Es jährt sich am kommenden 3. August, es war damals der erste Freitag, zum 40. Male der Todestag von
Kardinal Alfredo Ottaviani, 1979, nach langer Krankheit, in seiner Wohnung im Vatikan. Zuletzt war er fast ganz erblindet.
Alfredo Ottaviani wurde am 29. Oktober 1890 in einfachen Verhältnissen im volkstümlichen römischen Bezirk Trastevere geboren, als elftes von zwölf Kindern einer Bäckersfamilie. Auch als Kardinal blieb er volksnah und warmherzig und behielt immer ein offenes Ohr für die Nöte (auch die Glaubensnöte, in den Jahren nach dem "Konzil"), nicht nur seiner
ragazzi im
Oratorio di San Pietro aus den Anfangsjahren seiner priesterlichen Tätigkeit, sondern er nahm sich, auch später, Zeit für jeden. Nicht selten konnte man ihn, er war auch als Kardinal regelmäßig zu Fuß unterwegs, auf Straßen oder Plätzen in leidenschaftlichem Gespräch antreffen, oft, wir mir noch vor zwei Jahren damalige Augenzeugen versicherten, im saftigen trasteverinischen Dialekt.
Die guten Schulbrüder hatten ihn das Lesen und Schreiben gelehrt, studiert hat er dann Theologie und Jura - Abschluß als Doktor multiplex der Philosophie, der Theologie und utriusque iuris - an den päpstlichen Hochschulen Roms. Priesterweihe 1916. Lehrtätigkeit des Rechts am Athenaeum Sant'Apollinare und der Philosophie am Urbanianum; nach einem kurzen Werdegang in der Propaganda, ab 1928 im Staatssekretariat. 1935 Assessor im Hl. Offizium, dort pro-Sekretär ab 1953. Kardinaldiakon von Santa Maria in Domnica 1953. Bischofsweihe 1962.
Genügsam bekannt sein Wirken im glaubenstreuen Sinne während des "Konzils", 1962-1965, nachdem die mit von ihm vorbereiteten Schemata insgesamt abgelehnt worden waren.
Als wertvolles (und bleibendes, für wen es zu würdigen weiß) Monument seiner Lehrtätigkeit bleiben uns die zweibändigen, in einem glasklaren, wenn auch nicht sehr eleganten Latein gefaßten
Institutiones iuris publici ecclesiastici, Vol. I Ecclesiae constitutio socialis et potestas und
Vol. II Ecclesia et Status.
Die
editio quarta emendata et aucta kam noch 1958 und 1960, bei den
Typis polyglottis Vaticanis mustergültig heraus, fast neunhundert Seiten stark, bis die Erzwungenschaften des "Konzils" 1965 das Werk obsolet machten, wo noch die Unterdrückung der Häresie durch den christlichen Staat, auf S. 66 des 2. Bandes, 1960, als
gravissimum officium, allerschwerste Pflicht, desselben bezeichnet wird. Was sich der Kardinal in den Folgejahren nach 1965 dabei gedacht hat, ab 1968 war er ja in den Ruhestand getreten (worden), bleibt wohl ein Geheimnis.
In unserem geschüttelten Tradiland bleibt der Kardinal natürlich bekannt für seine Unterschrift, die er nicht leichtfertig, sondern nach einigen Tagen, die er sich ausgebeten hatte, intensiven Prüfens der Vorlage am 13. September 1969 unter dem
Breve esame critico del NOM, setzte, der kurzen kritischen Prüfung des NOM, die u.a. in dem Satz kulminiert:
È evidente che il Novus Ordo non vuole più rappresentare la fede di Trento. A questa fede, nondimeno, la coscienza cattolica è vincolata in eterno. Il vero cattolico è dunque posto, dalla promulgazione del Novus Ordo, in una tragica necessità di opzione.
(Es ist offensichtlich, daß der Novus Ordo nicht mehr den Glauben von Trient vertreten will. An diesen Glauben jedoch ist das katholische Gewissen für immer gebunden. Der wahre Katholik sieht sich also durch die Promulgation des neuen Ordo in ein tragisches Dilemma verstrickt.)
Ottaviani wollte unbedingt selber das Begleitschreiben an seinen emporgestiegenen ehemaligen jüngeren Kollegen und Freund im Staatssekretariat dazu verfassen, was er auch tat. Darin steht nun gleich anfangs klipp und klar:
Il Novus Ordo Missæ, considerati gli elementi nuovi, suscettibili di pur diversa valutazione, che vi appaiono sottesi ed implicati, rappresenta, sia nel suo insieme come nei particolari, un impressionante allontanamento dalla teologia cattolica della Santa Messa, quale fu formulata nella Sessione XXII del Concilio Tridentino, il quale, fissando definitivamente i «canoni» del rito, eresse una barriera invalicabile contro qualunque eresia che intaccasse l’integrità del mistero.
(Der Novus Ordo Missae mit seinen neuen, verschieden interpretierbaren Elementen, die darin indirekt oder ausdrücklich deutlich werden, stellt sowohl im Ganzen wie in den Einzelheiten ein auffallendes Abrücken von der katholischen Theologie der heiligen Messe dar, wie sie in der XXII. Sitzung des Konzils von Trient formuliert wurde. Durch die endgültige Festlegung der »Canones« des Ritus wurde damals eine unüberschreitbare Barriere errichtet gegen jede Häresie, die die Integrität des Geheimnisses verletzen könnte.)
Der von einigen Theologen der Lateranuniversität unter der Federführung von (damals noch Pater) Guérard des Lauriers O.P. im April und Mai 1969 abgefaßte
Breve esame critico del NOM sollte erst einen Monat, nachdem er samt Begleitschreiben dem Promulgator des NOM übergeben worden war, der breiten Öffentlichkeit bekanntgegeben werden, aber die Indiskretion eines exaltierten französischen Priesters (
nomina sunt odiosa) Mitte (genauer am 14.) September ließ die Bombe zu früh hochgehen. Dadurch haben sich verschiedene Prälaten, wie Larraona, Parente, u.a., die ihre Unterschrift zugesagt hatten, abschrecken lassen. Auch EB Lefebvre, der Ende August noch eine zeitgleich zu veröffentlichende französische Übersetzung angeregt hatte, hat dann trotz Zusage nicht mehr unterschrieben. Nur der immer unerschrockene Monsignore Bacci unterschrieb noch am 28. September und tags darauf lag "die Bombe" auf dem Schreibtisch Montinis.
Zwar brachte der
Breve esame critico del NOM die Einführung und Auferlegung des NOM zu einem vorläufigen Stillstand (Montini veranlaßte eine Prüfung der Kritikpunkte durch eine eigens eingesetzte Sonderkommission der neu so genannten "Glaubenskongregation", die vom 22. Oktober zum 12. November stattfand, wohl ein einmaliger Vorgang für ein bereits promulgiertes, am 3. April, "päpstliches" Dokument!), aber außer einer (von den Verantwortlichen zähneknirschend zugestandenen) teilweise Neuformulierung der
Institutio generalis hat diese Demarche nichts Konkretes ergeben. Am
Novus Ordo Missae selbst änderte sich kein Wort, und alles ging wie geplant zum 1. Advent 1969 über die Bühne.
Dies atro notanda lapillo.
Nur verloren P. Guérard und sein Chef Monsignore Piolanti in der Folge ihre Posten als Professor, bzw. Rektor der Lateranuniversität.
Als Kardinal hatte Ottaviani an den Konklaven von 1958 und 1963 teilgenommen. Als Protodiakon (seit 1961) hat er zudem die Wahl des Letzteren bekanntgegeben und den Gewählten gekrönt (hier:
https://www.youtube.com/watch?v=QBuwEDP-_2w und
https://www.youtube.com/watch?v=kA8nvHlTOR0). Näheres zu seinem persönlichen Empfinden ist m.W. nicht bekanntgeworden, obwohl anzunehmen ist, daß er namentlich von Montini arg enttäuscht worden ist, mit dem ihn seit der Zwischenkriegszeit eine Freundschaft verband. Wieso zwei so unterschiedliche Persönlichkeiten mit so unterschiedlichen Empfindungen und Ideen befreundet sein können, ist mir nicht erklärlich. Psychologisch nachvollziehbar ist dann aber wohl, daß Ottaviani sich nie, etwa im Gegensatz zu anderen, wie Monsignore Bacci, mit der Zeit ganz von Montini hat distanzieren wollen oder können.
Im marianischen Jahr 1954 hielt der damals frischgebackene Kardinal an Himmelfahrt (es war der 27. Mai) eine noch immer bemerkenswerte Predigt vor den in der
cappella Borghesiana in der Basilika Groß-Sankt-Marien versammelten Häuptern des römischen Patriziats, anläßlich der marianischen Wallfahrt, welche die
Congregazione Mariana dei Nobili di Roma damals veranstaltete.
Ich zitiere aus dem mir vorliegenden Sonderdruck, der damals verteilt wurde, folgende eindringliche Mahnung:
Ecco la domanda che non vi pongo io, bensì ve la pongono le mura dei vostri palazzi, le mura delle chiese di Roma, le tombe dei vostri maggiori. Assistiamo alla crescente scristianizzazione del mondo, la nostra città non esclusa. Quale differenza con le primizie romane del cristianesimo: la fede di Roma veniva celebrata in tutto il mondo: perchè ora non è così?
E voi, miei cari, che cosa fate voi perchè l'infedeltà non straripi e non dilaghi l'apostasia?
Ciascuno di voi domandi a se stesso, oggi, innanzi all'altare della Madonna, che cosa ha fatto, che cosa fa, che cosa intende fare, perchè Roma non decada sempre più nella sua fede. Siamo in tempi di eroismo, in cui tanti confessori della fede testimoniano col martirio la loro fedeltà a Cristo e al suo Vicario: come potremmo noi astenerci dal far qualche cosa di grande, di generoso per il trionfo della Chiesa?
(Das ist die Frage, die nicht ich Ihnen stelle, sondern die Mauern Ihrer Paläste, die Mauern der Kirchen von Rom, die Gräber Ihrer Vorfahren. Wir erleben eine zunehmende Entchristlichung der Welt, unsere Stadt nicht ausgenommen. Was für ein Unterschied zu den ersten römischen Früchten des Christentums, als der Glaube Roms auf der ganzen Welt gefeiert wurde: Warum ist dem jetzt nicht so?
Und Sie, meine Lieben, was tun Sie, damit nicht der Unglaube überhandnehme und sich der Glaubensabfall nicht verbreite?
Jeder von Ihnen frage sich heute vor dem Altar Unserer Lieben Frau, was er getan hat, was er tut, was er zu tun gedenkt, damit Rom und sein Glaube nicht immer mehr zugrunde gehen. Wir befinden uns in Zeiten des Heldentums, in denen so viele Bekenner des Glaubens mit ihrem Martyrium ihre Treue zu Christus und zu seinem Stellvertreter bezeugen: Wie können wir davon Abstand nehmen, etwas Großes und Großzügiges für den Triumph der Kirche zu tun?)
Fragen, die wir uns auch heute stellen müssen, wo die Lage ungleich schlimmer ist als noch 1954 (ob wir in gehobener Stellung geboren wurden, oder nicht, oder, wie Ottaviani, zu ihr gelangten, oder nicht, ist einerlei), aber auch Fragen, die man auch dem Kardinal selbst stellen durfte, ein gutes Jahrzehnt später, 1965 oder 1970, als auch er offensichtlich kampfesmüde geworden war.
Ganz klar gilt hier, aus heutiger Sicht, aus Sicht des Nachgeborenen, rückblickend vom derzeitigen Ruinenfeld aus, ein offensichtliches Glaubensdefizit, das den damaligen Hierarchen, auch Kardinal Ottaviani, angerechnet werden muß, und auch werden wird.
Aber wir müssen uns ernsthaft die Frage stellen, was wir an Stelle der bestellten Hierarchen in den Jahren 1950, 1960 hätten tun können und tatsächlich getan hätten, um die Katastrophe zu beschwören - nicht zu verhindern, denn sie ist ganz eindeutig eine Strafe, die zu verhindern wohl keine Menschenhand vermochte.
Gottes Gnade hat uns vor dieser Verantwortung bewahrt, und nicht uns steht es zu, sondern Gottes Gnade allein,
in foro interno jene zu richten, die sie zu tragen hatten.
So bleibt uns trotz allem die Erinnerung eines aufrechten Priesters, Seelsorgers und Lehrers, und eines der letzten Purpurväter, von den Stürmen der Zeit schwer geschüttelt, dessen Seele wir im Gebet nicht vergessen sollten.
Brutti tempi, Eminenza!
Einige Bilder:
Als Student:
Feierabend
(im Restaurant Alfredo, das es noch gibt, und das gar nicht schlecht ist, via della Scrofa):
Etwas feierlicher (Festtafel zum Patronat der Bäcker, um 1963):
Ernennung zum Kardinal:
Sein Grab in S. Salvatore in ossibus (zugänglich nur vom Vatikan aus):
R.I.P.