...aber trotz aller Mühe konnte ich mir nicht helfen.

Gespräche über ausgewählte litterarische Texte.
Carl Caiser
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...aber trotz aller Mühe konnte ich mir nicht helfen.

Beitrag von Carl Caiser »

Etwa sechs Meilen von der Stadt Lykon in der Thebais entfernt liegt ein Berg, auf dem, teils in Höhlen, teils in Kellien, eine große Zahl Mönche wohnt. Als wir dort angekommen waren, fanden wir den Abbas Isaak, einen geborenen Thebaner, der uns folgendes erzählte:

Als ich vor zweiundfünfzig Jahren einmal an einem Mückennetz arbeitete, machte ich bei der Arbeit einen Fehler und betrübte mich sehr, da ich weder den Fehler finden noch auch verbessern konnte.
Darüber verging ein ganzer Tag, aber trotz aller Mühe konnte ich mir nicht helfen.
Da ich nun schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, kam plötzlich ein Knabe durch das Fenster zu mir herein und sagte zu mir: "Du hast etwas falsch gemacht, aber gib her, ich will den Fehler beseitigen." Ich aber sagte zu ihm: "Geh fort, ich will mit dir nichts zu tun haben!" Er aber sagte weiter zu mir: "Es ist für dich sicher ein großer Schaden, wenn du die Arbeit verdirbst!" Auf meine Antwort,
er solle sich nicht darum kümmern, sagte er: "Du tust mir leid, daß du deine Arbeit so zerstörst!" Ich aber sagte: "Du kommst mir völlig ungelegen, und ich will nichts von dir und denen, die dich hierher gebracht haben!"
Da sagte er: "Wirklich: Du hast mich hergebracht und du bist mein!" Ich fragte ihn: "Wieso?"
Er antwortete: "Weil du drei Sonntage kommuniziert hast, obwohl du mit deinem Nachbarn in Feindschaft lebst."
Ich sagte: "Das lügst du!"
Er darauf: "Nein, ich lüge nicht; denn wegen eines Linsengerichtes
bist du über ihn erzürnt! Ich bin über den Zorn und das Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden gesetzt, daher bist du von nun an mein!"
Als ich das hörte, verließ ich sogleich meine Zelle und ging zu meinem Nachbarn und versöhnte mich mit ihm. Bei meiner Rückkehr sah ich, daß jener mein Mückennetz und auch meine Schlafdecke zerstört hatte, aus Neid über unsere Versöhnung.

"Apophthegmata Patrum",
("Weisungen der Väter", "Gerontikon" oder "Alphabeticum")
- Nr 1187 (X,161)
Ubi spiritus domini ibi libertas!

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

Nach vollzogener Umkehr ein überraschender Abschluß für das nicht gelingen wollende Werk: Zerstörung!

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

... wegen "Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden"!

Gerhard
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Beitrag von Gerhard »

Was wollen Sie uns damit sagen, Herr Caiser?
"Ad Deum, qui laetificat juventutem meam."

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

Ich glaube, der Caiser Carl will uns damit sagen, daß das Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden unser Werk direkt dem Teufel in die Hände zu spielen Gefahr läuft.

Gerhard
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Beitrag von Gerhard »

Dann hat er aber noch nie das "Vater unser" gebetet.
"Ad Deum, qui laetificat juventutem meam."

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

Für den Thebaner war das Vater Unser seit dieser Begebenheit nicht mehr nur Pflichtübung, sondern Notwendigkeit!

sofaklecks
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Sehr kluge Geschichte

Beitrag von sofaklecks »

Eine sehr kluge Geschichte.

Ad_hoc hat mir da etwas entsprechendes kürzlich in's Stammbuch geschrieben.

Schön auch, dass Zorn und Nichtvergessen erlittener Unbill gleichbehandelt werden: "Ich bin über den Zorn und das Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden gesetzt, daher bist du von nun an mein!"

Und was das fehlende Happy End angeht, das entspricht der Realität. Die Vorstellung, man bitte um Verzeihung und schon sei der status quo ante hergestellt, entspricht der Vorstellung berufsuntauglicher Sozialarbeiterinnen.

Natürlich gehört es zu den misslichsten Dingen im Leben, wenn man für etwas büssen soll, das man doch schon bereut hat. Deshalb ist auch das Fegefeuer so unpopulär.

sofaklecks

Gerhard
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Beitrag von Gerhard »

Ich bete gerne nach dem Vater uns noch ein Ave Maria.
"Ad Deum, qui laetificat juventutem meam."

ad_hoc
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Beitrag von ad_hoc »

Natürlich gehört es zu den misslichsten Dingen im Leben, wenn man für etwas büssen soll, das man doch schon bereut hat. Deshalb ist auch das Fegefeuer so unpopulär.
Durchaus denkbar, dass ein reiches Gebetsleben, häufige Messbesuche, Buss- und sonstige gute Werke, sowie das gottergebene Tragen unverschuldeten Leids, das Fegefeuer entsprechend abkürzen.
;)

Gruß, ad_hoc
quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur (n. Thomas v. Aquin)

Gerhard
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Beitrag von Gerhard »

Warum fehlt der Ablass?
"Ad Deum, qui laetificat juventutem meam."

ad_hoc
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Beitrag von ad_hoc »

Der fehlt doch nicht; ich habe nur versäumt, diesen zu erwähnen. ;)

Gruß, ad_hoc
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Paul Heliosch
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Re: ...aber trotz aller Mühe konnte ich mir nicht helfen.

Beitrag von Paul Heliosch »

Abbas Isaak konnte sich nicht helfen - trotz aller Mühe.

Er hätte sich helfen lassen können... jedoch:

Hätte er's denn zugelassen, ...was wäre passiert?

- Das Wesentliche wäre ihm in die Dauer verborgen geblieben...

Paul Heliosch
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Re:

Beitrag von Paul Heliosch »

Paul Heliosch hat geschrieben:Nach vollzogener Umkehr ein überraschender Abschluß für das nicht gelingen wollende Werk: Zerstörung!
Paul Heliosch hat geschrieben:... wegen "Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden"!
:patsch: Jetzt hab' ich etwas begriffen: Nicht "Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden" war die Ursache! Die Zerstörung des nicht gelingen wollenden Werkes erfolgte "aus Neid wegen unserer Versöhnung"!

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incarnata
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Re: ...aber trotz aller Mühe konnte ich mir nicht helfen.

Beitrag von incarnata »

Paul Heliosch hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Nach vollzogener Umkehr ein überraschender Abschluß für das nicht gelingen wollende Werk: Zerstörung!
Paul Heliosch hat geschrieben:... wegen "Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden"!
:patsch: Jetzt hab' ich etwas begriffen: Nicht "Nichtvergessen und Nichtertragen erlittener Unbilden" war die Ursache! Die Zerstörung des nicht gelingen wollenden Werkes erfolgte "aus Neid wegen unserer Versöhnung"!
Das Nicht-vergessen...." bringt ihn in die Hand des teuflischen Widersachers,der sich naturgemäss darüber ärgert,dass die Versöhnung gelingt und zwar gerade dadurch,dass sich der Abbas seiner Unversöhnlichkeit bewusst geworden ist.Vorher hatte er sogar kommuniziert,ohne sich seiner Sünde bewusst zu sein; sein Gewissen hatte sich allerdings schon dadurch bemerkbar gemacht,dass er nicht ruhig arbeiten konnte und so den Knoten ins Netz brachte.Das schadhafte Werk fällt der völligen Zerstörung anheim,aber nach der Versöhnung kann der Abbas wieder ruhig arbeiten und ein neues,fehlerloses netz knüpfen,da der widersacher nun keinen anteil mehr hat an ihm.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende
Licht aus der Höhe.......(Lk1,76)

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