Stephen Dedalus hat geschrieben:Galilei hat geschrieben:anneke6 hat geschrieben:Aber das Auffälligste für mich: Der Gesang ist ganz anders. Ist vielleicht eine Frage der Gewöhnung, aber ich finde es hier harmonischer. In der "Fernsehkirche" klang es eher hölzern. Nicht häßlich, aber eben…anders, ganz anders.
Von einem (katholischen) Professor für Ostkirchenkunde habe ich mal gehört, dass die russische Kirchenmusik für mitteleuropäische Ohren erträglicher sei als die griechische, da sie im Gegensatz zu dieser an westlichen Vorbildern orientiert sei. Er riet darum auch, eher einen russisch-orthodoxen als einen griechisch-orthodoxen Gottesdienst zu besuchen.
Auch wenn das jetzt hier einen Aufschrei gibt: Aber ich fand den Gesang wirklich ziemlich furchtbar. Ich könnte das nur mit Mühe sonntäglich und dann länger als 20 min. ertragen.
Das liegt schon mit an dem, was oben gesagt ist. Die russische Kirchenmusik in der heutigen Form ist vom Tonsystem und auch von der "Harmonielehre" her engstens mit dem verwandt, was wir im Westen an Musik gewöhnt sind: Dur/Moll bzw. Kirchentonarten der Gregorianik, und Diatonik.
Demgegenüber beruht die griechische Kirchenmusik noch heute auf der antiken griechischen Musiklehre, die für unsereinen kaum noch nachvollziehbar ist: da gibt es ganz eigene "Tonarten" und Skalen, die noch dazu mit Viertel- und Achteltonintervallen angereichert sind, wie wir sie überhaupt nicht kennen. Das hat für unsere Ohren mehr mit "orientalischer" Musik zu tun als mit westlicher. Dazu kommt noch der "Ison", der den einstimmigen Melodien eine ganz eigentümliche "Harmonik" beschert. Wenn also bei griechischen Gesängen was "schräg" oder "falsch" klingt, kann das zwar möglicherweise mit den mangelhaften Fähigkeiten der Sänger zusammenhängen, meistens aber mehr mit dem weit über 2000 Jahre alten Tonalitätssystem dieser Musik.
Aber genau daraus beziehen diese Gesänge auch ihre Kraft. Sie werden in den ersten Tagen der Kirche auch nicht recht viel anders geklungen haben als heute, und diesen Schatz an Ursprünglichkeit haben wir im Westen leider komplett eingebüßt - um den Preis einer zugegeben überreichen musikgeschichtlichen Entwicklung, die es sonst nirgends auf der Welt gibt.
Den Russen ging's früher übrigens genauso wie Dir: nach der Christianisierung haben sie die Liturgie samt ihrer Gesänge aus dem Griechischen übernommen (Byzanz) - aber dieses griechische Gejaule nachzusingen, schafften sie kaum. Also wurde alles im Lauf der Zeit "zurechtgesungen", bis es die Slawenkehlen anstandslos passieren konnte. Noch heute findest Du im russischen Obichod haufenweise Melodien "gretscheskago rospjeva", also in "griechischer Gesangsart", die aber praktisch nichts mehr mit ihren Urbildern gemeinsam haben.