Edith Stein

Gespräche über ausgewählte litterarische Texte.
Raphael

Edith Stein

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Der Geist ist lebendig und stirbt nicht. Wo er einmal am Werk war, um Menschenleben zu gestalten, da hinterläßt er nicht nur tote Denkmäler, sondern führt darin ein geheimnisvolles Dasein, wie eine verborgene und wohlbehütete Glut, die hell aufflammt, leuchtet und zündet, sobald einbelebender Hauch darüber hinstreicht. Der liebevoll eindringende Blick - das ist der belebende Hauch.
Zuletzt geändert von Raphael am Samstag 2. Juli 2005, 12:32, insgesamt 1-mal geändert.

Raphael

Re: Edith Stein

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Das Innerste der Seele ist das »Geistigste« an ihr. Obgleich Eindrücke, die durch die Sinne vermittelt sind, bis hierher gelangen und obgleich sich das, was hier geschieht, bis in die Formung des Leibes hinein auswirkt, haben wir es doch mit einem von aller Sinnlichkeit und Leiblichkeit ablösbaren Sein zu tun: wir können uns ein inneres Leben der Seele denken, das bei ihrer Trennung vom Leib und beim Fortfall aller Sinneseindrücke bestehen bleibt. So ist das Leben der Seele nach dem Tode und vor der Auferstehung des Leibes zu denken. So ist ihr Leben - nach den Zeugnissen der Mystiker - in jenen ekstatischen Zuständen, in denen sie »entrückt« ist, die Sinne ohne Empfänglichkeit für äußere Eindrücke, der Leib wie tot, der Geist aber im Schauen zur höchsten Lebendigkeit, zur Fülle des Seins gelangt.
Vom Innersten her erfolgt auch die Ausstrahlung des eigenen Wesens, das unwillkürliche geistige Ausgehen von sich selbst. Je gesammelter ein Mensch im Innersten seiner Seele lebt, um so stärker ist diese Ausstrahlung, die von ihm ausgeht und andere in seinen Bann zieht. Um so stärker trägt aber auch alles freie geistige Verhalten den Stempel der persönlichen Eigenart, die im Innersten der Seele beheimatet ist. Um so stärker ist ferner der Leib davon geprägt und eben dadurch »vergeistigt«. Hier ist der wahre Mittelpunkt des leiblisch-seelisch-geistigen Seins.
(Endliches und ewiges Sein, S. 405)

Raphael

Re: Edith Stein

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Weil die Seele ein persönlich-geistiges Gebilde ist, darum ist ihr Innerstes und Eigentlichstes, ihr Wesen, aus dem ihre Kräfte und das Wechselspiel ihres Lebens entspringen, nicht nur ein unbekanntes X, das wir zur Erklärung der erfahrbaren seelischen Tatsachen annehmen, sondern etwas, was uns aufleuchten und spürbar werden kann, wenn es auch immer geheimnisvoll bleibt. Ihr ganzes geistiges Leben ist bewußt und ermöglicht ihr ein Zurückblicken auf sich selbst, auch ohne daß sie durch die Pforte des Gebetes eingeht.
Allerdings ist wohl zu bedenken, auf was für ein Selbst die Seele dann stößt, und das hängt damit zusammen, durch welche andere Pforte sie eingeht. Eine Möglichkeit des Zugangs ins Innere ergibt sich aus dem Verkehr mit anderen Menschen. Ein anderer Antrieb ergibt sich durch das Erstarken des Eigenwesens in der Zeit des Reifens vom Kinde zum Jugendlichen. Schließlich denken wir an die wissenschaftliche Erforschung der inneren Welt, die sich diesem Seinsgebiet wie allen anderen zugewendet hat. Doch am Ende wird man zu der Frage gedrängt, ob nicht doch die Pforte des Gebetes der einzige Zugang zum Inneren sei.
(Endliches und ewiges Sein, S. 465)

Petra
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Beitrag von Petra »

Meine Suche nach der Wahrheit war ein einziges Gebet. (Edith Stein)

Quelle, plus Lebensbeschreibung der Heiligen

Raphael

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Edith Stein hat geschrieben:Das persönliche Ich ist im Innersten der Seele ganz eigentlich zu Hause. Wenn es hier lebt, dann verfügt es über die gesammelte Kraft der Seele und kann sie frei einsetzen. Dann ist es auch dem Sinn alles Geschehens am nächsten und aufgeschlossen für die Forderungen, die an es herantreten, am besten geeignet, ihre Bedeutung und Tragweite zu ermessen. Es gibt aber wenige Menschen, die so »gesammelt« leben. Bei den meisten hat das Ich seinen Standort vielmehr an der Oberfläche, wird wohl gelegentlich durch »große Ereignisse« erschüttert und in die Tiefe gezogen, sucht dann auch dem Geschehen durch ein angemessenes Verhalten zu entsprechen, kehrt aber nach längerem oder kürzerem Verweilen doch wieder an die Oberfläche zurück.
Was von außen herantritt, ist auch vielfach so, daß es von einem oberflächlichen oder doch nicht sehr tiefgelegenen Standort aus einigermaßen sachgemäß »erledigt« werden kann. Es ist nicht die letzte Tiefe nötig, um es in etwa zu verstehen, und es ist auch nicht erforderlich, mit dem Einsatz der ganzen gesammelten Kraft darauf zu antworten.
Aber wer gesammelt in der Tiefe lebt, der sieht auch die »kleinen Dinge« in großen Zusammenhängen; nur er vermag ihr Gewicht - an letzten Maßstäben gemessen - in der richtigen Weise einzuschätzen und sein Verhalten entsprechend zu regeln. Nur bei ihm ist die Seele auf dem Wege zur letzten Durchformung und zur Vollendung ihres Seins.
Wer nur gelegentlich in die Tiefen der Seele zurückgeht, um dann wieder an der Oberfläche zu verweilen, bei dem bleibt die Tiefe unausgebildet und kann auch ihre formende Kraft für die weiter nach außen gelegenen Schichten nicht entfalten. Und es mag Menschen geben, die überhaupt nie bis zu ihrer letzten Tiefe gelangen und darum nicht nur nie zur Vollendung ihres Seins, zur Durchformung ihrer Seele im Sinne ihrer Wesensbestimmtheit, sondern nicht einmal zu dem ersten, »vorläufigen« Besitz ihrer selbst, der für den Vollbesitz Voraussetzung ist und schon bei einem vorübergehenden Verweilen in der Tiefe erreicht wird: einem - wenigstens dunkel ahnenden - Wissen um den Sinn ihres Seins und um die Kraft, von sich aus auf das Ziel hinzuarbeiten, sowie um die Verpflichtung dazu. Ein solches Wissen bringt das »Aufleuchten« der Tiefen bei einschneidenden Ereignissen des eigenen Lebens mit sich. Es kann aber auch durch verstandesmäßige Belehrung (vor allem durch die Glaubenslehre, die das Menschenleben in diesem Sinn darstellt) vermittelt werden. Beides sind Aufrufe an die Seele, »bei sich selbst einzukehren« und das Leben von ihrem Innersten her in Angriff zu nehmen.
(Endliches und ewiges Sein, S. 404 f.)

Raphael

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Edith Stein hat geschrieben:Wer nur gelegentlich in die Tiefen der Seele zurückgeht, um dann wieder an der Oberfläche zu verweilen, bei dem bleibt die Tiefe unausgebildet und kann auch ihre formende Kraft für die weiter nach außen gelegenen Schichten nicht entfalten. Und es mag Menschen geben, die überhaupt nie bis zu ihrer letzten Tiefe gelangen und darum nicht nur nie zur Vollendung ihres Seins, zur Durchformung ihrer Seele im Sinne ihrer Wesensbestimmtheit, sondern nicht einmal zu dem ersten, »vorläufigen« Besitz ihrer selbst, der für den Vollbesitz Voraussetzung ist und schon bei einem vorübergehenden Verweilen in der Tiefe erreicht wird: einem - wenigstens dunkel ahnenden - Wissen um den Sinn ihres Seins und um die Kraft, von sich aus auf das Ziel hinzuarbeiten, sowie um die Verpflichtung dazu. Ein solches Wissen bringt das »Aufleuchten« der Tiefen bei einschneidenden Ereignissen des eigenen Lebens mit sich. Es kann aber auch durch verstandesmäßige Belehrung (vor allem durch die Glaubenslehre, die das Menschenleben in diesem Sinn darstellt) vermittelt werden. Beides sind Aufrufe an die Seele, »bei sich selbst einzukehren« und das Leben von ihrem Innersten her in Angriff zu nehmen.
(Endliches und ewiges Sein, S. 404 f.)

Raphael

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Die innere Verarbeitung dessen, was in die Tiefe der Seele eindringt, geschieht nicht in einem Augenblick, sondern nimmt längere oder kürzere Zeit in Anspruch - in manchen Fällen kann sie sich über eine sehr lange Zeit erstrecken. Mit der inneren Verarbeitung ist dann gewöhnlich ein nach außen gerichtetes Stellungnehmen, vielleicht auch Handeln verbunden.
Die Nachricht, die von außen ins Innere eindringt, findet es immer schon in einer bestimmten Verfassung vor, die von der Seele als Stimmung gespürt wird. Das Eindringende kann eine Änderung dieser Verfassung herbeiführen; die Seele fühlt sich in ihrem Sein bedroht und antwortet mit Schrecken und Furcht. Das ist zugleich eine veränderte innere Verfassung. War sie vorher »bei sich« in Ruhe und Frieden, so herrscht jetzt Unruhe und Aufruhr und ein Stellungnehmen nach außen: gegen das, was ihr droht.
Das ist zunächst noch ein innerseelisches Geschehen und ein unwillkürliches »Antworten«. Es kann aber daraus ein freies Tun und schließlich ein in die äußere Welt übergreifendes Handeln hervorgehen.
Was in das Innere eindringt, ist immer ein Aufruf an die Person. Ein Aufruf an ihre Vernunft als die Kraft, geistig zu »vernehmen«, d.h. zu verstehen, was ihr widerfährt. Und so ist es ein Aufruf zur Besinnung, d.h. zum Suchen nach dem Sinn dessen, was an sie herantritt. Ein Aufruf an ihre Freiheit - schon das verstandesmäßige Suchen nach dem Sinn ist freies Tun. Darüber hinaus aber wird ein weiteres, diesem Sinn gemäßes Verhalten von ihr gefordert: wer mitten in seiner Arbeit entdeckt, daß Feuer im Hause ausgebrochen ist, muß die Arbeit abbrechen und sich ans Löschen begeben. Es wäre ebenso unvernünftig, weiterzuarbeiten, wie »starr vor Schrecken« überhaupt nichts zu tun.
(Endliches und ewiges Sein, S. 403)

Raphael

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Der helle Sonnenschein und das strahlende Blau des Himmels, eine heitere Landschaft, ein fröhliches Kinderlachen, ein aufmunterndes Wort - all das kann in der Seele neues Leben wecken. Was davon in die Sinne fällt, ist Ausdruck eines Geistigen, das in die Seele aufgenommen zu werden verlangt, um darin Leben zu gewinnen. Indem es aber darin aufgenommen wird, entfaltet es eine lebenspendende Kraft. Darin enthüllt sich noch einmal ein neuer Zusammenhang zwischen Sinn und Kraft. Der aus dem Lebenszusammenhang geistiger Personen gelöste Sinn, wie er uns in den vom Geist geschaffenen unpersönlichen Gebilden [etwa ein Kunstwerk] entgegentritt, ist gleichsam mit Kraft geladen und kommt zur Entladung, wenn er wieder in den Lebenszusammenhang einer geistigen Person eingeht. Das vollzieht sich im Innern der Seele, wo die aufgenommenen Sinnesgehalte verarbeitet werden.
(Endliches und ewiges Sein, S. 400)

Raphael

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Das bewußte Leben der Seele auf ihrem Grunde ist natürlich erst möglich, wenn sie zur Vernunft erwacht ist. Sie trägt dann schon das Gepräge dessen, was vorher in und mit ihr geschehen ist; sie vermag sich nicht vom Beginn ihres Daseins an und so, wie sie am Beginn ihres Daseins war, zu fassen. Überdies ist ihr natürliches Leben auf Auseinandersetzung mit der Welt und Betätigung in ihr angelegt. Darum ist ihre natürliche Lebensrichtung das Hinausgehen aus sich selbst und nicht die Einkehr ins Innere und das Verweilen »bei sich«. Sie muß in sich hinein gezogen werden - wie es durch die Forderungen, die an sie herantreten, und durch die Stimme des Gewissens geschieht -, aber natürlicherweise wird der Zug nach außen immer wieder stärker sein, so daß das Verweilen im Inneren nicht lange dauert.
Wir müssen auch bedenken, daß das Ich natürlicherweise nicht viel vorfindet, wenn es bei sich einkehrt und alle Verbindung zur äußeren Welt löst: d. h. nicht nur die Tore der Sinne schließt, sondern auch von dem absieht, was sein Gedächtnis an Eindrücken aus der Welt bewahrt, und von dem, was es an sich selbst wahrnimmt, wenn es sich als einen »Menschen in dieser Welt« betrachtet - die Rolle, die es in der Welt spielt, die Talente und Fähigkeiten, die es hat.
Als Gegenstand der inneren Wahrnehmung, Erfahrung und Beobachtung bietet der Mensch - und die Seele mindestens so sehr wie der Leib - reichlich Stoff zur Beschäftigung. Und so ist ja auch vielen das »eigene Ich« (in diesem Sinne) wichtiger als die ganze übrige Welt. Aber was bei solcher innerer Wahrnehmung »und Beobachtung erfaßt wird, sind Kräfte und Fähigkeiten zur Betätigung in der Welt und Ergebnisse solcher Betätigung: es ist nicht das eigentliche Innere, sondern Niederschlag des ursprünglichen seelischen Lebens, Krusten, die sich - stetig wachsend - um das Innere legen.
Zieht man sich aus all dem wirklich ins Innere zurück, so ist da allerdings nicht nichts, aber doch eine ungewohnte Leere und Stille. Das Lauschen auf den »Schlag des eigenen Herzens«, d.h. auf das innerseelische Sein selbst, vermag den Lebens- und Tatendrang des Ich nicht zu befriedigen. Und so wird es sich hier nicht lange aufhalten, wenn es nicht durch etwas anderes festgehalten wird, wenn das Innere der Seele nicht durch etwas anderes als von der äußeren Welt her erfüllt und in Bewegung gebracht wird.
Das ist es aber, was die Kenner des inneren Lebens zu allen Zeiten erfahren haben: sie wurden in ihr Innerstes hineingezogen durch etwas, was stärker zog als die ganze äußere Welt; sie erfuhren dort den Einbruch eines neuen, mächtigen, höheren Lebens, des übernatürlichen, göttlichen. »... Suchst du wohl einen hohen Ort, einen heiligen Ort, so biete dich innen als Tempel Gottes. >Denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr<. Im Tempel willst du beten? In dir bete. Aber zuvor sollst du Tempel Gottes sein, weil er in seinem Tempel hört auf den Beter«. »... Ruf mich zurück aus Irrsalen: Du sei Führer - und ich gehe zurück in mich und in Dich«.
Die mystische Begnadung gibt als Erfahrung, was der Glaube lehrt: die Einwohnung Gottes in der Seele. Wer, von der Glaubenswahrheit geleitet, Gott sucht, der wird sich in freiem Bemühen eben dahin aufmachen, wohin der mystisch Begnadete gezogen wird: sich aus den Sinnen und den »Bildern« des Gedächtnisses, ja selbst noch aus der natürlichen Tätigkeit des Verstandes und Willens zurückziehen in die leere Einsamkeit seines Inneren, um dort zu verweilen im dunklen Glauben - in einem schlichten liebenden Aufblick des Geistes zu dem verborgenen Gott, der verhüllt gegenwärtig ist. Hier wird er in tiefem Frieden - weil am Ort seiner Ruhe - verharren, bis es dem Herrn gefällt, den Glauben in Schauen zu verwandeln.
(Endliches und ewiges Sein, S. 406 f.)

Raphael

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Die Gedanken des Herzens, das ist das ursprüngliche Leben der Seele in ihrem Wesensgrunde, in einer Tiefe, die vor aller Spaltung in verschiedene Kräfte und ihre Betätigung liegt. Die Seele lebt sich darin aus, so wie sie in sich selbst ist, jenseits von allem, was durch die Geschöpfe in ihr hervorgerufen wird. Wenn dieses Innerste die Wohnstätte Gottes und der Ort der Vereinigung der Seele mit Gott ist, so flutet doch das Eigenleben hier, ehe das Leben der Vereinigung beginnt: auch dort, wo es nie zu einer Vereinigung kommt. Jede Seele hat ja ein Innerstes, und dessen Sein ist Leben.
Aber dieses Ur-Leben ist nicht nur vor anderen Geistern, sondern auch vor ihr selbst verborgen. Das hat verschiedene Gründe. Das Ur-Leben ist formlos. Die Gedanken des Herzens sind durchaus noch keine Gedanken im üblichen Sinn, keine fest umrissenen, gegliederten und faßbaren Gebilde des denkenden Verstandes. Sie müssen durch mancherlei Formungen hindurchgehen, ehe sie zu solchen Gebilden werden.
Sie müssen erst aufsteigen aus dem Grunde des Herzens. Dann kommen sie an eine erste Schwelle, wo sie spürbar werden. Dies Spüren ist eine viel ursprünglichere Weise des Bewußtseins als das verstandesmäßige Erkennen. Es liegt auch noch vor der Spaltung der Kräfte und Tätigkeiten. Es fehlt ihm die Klarheit des rein verstandesmäßigen Erkennens; andererseits ist es reicher als eine bloße Verstandeserkenntnis. Was aufsteigt, wird gespürt als mit einem Wertcharakter behaftet, der die Entscheidung an die Hand gibt, ob man das, was aufsteigt, aufkommen lassen soll und will oder nicht.
(Kreuzeswissenschaft, S. 140)

Raphael

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Worin kann das Leben der Seele bestehen, wenn sie keinerlei äußere Eindrücke mehr empfängt, wenn sie auch nicht mehr mit dem beschäftigt ist, was sie gedächtnismäßig in sich bewahrt? Wir sagten, in ihrem Innern sei die Seele für sich selbst aufgebrochen; sie spürt hier, was sie selbst ist und in welchem Zustand sie ist. Das darf nicht etwa dahin mißverstanden werden, als könnte die Seele in diesem Leben natürlicherweise sich selbst erkennen, »wie sie erkannt ist« [1 Kor. 13,12.], d.h. wie Gott sie kennt. Es wurde von »spüren« gesprochen, weil es sich zwar um etwas Geistiges handelt, aber um keine klare Verstandeserkenntnis, die sich begrifflich fassen und in Worten ausdrücken ließe.
Etwas davon macht sich auch geltend, wenn dieSeele nicht bei sich verweilt, sondern in Auseinandersetzungen mit der Welt sich nach außen betätigt; in der Stimme des Gewissens, die sie zum rechten Tun anleitet und vor dem unrechten zurückhält, die über ihre Taten, wenn sie vollbracht sind, das Urteil spricht und über die Verfassung, in der sie die Seele zurücklassen. Das Gewissen offenbart, wie die Taten in der Tiefe der Seele verwurzelt sind, und es bindet das Ich - trotz seiner freien Beweglichkeit - in die Tiefe zurück: die Stimme aus der Tiefe ruft es immer wieder dahin, wo es hingehört, um Rede und Antwort zu stehen über sein Tun und sich zu überzeugen, was es damit bewirkt hat - denn die Taten lassen ihre Spuren in der Seele zurück, sie ist nachher in einer anderen Verfassung, als sie vorher war.
Die Seele ist etwas in sich: das, als was sie Gott in die Welt gesetzt hat. Und dieses Was hat seine eigentümliche Beschaffenheit, die dem ganzen Leben, in dem es sich entfaltet, einen eigenen Stempel aufprägt: sie macht es, daß - wenn zwei dasselbe tun - es doch nicht dasselbe ist. Was und wie sie ist, das spürt die Seele in ihrem Inneren, in jener dunklen und unsagbaren Weise, die ihr das Geheimnis ihres Seins als Geheimnis zeigt, ohne es zu enthüllen. Sie trägt überdies in ihrem Was die Bestimmung dessen, was sie werden soll: durch das, was sie empfängt und was sie tut. Sie spürt, ob das, was sie in sich aufnimmt, mit ihrem eigenen Sein verträglich und dafür förderlich ist oder nicht, und ob das, was sie tut, im Sinne ihres Seins ist oder nicht. Und dem entspricht die Verfassung, in der sie sich nach jeder Berührung und Auseinandersetzung mit der Welt »befindet«.
(Endliches und ewiges Sein, S. 405 f.)

Raphael

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Edith Stein hat geschrieben:Es besteht die Möglichkeit, mehr oder weniger »zu sich selbst zu kommen«. Und es besteht auch die Gefahr, sich selbst zu verlieren. Denn wer nicht zu sich selbst gelangt, der findet auch Gott nicht. Oder richtiger noch: wer Gott nicht findet, der gelangt auch nicht zu sich selbst (mag er auch noch so sehr mit sich selbst beschäftigt sein) und zu dem Quell des ewigen Lebens, der in seinem eigenen Innersten auf ihn wartet.
(Endliches und ewiges Sein, S. 465)

Raphael

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Gott ist im Innersten der Seele, und nichts, was in ihr ist, ist vor Ihm verborgen. Doch kein geschaffener Geist vermag von sich aus in diesen verschlossenen Garten einzutreten oder mit seinem Blick dahin zu dringen.
(Kreuzeswissenschaft, S. 138)

Raphael

Beitrag von Raphael »

Edith Stein hat geschrieben:Der Geist - und das besagt, sachgemäß weit gefaßt, nicht nur Verstand, sondern auch Herz - ist durch die dauernde Beschäftigung mit Gott vertraut geworden, er kennt Ihn und liebt Ihn. Diese Kenntnis und Liebe sind ein Bestandteil seines Seins geworden, etwa wie das Verhältnis zu einem Menschen, mit dem man seit langer Zeit zusammenlebt und innig vertraut ist. Solche Menschen brauchen nicht mehr Auskunft übereinander einzuholen und übereinander nachzudenken, um sie wechselseitig zu ergründen und von ihrer Liebenswürdigkeit zu überzeugen. Es bedarf zwischen ihnen auch kaum noch der Worte. Wohl bringt jedes neue Zusammensein ein neues Wachwerden und eine Steigerung der Liebe, vielleicht auch noch ein Kennenlernen von neuen Einzelzügen, aber das geschieht wie von selbst, man braucht sich nicht darum zu bemühen. So etwa ist auch der Verkehr einer Seele mit Gott nach langer Übung im geistlichen Leben. Sie braucht nicht mehr zu betrachten, um Gott kennen und lieben zu lernen.
(Kreuzeswissenschaft, S. 103)

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Senensis
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Re: Edith Stein

Beitrag von Senensis »

Heute habe ich in einer Kirche zufällig mitbekommen, wie eine Gruppe älterer Frauen (Touristen) sich über ein Bild der hl. Theresia Benedicta a Cruce unterhielten. Sie wunderten sich, daß Edith Stein als Martyrerin verehrt wird, "obwohl sie ja wegen ihrer jüdischen Abstammung umgebracht wurde". Auf die Schnelle fiel mir auch keine Antwort ein. Weiß jemand von Euch die Erklärung? :)
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taddeo
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Re: Edith Stein

Beitrag von taddeo »

Senensis hat geschrieben:Heute habe ich in einer Kirche zufällig mitbekommen, wie eine Gruppe älterer Frauen (Touristen) sich über ein Bild der hl. Theresia Benedicta a Cruce unterhielten. Sie wunderten sich, daß Edith Stein als Martyrerin verehrt wird, "obwohl sie ja wegen ihrer jüdischen Abstammung umgebracht wurde". Auf die Schnelle fiel mir auch keine Antwort ein. Weiß jemand von Euch die Erklärung? :)
Im Hirtenwort der deutschen Bischöfe zur Heiligsprechung von Edith Stein am 11.Oktober 1998 heißt es:
Am 26. Juli 1942 ließen die holländischen Bischöfe einen Hirtenbrief verlesen, in dem sie gegen die Judenverfolgung protestierten. Die nationalsozialistischen Machthaber nahmen furchtbare Rache. Sie verhafteten alle katholischen Juden, um sie nach dem Osten zu deportieren.
Das dürfte die Erklärung sein. Edith Stein wurde deportiert und vergast, weil sie eine katholische Jüdin war - damit ist das Merkmal des Martyriums um des Glaubens willen gegeben.

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Senensis
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Re: Edith Stein

Beitrag von Senensis »

Ah! Ich dachte mir schon, daß es etwas im Zusammenhang mit dem holländischen Hirtenbrief sein könnte, aber wenn genau die katholischen Juden verhaftet wurden... das wirds sein. Danke :)
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Yeti
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Re: Edith Stein

Beitrag von Yeti »

Wobei ich schon der Meinung bin, dass es eine katholische Jüdin ebenso wenig gibt wie einen muslimischen Christen. Höchstens eine aus dem Judentum konvertierte Katholikin. Aber die Nazis sahen das ja aus "rassischen" Gesichtspunkten.
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Senensis
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Re: Edith Stein

Beitrag von Senensis »

Ich glaube, es ist eine vereinfachende Redewendung, die viel Spucke spart. Im Grunde weiß man, was gemeint ist.
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JosefBordat
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Re: Edith Stein

Beitrag von JosefBordat »

Edith Stein als Mystikerin des Sühneleids. - Eine Streitfrage in der Forschung zu Edith Stein ist, ob man die zum Katholizismus konvertierte Jüdin zu Recht eine „Mystikerin“ nennen kann – ihrem Glaubensvorbild Teresa von Avila entsprechend – und woran dies festzustellen ist. Das Urteil steht und fällt freilich mit den jeweiligen Ansprüchen an einen Mystiker respektive eine Mystikerin. Ich für meinen Teil vertrete einen sehr weiten Mystikbegriff, unter den auch ihre Spiritualität des Sühneleids, insbesondere angesichts der Gelassenheit, die die Karmeliterin gerade in den letzten Tagen ihres Lebens offenbarte, zweifelsohne einzuordnen ist. - http://jobo72.wordpress.com/28/5/23/ ... d-glauben/

LG, JoBo
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JosefBordat
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Re: Edith Stein

Beitrag von JosefBordat »

Mit Leib und Seele Mensch. Edith Steins phänomenologische Anthropologie: http://jobo72.wordpress.com/213/8/9/ ... ropologie/

JoBo
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