Guy Gilbert, der Rockerpriester
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>>Guy - am 12. September1935 in Rochefort sur Mer geboren - ist als drittes von 15 Kindern in einer Arbeiterfamilie groß geworden. „Meine Eltern haben alles, was sie hatten, uns 15 kleinen Vogerln gegeben.“ erzählt er. Diese Zärtlichkeit, diese Liebe, aber auch diese Armut haben sich bei ihm in Stärke gewandelt, davon ist der Père überzeugt. Und stark muß er wohl sein bei der Aufgabe, die er übernommen hat: Möglichst viele Kinder und Jugendliche in Paris von der Straße wegzubringen und jugendlichen Gewalttätern in einer wiederaufgebauten Ruine in der Provence - der Bergerie von Faucon - ein wenig Heimat, Hoffnung, Vertrauen und Liebe zu schenken.
Wer diesen Mann zum ersten Mal sieht und nichts über ihn weiß, kommt nie auf die Idee, einen Priester vor sich zu haben. Père Guy tritt seit Jahrzehnten in einem schwarzen Leder-RockerLook auf. Jeder Mann seines Alters - Guy Gilbert ist mittlerweile 67 - würde damit auffallen, aber erst recht, wenn dieser Mann ein Priester ist. Auch seine ungebändigte Frisur trägt nicht unbedingt dazu bei, ihn als Priester zu identifizieren.Mit 13 Jahren erklärt er seinen Eltern, er wolle Priester werden. “54 Jahre später bin ich mir bewußt, daß ich nichts anderes hätte werden können. Ich habe nie einen Zweifel gehabt. Es war ein unbesiegbarer Wunsch". Allerdings hätte er Landpfarrer werden wollen. In La Rochelle-Saintes beginnt er mit dem Priesterseminar, wird aber bald zum Algerienkrieg eingezogen. Er weigert sich Araber zu töten und wird Krankenpfleger.
Guy übersteht den Krieg, trotz Sonderkommandos, dem er zugeteilt wird, weil er gegen das Foltern ist. Nach einer Wallfahrt nach Lourdes - 500 Kilometer zu Fuß als Dank und um weitere Weisungen zu erhalten - kehrt er nach Algerien zurück. Er lernt arabisch, um dem Volk möglichst nahe zu sein, und wird 1965 dort zum Priester geweiht. Fünf Jahre ist er Kaplan in Blida. Er, der eigentlich irgendwo in Frankreich Landpfarrer werden wollte, findet sich in einer arabischen Welt wieder, die ihn zwar fasziniert, in der es aber kaum noch Katholiken gibt.
Eines Nachts - es ist zwei Uhr Früh - kehrt P. Guy von einer Veranstaltung heim und sieht einen Buben am Straßenrand sitzen. Was er denn so spät allein auf der Straße mache? “Geh doch lieber heim", sagt der Priester. “Nein, dorthin kehre ich nicht mehr zurück", antwortet der Bub. Niemand wolle ihn dort haben, er dürfe immer erst nach dem Hund aus dem Freßnapf essen.[...] “Alain hat mir alle seine Freunde, die wie er im Dreck der Straße lebten, gebracht", erzählt der Priester weiter. “Er hat mich die Armut der Welt erst richtig gelehrt. So bin ich Straßenerzieher geworden." Endlich hat er seine eigentliche Berufung gefunden.
1970 schickt ihn sein Bischof nach Frankreich zurück. In Algerien ist das Leben für einen Priester mittlerweile zu gefährlich geworden. In Paris setzt P. Guy nun dort fort, wo er in Algerien begonnen hatte: bei den Straßenkindern.
Es sind vor allem die 13- bis 16jährigen, derer er sich annimmt. Kinder, die niemand haben will, junge Prostituierte, Drogenabhängige oder Kinder, die wegen Mißhandlung von zu Hause weggelaufen sind. “15 Jahre war ich in den Straßen von Paris auf einem großen Motorrad unterwegs, das die Jugendlichen fasziniert hat. So konnte ich mit ihnen in Kontakt kommen." Einige Priester schließen sich ihm an.
Nachdem er nun die Soutane - “die ich sieben Jahre gerne getragen habe" - gegen einen Anzug mit römischen Collar, eingetauscht hat, kommt der Tag, an dem er sein Outfit total verändern wird. Anschaulich erzählt er: “Oft in der Nacht, wenn ich mit Jugendlichen unterwegs war und wir von der Polizei aufgehalten wurden, war man zu mir als Priester höflich, behandelte die Jugendlichen aber wie den letzten Dreck. Eines Tages habe ich mich im Gespräch mit den Jugendlichen darüber aufgeregt: ,Ich bin doch kein Diamant inmitten von Dreck. Ich sehe das nicht ein: Ihr macht keinen Blödsinn, wenn wir zusammen sind, und trotzdem werde ich viel besser als ihr behandelt.' ,Kein Problem', sagt einer der Jungs, ,kleide dich wie wir. Du wirst schon sehen...' So habe ich mir den Look der Rocker, wie sie damals halt angezogen waren, zugelegt. Eines Nachts werden wir von einem dicken Polizisten angehalten. Der sagt zu mir: ,Du da, du alter Zuchthäusler komm her.' Ich darauf: ,Ich habe mit dir doch nicht gemeinsam Schweine gehütet.'" (Guy tut sich übrigens nicht schwer, jemanden zu duzen. Im Laufe des Abends stelle ich fest, daß er alle unter 90 duzt.)
“Ein Wort gibt das andere: Der Polizist findet ich habe eine Diebsvisage, sei ein alter Trottel, ich sage ihm, er sehe aus wie ein Kohlkopf. Als er dann auf dem Kommissariat meine Papiere sieht, entschuldigt er sich. ,Zu spät', habe ich geantwortet: ,Mein Bruder, wenn du Menschen nur nach dem Äußeren beurteilst, wie soll das dann weitergehen?"
Solange die Kirche ihm erlaubt, mit den Jugendlichen zu leben, werde er aus Achtung und Respekt vor ihnen diese Lederjacke anbehalten - obwohl sie schon längst aus der Mode ist.
Die “Bergerie", einst eine Ruine, hat Guy Gilbert auf Drängen der Straßenjugend vor 28 Jahren gekauft. Gern kam er diesem Wunsch nach, sah er doch, daß es sehr schwer war, Jugendliche in der Großstadt aus eingefahrenen Bahnen herauszuholen - trotz des guten Kontakts zu ihnen. Raus aus Paris, war die einzig mögliche Lösung. Die Jugendlichen selbst wollten das Haus mit ihren eigenen Händen renovieren. Und so geschah es dann auch: Zehn Jahre lang wurde gearbeitet. Ein wunderschönes Haus ist daraus geworden.
Was ist das Besondere an dem Haus in Faucon? Außer den Jugendlichen und ihren Betreuern - jeder Jugendliche hat einen eigenen - leben hier die unterschiedlichsten Tiere: neben Kühen, Hendeln und Hunden gibt es Wildschweine, Känguruhs, Strauße, Büffeln, Lamas und andere exotische Tiere. “Damit sie die Liebe in den Herzen der Menschen kennenlernen, muß man bei diesen Jungen den Umweg über die Tiere nehmen", erklärt P. Guy. “Das wirft eine wesentliche Frage auf: Wie schlecht mußten diese Jugendlichen behandelt oder mißhandelt worden sein, daß sie Liebe eher im Herz eines Tieres vermuten, als in dem eines Menschen?" Ein Bub habe einmal festgestellt: “Ein Tier nimmt sich nie zurück, was es einem einmal ge-geben hat."
Durch den Kontakt mit den Tieren - jeder darf sich selbst ein Tier zum pflegen aussuchen - sollen die Jugendlichen ihre Gewaltbereitschaft ablegen lernen. Das ist Teil der Therapie. Übrigens hat P. Guy eine dreijährige Ausbildung als Pädagoge absolviert.
Guy Gilbert nimmt die allerhärtesten, jene, die niemand mehr haben will: Burschen, die Mordversuche hinter sich haben, 13jährige Vergewaltiger. Denn jeder von ihnen sei im Grunde genommen ein Wesen des Lichts, so die Überzeugung des Priesters, jeder habe seine liebenswerten Seiten, sei einzigartig, auch wenn das Gute erst wie mit einem Hammer aus ihnen herausgemeißelt werden muß.
Mit gesunder Autorität - “wenn es sein muß und Gewalt ausbricht, muß ich auch so antworten: erst die Faust, dann der Segen. Doch Gott sei Dank ist das nur sehr selten der Fall" - und geistigem Unterscheidungsvermögen, mit viel Demut und Liebe leitet P. Guy die “Bergerie" in Faucon.
Wenn Guy in Faucon ist, gibt es täglich eine Heilige Messe, meist unter freiem Himmel. Für die Jugendlichen ist sie zum - freiwilligen - Fixpunkt geworden.
Bei seinen Burschen hält sich Père Gilbert zwar mit Glaubensgesprächen zunächst zurück, bei seinen Vorträgen spricht er aber engagiert über Gott und die Kirche. Beim Weltjungendtreffen mit dem Papst in Paris neben Kardinal Schönborn: “Ihr entdeckt hier das weltweite, wunderbare Gesicht der Kirche. Die Berufungen und Charismen sind verschieden - und auch die Looks: Seht her! Da der große Erzbischof und hier der kleine Priester."
Ein wichtiges Anliegen ist ihm auch diesmal das Gebet: “Ich lebe täglich mit der Gewalt, dem Haß und der Verzweiflung. Würde ich mich nicht alle 10 Tage, für 48 Stunden zurückziehen, meine Gosch'n halten und auf Jesus Christus hören, ich wäre längst nicht mehr Priester". Und weiter: “Nehmt euch Zeit für's Gebet, nehmt euch Zeit für's Maulhalten, für die Stille! Der Mensch braucht das Gebet so notwendig wie das Atmen."
Die Stunde, die er sich jeden Morgen für Gott nimmt, sei sein Sauerstoff, den er zum leben braucht, sagt P. Guy bei jeder Gelegenheit. “Und mein ,Zaubertrank' ist ein Satz aus dem Evangelium, aufgeschrieben und immer wieder während des Tages gelesen. Und der Rosenkranz, den ich manchmal erst im Auto beende, ist die liebende Gegenwart Marias die den ganzen Tag über bei mir bleibt."
Guy Gilbert, so wie ich ihn bei Vorträgen und dem kurzen Interview erlebt habe, zeigt eine rauhe äußere Schale, die er aber immer wieder öffnet, um Zeugnis für seine Liebe zu Gott, zur Kirche und nicht zuletzt für die im Herzen verletzten Kinder und Jugendlichen zu geben.<< (Dieser Artikel ist von Alexa Gaspari (gekürzt), den ganzen Artikel siehe Quelle Link:
http://www.vision2000.at/2002/vision02-02/14_02.htm - Zitationsrecht für diesen Artikel wurde von vision2000 erteilt)
Pater Gilberts „Vaterunser“ (in Französisch):
http://1825herblay.free.fr/priereguygilbert.html
Weiterer Link
http://www.donboscohaus.at/news/2003guy ... /index.php