Taizé
Verfasst: Dienstag 30. Dezember 2003, 00:01
Dieser Brief wurde von Frère Roger, Taizé, geschrieben und in 57 (u. a. 24 asiatische) Sprachen übersetzt. Er wurde beim Europäischen Jugendtreffen in Hamburg veröffentlicht und dient im Jahr 2004 zum Nachdenken bei den wöchentlichen Jugendtreffen in Taizé und bei Treffen anderswo auf der Erde:
Viele Jugendliche überall auf der Erde dürsten nach Frieden, Gemeinschaft und Freude. Sie kümmert auch das unergründliche Leid unschuldiger Menschen. Sie übersehen insbesondere nicht, daß die Armut auf der Welt zunimmt.(1) Nicht nur die Verantwortlichen der Völker gestalten die Zukunft. Ganz einfache Menschen, kleine Leute können dazu beitragen, eine Zukunft des Friedens und des Vertrauens aufzubauen. Mit noch so geringen Mitteln läßt Gott uns Versöhnung stiften, wo Gegensätze aufeinanderprallen, und Hoffnung, wo sich Besorgnis breitmacht. Er ruft uns auf, durch unser Leben greifbar zu machen, daß er sich des Menschen erbarmt.(2) Wenn Jugendliche durch ihr Leben Frieden verbreiten, wird es in ihrer Umgebung hell.(3)
Einmal fragte ich einen Jugendlichen, was in seinen Augen der wesentliche Halt seines Lebens sei. Er antwortete: „Die Freude und die Güte des Herzens.“ Beunruhigung, Angst vor dem Leiden können die Freude rauben. Wenn sich in uns eine Freude regt, die vom Evangelium herrührt, bringt sie frischen Lebensmut. Nicht wir schaffen diese Freude, sie ist eine Gabe Gottes. Durch den Blick voll Vertrauen, mit dem Gott auf unser Leben schaut, wird sie unaufhörlich neu geweckt.(4) Die Güte des Herzens hat nichts Naives, sie erfordert Umsicht. Sie kann dazu führen, Risiken einzugehen. Sie läßt keinerlei Verachtung anderer zu.(5) Sie lenkt unser Augenmerk auf die Ärmsten, die Leidenden, die Qual von Kindern. Sie kann mit dem Gesichtsausdruck, mit dem Tonfall sagen, daß es jeder Mensch nötig hat, geliebt zu werden.(6) Ja, für unseren Weg legt Gott uns einen Funken Güte in den Seelengrund, der nur darauf wartet, zur Flamme zu werden.(7)
Aber wie kann man zu den Quellen der Güte, der Freude und auch zu den Quellen des Vertrauens gelangen? Indem wir uns Gott überlassen, finden wir den Weg.So weit man in der Geschichte zurückgeht, haben unzählige Glaubende gewußt, daß Gott im Gebet Licht und inwendiges Leben bringt. Schon vor Christus betete ein Glaubender: „Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, Herr; zutiefst in mir sucht dich mein Geist.“ (8 ) Die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott regt sich seit unvordenklichen Zeiten im Menschen. Das Geheimnis dieser Gemeinschaft rührt an das Innerste, an den tiefsten Grund des Wesens. Deshalb können wir zu Christus sagen: „Zu wem sollten wir gehen, wenn nicht zu dir? Du hast die Worte, die unsere Seele neu beleben.“(9)
In kontemplativer Erwartung vor Gott verweilen, liegt nicht außerhalb der menschlichen Möglichkeiten. Bei solchem Beten hebt sich der Schleier über dem, was man vom Glauben nicht mit Worten sagen kann, und das Unsagbare führt zur Anbetung. Gott ist auch gegenwärtig, wenn der Eifer nachläßt und spürbarer Widerhall ausbleibt. Niemals wird uns sein Erbarmen entzogen. Nicht Gott hält sich von uns fern, wir sind manchmal abwesend. Ein verweilender Blick sieht in den einfachsten Ereignissen Zeichen des Evangeliums. Er erkennt selbst im verlassensten Menschen die Gegenwart Christi.(10) Er entdeckt im All die strahlende Schönheit der Schöpfung.
Viele fragen sich: Was erwartet Gott von mir? Wenn wir im Evangelium lesen, wird uns klar: Gott bittet uns, in jeder Lage ein Widerschein seiner Gegenwart zu sein; er lädt uns ein, den Menschen, die er uns anvertraut, das Leben schön zu machen. Wer auf einen Ruf Gottes für das ganze Leben antworten will, kann das Gebet sprechen: Heiliger Geist, kein Mensch ist ohne weiteres dafür gemacht, ein Ja für immer durchzutragen, aber du kommst und entzündest in mir ein strahlendes Licht. Du bringst Licht in Unschlüssigkeit und Zweifel, sooft Ja und Nein aufeinanderprallen. Heiliger Geist, du läßt mich in meine Begrenztheit einwilligen. Verkläre mit deiner Gegenwart, was in mir gebrechlich sein mag. Und wir finden zur Kühnheit eines Ja, mit dem wir sehr weit kommen. Dieses Ja ist lauteres Vertrauen. Dieses Ja ist Liebe aller Liebe.
Christus ist Gemeinschaft. Er ist nicht auf die Erde gekommen, um eine weitere Religion zu stiften, sondern allen Menschen eine Gemeinschaft in ihm anzubieten.(11) Seine Jünger sind berufen, schlicht und einfach Sauerteig des Vertrauens und des Friedens in der Menschheit zu sein. In der einzigartigen Gemeinschaft, die die Kirche ist, schenkt Gott alles, um zu den Quellen zu gehen: das Evangelium, die Eucharistie, den Frieden der Vergebung... Und die Heiligkeit Christi ist nicht mehr etwas Unerreichbares, sie ist da, ganz nahe. Vier Jahrhunderte nach Christus schrieb Augustinus, ein afrikanischer Glaubender: „Liebe und sag es durch dein Leben!“ Wenn die Gemeinschaft unter den Christen Leben ist und nicht Theorie, wird sie zum Strahl der Hoffnung; mehr noch, kann sie das unerläßliche Bemühen um den Weltfrieden mittragen.Wie können die Christen da noch getrennt bleiben? Im Lauf der Jahre hat die ökumenische Berufung zu bemerkenswerten Verständigungen geführt. Sie sind die ersten Früchte einer lebendigen Gemeinschaft unter Christen.(12) Die Gemeinschaft ist der Prüfstein. Sie wird mitten im Herzen eines jeden Christen geboren, in Stille und Liebe.(13) In ihrer langen Geschichte haben zahllose Christen eines Tages bemerkt, daß sie getrennt sind, manchmal ohne zu wissen warum. Heute kommt es darauf an, alles zu tun, damit möglichst viele Christen – die häufig keine Schuld an den Trennungen haben – feststellen können, daß sie schon in Gemeinschaft sind.(14) Unzählige haben Sehnsucht nach einer Versöhnung, die an den Grund der Seele rührt. Sie ersehnen die grenzenlose Freude: eine Liebe, ein Herz, ein und dieselbe Gemeinschaft.(15) Heiliger Geist, komm und lege uns die Sehnsucht ins Herz, auf eine Gemeinschaft zuzugehen, du führst uns zu ihr.
Am Abend des Ostertages begleitete Jesus zwei seiner Jünger, die zum Dorf Emmaus unterwegs waren. Sie bemerkten erst nicht, daß er an ihrer Seite ging.(16) Auch wir haben Zeiten, in denen wir nicht erkennen können, daß uns Christus durch den Heiligen Geist ganz nahe ist. Unablässig begleitet er uns. Er erhellt unsere Seele mit unerwartetem Licht. Und wir entdecken, daß zwar in uns etwas dunkel bleiben kann, aber in jedem Menschen vor allem das Geheimnis seiner Gegenwart liegt. Versuchen wir, uns eine Gewißheit zu bewahren! Welche? Christus sagt zu jedem Menschen: „Ich liebe dich mit einer Liebe, die kein Ende kennt. Niemals verlasse ich dich. Durch den Heiligen Geist bin ich stets bei dir.“(17)
Fußnoten:
1 Wer das innere Leben vertieft, wird nicht verleitet, die Augen vor den Verhältnissen in den zeitgenössischen Gesellschaften zu schließen, sondern vor Fragen gestellt. Ist uns zum Beispiel genügend bewußt, daß 54 Länder auf der Welt heute ärmer sind als 1990? UN-Generalsekretär Kofi Annan schrieb letztes Jahr zum Europäischen Jugendtreffen in Paris: „Es gibt auf der Erde viele Jugendliche, die ihrer Zukunftsperspektiven beraubt sind. Für sie ist jeder Tag ein harter Kampf gegen Hunger, Krankheit und Elend. Zahlreiche Jugendliche leben zudem in Gegenden, die bewaffneten Konflikten ausgesetzt sind. Wir müssen alles tun, um ihnen wieder Hoffnung zu geben.“
2 Der geschätzte Papst Johannes XXIII. schrieb: „Für alle Glaubenden ziemt es sich besonders, in die menschliche Gesellschaft Licht und Liebe zu tragen, wie Sauerteig in der Masse zu wirken. Dies wird um so mehr der Fall sein, je enger sich das Herz eines jeden an Gott bindet. Denn es wird gewiß kein Friede in der menschlichen Gesellschaft herrschen, wenn er nicht zuerst im Herzen jedes einzelnen Menschen Wohnung nimmt.“ (Enzyklika Pacem in terris, 1963, 164-165)
3 Der Apostel Paulus ermutigt die Glaubenden, „strahlende Lichter“ zu sein, die in der Welt leuchten (siehe Philipper 2,15-16). 4 „Wenn der Herr kommt, (...) werden sich die Erniedrigten und die Armen freuen und jubeln über den Herrn“ (Jesaja 29,18-19). „Tröste dein Herz, halte Traurigkeit von dir fern! Denn Traurigkeit hat keinen Wert“ (Jesus Sirach 30,21-25).
5 In einer Lebensgemeinschaft ist die Güte des Herzens ein unschätzbarer Wert. Sie ist vielleicht einer der lauersten Erweise der Schönheit einer Gemeinschaft.
6 Schon ein Kleinkind begreift, was die Herzensgüte einer Mutter oder eines Vaters, einer Schwester oder eines Bruders ausmacht. Sie ist eine klare Wirklichkeit des Evangeliums. Sich geliebt zu wissen, ist für ein Kind ganz wichtig; so ist es ihm ein Leben lang möglich, voranzukommen und eines Tages zu begreifen, daß Gott uns aufruft, auch unsererseits zu lieben.
7 Bei einem Besuch in Taizé sagte der französische Philosoph Paul Ricœur: „Die Güte ist tiefer als das tiefste Übel. Wie radikal das Böse auch sein mag, es ist nicht so tief wie die Güte.“
8 Jesaja 26,9
9 Als manche ihn verließen, sagte Christus zu seinen Jüngern: „Und ihr, wollt auch ihr weggehen?“ Petrus antwortete ihm: „Zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Johannes 6,67-68 ).
10 Leben in Gemeinschaft mit Gott führt zum Leben in Gemeinschaft mit den anderen. Je mehr wir uns dem Evangelium nähern, desto mehr kommen wir einander nahe. Der orthodoxe Theologe Olivier Clément schreibt: „Je mehr jemand dem Gebet gehört, desto mehr Verantwortung übernimmt er. Das Gebet befreit nicht von den Aufgaben dieser Welt, im Gegenteil, es macht noch verantwortungsvoller. Es gibt nichts Verantwortungsvolleres als das Gebet. Das kann konkret bedeuten, bei jenen Menschen zu leben, die unter Verlassenheit und Armut leiden – dies tun zum Beispiel die Brüder von Taizé, die auf anderen Kontinenten in Elendsquartieren leben –; das legt auch uns nahe, erfinderisch zu werden, schöpferisch in allen Bereichen, auch in Sachen Ökonomie, Weltgesellschaft, Kultur usw.“ (Taizé. Einen Sinn fürs Leben finden, Freiburg im Breisgau, 1999)
11 In jungen Jahren – mit 21 – prägte der Theologe Dietrich Bonhoeffer den Ausdruck „Christus als Gemeinde existierend“. Er schreibt: „In Christus ist die Menschheit real in die Gottesgemeinschaft hineingezogen“ (Sanctorum communio, Berlin 1930).
12 Als Überlegung zur ökumenischen Berufung schrieb Ignatios IV., orthodoxer Patriarch von Antiochien, kürzlich aus Damaskus: „Wir benötigen dringend prophetische Initiativen, um die Ökumene aus den Mäandern herauszuführen, in die sie sich, wie ich fürchte, gerade verstrickt. Wir brauchen dringend Propheten und Heilige, um unseren Kirchen zu helfen, sich durch gegenseitiges Verzeihen zu bekehren.“ Der Patriarch rief dazu auf, „lieber die Sprache der Gemeinschaft als die der Jurisdiktion zu verwenden.“ Im vergangenen Jahr sagte Papst Johannes-Paul II., als er in Rom griechisch-orthodoxe Kirchenverantwortliche zu Gast hatte: „Mit den Heiligen weilt unser Blick auf der Ökumene der Heiligkeit, die uns schließlich in die volle Gemeinschaft führen wird, die weder Einverleibung noch Verschmelzung, sondern Begegnung in der Wahrheit und der Liebe ist.“
13 Die Versöhnung beginnt unmittelbar, im Innern der Person. Wenn sie im Herzen eines Glaubenden lebendig ist, gewinnt sie Glaubwürdigkeit und kann in der Gemeinschaft der Liebe, die die Kirche ist, Versöhnungsgeist entfachen. Auf diesem Weg kommt es darauf an, daß niemand gedemütigt wird.
14 Könnte die Kirche Zeichen einer breiten Öffnung setzen, so weit, daß man feststellen kann: Die in der Vergangenheit Getrennten sind nicht mehr zerspalten, sie leben schon in Gemeinschaft? Ein Schritt zur Versöhnung ist getan, wenn man ein Leben in Gemeinschaft erkennen kann, wie es an bestimmten Orten auf der Erde bereits besteht. Es braucht Mut, dies festzustellen und sich danach zu richten. Die Texte kommen später. Entfernt sich nicht, wer Texte für wichtiger hält, schließlich vom Ruf des Evangeliums: Versöhne dich ohne Aufschub?
15 siehe Philipper 2,2
16 siehe Lukas 24,13-35
17 siehe Jeremia 31,3 und Johannes 14,16-18
Quelle
Viele Jugendliche überall auf der Erde dürsten nach Frieden, Gemeinschaft und Freude. Sie kümmert auch das unergründliche Leid unschuldiger Menschen. Sie übersehen insbesondere nicht, daß die Armut auf der Welt zunimmt.(1) Nicht nur die Verantwortlichen der Völker gestalten die Zukunft. Ganz einfache Menschen, kleine Leute können dazu beitragen, eine Zukunft des Friedens und des Vertrauens aufzubauen. Mit noch so geringen Mitteln läßt Gott uns Versöhnung stiften, wo Gegensätze aufeinanderprallen, und Hoffnung, wo sich Besorgnis breitmacht. Er ruft uns auf, durch unser Leben greifbar zu machen, daß er sich des Menschen erbarmt.(2) Wenn Jugendliche durch ihr Leben Frieden verbreiten, wird es in ihrer Umgebung hell.(3)
Einmal fragte ich einen Jugendlichen, was in seinen Augen der wesentliche Halt seines Lebens sei. Er antwortete: „Die Freude und die Güte des Herzens.“ Beunruhigung, Angst vor dem Leiden können die Freude rauben. Wenn sich in uns eine Freude regt, die vom Evangelium herrührt, bringt sie frischen Lebensmut. Nicht wir schaffen diese Freude, sie ist eine Gabe Gottes. Durch den Blick voll Vertrauen, mit dem Gott auf unser Leben schaut, wird sie unaufhörlich neu geweckt.(4) Die Güte des Herzens hat nichts Naives, sie erfordert Umsicht. Sie kann dazu führen, Risiken einzugehen. Sie läßt keinerlei Verachtung anderer zu.(5) Sie lenkt unser Augenmerk auf die Ärmsten, die Leidenden, die Qual von Kindern. Sie kann mit dem Gesichtsausdruck, mit dem Tonfall sagen, daß es jeder Mensch nötig hat, geliebt zu werden.(6) Ja, für unseren Weg legt Gott uns einen Funken Güte in den Seelengrund, der nur darauf wartet, zur Flamme zu werden.(7)
Aber wie kann man zu den Quellen der Güte, der Freude und auch zu den Quellen des Vertrauens gelangen? Indem wir uns Gott überlassen, finden wir den Weg.So weit man in der Geschichte zurückgeht, haben unzählige Glaubende gewußt, daß Gott im Gebet Licht und inwendiges Leben bringt. Schon vor Christus betete ein Glaubender: „Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, Herr; zutiefst in mir sucht dich mein Geist.“ (8 ) Die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott regt sich seit unvordenklichen Zeiten im Menschen. Das Geheimnis dieser Gemeinschaft rührt an das Innerste, an den tiefsten Grund des Wesens. Deshalb können wir zu Christus sagen: „Zu wem sollten wir gehen, wenn nicht zu dir? Du hast die Worte, die unsere Seele neu beleben.“(9)
In kontemplativer Erwartung vor Gott verweilen, liegt nicht außerhalb der menschlichen Möglichkeiten. Bei solchem Beten hebt sich der Schleier über dem, was man vom Glauben nicht mit Worten sagen kann, und das Unsagbare führt zur Anbetung. Gott ist auch gegenwärtig, wenn der Eifer nachläßt und spürbarer Widerhall ausbleibt. Niemals wird uns sein Erbarmen entzogen. Nicht Gott hält sich von uns fern, wir sind manchmal abwesend. Ein verweilender Blick sieht in den einfachsten Ereignissen Zeichen des Evangeliums. Er erkennt selbst im verlassensten Menschen die Gegenwart Christi.(10) Er entdeckt im All die strahlende Schönheit der Schöpfung.
Viele fragen sich: Was erwartet Gott von mir? Wenn wir im Evangelium lesen, wird uns klar: Gott bittet uns, in jeder Lage ein Widerschein seiner Gegenwart zu sein; er lädt uns ein, den Menschen, die er uns anvertraut, das Leben schön zu machen. Wer auf einen Ruf Gottes für das ganze Leben antworten will, kann das Gebet sprechen: Heiliger Geist, kein Mensch ist ohne weiteres dafür gemacht, ein Ja für immer durchzutragen, aber du kommst und entzündest in mir ein strahlendes Licht. Du bringst Licht in Unschlüssigkeit und Zweifel, sooft Ja und Nein aufeinanderprallen. Heiliger Geist, du läßt mich in meine Begrenztheit einwilligen. Verkläre mit deiner Gegenwart, was in mir gebrechlich sein mag. Und wir finden zur Kühnheit eines Ja, mit dem wir sehr weit kommen. Dieses Ja ist lauteres Vertrauen. Dieses Ja ist Liebe aller Liebe.
Christus ist Gemeinschaft. Er ist nicht auf die Erde gekommen, um eine weitere Religion zu stiften, sondern allen Menschen eine Gemeinschaft in ihm anzubieten.(11) Seine Jünger sind berufen, schlicht und einfach Sauerteig des Vertrauens und des Friedens in der Menschheit zu sein. In der einzigartigen Gemeinschaft, die die Kirche ist, schenkt Gott alles, um zu den Quellen zu gehen: das Evangelium, die Eucharistie, den Frieden der Vergebung... Und die Heiligkeit Christi ist nicht mehr etwas Unerreichbares, sie ist da, ganz nahe. Vier Jahrhunderte nach Christus schrieb Augustinus, ein afrikanischer Glaubender: „Liebe und sag es durch dein Leben!“ Wenn die Gemeinschaft unter den Christen Leben ist und nicht Theorie, wird sie zum Strahl der Hoffnung; mehr noch, kann sie das unerläßliche Bemühen um den Weltfrieden mittragen.Wie können die Christen da noch getrennt bleiben? Im Lauf der Jahre hat die ökumenische Berufung zu bemerkenswerten Verständigungen geführt. Sie sind die ersten Früchte einer lebendigen Gemeinschaft unter Christen.(12) Die Gemeinschaft ist der Prüfstein. Sie wird mitten im Herzen eines jeden Christen geboren, in Stille und Liebe.(13) In ihrer langen Geschichte haben zahllose Christen eines Tages bemerkt, daß sie getrennt sind, manchmal ohne zu wissen warum. Heute kommt es darauf an, alles zu tun, damit möglichst viele Christen – die häufig keine Schuld an den Trennungen haben – feststellen können, daß sie schon in Gemeinschaft sind.(14) Unzählige haben Sehnsucht nach einer Versöhnung, die an den Grund der Seele rührt. Sie ersehnen die grenzenlose Freude: eine Liebe, ein Herz, ein und dieselbe Gemeinschaft.(15) Heiliger Geist, komm und lege uns die Sehnsucht ins Herz, auf eine Gemeinschaft zuzugehen, du führst uns zu ihr.
Am Abend des Ostertages begleitete Jesus zwei seiner Jünger, die zum Dorf Emmaus unterwegs waren. Sie bemerkten erst nicht, daß er an ihrer Seite ging.(16) Auch wir haben Zeiten, in denen wir nicht erkennen können, daß uns Christus durch den Heiligen Geist ganz nahe ist. Unablässig begleitet er uns. Er erhellt unsere Seele mit unerwartetem Licht. Und wir entdecken, daß zwar in uns etwas dunkel bleiben kann, aber in jedem Menschen vor allem das Geheimnis seiner Gegenwart liegt. Versuchen wir, uns eine Gewißheit zu bewahren! Welche? Christus sagt zu jedem Menschen: „Ich liebe dich mit einer Liebe, die kein Ende kennt. Niemals verlasse ich dich. Durch den Heiligen Geist bin ich stets bei dir.“(17)
Fußnoten:
1 Wer das innere Leben vertieft, wird nicht verleitet, die Augen vor den Verhältnissen in den zeitgenössischen Gesellschaften zu schließen, sondern vor Fragen gestellt. Ist uns zum Beispiel genügend bewußt, daß 54 Länder auf der Welt heute ärmer sind als 1990? UN-Generalsekretär Kofi Annan schrieb letztes Jahr zum Europäischen Jugendtreffen in Paris: „Es gibt auf der Erde viele Jugendliche, die ihrer Zukunftsperspektiven beraubt sind. Für sie ist jeder Tag ein harter Kampf gegen Hunger, Krankheit und Elend. Zahlreiche Jugendliche leben zudem in Gegenden, die bewaffneten Konflikten ausgesetzt sind. Wir müssen alles tun, um ihnen wieder Hoffnung zu geben.“
2 Der geschätzte Papst Johannes XXIII. schrieb: „Für alle Glaubenden ziemt es sich besonders, in die menschliche Gesellschaft Licht und Liebe zu tragen, wie Sauerteig in der Masse zu wirken. Dies wird um so mehr der Fall sein, je enger sich das Herz eines jeden an Gott bindet. Denn es wird gewiß kein Friede in der menschlichen Gesellschaft herrschen, wenn er nicht zuerst im Herzen jedes einzelnen Menschen Wohnung nimmt.“ (Enzyklika Pacem in terris, 1963, 164-165)
3 Der Apostel Paulus ermutigt die Glaubenden, „strahlende Lichter“ zu sein, die in der Welt leuchten (siehe Philipper 2,15-16). 4 „Wenn der Herr kommt, (...) werden sich die Erniedrigten und die Armen freuen und jubeln über den Herrn“ (Jesaja 29,18-19). „Tröste dein Herz, halte Traurigkeit von dir fern! Denn Traurigkeit hat keinen Wert“ (Jesus Sirach 30,21-25).
5 In einer Lebensgemeinschaft ist die Güte des Herzens ein unschätzbarer Wert. Sie ist vielleicht einer der lauersten Erweise der Schönheit einer Gemeinschaft.
6 Schon ein Kleinkind begreift, was die Herzensgüte einer Mutter oder eines Vaters, einer Schwester oder eines Bruders ausmacht. Sie ist eine klare Wirklichkeit des Evangeliums. Sich geliebt zu wissen, ist für ein Kind ganz wichtig; so ist es ihm ein Leben lang möglich, voranzukommen und eines Tages zu begreifen, daß Gott uns aufruft, auch unsererseits zu lieben.
7 Bei einem Besuch in Taizé sagte der französische Philosoph Paul Ricœur: „Die Güte ist tiefer als das tiefste Übel. Wie radikal das Böse auch sein mag, es ist nicht so tief wie die Güte.“
8 Jesaja 26,9
9 Als manche ihn verließen, sagte Christus zu seinen Jüngern: „Und ihr, wollt auch ihr weggehen?“ Petrus antwortete ihm: „Zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Johannes 6,67-68 ).
10 Leben in Gemeinschaft mit Gott führt zum Leben in Gemeinschaft mit den anderen. Je mehr wir uns dem Evangelium nähern, desto mehr kommen wir einander nahe. Der orthodoxe Theologe Olivier Clément schreibt: „Je mehr jemand dem Gebet gehört, desto mehr Verantwortung übernimmt er. Das Gebet befreit nicht von den Aufgaben dieser Welt, im Gegenteil, es macht noch verantwortungsvoller. Es gibt nichts Verantwortungsvolleres als das Gebet. Das kann konkret bedeuten, bei jenen Menschen zu leben, die unter Verlassenheit und Armut leiden – dies tun zum Beispiel die Brüder von Taizé, die auf anderen Kontinenten in Elendsquartieren leben –; das legt auch uns nahe, erfinderisch zu werden, schöpferisch in allen Bereichen, auch in Sachen Ökonomie, Weltgesellschaft, Kultur usw.“ (Taizé. Einen Sinn fürs Leben finden, Freiburg im Breisgau, 1999)
11 In jungen Jahren – mit 21 – prägte der Theologe Dietrich Bonhoeffer den Ausdruck „Christus als Gemeinde existierend“. Er schreibt: „In Christus ist die Menschheit real in die Gottesgemeinschaft hineingezogen“ (Sanctorum communio, Berlin 1930).
12 Als Überlegung zur ökumenischen Berufung schrieb Ignatios IV., orthodoxer Patriarch von Antiochien, kürzlich aus Damaskus: „Wir benötigen dringend prophetische Initiativen, um die Ökumene aus den Mäandern herauszuführen, in die sie sich, wie ich fürchte, gerade verstrickt. Wir brauchen dringend Propheten und Heilige, um unseren Kirchen zu helfen, sich durch gegenseitiges Verzeihen zu bekehren.“ Der Patriarch rief dazu auf, „lieber die Sprache der Gemeinschaft als die der Jurisdiktion zu verwenden.“ Im vergangenen Jahr sagte Papst Johannes-Paul II., als er in Rom griechisch-orthodoxe Kirchenverantwortliche zu Gast hatte: „Mit den Heiligen weilt unser Blick auf der Ökumene der Heiligkeit, die uns schließlich in die volle Gemeinschaft führen wird, die weder Einverleibung noch Verschmelzung, sondern Begegnung in der Wahrheit und der Liebe ist.“
13 Die Versöhnung beginnt unmittelbar, im Innern der Person. Wenn sie im Herzen eines Glaubenden lebendig ist, gewinnt sie Glaubwürdigkeit und kann in der Gemeinschaft der Liebe, die die Kirche ist, Versöhnungsgeist entfachen. Auf diesem Weg kommt es darauf an, daß niemand gedemütigt wird.
14 Könnte die Kirche Zeichen einer breiten Öffnung setzen, so weit, daß man feststellen kann: Die in der Vergangenheit Getrennten sind nicht mehr zerspalten, sie leben schon in Gemeinschaft? Ein Schritt zur Versöhnung ist getan, wenn man ein Leben in Gemeinschaft erkennen kann, wie es an bestimmten Orten auf der Erde bereits besteht. Es braucht Mut, dies festzustellen und sich danach zu richten. Die Texte kommen später. Entfernt sich nicht, wer Texte für wichtiger hält, schließlich vom Ruf des Evangeliums: Versöhne dich ohne Aufschub?
15 siehe Philipper 2,2
16 siehe Lukas 24,13-35
17 siehe Jeremia 31,3 und Johannes 14,16-18
Quelle