Ja, ja, der Yoga … Hier einmal eine Kurzdarstellung:
[quote="E. Frauwallner, "
Geschichte der indischen Philosophie", I, B, 6, S. 260"]
Der Yoga ist kein System, sondern ein Weg, die Erlösung zu finden, und konnte als solcher mit den verschiedenen philosophischen Lehren verbunden werden. […] Mit der buddhistischen Lehre war der Yoga von Anfang an verknüpft, weil er der Weg war, auf dem der Begründer der Lehre, der Buddha selbst, die Erlösung gefunden hatte.
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Abgesehen davon, war der Yoga natürlich stark mit der (im vedisch-hinduistischen Sinne) orthodoxen ("astika") Schule ("darśana") des Sāmkhya verbunden:
[quote="E. Frauwallner, "
Geschichte der indischen Philosophie", I, B, 6, S. 261"]
Neben die eigentlich philosophische Schule, welche sich für den Weg der logisch-theoretischen Erkenntnis entschieden hatte, trat eine zweite, welche den Weg des Yoga wählte. Und so wie als Schulhaupt der philosophischen Schule Vrsagana galt, so galt als Schulhaupt der zweiten Richtung der sagenhafte Verfasser des Yoga-Sūtra, Patañjali. Erst in der Periode der späteren indischen Philosophie, als die Systeme der älteren Zeit zum größten Teil abgestorben waren und der zur Herrschaft gelangte Hinduismus, was noch weiter galt, sich einzugliedern suchte, wurde die alte Yoga-Richtung des Sāmkhya, als einzige systematische Ausgestaltung des Yoga aus klassischer Zeit, als eigenes System betrachtet, nämlich als das Yoga-System des Patañjali. In Wirklichkeit handelt es sich dabei aber nur um jene alte Schule des Sāmkhya-Systems.
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Wie sieht es mit der Sāmkhya-Lehre (nur kurz, in groben Zügen) aus? Als legendärer Begründer dieses Systems gilt ein angeblicher Seher namens Kapila (oben genannter Vrsagana war eine, für die Schulrichtung bedeutende und - im Gegensatz zu Kapila - wirklich historische Person). Maßgeblich ist allerdings die Sāmkhyakārikā, ein Text, der irgendwann um 500 v. Chr. entstanden sein soll, verfasst von einem Îśvarakrsna. Es wird eine Art von ontolog. Dualismus vertreten, bei dem der eine Pol Geist (purusa) und der andere Materie/Urmaterie (prakrti) darstellen. Der Purusa ist reines Bewusstsein, also völlig unveränderlich, ewig, allgegenwärtig, sich selbst genügend, passiv etc. In den konkreten Einzelseelen sei ein gewisser Teil dieses Purusa individuiert, dieser sei erlösungsfähig. Die Prakrti ist eine ungeistige Materie, auch ewig und allgegenwärtig, weiters aktiv und unwahrnehmbar. Interessanterweise ist sie Denken, Wollen, Fühlen, also ziemlich umfassend, da sie nicht nur phys., sondern auch psych. Aspekte umfasst. Diese Materie bestehe aus drei Konstituenten (guna):
1.) sattva (Güte, Licht, Reinheit)
2.) rajas (Leidenschaft, das Bewegliche)
3.) tamas (Finsternis, das Hemmende)
Wenn diese Konstituenten entfaltet sind, befindet sich die Prakrti im Gleichgewicht. Ins Ungleichgewicht, in Bewegung, gerät sie durch sich selbst, nach dieser Lehre, nicht durch einen Schöpfer. Witzigerweise hat dieses Zeug eine gewisse Ziel- oder Zweckursache, nämlich den Individuationen des Purusa, zu helfen. Allein die Nähe der Purusas ruft ein Ungleichgewicht unter den drei Konstituenten hervor, womit die Prakrti angeregt wird, sich zu entwickeln, zu einer Art evolutionären Prozess zu entfalten. Psych. Eigenschaften haben in dieser Lehre einen ziemlich konkret dinglichen Charakter. Nur die Individuationen des Purusa sind reine Geister, die sich voneinander nur durch eine Art feinstofflichen Körper oder Seelenhülle unterscheiden. Diese Teile sind also auch keine individuellen Seelen, die sich reinkarnieren. Der Purusa wird eben in Verbindung mit der Materie individuiert, wobei allerdings dieser nie passive Geist, nie wirklich aktiv wird und die aktive Materie nicht vergeistigt. Es ist also ein Irrtum, eine Illusion, wenn man dem Purusa Gedanken, Gefühle, Wille, Individualität etc. zuerkennt. Dieser Geist wirft eine Art von Licht auf die Materie, sodass die verkehrte Meinung entsteht, es gebe eine einzelne, denkende, fühlende Seele. Diese falsche, illusionäre Ansicht erzeugt dann eben Leiden und damit sind wir wieder beim üblichen, indischen Thema, die fundamentale Leidhaftigkeit des Seins. Der pragmatische Yoga zielt eben darauf ab, diese Leiden praktisch zu beheben, er reflektiert also nur bedingt. Der Yoga legt eine Technik vor, mit der man sich von dieser verkehrten, illusionären Ansicht oder Einstellung befreien kann. Vorrausetzung dafür ist eine strikte Vorbereitung in acht Stufen (nach A. Michaels):
A. Moralische Vorbereitung:
(1) Yama (äußere Selbstbeherrschung)
(2) Niyama (innere Selbstbeherrschung)
B. Physische Vorbereitung:
(3) Âsana (Körperhaltung)
(4) Prānāyāma (Atemzügelung)
(5) Pratyāhāra (Rückzug der Sinne)
C. Geistige Vorbereitung:
(6) Dhāranā (Festhalten, Konzentration auf ein Objekt)
(7) Dhyāna (Versenkung, Meditation)
(8) Samādhi (Konzentration, die höchste Stufe der Versenkung – Befreiung der Seele)
Das Grundgerüst findet sich auch im Buddhismus bzw. in der alten buddhistischen Meditation (aus dem Begriff des "dhyāna" ergab sich z. B. das jap. Wort "Zen") und kann sich eben mit allen möglichen philos. oder religiösen Ansätzen verbinden, wie man auch im ersten Zitat lesen kann. Trotzdem hat die Sache, als solche, wenn sie in diesem Sinne "vollständig" praktiziert wird, immer auf eine "heilspraktische Ausrichtung", d. h. das Element der Selbsterlösung schwingt in gewisser Weise immer mit. Was Gott im Yoga-System betrifft, so kommt zwar eine Vorstellung Gottes vor, allerdings wirkt sie aufgepfropft, dazu Frauwallner:
[quote="E. Frauwallner, "
Geschichte der indischen Philosophie", I, B, 6, S. 270"]
Bevor wir uns aber der Schilderung des Erlösungsweges selbst zuwendne, müssen wir noch kurz eine Lehre besprechen, die vielfach für eine besondere Eigentümlichkeit des klassischen Yoga-Systems angesehen worden ist, in Wirklichkeit aber nur eine späte äußerliche Zutat darstellt, die Lehre von Gott. Vyāsa lehrt nämlich, daß es einen höchsten Gott (îśvarah) gibt, der durch seine Gnade den Yogî bei seinen Bestrebungen zu fördern vermag. Dieser höchste Gott ist eine Seele, die im Gegensatz zu allen übrigen Seelen von Ewigkeit her erlöst ist. Da er nur die vorzüglichste Form der Materie, die reinste Güte (sattvam), wählt, um sich zu verkörpern, ist er allen übrigen Wesen überlegen. Er ist allwissend und von unvergleichlicher Machtvollkommenheit. Sein Wirken ist durch Mitleid veranlaßt und ausschließlich auf das Wohl der Wesen gerichtet. Bei jeder Weltschöpfung verkündet er aufs neue die heilige Offenbarung, welche die Wesen zur Erkenntnis und Frömmigkeit führt. Der Ausdruck für diesen höchsten Gott ist die heilige Silbe Om. Indem der Yogî diese heilige Silbe murmelt und über Gott nachsinnt, gewinnt er dessen Gnade. Und dadurch wird es ihm möglich, die Hindernisse, die sich ihm entgegenstellen, zu überwinden und das Ziel der Versenkung rascher zu erreichen, als es sonst der Fall wäre.
Auch wenn wir kein Gewicht auf die Widersprüche legen, die diese Lehre zu den Grundanschauungen des Systems enthält ,so zeigt der flüchtigste Vergleich mit den eigentlichen theistischen Systemen der späteren Zeit, wie äußerlich sie hier eingefügt ist. In jenen Systemen ist die Gottheit die beherrschende Ursache des gesamten Weltgeschehens, Weltenstehung, Weltlauf, alles geht auf sie zurück. Hier nichts von alledem. Fast handelt es sich um eine müßige Gottheit, die zwar durch ihre Gnade die erlösungssuchenden Menschen fördern kann, neben der aber, im großen gesehen, der ganze Weltlauf selbständig abrollt.
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