Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

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Clementine
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Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von Clementine »

Da ich bei der Suche keinen Thread mit diesem Thema gefunden habe, eröffne ich hiermit einen eigenen. Sollte ich mich bei der Suche zu blöd angestellt haben, bitte ich um Zusammenlegung mit einem bestehenden.

Aus gegebenen Anlass hier im Kreuzgang (http://kreuzgang.org/viewtopic.php?p=457334#p457334), aber auch vor dem Hintergrund einer Diskussion, die ich letztens geführt habe, meine Frage: Was ist eigentlich unter "Ehrlichkeit" zu verstehen?

In der von mir letztens geführten Diskussion mit zwei Kolleginnen ging es um ihre Vorwürfe, dass die Kirche scheinheilig sei. "Beweis" meiner ersten Kollegin: Nach oder während ihres Studiums war sie für etwa ein Jahr in Rom. Dort hat sie im Kirchenchor mitgesungen, um - nach eigenen Angaben - Kontakte zu knüpfen. Und die Italiener wären im Pelzmantel in die Kirche gegangen und hätten nichts gespendet. Da meine Kollegin sich selbst trotz ihrer eigenen lediglich zweckgerichteten Teilnahme am Kirchenchor sich selbst nicht als scheinheilig erachtet, verstehe ich eigentlich nicht, weshalb die ggf. ja auch nur zweckgerichtete Teilnahme von Leuten im Pelzmantel, die vielleicht ja auch nur eigene Interessen verfolgen, verwerflich und scheinheilig sein soll. Gerade im Vergleich zu meiner Kollegin.

Die zweite Kollegin führte ihre Ex-Schwiegereltern als Beispiel für die Scheinheiligkeit der Kirche an, die jeden Sonntag in die Kirche gegangen seien. Was sich die Ex-Schwiegereltern "zu schulde kommen haben lassen", weiß ich nicht, nur dass meine Kollegin sehr schlecht auf den Ex-Mann und die Ex-Schwiegereltern zu sprechen ist. Auch da könnte man sich natürlich fragen, ob es nicht ehrlich wäre, zu sagen: ich bin mit ... nicht zurecht gekommen/die liegen bzw. lagen mir nicht oder fill in the blank als sie (ohne Angabe von Gründen) der Scheinheiligkeit zu bezichtigen, nur weil sie Sonntags in die Kirche gegangen sind.

Der eigentlich Hammer kam aber noch später, als ich im Verlauf der Diskussion meinte, es sei doch besser, Werte zu haben, die man ggf. selbst nicht immer einhalte als auf Werte ganz zu verzichten. Und ob es nicht besser sei, eine hohe Auffassung vom Leben (auch des Mitmenschens) zu haben, ggf. im Jähzorn jedoch dem Mitmenschen gegenüber zu fehlen als sich hinzustellen und zu sagen: Ich sach's Dir ganz ehrlich, Dein Leben zählt für mich nichts, ich bin ein Mörder und ich stehe dazu.

Einhellige Meinung meiner beiden Kolleginnen: Der Mörder ist besser, weil ehrlicher. :auweia:

Ja, ohne Worte. Was heißt denn dann bitte Ehrlichkeit? Ich lebe wie es mir gefällt ohne Rücksicht auf Verluste - und wenn ich das sage, dann bin ich ehrlich und damit besser (weil "nicht-scheinheilig") als jemand, der hohe Ideale hat - diesen selbst aber nicht immer gerecht wird. Ehrlich gesagt, scheinheilig ist für mich eher das erstere, weil der Stab über den, der sich bemüht, gebrochen wird ohne sich selbst darum überhaupt zu bemühen. Scheinheilig wäre es natürlich auch von dem, der sich bemüht, so zu tun als würde er nie fehlen.
Es gibt drei Arten von Menschen: Haie, Haifischfutter und Menschen, die es gelernt haben mit den Haien zu schwimmen ohne gefressen zu werden.

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Amandus2
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Re: Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von Amandus2 »

Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach....

Wer ständig von Liebe, Nächstenliebe und Werten predigt, muss sich selbst auch daran messen lassen.

Es ist ehrlicher zu sagen, dass es keine perfekten Menschen gibt, weder sind es die Pelzmäntel-Katholiken in Rom noch die Pelzmäntel-Protestanten im Hamburger Michel am Heiligabend, aber es sind auch nicht die "wiedergeborenen Christen", die immer und überall ganz genau wissen, "was Jesus will".

Als junger Mensch ist man in diesem Punkt sehr kritisch und man beobachtet seine Mitmenschen genau; wenn man älter wird, wird man toleranter.

Es wäre schon viel erreicht, wenn die Moral sich beschränken würde auf die Regel: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!" Das wäre ehrlich!

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Marion
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Re: Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von Marion »

Wiki sagt:
Bis vor einigen Jahrzehnten verstand man unter einem ehrlichen Menschen einen, der nicht lügt und nicht stiehlt. [...]
Als »ehrlich« gilt heute in erster Linie, wer zu sich selbst steht und nichts beschönigt.
Fazit: heute kann man "ehrlich" lügen
Christus vincit - Christus regnat - Christus imperat

Raphaela
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Re: Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von Raphaela »

Ich hatte mal vor mehreren Jahren eine Diskussion mit einem Priester, und da gíng es dann auch irgendwann um dessen Ehrlichkeit mir gegenüber.
Er erklärte dann, dass er die Wahrheit gesagt hätte und die beiden Begriffe Wahrheit und Ehrlichkeit was absolut verschiedenens seien.
Ich bin gerne katholisch, mit Leib und Seele!

Raimund J.
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Re: Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von Raimund J. »

Clementine hat geschrieben:Da ich bei der Suche keinen Thread mit diesem Thema gefunden habe, eröffne ich hiermit einen eigenen. Sollte ich mich bei der Suche zu blöd angestellt haben, bitte ich um Zusammenlegung mit einem bestehenden.

Aus gegebenen Anlass hier im Kreuzgang (http://kreuzgang.org/viewtopic.php?p=457334#p457334), aber auch vor dem Hintergrund einer Diskussion, die ich letztens geführt habe, meine Frage: Was ist eigentlich unter "Ehrlichkeit" zu verstehen?

In der von mir letztens geführten Diskussion mit zwei Kolleginnen ging es um ihre Vorwürfe, dass die Kirche scheinheilig sei. "Beweis" meiner ersten Kollegin: Nach oder während ihres Studiums war sie für etwa ein Jahr in Rom. Dort hat sie im Kirchenchor mitgesungen, um - nach eigenen Angaben - Kontakte zu knüpfen. Und die Italiener wären im Pelzmantel in die Kirche gegangen und hätten nichts gespendet. Da meine Kollegin sich selbst trotz ihrer eigenen lediglich zweckgerichteten Teilnahme am Kirchenchor sich selbst nicht als scheinheilig erachtet, verstehe ich eigentlich nicht, weshalb die ggf. ja auch nur zweckgerichtete Teilnahme von Leuten im Pelzmantel, die vielleicht ja auch nur eigene Interessen verfolgen, verwerflich und scheinheilig sein soll. Gerade im Vergleich zu meiner Kollegin.
Die meisten Römer bzw. Römerinnen sind sehr modebewußt und kleiden sich einfach nach der Jahreszeit. Wie sie von der Beobachtung "teure Kleidung" und angebliche Knausrigkeit beim Spenden auf den Schluss "Scheinheiligkeit der Kirche" kommt scheint mir sehr rätselhaft zu sein bzw. zeugt von einer erheblichen Oberflächlichkeit und Simplizität des Denkens.
Clementine hat geschrieben: Die zweite Kollegin führte ihre Ex-Schwiegereltern als Beispiel für die Scheinheiligkeit der Kirche an, die jeden Sonntag in die Kirche gegangen seien. Was sich die Ex-Schwiegereltern "zu schulde kommen haben lassen", weiß ich nicht, nur dass meine Kollegin sehr schlecht auf den Ex-Mann und die Ex-Schwiegereltern zu sprechen ist. Auch da könnte man sich natürlich fragen, ob es nicht ehrlich wäre, zu sagen: ich bin mit ... nicht zurecht gekommen/die liegen bzw. lagen mir nicht oder fill in the blank als sie (ohne Angabe von Gründen) der Scheinheiligkeit zu bezichtigen, nur weil sie Sonntags in die Kirche gegangen sind.
Auch hier wird wieder ein Einzelbeispiel einer angeblich schlechten Erfahrung (mit Leuten die "in die Kirche gehen", genausogut könnte man wahrscheinlich auch
die Gruppe der Leute die einen Audi fahren dann unter einen Hut stecken) unzulässig verallgemeinert. Da sieht man wieder schön, daß das was manche Leute für ihren "gesunden Menschenverstand" halten, weder viel mit Gesundheit noch mit Verstand zu tun hat.
Clementine hat geschrieben: Der eigentlich Hammer kam aber noch später, als ich im Verlauf der Diskussion meinte, es sei doch besser, Werte zu haben, die man ggf. selbst nicht immer einhalte als auf Werte ganz zu verzichten. Und ob es nicht besser sei, eine hohe Auffassung vom Leben (auch des Mitmenschens) zu haben, ggf. im Jähzorn jedoch dem Mitmenschen gegenüber zu fehlen als sich hinzustellen und zu sagen: Ich sach's Dir ganz ehrlich, Dein Leben zählt für mich nichts, ich bin ein Mörder und ich stehe dazu.

Einhellige Meinung meiner beiden Kolleginnen: Der Mörder ist besser, weil ehrlicher. :auweia:

Ja, ohne Worte. Was heißt denn dann bitte Ehrlichkeit? Ich lebe wie es mir gefällt ohne Rücksicht auf Verluste - und wenn ich das sage, dann bin ich ehrlich und damit besser (weil "nicht-scheinheilig") als jemand, der hohe Ideale hat - diesen selbst aber nicht immer gerecht wird. Ehrlich gesagt, scheinheilig ist für mich eher das erstere, weil der Stab über den, der sich bemüht, gebrochen wird ohne sich selbst darum überhaupt zu bemühen. Scheinheilig wäre es natürlich auch von dem, der sich bemüht, so zu tun als würde er nie fehlen.
Die "Ehrlichkeit" als Tugend hinzustellen, die alle anderen übertrifft ist meines Erachtens auch so ein Zeichen der zunehmend säkularisierten Welt mit ihren angeblich so hehren humanistischen Werten. Besonders deutlich hat man das bei der Diskussion um Frau Käßmann gesehen, als alle so begeistert über die "Ehrlichkeit" waren. Natürlich ist Ehrlichkeit eine anzustrebende Tugend und ein hohes Ziel. Aber genauso auch alle anderen christlichen Werte, insbesondere wie sie in der Bergpredigt verkündet wurden. Ein hohes Maß als Orientierungswert ist allemal besser als von vornherein "ehrlich" zu sagen: "Das ist mir alles egal".
Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.
Nec laudibus, nec timore

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Johannes22101988
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Re: Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von Johannes22101988 »

@ clementine:

schwester mach dir keinen kopf,

ich denke hierbei, dass deine freundin ein "ich-zeig-auf-dich" syndrom hat. So gesehn ist sie selbst noch unter den dornen gefangen, d. h. ihre meinung ist nicht für christen vertretend.

Nun wenn die so sind muss man ja so nicht sein - es ist aber ein gewaltiger fehler, ja eine sünde wenn man auf seinen nächsten zeigt - geschweige denn verurteilt. Man muss bedenken man hat scheinheiligkeit vorgeworfen, eine sehr schwere anschuldigung.

Nun da wir noch in der Gottesferne leben mit unseren laster können wir auch sündigen vor Gott, weil wir uns nicht bekehrt aber bzw. nicht eins geworden sind. Daher sollte man auch nach oben streben und das immerdar.

ich hoffe ich habe dir da ein bisschen geholfen.

Gruß

Johannes
Wer die kirche nicht als mutter sieht, kann GOTT nicht als VATER sehen.

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Gamaliel
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Re: Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von Gamaliel »

Clementine hat geschrieben:Aus gegebenen Anlass hier im Kreuzgang (http://kreuzgang.org/viewtopic.php?p=457334#p457334), aber auch vor dem Hintergrund einer Diskussion, die ich letztens geführt habe, meine Frage: Was ist eigentlich unter "Ehrlichkeit" zu verstehen?

Der hl. Thomas von Aquin behandelt die Frage sehr gründlich in der Summa theologiae II-II, q. 19 & q. 111. Die erste Frage handelt dabei von der "Wahrhaftigkeit" und die zweite von den Lastern der "Verstellung" und "Heuchelei".


Die Definition der "Wahrhaftigkeit" ("Ehrlichkeit") lautet beim hl. Thomas:
CG I,93 hat geschrieben:Hoc autem ad virtutem veritatis pertinet, ut in suis factis et dictis aliquis talem se exhibeat, qualis est.

Es gehört aber zur Tugend der Wahrhaftigkeit, daß sich jemand in seinen Taten und Worten so gibt, wie er ist.
Etwas ausführlicher könnte man umschreiben: Die Tugend der Wahrhaftigkeit verhilft dem Menschen dazu, keinen Widerspruch zwischen seinem inneren Seelenleben (seinem Erkennen und Wollen) und dessen Kundgebung nach außen (durch Worte oder Taten) zu dulden.

An Lastern, die der Wahrhaftigkeit entgegenstehen zählt der hl. Thomas die Lüge, Verstellung & Heuchelei, Prahlerei und Kleintuerei auf.


Wichtig ist in im Zusammenhang mit der Frage von "Clementine" auch, daß der hl. Thomas die Wahrhaftigkeit nicht nur auf einzelne Akte bezieht, sondern auch von einer "veritas vitae", also einer "Wahrheit des Lebens" bzw. einer "Wahrhaftigkeit der Lebensführung" spricht. Er definiert sie so:
II-II, q.19, a.2, ad 3 hat geschrieben:Die Wahrheit des Lebens ist jene Art der Wahrheit, der gemäß etwas wahr ist, nicht aber jene, der gemäß jemand Wahres sagt. Das Leben aber wird wie auch jede andere Sache wahr genannt, sofern es seiner Regel und seinem Maß d.i. dem göttlichen Gesetz entspricht; denn durch Übereinstimmung mit ihm erhält es seine Rechtheit. Und eine solche Wahrheit oder Rechtheit ist allen Tugenden gemeinsam.
Gerade diese "veritas vitae" dürfte häufig gemeint sein, wenn anderen in ihrer Lebensführung "Ehrlichkeit" bzw. "Scheinheiligkeit" zugesprochen wird. Der Haken an der Sache ist lediglich, daß der Maßstab für diese Ehrlichkeit das göttliche Gesetz ist.

Um zum Ausgangsbeispiel eines zivil verheirateten Priesters zurückzukehren: Ab dem Zeitpunkt, wo er sich nicht mehr an seine priesterlichen Standespflichten gebunden fühlte und ihnen widersprechende Taten gesetzt hat, wendete sich in dieser Frage seine Ehrlichkeit in eine große Lebenslüge. Die Kundgabe dieser Lüge nach außen ("das Stehen zu seiner 'Liebe'") ist zwar als einzelner Akt, etwas Ehrliches, mit Rücksicht auf das Gesamte aber nur noch schlimmer, weil es eine Hartnäckigkeit und ein Festhalten an der Sünde bzw. der Lebenslüge zum Ausdruck bringt.

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overkott
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Re: Was ist unter Ehrlichkeit zu verstehen?

Beitrag von overkott »

Was der Nächstenliebe entspricht ist ehrlich.

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