Oberuferer Weihnachtsspiele

Sonstiges und drumherum.
WolfgangF
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Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von WolfgangF »

In dieser Woche haben an der Waldorfschule, die unsere jüngsten Kinder bis vor Kurzem besucht haben, die Proben zu den "Oberuferer Weihnachtsspielen" begonnen - in diesem Jahr das "Christgeburtspiel" und das "Dreikönigspiel". In beiden spiele ich mit, was immer eine große Freude ist (und mit "schuld" daran ist, dass ich doch noch zum christlichen Glauben gefunden habe). Und in beiden Stücken gibt es Szenen, die sich mir regelrecht "einbrennen" und in jeder Probe neu berühren, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Gestern war das wieder die Szene, in der Herodes den ihm vom Teufel "eingeblasenen" Plan des Kindermordes fasst. Damit man sich das ein wenig vorstellen kann, hier ein kurzer Textauszug.

Herodes:
"I wüll mi sollichs unterwinda
alle Knäblein in Juda umbringa:
Was acht i, obgleich alle Mütter
über mi schreien Mord und Zeter!
Wann i nur bleib mein's Reich san Erb
und nit so plötzlich gar verderb."

Und während Herodes noch über seinen teuflischen Plan nachsinnt, schreitet Maria, das Jesuskind haltend, um ihn herum und singt mit ihrer jungen hohen Stimme:

"Gnädiger König, gedenkt an Barmherzigkeit,
fürwahr es wird eng pletzli tuen leid,
wann ihr vergiaßt so vül unschuldigs Bluat,
seht zua gnäd'ger König, was ihr tuat."

Herodes sitzt erstarrt, als schaue er eine schreckliche Vision, ehe er sich aufrafft und mit lauter Stimme brüllt:

"Pack di hinweg du närrisch Weib!
Woaßt nit, was gibt's für Angelegenheit?
G'numma wird mir mei Regament,
wann i dem Übel nit bald vorwend..."

Der kurze Auszug macht vielleicht schon deutlich, dass es sich um Spiele handelt, die im Grundsatz von Erwachsenen für Erwachsene gespielt werden (jedes der Stücke dauert ja auch ca. 1 1/2 Stunden). Kinder können und sollen natürlich teilnehmen, allerdings erst von einem bestimmten Alter an (beim Dreikönigsspiel etwa ab 11 oder 12). Die Spiele sollen übrigens die Weihnachtsspiele sein, die aus dem 13. oder 14. Jahrhundert am originalgetreuesten erhalten geblieben sind. Was sicher auch ein Grund dafür ist, dass sie bei Akteuren und Zuschauern immer wieder einen so tiefen Eindruck hinterlassen...

:) Wolfgang

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ottaviani
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von ottaviani »

weißt du wo das herkommt?????????
aus der "alten Heimat" es ist ein Stück Karpatendeutsche Kultur gut daß das noch jemand pflegt

WolfgangF
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von WolfgangF »

ottaviani hat geschrieben:weißt du wo das herkommt?????????
aus der "alten Heimat" es ist ein Stück Karpatendeutsche Kultur gut daß das noch jemand pflegt
Ja, natürlich. Ich beschäftige mich schon seit Jahren recht intensiv mit diesen wunderbaren Stücken und finde es sehr schade, dass sie (fast) nur an den Waldorfschulen noch erhalten werden. Es gibt - soweit ich feststellen konnte - aber auch ein paar katholische Gemeinden, die Oberuferer Spiele zeigen. Ich habe ja schon als noch "hartgesottener" Atheist bei den Spielen mitgewirkt - weil sie mich vom ersten Sehen an sofort und nachhaltig fasziniert haben. Und im Nachhinein glaube ich, dass dies viel damit zu tun hat, dass die "Gefängnismauern" meines Atheismus nach und nach und zunächst unmerklich zu bröckeln begannen.

Es hat solche Stücke im Mittelalter wohl überall im deutschsprachigen Raum gegeben. Dass sich eines davon ausgerechnet in der Oberuferer Gegend gehalten hat, soll auch damit zu tun haben, dass die "Obrigkeit" (auch die kirchliche) von den Stücken nicht allzu begeistert war - deshalb konnten sie nur in einer vom übrigen deutschen Sprachraum abgeschlossenen Enklave "überleben". Ansonsten wurden die Krippenspiele allmählich "geglättet" (vielleicht könnte man auch sagen: versüßlicht)...

Ich persönlich finde hingegen diese einmalige Mischung aus derbem Humor (vor allem durch die Hirten im Christgeburtspiel) und tief empfundener, schlichter Frömmigkeit anrührender als alles, was ich sonst so an Weihnachtsspielen kenne und sehe (auch dramaturgisch sind die ja recht langen Stücke sehr geschickt aufgebaut).

Weihnachten ohne diese Spiele - das geht für mich gar nicht. Und dieses Jahr, da ich mich nun endlich zum Glauben durchgerungen habe, hat das alles natürlich noch eine viel größere Bedeutung für mich...

Wer mehr über die Spiele wissen möchte - ich stehe gerne zur Verfügung (das Christgeburtspiel spielen wir übrigens in einer plattdeutschen Übersetzung).

:) Wolfgang

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Marion
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von Marion »

Die Texte sind echt klasse :D

Da hab ich noch ein gefunden:
http://www.waldorfbazar.de/quelle/
Den Baam woll‘n ma a grüaß‘n an,
Und olli früacht, dö hängent dran.
D‘Eva, dö bösi, dö hot gessen davon,
Und a da Adam, da dummi Monn.
Da wurdens vo God verstoß‘n;
Dös woll‘n ma uns g‘soagt sei loss‘n. —
Nur den Teufel woll’n ma ja grüaß‘n nit,
Vor den uns da liabi God b‘hüat;
Ma woll‘n ar an Schwanz zupfa,
Und erm oh Hoar ausrupfa. —
Christus vincit - Christus regnat - Christus imperat

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ottaviani
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von ottaviani »

jaja man ist begeistert

WolfgangF
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von WolfgangF »

Marion hat geschrieben:Die Texte sind echt klasse
Ja, das ist der Anfang des "Paradeisspiels", in dem die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies dargestellt wird.

Ich will's nun nicht übertreiben mit dem Thema, aber die Texte sind oft wirklich sehr ergreifend. Ich spiele in diesem Jahr mal wieder den Josef im Christgeburtspiel (im Dreikönigspiel den Balthasar) - wie gesagt: in Plattdeutsch gespielt. Daraus hier ein besonders schöner Wechselgesang zwischen Josef und Maria:

Maria singt:

Ach Josef mien,
wat mag de Welt so untreu sien
mit Schimp uns ut to slöten,
dat wi in den Stall blieven mööten.
O Josef mien, o Josef mien!
O Josef, bring mi een beeten Heu,
dat ik för dat Kind in de Krüff rin streu.

Josef bringt das Heu und singt:

Mien Haart, mien Leev un all mien Gloov,
dat gev ik di, mien lütte Jung.

Maria singt:

O Josef mien!
Help mi weegen dat Kind so scheun,
Gott ward wull dien Helper ween.
O Josef mien, o Josef mien!

Josef singt:

O du mien leeve Maria!
So gern, so gern, ik bün all dor.
Ik help di weegen dat Kindlein scheun,
Gott ward wull mien Helper ween.
Maria! Maria!

Falls Übersetzungshilfe gebraucht wird ...

:) Wolfgang

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lifestylekatholik
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von lifestylekatholik »

WolfgangF hat geschrieben:Falls Übersetzungshilfe gebraucht wird ...
Det Plattdeutsche vasteh’ck ja, a’ wat heeßt Wann i nur bleib mein's Reich san Erb?
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

WolfgangF
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von WolfgangF »

lifestylekatholik hat geschrieben:
WolfgangF hat geschrieben:Falls Übersetzungshilfe gebraucht wird ...
Det Plattdeutsche vasteh’ck ja, a’ wat heeßt Wann i nur bleib mein's Reich san Erb?
Wörtlich übertragen (Herodes ist bereit, wirklich alles zu tun, wenn er nur "Erbe seines Reiches" bleibt) ergibt das eigentlich keinen Sinn, er kann sich ja nicht selber beerben. Ich weiß auch nicht genau, was es bedeutet, aber aus dem Zusammenhang kann es nur bedeuten, dass niemand - und eben auch nicht der angekündigte neue König der Juden - ihm seine Krone streitig machen darf. Solche Formulierungen, die man nicht wirklich verstehen kann, gibt es häufiger in den Stücken - bisweilen sind es sicher auch Übertragungsfehler.

:) Wolfgang

Ora-Orate
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Re: Oberuferer Weihnachtsspiele

Beitrag von Ora-Orate »

Ich liebe die Spiele auch. Wir führen sie auf, ich begleite am Piano.

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