Ziele in protestantischen Untergruppierungen

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
Kalli
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Ziele in protestantischen Untergruppierungen

Beitrag von Kalli »

Ich habe mal eine Frage an das Forum:

vor kurzem hat mich ein Bekannter darauf angesprochen, dass es bestimmte protestantische "Untergruppierungen" (den Begriff Kirche oder Sekte möchte ich nicht verwenden, da ich nicht weiß, welcher passt) geben soll, die eine besondere Ansicht vertreten. Danach sollen nur die in den Himmel kommen bzw. nur die im Himmel ein glückliches Leben haben, die zu Lebzeiten auf der Erde wirtschaftlich sehr erfolgreich waren.

Davon habe ich noch nie was gehört und sofort an Scientology gedacht. Er meinte aber, so etwas mal bei Max Weber (dem Soziologen) gelesen zu haben. Kann mir da jemand was zu sagen?

sofaklecks
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Calvin

Beitrag von sofaklecks »

Ich denke, dass hängt mit Calvins Lehre zusammen, dass des Menschen Schicksal von Gott vorbestimmt ist.

Nimmt man das ganz ernst, kann man die (irrige) Auffassung vertreten, Gottes Segen werde schon auf Erden am wirtschaftlichen Erfolg des Einzelnen sichtbar.

Eine Überzeugung, die in Amerika einige Anhänger hat.

sofaklecks

Stephen Dedalus
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Beitrag von Stephen Dedalus »

Hallo Kalli,

ich denke, hier liegen ein paar Mißverständnisse vor.

Natürlich gibt es viele protestantische Gruppen, und einige von ihnen vertreten ein sogenanntes "Wohlstandsevangelium", d.h. wenn Du richtig glaubst, wird Gott Dich materiell segnen. Das ist in den USA verbreitet, die neueste Form dieses theologischen Irrsinns in Deutschland hat unter dem Namen der "Wort und Geist" Gemeinden von Röhrnbach im Bayerischen Wald aus ihren Anfang genommen.

Sofaklecks hat recht mit seinem Hinweis auf Calvin. Alle größeren Theologen haben sich mit der Frage der Prädestination (Vorherbestimmung) zum Heil oder zum Unheil auseinandergesetzt. Eine besonders radikale Ansicht vertrat Johannes Calvin mit der sog. doppelten Prädestination - also Lehre der unabwendbaren Vorherbestimmung des Menschen zum Heil oder zum Unheil. Im calvinistischen Glaubenssystem galt weiterhin, daß der Mensch nicht erkennen kann, ob er zum Heil oder zum Unheil bestimmt ist. Änderbar ist dieser Ratschluß Gottes ohnehin nicht. Allerdings entwickelte sich die Vorstellung, daß bestimmte Lebensumstände Rückschlüsse darauf zuließen, ob man zum Heil oder Unheil bestimmt sei. Wirtschaftlicher Wohlstand, Gesundheit, Wohlergehen und sozialer Status wurden für die Calvinisten so zum Indikator für die Erwählung, während Krankeit, Armut usw. darauf hindeuteten, daß dieser Mensch nicht zum Heil erwähnt sein könne.

Der Unterschied zum amerikanischen Wohlstandsevangelium liegt darin, daß für Calvin das Wohlergehen nur ein Indikator für das bereits zugesprochene Heil ist, während für die Amis das Wohlergehen eine Folge des rechten Glaubens ist.

Nichts spricht jedoch für den gläubigen Calvinisten dagegen, durch Strebsamkeit und aufopfernde Arbeit auf diesen Wohlstand hinzuarbeiten und damit sich der Zeichen der eigenen Erwählung zu versichern. Besonders diesen Aspekt hat Max Weber in seiner bahnbrechenden Studie "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" untersucht. Für Weber war die Kombination aus Erwählungsglaube (oder soll man sagen: Verdammungsangst?), Arbeitsethik, Vergnügungsfeindlichkeit und Sozialkontrolle eine Grundbedingung für das Entstehen kapitalistischer Wirtschaftssysteme. Dies galt zunächst für die calvinistischen Gebiete in der Schweiz und den Niederlanden, wurde aber in einer weiteren Studie ("Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus") auf protestantische Gruppen wie Presbyterianer und Methodisten in Großbritannien und Nordamerika ausgedehnt.

Alle diese Gruppen vertreten aber gewiß nicht die Lehre, nur der Erfolgreiche komme in den Himmel. Im Gegenteil: Die Methodisten etwa waren in der Frage der Prädestionation eindeutig Arminianer, d.h. sie lehnten die Lehre der doppelten Prädestination explizit ab, u.a. mit der Begründung, daß diese Lehre ja gerade soziale Mißstände zementiere, indem sie das Los der Armen als gottgewolte Strafe für ihre Verdammung erscheinen lasse!). Dies ist ein klares Mißverständnis und läßt sich nicht in den Arbeiten Max Webers belegen.

Gruß
SD
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Edi
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Re: Calvin

Beitrag von Edi »

sofaklecks hat geschrieben:Ich denke, dass hängt mit Calvins Lehre zusammen, dass des Menschen Schicksal von Gott vorbestimmt ist.
Nimmt man das ganz ernst, kann man die (irrige) Auffassung vertreten, Gottes Segen werde schon auf Erden am wirtschaftlichen Erfolg des Einzelnen sichtbar.
Eine Überzeugung, die in Amerika einige Anhänger hat.
Nicht nur in Amerika, auch hier in Deutschland gibt es vor allem unter charismatischen ev. Richtungen solche Ansichten. Einer dieser Pastoren lehrte u.a. dass Gottes Segen neben Wohlstand, auch Gesundheit und ein langes Leben bedeuten würde. Dummerweise ist er aber im Alter von um die 50 vor wenigen Monaten nachdem er ins Koma fiel gestorben. Seine Verwandten wollten ihn durch Gebete wieder auferwecken, hat aber nicht geklappt. Ich kannte den Mann persönlich, aber ein vernünftiges Gespräch über solche Themen war mit ihm nicht möglich, obwohl er vor einigen Jahren (allerdings in den USA) noch ev. Theologie studiert und den Dr. in diesem Fach gemacht hat.
Es lebt der Mensch im alten Wahn.
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berku
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Beitrag von berku »

... erinnert ziemlich an den Islam, wo im "Buch des Lebens" ja auch schon alles vorhersbestimmt sein soll - auch ob ein Mensch errettet wird oder nicht. Übrigends: für uns "Ungläubige" hieße dies: wir sind zur Verdammnis vorherbestimmt...
Grüße von Berku!

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sofaklecks
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Sachte

Beitrag von sofaklecks »

Sachte, Berku.

Die Christen gehören zu den Völkern des Buches. Uns werden höchstens die fünfzig (oder siebzig?) hübschen Mädchen vorenthalten.

sofaklecks

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holzi
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Re: Sachte

Beitrag von holzi »

sofaklecks hat geschrieben:Sachte, Berku.

Die Christen gehören zu den Völkern des Buches. Uns werden höchstens die fünfzig (oder siebzig?) hübschen Mädchen vorenthalten.

sofaklecks
Nach anderen Übersetzungen (Luxenberg!) ein Paar saftige Weintrauben ;D

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Linus
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Re: Ziele in protestantischen Untergruppierungen

Beitrag von Linus »

Kalli hat geschrieben:Ich habe mal eine Frage an das Forum:

vor kurzem hat mich ein Bekannter darauf angesprochen, dass es bestimmte protestantische "Untergruppierungen" (den Begriff Kirche oder Sekte möchte ich nicht verwenden, da ich nicht weiß, welcher passt) geben soll, die eine besondere Ansicht vertreten. Danach sollen nur die in den Himmel kommen bzw. nur die im Himmel ein glückliches Leben haben, die zu Lebzeiten auf der Erde wirtschaftlich sehr erfolgreich waren.

Davon habe ich noch nie was gehört und sofort an Scientology gedacht. Er meinte aber, so etwas mal bei Max Weber (dem Soziologen) gelesen zu haben. Kann mir da jemand was zu sagen?
Ne, Calvinismus. Weber Max Die Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus sowie Protestantische Sekten und der 'Geist' des Kapitalismus nach den Mariannenausgaben auf der Uni Potsdam. (Potsdamer Internetausgabe)
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

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Linus
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Re: Sachte

Beitrag von Linus »

sofaklecks hat geschrieben:Sachte, Berku.

Die Christen gehören zu den Völkern des Buches. Uns werden höchstens die fünfzig (oder siebzig?) hübschen Mädchen vorenthalten.

sofaklecks
Hab erst unlängst gelesen die "Huris" seien keine hübschen Mädchen sondern Wachteln, die an Bäumen hingen. Nachdem ich letztens Wachteleier probiert hab, kann ich gern darauf verzichten. (Bäh daß Schickimickifraß entweder einen schlechten oder meistens garkeinen eigengeschmack hat versteh ich ehrlich nicht.)
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Kalli
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Beitrag von Kalli »

Danke für die Antworten. Hätte mir wirklich denken können, dass das in diesem Werk von Weber steht. Habe mal in einer sehr protestantisch geprägten Gegend gearbeitet (als Katholik) und dort Erfahrungen gemacht, die durchaus mit dieser Theorie in Einklang zu bringen wären. Da waren allerdings überwiegend Freikirchler am Werk. Von denen habe ich sowas bisher noch nicht gehört. Daher wollte ich hier mal fragen.

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Edi
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Beitrag von Edi »

Ob das in gewissen charismatischen ev. Kreisen gelehrte Wohlstandsevangelium etwas mit Calvin bzw. dem Protestantimus an sich zu tun hat, ist mir allerdings unbekannt.
Man findet ja solche Gedanken auch im alten Testament, wo Gott den Vätern wie Abraham auch irdisches Wohlgehen in jeder Hinsicht zusagt, so sie an IHN glauben. Möglicherweise haben einige ihre Theorien daraus entnommen. Im NT findet man solches aber nicht, auch wenn ein gewisser Charismatenguru aus Korea aus einer NT-Bibelstelle, wo lediglich ein frommer Wunsch geäussert wird, gleich ein Dogma und ein Wort Gottes daraus macht. Derselbe Guru hat auch bezüglich einer andern Themas von seiner eigenen Erfahrung her gewisse Grundsätze fixiert, die einfach pauschal nicht stimmen, eher lächerlich sind.
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