Nochmal zur Historie, sehr bedeutsam für die Frage ist, inwieweit es eigentlich zulässig ist, das, was wir aus den Evangelien von der Herbergssuche in Bethlehem und der Flucht der hl. Familie vor Herodes nach Ägypten wissen, derart ideologisch aufzuladen, um daraus irgendwelche politischen Forderungen für die Gegenwart abzuleiten:
Was das Reisen zu dieser Zeit angeht, so sind für den gegenständlichen Fall so einige Möglichkeiten denkbar. Es kommt u. a. darauf an, für wie finanzkräftig wir St. Joseph halten.[
1] Herbergen unterschiedlicher Qualität für Privatleute gab es, bei einer Inanspruchnahme musste man natürlich bezahlen. Was ich auch einmal erwähnen möchte, ist, dass die ganze Gegend von der Levante nach Ägypten kein "Entwicklungsland" war, wie bspw. in dieser Zeit noch
Germania superior bzw. die
Agri decumates oder gar
Magna Germania; die Verkehrswege waren zeit- und regionstypisch gut, zu berücksichtigen sind aber Transferzölle und evtl. Markt- und Hafengebühren etc. Wie beliebt die Zöllner gerade auch bei der jüdischen Bevölkerung in(/m
heutigen und heute sog. Gebiet) Palästina waren, kann man aus den Bemerkungen in den Evangelien ersehen. Den
cursus publicus lasse ich weg, da er für die Beförderung irgendwelcher Provinzialen ohnehin nicht infrage kam.
Gastfreundschaft war in der Antike bzw. praktisch in allen vormordernen Gesellschaften sicherlich von Bedeutung. Allerdings wurde schon darauf geachtet, wie man an dazugehörigen Sprüchen in verschiedenen Spruchsammlungen leicht erkennen kann, sie nicht überzustrapazieren – das hätte den Gastgeber u. U. ruiniert.
Mit dem Sozialsystem war es verglichen mit den sozialstaatlichen Verhältnissen im heutigen Deutschland oder Österreich natürlich nicht allzu weit her. Generell gab's auf der Ausgabenseite primär die Posten Militär, Reichsadministration, traditionelle Ausgaben für die Stadt Rom sowie die Ausgaben für den Haushalt und Hof des Princeps. Weiters gewisse Ausgaben für "Kultur" (v. a. repräsentative Bauprojekte) und "Soziales".[
2]
Was Letzteres angeht, gab es die Getreideverteilung (
frumentatio), wofür man jährlich rund 50 Millionen Sesterzen für ca. 200.000 Empfangsberechtigte (14 n. Chr. hatte das Imperium nach modernen Schätzungen ca. 60 Millionen Einwohner, tendenziell sogar mehr, nur, damit das klar ist) aufwendete. 22 v. Chr. übernahm Augustus selbst die Aufgaben des
praefectus annonae, der für die Getreideversorgung zuständig war,[
3] von 8 bis 14 n. Chr. wurde ein ständiger Präfekt aus dem Ritterstand mit eigenem Stab (
officium annonae) ernannt. Weiters (Massen-)Geldspenden (
liberalitates), wofür August 385 Millionen Sesterzen aufwendete, Tiberius hingegen nur noch 156 Millionen, Claudius 100 Millionen, Domitian dann wieder 180 Millionen, wobei bereits zunehmend die Inflation um sich greift[
4], was erklärt, wieso für Hadrian plötzlich 540 Millionen Sesterzen veranschlagt werden, für Antoninus Pius sogar 640 und Marcus Aurelius 680 Millionen. Außerdem spezielle Schenkungen an kleinere Gruppen und Einzelpersonen, dazu zählen bspw. die sog. Wurfgeschenke (
missilia), in früherer Zeit wirklich Geschenke, mit der Zeit Geld, Edelmetalle etc., die unters Volk gestreut wurden. Das war allerdings weit mehr Popularitätshascherei als eine wirkliche Hilfe, es erregte Aufsehen, war ein "Event". Für die Zeitenwende nicht relevant ist das unter Nerva eingerichtete System der Alimentarstiftungen, also ein System, das zinsgünstige staatliche Darlehen an italische Landbesitzer mit Unterstützungszahlungen für Kinder ärmerer Familien verband und der wirtschaftlichen Stabilisierung und Sozialpolitik diente, zuzüglich einer Reihe agrarischer Initiativen. Hingegen wirklich zu erwähnen ist die staatliche
Katastrophenhilfe in Fällen von Naturkastrophen, Feuersbrünsten, Missernten u. dgl. m. Zusätzlich gab es hier und da noch Arten lokaler (Armen-)Fürsorge, aber ohne spezielle Stifter/Wohltäter in dem Bereich musste man auch selbst dazu beitragen.
Von oben angeführten eigentlich imperialen "Sozialleistungen" profitierten in erster Linie die
plebs urbana und die italische Bevölkerung, in Palästina und Ägypten dürfte man davon eher nichts gesehen haben. Ungeachtet dessen hätte man sein Leben davon alleine auch nicht wirklich bestreiten können. Den römischen Bürgern war das in dieser Zeit vergleichsweise egal, da sie von den meisten bedeutenden Steuern[
5] befreit waren, bis auf die einprozentige Verkaufssteuer, die vierprozentige Sklavenverkaufssteuer, Zölle, oben genannte Gebühren und Derartiges, das alle Personen zu entrichten hatten. Gerade die Provinzialen, wie sie der hl. Joseph und die hl. Gottesmutter Maria waren, mussten letztlich, sofern sie überhaupt jemals dazu kamen, irgendwelche Leistungen vonseiten des Gemeinwesens in Anspruch zu nehmen, auch selbst durch ihre Abgaben dazu beitragen.
Und noch eine Anmerkung: Wenn man beim Imperium Romanum irgendetwas über das Staatswesen aussagen will, sollte man klarmachen, von welcher Zeit man spricht. Die Republik, das Prinzipat und das Dominat sind
zumindest zu unterscheiden[
6], im letzteren Fall – ab den Reformen Diocletians und der Fortführung des Reformwerks unter den anderen Tetrarchen und Konstantin dem Großen – erfüllt das Reich nämlich schon die Bedingungen eines einheitlichen Territoriums, einer eigenen Reichsbevölkerung, die auch wirklich ein Bewusstsein davon hatte, eine solche zu sein, sowie dauerhaft eingerichteter, recht einheitlicher Administrations- bzw. Regierungsinstitutionen (auf dieser Basis konnte später ein aus den kaiserlichen Gesetzen und
constitutiones erstelltes, für das zu dieser Zeit bereits geteilte Gesamtreich gültiges Gesetzeswerk erstellt werden, der
Codex Theodosianus, das unter Justinian durch das
Corpus Iuris Civilis ersetzt wurde, der auch darauf aufbauen konnte). Zu dieser Zeit hatte man es durchaus nicht einfach nur mit quasistaatlichen Strukturen, sondern mit einem Staat zu tun.)
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[1] Handwerker – vor allem gute Handwerker und Spezialisten – hatten es bspw. weit besser als kleine Bauern, denen es speziell in Palästina nicht unbedingt rosig ging. Aufteilung der Parzellen unter den Kindern, bis es zum Leben zu wenig war und verkauft werden musste; immer wieder einmal hohe Verschuldung bei örtlichen Großgrundbesitzern etc.
[2] Das ist natürlich einfach unter unsere gegenwärtig geläufigen Begriffe gepackt, so einheitlich war's natürlich nicht.
[3] Eigentlich waren die Ädilen dafür verantwortlich, manchmal wurden aber auch außerordentliche Beamte ernannt.
[4]Thomas_de_Austria hat geschrieben:Was die Finanzen angeht, so blieb das Währungssystem stabil ungefähr bis Commodus, obwohl man vorher schon längst eine Inflation erkennen kann. Anhand der Soldzahlungen kann man das recht schön bestimmen. Die Soldaten bekamen immer denselben realen Wert, dieselbe Kaufkraft, um ihren Unterhalt zu decken, alles andere wäre höchst problematisch gewesen:
Denare pro Jahr:
*) Augustus: 225
*) Domitian: 300
*) Commodus: 375
*) Septimius Severus (†211 n. Chr.): 500
*) Caracalla (†217 n. Chr.): 750
[5] Besonders belastend für die Provinzialen die Grundsteuer (tributum soli, vectigal, stipendium) und die Kopfsteuer (tributum capitis).
[6] Manche nehmen sogar mehrere Republiken an (wie z. B. Flower, Harriet I[...]: Roman Republics, Princeton 2010.).