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Johannesapokalypse

Verfasst: Mittwoch 3. Mai 2006, 22:51
von Stephen Dedalus
Ich habe gestern in Scott Hahns neuem Buch "Letter & Spirit" eine Bemerkung gefunden, die ich interessant fand. Er meint da, in der Orthodoxie habe man sich dafür entschieden, die Johannesapokalypse aus dem Lektionar für öffentliche Gottesdienste zu streichen. Es wird nicht daraus gelesen. Stimmt das? Weiß jemand darüber Näheres?

Gruß
JHN

Verfasst: Donnerstag 4. Mai 2006, 09:40
von Nietenolaf
Stephen Dedalus hat geschrieben:...Scott Hahn... meint da, in der Orthodoxie habe man sich dafür entschieden, die Johannesapokalypse aus dem Lektionar für öffentliche Gottesdienste zu streichen. Es wird nicht daraus gelesen. Stimmt das? Weiß jemand darüber Näheres?
Prinzipiell wurde nie etwas gestrichen. Die Frage bleibt aber nach dem liturgischen Platz der Johannesoffenbarung. Und dazu erst einmal Theorie, die Scott Hahns Meinung entgegensteht:
Typikon, 2. Kapitel, erstes ''siehe'', hat geschrieben:Vom Sonntag des heiligen Pascha bis zum Sonntag aller Heiligen werden nach der Segnung der Brote die Werke der heiligen Apostel [Apostelgeschichte] gelesen. Zu den übrigen Sonntagen des ganzen Jahres werden die sieben katholischen Briefe der Apostel, die vierzehn Briefe des heiligen Apostels Paulus, und die Offenbarung des heiligen Apostels Johannes des Theologen gelesen.
Das Typikon ist überschrieben mit "Typikon, das ist die Darstellung der kirchlichen Regeln der heiligen Lavra [Kloster] unseres heiligen und gott-tragenden Vaters Sabbas, zu Jerusalem; die gleichen Regeln gelten in den anderen Klöstern zu Jerusalem, genauso in den übrigen heiligen Kirchen Gottes." Dieses Jerusalemer Typikon gilt im Prinzip (mit einigen Ausnahmen) als liturgisches Regelbuch in der Orthodoxen Kirche, dessen Einhaltung jeder neugeweihte Priester zu versprechen hat. In Rußland hat dieses Typikon wohl ab ca. dem 13. Jahrhundert allmählich das Typikon des Konstantinopler Studitenklosters abgelöst.

Das zweite, oben zitierte Kapitel behandelt die Ordnung der Nachtwache, das heißt, die Hesperinos (Vesper) plus die Orthros (Matutin) an (vor) Sonntagen. Die Lesungen finden nach der Einsegnung der Brote während deren Verzehr, also am Ende der Vesper nach der Artoklasia ("Litija") und vor der Orthros statt. Nach der Artoklasia setzen sich, gemäß dem Typikon, die Brüder ihrem Rang nach zu Tisch, verzehren die eben eingesegneten Brote und bekommen jeder ein Glas Wein. Nun schreibt aber das zuletzt im 17. Jahrhundert überarbeitete (später gab es nur kleinere Korrekturen) Typikon zu dieser Vorschrift mit dem Zu-Tafel-Sitzen:

Typikon, 2. Kapitel, hat geschrieben:[Nunmehr ist diese Ordnung in den Kirchen größtenteils aufgehoben.]
Einerseits kann man fragen, inwieweit die Lesungen während der Tafel tatsächlich Teil eines öffentlichen Gottesdienstes sind bzw. waren. Man sieht aber, daß die Lesung der Offenbarung eigentlich vorgeschrieben ist.
Andererseits - ich habe es nie erlebt. Tatsächlich gibt es ja die anderen, hier neben der Apokalypse vorgeschriebenen Lesungen auch während der Liturgie, die Offenbarung aber nicht. Das hat sicher verschiedene Gründe: einerseits hängt es damit zusammen, daß dieses Buch doch länger, als alle anderen, auf eine gesamtkirchliche Anerkennung wartete. Die Liturgie wurde eben teilweise schon eher geregelt. Andererseits ist es so, daß das Verhältnis der Kirche zur Offenbarung des Johannes zweierlei ist: einerseits wird die göttliche Inspiration vorbehaltlos anerkannt, andererseits wird die Kenntnis dieser Schrift als nicht unbedingt heilsnotwendig erachtet, was sich darin ausdrückt, daß Lesungen daraus während der "öffentlichen Gottesdienste" fehlen. Dieses an Prophezeiungen und Zeichen doch reichste Buch der Hl. Schrift stellt, da es größtenteils um noch nicht bevorstehende Dinge geht, natürlich einen Nährboden für Spekulationen und Phantasien jedweder Couleur dar. "Siehe, die Apokalypse... ein geheimnisvolles Buch, von dem die Zunge brennt, wenn man es liest, und das Herz vermag sich nicht zu regen... Es ist ein heulendes, ein stöhnendes Buch" (so bei Rozanov). Es ist eben unsere Zukunft.

Verfasst: Donnerstag 4. Mai 2006, 10:52
von Robert Ketelhohn
Nietenolaf hat geschrieben:Es ist eben unsere Zukunft.
Auch, aber vor allem hat die Apocalypse die Liturgie zum Gegen-
stand, die Göttliche Liturgie. Darum behandelt es weniger die Zu-
kunft, als vielmehr die Ewigkeit und deren gegenwärtigen Einbruch
in die Zeit.

Verfasst: Donnerstag 4. Mai 2006, 21:27
von Alexander
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Auch, aber vor allem hat die Apocalypse die Liturgie zum Gegenstand, die Göttliche Liturgie
Oh ja.

Verfasst: Donnerstag 4. Mai 2006, 21:37
von Alexander
Daß die Apokalypse in der Liturgie nicht gelesen wird, hängt wohl auch damit zusammen, daß nach der Lesung eine Homilie vorgesehen ist. Nun aber ist die Auslegung dieses Buches ausgesprochen schwer, einen mehr oder minder ausführlichen Kommentar zur Apokalypse erkühnten sich von allen Heiligen nur ein heiliger Vater der Alten Kirche (Andreas von Cäsaräa) und ein Heiliger der moderneren Zeit (Johannes von Kronstadt) zu schreiben.
Außer dieser beiden Heiligen haben das nur ganz wenige Söhne der orthodoxen Kirche unternommen.

Verfasst: Donnerstag 4. Mai 2006, 22:51
von Stephen Dedalus
Herzlichen Dank für diese Anmerkungen!

Steve

Verfasst: Freitag 21. September 2007, 10:18
von Walter
Nietenolaf hat geschrieben:
Stephen Dedalus hat geschrieben:...Scott Hahn... meint da, in der Orthodoxie habe man sich dafür entschieden, die Johannesapokalypse aus dem Lektionar für öffentliche Gottesdienste zu streichen. Es wird nicht daraus gelesen. Stimmt das? Weiß jemand darüber Näheres?
Prinzipiell wurde nie etwas gestrichen. Die Frage bleibt aber nach dem liturgischen Platz der Johannesoffenbarung.
In den ersten Jahrhunderten der Kirche war die Kanonizität der Johannesoffenbarung (besonders im Osten) noch sehr umstritten. Auf dem Konzil von Laodikeia (363 n. Chr.) wurde bestimmt, dass nur die kanonischen Bücher der Bibel in Gottesdiensten gelesen werden sollen (Kanon 59). Die Offenbarung wurde in der Liste (Kanon 60) nicht aufgeführt.:
Canon 59. Let no private psalms nor any uncanonical books be read in church, but only the canonical ones of the New and Old Testament.

Canon 60. It is proper to recognize as many books as these: of the Old Testament, 1. the Genesis of the world; 2. the Exodus from Egypt; 3. Leviticus; 4. Numbers; 5. Deuteronomy; 6. Joshua the son of Nun; 7. Judges and Ruth; 8. Esther; 9. First and Second Kings; 10. Third and Fourth Kings; 11. First and Second Chronicles; 12. First and Second Ezra; 13. the book of one hundred and fifty Psalms; 14. the Proverbs of Solomon; 15. Ecclesiastes; 16. Song of Songs; 17. Job; 18. the Twelve [minor] Prophets; 19. Isaiah; 20. Jeremiah and Baruch, Lamentations and the Epistle [of Jeremiah]; 21. Ezekiel; 22. Daniel. And the books of the New Testament: 4 Gospels, according to Matthew, Mark, Luke, and John; the Acts of the Apostles; seven catholic epistles, namely, 1 of James, 2 of Peter, 3 of John, 1 of Jude; fourteen epistles of Paul, 1 to the Romans, 2 to the Corinthians, 1 to the Galatians, 1 to the Ephesians, 1 to the Philippians, 1 to the Colossians, 2 to the Thessalonians, 1 to the Hebrews, 2 to Timothy, 1 to Titus, and 1 to Philemon.

(Quelle)
In der (altorientalischen) syrisch-orthodoxen Kirche ist die Offenbarung des Johannes bis heute nicht einmal Bestandteil der Bibel. Zur weiteren Diskussion gibt es hier im Kreuzgang auch das Thema: "Welche Konfession hat welche Bibel?"