht fanden. Und das bei einer Einwohnerzahl Emdens von ebenfalls etwa 6000 Menschen ! Das Zahlenverhältnis zwischen den Einwohnern und den Flüchtlingen zeigt, mit welcher Bereitwilligkeit die vertriebenen Glaubensbrüder in Emden aufgenommen wurden. Die Armenpflege, die damals in den Händen der Kirche und der Zünfte lag, war mit dem Zuzug so vieler Menschen jedoch hoffnungslos überfordert. Da aber unter den Flüchtlingen nicht nur Unbemittelte waren, gründete man eine eigene Diaconie, nämlich die „Diaconie der Fremdlingen Armen“.

Die bisherige „Hussittende Diaconie“ versorgte weiterhin die heimischen Armen, während die „Fremdlingen Diaconie“ mit Unterstützung der Bevölkerung und der wohlhabenderen Flüchtlinge die Mittellosen unter den Glaubensflüchtlingen unterstützen sollte.

Wegen der sprachlichen Nähe zwischen dem Niederländischen und dem Niederdeutschen (bis in das 20. Jahrhundert hinein wurde noch in einigen Reformierten Kirchen Emdens in niederländischer Sprache gepredigt) gründeten die Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden in Emden keine eigene Gemeinde, wie etwa die französisch sprechenden Hugenotten. Diese gründeten 1554 die „französisch-reformierte Gemeinde“, die mit einem eigenen Pastor bis 1897 in Emden selbständig war und auch an der französischen Sprache festhielt. Die niederländischen Flüchtlinge dagegen schlossen sich der bestehenden reformierten Stadtkirche an, die ihnen ja auch theologisch und sprachlich verwandt war.

Johannes á Lasco schrieb damals an seinen Freund und Mitstreiter Albertus Hardenberg in Bremen : „Wir sind hier alle so aufgenommen, da es bei den nächsten Verwandten nicht liebevoller hätte geschehen können. Alle angesehenen Männer des Landes sind so besorgt um die Kirche, daß ich ihren Eifer, ihre Freundlichkeit, ja auch ihre Freigiebigkeit nicht genug preisen kann. Wir sind in ein gemeinsames Vaterland gekommen.“

Emden, begünstigt als neutraler Hafen zwischen den Fronten, nahm einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. Reeder, Kaufleute und Handwerker brachten Kapital, wirtschaftliche Verbindungen und das nötige „Know how“ mit.

In diese Zeit fällt der Rathausbau, die Erweiterung der Stadt und im 17.Jahrhundert der Bau der Wallanlagen als Verteidigungsring um die Stadt, der Emden vor den Folgen des 30-jährigen Krieges verschonte. Der erbitterte Streit zwischen dem Adel und der Bürgerschaft um politische aber vor allem auch religiöse Macht führte zur Emder Revolution von 1595. Keimzelle war die Große Reformierte Kirche, auch „Moederkerk“ genannt.

Nach dem Rückzug der Spanier aus den nördlichen Niederlanden und der Groninger „Reductie“, dem Waffenstillstand, kehrte der größte Teil der Flüchtlinge in ihre Heimat zurück. Aus Dankbarkeit für das gewährte Asyl errichtete man an der Großen Kirche das heute noch erhaltene „Diaconen-Tor“ mit dem „Schepken Christi“ und der Umschrift „Godts Kerck vervolgt verdreven heft Godt hyr Trost gegeven“.

Damit wäre eigentlich der Zweck der Fremdlingen-Diaconie erloschen. Aber zwei Pestwellen, die Folgen des 30-jährigen Krieges, Sturmfluten, Teuerungen, wirtschaftliche Rückschläge und anderes ergaben immer wieder einen Grund, weiterhin tätig zu sein.Und so hat die Diaconie der Fremdlingen Armen über die Jahrhunderte hinweg immer Veranlassung gehabt zu helfen.

Selbst in der Zeit des Nationalsozialismus widerstand sie den Gleichschaltungs-Bestrebungen der NS-Volkswohlfahrt. Nach dem letzten Kriege und der Währungsreform war die Arbeit der Diaconie gänzlich zum Erliegen gekommen. Erst 1954 gelang ein neuer Anfang zur Fortsetzung alter Tradition.

Unterstützt werden die sogenannten „verschämten Armen“, von denen es gerade heute mehr gibt als man ahnt, und die ihre Bedürftigkeit oftmals nicht zeigen mögen. In den meisten Fällen handelt es sich um ältere, alleinstehende und oftmals vereinsamte Bürger.

Die Diaconie tritt in der Öffentlichkeit bewußt wenig in Erscheinung, das gebietet schon der Kreis der Unterstützungsempfänger. Aber den alteingesessenen Emdern ist sie seit Generationen bekannt, und dort ist der Spenderkreis auch sehr groß.

In der Großen Reformierten Kirche von Emden befindet sich heute die Johannes a Lasco-Bibliothek, die für theologisch Interessierte mehr als einen Besuch wert ist.

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Clemens
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Re: die Diaconie der Fremdlingen Armen in Emden

Beitrag von Clemens »

Danke für den schönen weiterbildenden Bericht! :daumen-rauf:
Von allen Gottesgaben ist die Intelligenz am gerechtesten verteilt. Jeder ist zufrieden mit dem, was er hat und freut sich sogar, dass er mehr hat, als die anderen.

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Lioba
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Re: die Diaconie der Fremdlingen Armen in Emden

Beitrag von Lioba »

Danke, Amandus, dieses Werk kannte ich noch gar nicht. Eine wirklich gute Zusammenfassung. :ja:
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

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