Maurus hat geschrieben:iustus hat geschrieben:Also kein Blödsinn, sondern gute katholische Lehre. Danke taddeo und Maurus!
Ich vermute, dass hinter dem Gedanken der "sündigenden Kirche" der Gedanke der Vertretung steht: Die Kirche handelt durch ihre Vertreter und diese handeln im Namen der Kirche. Stimmt ja grundsätzlich auch. Aber dabei wird dann nicht mehr differenziert zwischen Handlungen im Rahmen der Vollmacht und solchen, bei denen die Vollmacht überschritten wird. Letztere geschehen nicht im Namen der Kirche und sind nicht ihr zuzurechnen.
Das ganze muss glaube ich in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden. Dabei müssen auch die Begriffe vorher geklärt werden. Nach der gängigen Definition kann Sünde nur persönlich sein. Deswegen scheidet es aus, die Kirche als sündig zu bezeichnen.
Traditionell ist richtig, sich vorher einmal die Begrifflichkeit in der Bibel anzuschauen. Dabei geht die Anwendung des selben Begriffs abstrakt und konkret. Abstrakt ist die Kirche als Leib Christi frei von Sünde. Konkret ist sie dies allerdings nicht. Deshalb überrascht in der Bibel nicht, auch ein kollektives Verständnis von Sünde zu finden:
Jes 1,4 Weh dem sündigen Volk, der schuldbeladenen Nation
Am 9,8 Die Augen Gottes, des Herrn, sind auf das sündige Königreich gerichtet.
Mk 8,38 Denn wer sich vor dieser treulosen und sündigen Generation
Mit dem Weheruf des Jesaja ist das Volk Gottes gemeint, nicht irgendein Nachbarstaat.
Im Grunde knüpft Paulus an dieses Verständnis in Römer 3 an: Alle haben gesündigt. Paulus geht es als Jude um die Demut der Juden: Wir sollen uns nichts auf unsere Abstammung und auf das Gesetz einbilden. Gerade das Gesetz, also das Alte Testament, erinnert uns an unsere Sünden. Wir sind nicht besser als die anderen Völker. Gott möchte mit Christus die Juden und die anderen Völker versöhnen. Bei seinem Sühnegedanken knüpft Paulus an die jüdische Opfertheologie an.
Der Transfer dieser Argumentation auf die Kirche als Versöhnung von Gläubigen und Ungläubigen ist in der Kirchengeschichte bis heute umstritten.
Dasselbe Prinzip gilt auch im Strafrecht, Schuld ist immer persönlich und es wird einem nur das angekreidet, was einem persönlich vorwerfbar ist.
Natürlich kann man sich über Ähnlichkeiten in der staatlichen Gesetzgebung freuen. Allerdings gibt es auch Unterschiede. Im staatlichen Gesetz gibt es bei formal gleicher Begrifflichkeit zum Teil andere Interpretationen. Beispiel: Ehe. Kirchlich betrachtet, gibt es das Problem der wiederverheirateten Geschiedenen nicht. Es gibt nicht einmal Geschiedene. Es gibt Zölibatäre ( Ledige ) oder Eheleute. Selbst eine annullierte Ehe gibt es nicht. Annullation bedeutet die Anerkenntnis, dass eine Ehe im konkreten Fall nie bestand. Aber es gibt natürlich ungeordnete Lebenssituationen, die man befreiungstheologisch auch als sündhafte Strukturen bezeichnen kann:
Nun gibt es aber zu diesen herkömmlichen Ansätzen auch neue: Da ist dann von struktureller Sünde die Rede, oder von einem Organisationsstrafrecht. Ich glaube, dass beide Neuansätze aus der Einsicht kommen, dass bestimmte Fehlentwicklungen so komplexe Ursachen haben, dass man sie nicht mehr auf einen einzelnen zurückführen kann. Was man aber kann ist, die Mitverantwortung derer auszumachen, die diese Entwicklungen oder auch System aufrechterhalten. Beispiel: Das massenhafte EInkaufen von Billigware fördert und erhält das Ausbeuten von Arbeitskräften in anderen Ländern. Das System gäbe es auch noch, wenn Herr Maier nicht mehr bei KiK einkaufte, von daher kann man Herrn Maier nichts persönlich vorwerfen. Aber Herr Maier erhält das System mit vielen anderen am Leben. Man sollte nun allerdings nicht den Fehler machen, und die Kategorie "Persönliche Sünde" vollständig analog auf diesen Fall anzuwenden, denn oftmals ist es dem Einzelnen gar nicht ohne weiteres möglich, aus einem strukturell sündigen System auszusteigen. Gerade einem europäischen Konsumenten bleibt bloß die Wachsamkeit und die Selbstbeschränkung, aber dass er gar nicht vom System profitiert, ist fast unmöglich.
Die große Schwierigkeit, ungeordnete Lebenssituationen ins Reine zu bringen, kann man versuchen zu lösen, indem man selbst Chaos verbreitet. Man kann aber auch darauf verweisen, dass die Taufe von Erbsünde und Kollektivschuld befreit. Für Jesus zählt der gute Wille der Gefallenen, wieder aufzustehen. Das befreit auch den christlichen Konsumenten von falschen Skrupeln.