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Von Peter Wensierski
Knallharter Wettbewerb im Geschäft mit dem Leib Christi: Die industrielle Hostien-Herstellung boomt, traditionelle Manufakturen müssen schließen. Die Zukunft gehört dem vollelektronischen Backautomaten.
Berlin - Wenn Schwester Gertraud den flüssigen Teig aus Mehl und Wasser zwischen den 140 Grad heißen Backplatten zusammendrückt, wird die andächtige Stille in der Dresdener Diakonissen-Backstube jäh übertönt. Dann zischt der künftige Leib Christi ohrenbetäubend auf und es dampft heftig. Schnell schabt die 76-Jährige mit geübtem Griff den überschüssigen Oblatenteig ab, und nach zwei, drei Minuten hebt sie eine runde Platte mit 64 Hostienfeldern heraus. Die eine Hälfte ziert das eingeprägte Kruzifix, die andere das Lamm Gottes
Geweiht sind die Platten in dieser Phase der Produktion noch nicht. Sie kommen erst mal über Nacht in einen speziellen Feuchtraum - bei elektronisch geregelten 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. So brechen oder bröseln die Platten nicht, wenn anderntags jede einzelne Oblate von Hand herausgestanzt wird. Zum Schluss passieren sie noch eine strenge Qualitätskontrolle durch Schwester Christine, die Leiterin der Hostienbäckerei.
"Eigentlich", sagt Schwester Christine, "ist jetzt vor den Weihnachtsfeiertagen Hochsaison in der Hostienbäckerei." Doch ihr Jahresabsatz liegt nur noch bei einer Million Hostien. Seit 1866 werden die schneeweißen Premium-Hostien handgefertigt, heute kann man für 500 Stück gerade noch 20 Euro verlangen. Das ist weit unter den tatsächlichen Herstellungskosten.
Die Konkurrenz produziert den Leib Christi oft billiger, der Wettbewerb hat selbst diese kirchliche Nische erreicht. Während die Kundenzahl kontinuierlich schrumpft, drängen Billiganbieter auf den Markt. Vor allem die schmucklosen bräunlichen Brothostien überschwemmen den Markt, hergestellt in hocheffizienten Hostienbackautomaten, an denen nur eine Arbeitskraft erforderlich ist. 1000 Oblaten kosten hier nur acht Euro - pro Stück weniger als ein Cent.
Discount-Produkt per Internet aus den Niederlanden
Nicht nur der Preisvorteil dieser Oblaten ist bestechend. Durch den Zusatz von Melasse, so das Geheimnis, bleibt der Herr nicht so leicht am Gaumen kleben. Besonders populär sind diese Hostien bei den Pfarrern, die überwiegend ältere Kirchenbesucher und Gebissträger betreuen. Manche Geistliche bestellen das Discount-Produkt nach kurzem Preisvergleich einfach per Internet in den Niedelanden.
Wie lange sich die traditionsreichen Dresdener Schwestern angesichts derartiger Konkurrenz noch halten können, weiß Gott allein. Dabei produzieren sie schon längst zum Selbstkostenpreis: fast alle arbeiten umsonst als Ehrenamtliche. Die Dresdener beliefern ostdeutsche evangelische Gemeinden vom Erzgebirge bis zur Ostsee, jedoch keine Privatpersonen, um Missbrauch - etwa durch Satanisten - auszuschließen. Dabei wird erst mit der Wandlung im Gottesdienst aus den ein bis drei Millimeter starken Hostien etwas Geweihtes, für die Katholiken sogar wirklich ein Stück Jesus.
Das fromme Geschäft ist vom Niedergang gezeichnet. 1951 haben die Dresdener 3,8 Millionen Hostien hergestellt und 2916 Gemeinden beliefert. Jetzt beliefern sie nur noch 1000 Gemeinden mit einer Million Hostien. Im Westen und bei den Katholiken sieht es kaum besser aus.
Bundesweit existieren noch 30 bis 40 Betriebe
Die Krise der Hostienbäckereien spiegelt den allgemeinen Niedergang des Gottesdienstbesuches in ganz Deutschland wider. Nordrhein-Westfalen, wo derzeit 100 Kirchen aufgegeben werden, betreibt eine strenge Ordensgemeinschaft von Karmelitinnen in Essen seit Jahrzehnten das Gewerbe. "Früher", so erinnert sich eine der Schwestern, die der Ordensregel entsprechend nur zwei Stunden am Tag spricht und sonst schweigt, "wurden monatlich über 70.000 Hostien ausgeliefert, jetzt sind es nur noch 17.000." Wie es nun mit der Hostienbäckerei im Stoppenberger Stift weitergeht, ist ungewiss.
Anderswo haben Nonnen oder Klosterbrüder die Produktion ganz eingestellt. Selbst im frommen Süden Deutschlands muss die Produktion des Sakrament-Utensils immer öfter aufgeben werden. Bundesweit existieren noch 30 bis 40 Betriebe. Exakte Zahlen liegen nicht vor, es gibt keinen Verband der Hostienbäckereien, der darüber Auskunft geben könnte. Auch untereinander kennen sich die frommen Produzenten kaum.
Ein Insider schätzt, dass es in den fünfziger Jahren noch 120 Produktionsstätten gegeben hat. Im Henriettenstift Hannover schließt zum Jahresende wieder eine Hostienbäckerei. Die über 80-jährigen Schwestern können die letzten Bestellungen, die bis Anfang Oktober eingegangen sind, gerade noch abarbeiten.
Vollautomatische Massenherstellung
Newcomer dagegen profitieren. Sie haben sich gleich die passenden Internet-Domains wie www.hostie.de oder www.hostienbaeckerei.de gesichert. "Hostien backen mit Tradition und Fortschritt" lautet die Devise der katholische Lebensgemeinschaft "Brot des Lebens" im münsterländischen Warendorf. Dort soll der Hostienverkauf sogar Gewinn bringen, um die Lebenshaltungskosten der Gemeinschaft zu decken. "Es funktioniert", sagt Hostienbäcker Thonnis Held.
Zuletzt wurde die Produktion maschinell optimiert. Der künftige Leib Christi wird hier nicht handgeschöpft, sondern mit der Kolbenpumpe angesaugt und auf die zwölf Platten der 28.000-Watt-Hostienbackmaschine vom Typ "H AUT K-EL" gespritzt. Die Oblaten sind in Sekunden gebacken, die Hostienrohplatten werden nach der Befeuchtung, gleich 50fach übereinander, maschinell ausgebohrt. Mit solch effizienten Anlagen können locker eine Million Hostien pro Woche hergestellt werden, bis zu 40 Millionen im Jahr.
Trotz des massiven Rückgangs an Gottesdienstbesuchern auf 3,6 Millionen bei den Katholiken und eine Million bei den Protestanten pro Sonntag summiert sich der jährliche Hostienkonsum in Deutschland schätzungsweise auf 200 bis 220 Millionen Stück, eingerechnet Klöster, Wallfahrten, Kirchentage oder Papstbesuche mit ihren Verbrauchsspitzen. Nur elf Millionen davon verbrauchen die Protestanten. Insgesamt klingt das viel, doch in den fünfziger Jahren lagen Gottesdienstbesuch und Hostienverbrauch gut dreimal so hoch.
Hostien & more nach weltlichem Vorbild
Wer Oblaten-Automaten besitzt, ist daher schon längst auf der Suche nach Absatz in frömmeren Regionen der Welt. Deutsche Hostienbäckereien exportieren nach Sibirien oder Indien und treiben das Geschäft mit Angeboten wie der "Superknabberkiste" mit Hostien-Bohrresten im 5-Kilogramm-Paket zu neuer Blüte.
Nach weltlichen Vorbildern offeriert man Hostien & more. Was früher an die Klosterschafe verfüttert wurde, verscherbelt die Hostienbäckerei Vinnenberg als Knabbertüte an Erstkommunionkinder, "damit die schon mal auf den Geschmack kommen". Dazu noch Hostien-Videos und die CD "Kostet und seht". Anderswo spezialisiert man sich inzwischen auf "Bio-Hostien" aus korrekt angebautem Weizenmehl. Im Trend sind auch glutenfreie Hostien für Immunkranke, zehnmal teurer als die Standardversion.
Die Dresdener Diakonissen sind da weniger geschäftstüchtig. Früher kochten sie für Bettlägrige im angrenzenden Krankenhaus eine leckere Hostiensuppe, doch mittlerweile hat man dort das gesamte Essen outgesourct. Seitdem gehen die Diakonissen ganz traditionell mit den Resten der Hostienproduktion um - sie schaffen sie einfach auf den Kompost.