Um besser zu verstehen, was da konkret untersucht und gefunden wurde - den Medien darf man ja nicht mehr trauen...
- und dann den Taufwerbern, die ich betreue auch sachkundig Antwort auf Fragen geben zu können, habe ich als besorgter Laie es auf mich genommen, den gesamten kürzlich veröffentlichten Pennsylvania-Bericht (Original-Datei von
https://www.attorneygeneral.gov/report/ namens A-Report-of-the-Fortieth-Statewide-Investigating-Grand-Jury_Cleland-Redactions-8-12-08_Redacted.pdf, 887 Seiten. Anmerkung: in dieser Datei sind aufgrund laufender Klagen einzelne Namen und Worte oder teils auch ganze Passagen geschwärzt) aufmerksam zu sichten. Ominöserweise nennt sich das Dokument "Report I of the 40th Statewide Investigating Grand Jury", so also ob mit weiteren Reports zu rechnen wäre... Ich hab dabei nicht alle Falldarstellungen komplett durchgelesen, denn was mich hier antreibt, ist nicht die Sensationslust, sondern der Wunsch, ohne Meinungsmache zu verstehen, was da tatsächlich untersucht und gefunden wurde.
Für jene, die es interessiert, hier einige Informationen, die ich (ohne absichtliche persönliche Wertung) daraus entnehme:
In der Einleitung des Berichts erklären die (unbekannten) Mitglieder der Jury und somit Autoren des Berichts ihre Motivation und Methoden mit klaren Worten. Sowohl die Mißbrauchshandlungen durch Geistliche als auch die Vertuschung durch Vorgesetzte und Leitungspersonen sollten untersucht und aufgelistet werden. Die Untersuchung der einzelnen Fälle wurde unabhängig davon geführt, ob die Mißhandlungen gesetzlich verfolgbar wären, was in den meisten Fällen nicht mehr möglich ist - sei es, weil die Täter bereits verstorben sind, oder weil die Gesetze dafür Verjährungsfristen oder andere Hindernisse enthalten ("civil statute of limitations"). Die Autoren stellen gleich zu Beginn des Berichts Forderungen an den Gesetzgeber in den Raum, warum die derzeit geltenden Gesetze nicht ausreichen, um eine angemessene Verfolgung solcher Handlungen (sowohl Mißbrauch als auch Vertuschung) zu gewährleisten und wie das zu ändern wäre.
Durch diese Jury wurde sexueller Mißbrauch von Kindern durch katholische Geistliche aus sechs Diözesen des US-Bundesstaats Pennsylvania aus den vergangenen 70 Jahren untersucht. Für die Untersuchung lagen Dokumente und Aufzeichnungen - über eine halbe Million Seiten - aus den Geheimarchiven der Diözesen zu mehr als 400 Geistlichen vor. Jene Fälle, in denen die Faktenlage für die Jury nicht ausreichte, um die Geschehnisse nachvollziehen zu können, wurden nicht in den Bericht aufgenommen. In einigen Fällen befand die Jury, dass nicht das Verhalten des Geistlichen, sondern das Verhalten der Vorgesetzten bzw. der Diözese in den Bericht aufzunehmen war; in diesen Fällen bleibt der Geistliche im Bericht anonym. Fälle von sexuellen Handlungen mit Erwachsenen sowie nicht-sexuelle Vergehen (Drogen, Finanz etc.) waren in den Unterlagen ebenfalls zahlreich enthalten, wurden für den Bericht aber nicht berücksichtigt.
Die Jury meint, "wir haben wahrscheinlich nicht alle erwischt" ("we don’t think we got them all"), hält aber diesen Bericht für den bisher umfassendsten seiner Art.
Auch wird in der Einleitung festgehalten, dass alle sechs Diözesen die Gelegenheit für eine Stellungnahme wahrgenommen haben, und die Jury dabei den deutlichen Eindruck gewonnen hat, dass sich in den letzten 15 Jahren vieles verbessert hat, was freilich nicht bedeutet, dass es keine aktuellen Fälle gibt.
Auf insgesamt ca. 300 Seiten wird dann im 2. Abschnitt jede der sechs Diözesen in je einem eigenen Kapitel aufgearbeitet. Zunächst steht eine (teils geschwärzte, s.o.) Namensliste der Täter. Dann werden ausgewählte Fälle umfassend berichtet, auch mit wortwörtlichen Aussagen der Opfer, oft mit Bildern von Briefen aus den Archiven der Diözese zu Schriftwechseln und Notizen.
Gleich im ersten geschilderten Fall (Fronholzer) wird ersichtlich, was für praktisch alle geschilderten Fälle gilt: Die Vertuschung der Fälle nimmt wesentlich mehr Raum ein als die Mißbrauchshandlung selbst, umfasst wesentlich mehr Personen und viel längere Zeiträume. Die Opfer leiden unter den Vertuschungen, der Verpflichtung zum Stillschweigen gegen Ausgleichszahlungen und/oder den letztendlich angestrengten Gerichtsverfahren nicht weniger als unter dem eigentlichen Mißbrauch und den damit unmittelbar verbundenen psychischen (und teils physiologischen) Folgen.
Im 3. Abschnitt des Berichts halten die Autoren zunächst fest, dass sie keine Absicht haben, den katholischen Glauben an sich zu attackieren, und dass unter den Jurymitgliedern viele praktizierende Katholiken sind. Dann werden die von der Jury erkannten systematischen Vertuschungsmethoden aufgelistet und eine Timeline der Enthüllungen (in den USA) skizziert, die 2002 in Boston durch die Medien begonnen wurde. Eine der Schlussfolgerungen der Jury lautet: Die Bischöfe müssen die Änderung bewirken ("It’s all about the bishops.") und die tun es nur, wenn sie dazu gezwungen werden.
Im 4. Abschnitt finden sich die detaillierten Vorschläge der Jury zu Gesetzesänderungen, um die Strafverfolgung von Kindesmißbrauch zu erleichtern. Diese Vorschläge richten sich an den Gesetzgeber und nicht an die katholische Kirche, der (bzw. jedenfalls den sechs untersuchten Diözesen) die Autoren im vorigen Abschnitt einen deutlichen Fortschritt in der Sache attestieren.
Der Rest des Dokuments (ca. 570 Seiten) besteht aus der Auflistung aller in der Untersuchung namentlich gemachten Mißbrauchstäter (wieder teils geschwärzt) mit Namen, biografischen Daten, einer Liste der Pfarren und Organisationen, wo derjenige während seiner klerikalen Karriere tätig war, und eine normalerweise 1-2 seitige Zusammenfassung der Mißbrauchshandlungen und der unmittelbaren Folgen (z.B. ob das Opfer sich seinen Eltern anvertraute und was dann passierte), aber nicht die volle Dokumentation der Vertuschung etc.
Und mein persönliches Résumé:
Die in diesem Bericht aufgezeigten Mißbrauchsfälle an sich sind nicht systematisch, sondern wurden durch Einzeltäter aller Art begangen, in der überwiegenden Zahl der Fälle aufgrund homosexueller und zugleich pädophiler Neigung, und in der ganzen Bandbreite von "skupelloser Krimineller, der deshalb Priester wurde, damit er als Wolf im Hirtenpelz agieren kann" bis "hilflos-verzweifelter Reumütiger, der seine schändliche und schädliche Neigung nicht in den Griff bekommt und dessen Hilferufe an seine Oberen unwirksam verhallen". Eine statistische Analyse betreffend Zahl und Trend der Fälle hab ich nicht gemacht, aber wenn der Bericht bezüglich der Täter(!) nicht nur "die Spitze des Eisbergs" gefunden hat, sondern eine einigermaßen umfassende "Ausbeute", so dürfte unter katholischen Geistlichen in diesen sechs Diözesen in den letzten 70 Jahren keine spezielle Häufung von Neigungen oder Verbrechen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung vorliegen.
Die Vertuschung hingegen IST systematisch und reicht quer durch die Regionen und Ränge. Gemäß diesen Bericht sind jene Verantwortlichen in der Kirche, die den Verdachtsmomenten, Anklagen, Beschwerden und auch priesterlichen Rufen nach Hilfe mit der notwendigen Konsequenz und Härte - auch des Gesetzes - nachgehen, in der geringen Minderzahl, während von Oberen und zuständigen Monsignores über Bischöfe bis zu Kardinälen fast alle das Thema entweder nicht wahrnehmen wollen oder ihre Energie und Einfluss primär in Abwiegeln und Verschweigen investieren.
Und mein wiederum persönlicher Eindruck aus den wortwörtlichen Schilderungen einiger Opfer ist, dass Vertuschung, Einschüchterung, Ignorieren, Abwiegeln usw. mindestens ebenso schweren Schaden und Qual bedeuten wie die eigentliche Mißbrauchshandlung, abgesehen davon, dass auch Eltern, Geschwister und andere den Opfern nahestehende Personen darunter massiv leiden.
Welcher Dämon es also ist, den wir gemäß päpstlichen Briefs mit Buße und Fasten austreiben helfen sollen - ob es der Dämon der Unkeuschheit und Lüsternheit ist, oder eher der Dämon der Lüge und Vertuschung...?
Kein weiterer Kommentar.
Heilige Maria Königin, bitte für uns!