Petrus_Agellus hat geschrieben:Womit ich ehrlich hadere ist die völlige Ablehnung polygenetischer Ansätze, die aus "Humani generis" von Pius XII. zu sprechen scheint:
Wenn es sich aber um eine andere Hypothese handelt, den so genannten Polygenismus, lässt die Kirche nicht die gleiche Freiheit. Darum können Gläubige sich nicht der Meinung anschließen, nach der es entweder nach Adam hier auf Erden wirkliche Menschen gegeben habe, die nicht von ihm, als dem Stammvater aller auf natürliche Weise abstammen, oder dass Adam eine Menge von Stammvätern bezeichne, weil auf keine Weise klar wird, wie diese Ansicht in Übereinstimmung gebracht werden kann mit dem, was die Quellen der Offenbarung und die Akten des kirchlichen Lehramts über die Erbsünde sagen; diese geht hervor aus der wirklich begangenen Sünde Adams, die durch die Geburt auf alle überging und jedem einzelnen zu eigen ist.
Ich habe kein Problem mit einem einzelnen Paar, das den Schritt zum Mensch-Sein und auch zur Sünde gemacht hat, aber sehr wohl damit, dass lediglich diese beiden nicht nur seelisch/metaphysisch, sondern auch dezidiert physisch allein gewesen seien, und dass folglich die zweite Generation nach ihnen nur aus dem Inzest zwischen den Kindern Adams und Evas entstehen konnte. Diese wörtliche Lesart entstammt einer Zeit vor den heutigen Möglichkeiten der Genanalyse. Ich würde Pius XII. hier gerne in dem Sinne verstehen, dass er mit "wirkliche Menschen" nicht lediglich biologische Einheiten, sondern beseelte Menschen meinte - womit sich der Widerspruch zur Wissenschaft auflöste, und es würde mich ehrlich gesagt eine kontemporäre lehramtliche Aussage dazu sehr interessieren.
Meiner Ansicht nach muss man einfach die Worte des Papstes ernst nehmen und mit gesundem Menschenverstand lesen, dann lässt er genug Raum für eine vernunftgemäße Anschauung. Das Schöne an der Stelle ist doch, dass der Papst
Gründe für die seiner Ansicht nach offenkundige Richtigkeit seiner Aussagen liefert und nicht einfach irgendwas willkürlich Ausgedachtes behauptet, das man grundlos akzeptieren müsste:
... weil auf keine Weise klar wird, wie diese Ansicht in Übereinstimmung gebracht werden kann mit dem, was die Quellen der Offenbarung und die Akten des kirchlichen Lehramts über die Erbsünde sagen, ...
Das bedeutet, wenn du eine rational vertretbarerweise für richtig zu haltende „Weise“ findest, wie du die vom Papst verworfene Ansicht
doch mit der von ihm zitierten Überlieferung in Einklang bringen kannst (z.B. indem du die Überlieferung als altorientalischen Mythos erkennst, der nur verschlüsselt über historische Gegebenheiten aufklärt und jdfs. nicht wörtlich genommen werden kann; und wenn du die augustinische Erbsündenlehre als neuplatonisches Denkprodukt wahrnimmst, das mit biologischen Gegebenheiten nur im analogen, übertragenen Sinn etwas zu tun hat), erübrigt sich die ganze Geschichte und das Statement des Papstes ist in dieser Fassung hinfällig bzw. überholt. Das bedeutet aber nicht, dass es falsch oder nutzlos war, dass der damalige Papst das gesagt hat. Es entsprach vollkommen den geistigen Möglichkeiten seiner Zeit und seiner Person, so zu sprechen; es war also kein Aberglaube, sondern eine begründete und aus seiner Sicht vernünftige Feststellung und ist insoweit auch wahr (also kein Irrtum, welcher der päpstlichen "Unfehlbarkeit" zuwiderliefe), denn er hat sich mit seinem Horizont redlich bemüht, nichts Falsches zu sagen und die Gläubigen möglichst wahrheitsgemäß zu lehren. Da der Papst ebenso wie wir selbst ein vernünftiger Mensch war, dem es naturrechtlich strikt untersagt ist, etwas Unvernünftiges zu glauben, wäre er sicherlich heute auch damit einverstanden, seine Aussagen zu revidieren. Eine kontemporäre lehramtliche Aussage finde ich deshalb entbehrlich, denn seine Nachfolger sehen das wohl kaum anders und sind sicher auch damit einverstanden.
Der Schlüssel für alles ist nur die richtige Gewichtung von Vernunft und Glauben bei der Wahrheitssuche. Dazu hat Ratzinger viel beigetragen.
Es kann nichts Unvernünftiges geben, was wahr ist. Alles geht mit rechten Dingen zu. Das ist die philosophische Grundannahme, von der wir nicht abgehen können, ohne das Fundament des vernunftgemäßen Glaubens zu verlassen. Nur wer dieses Fundament verlässt (also wissentlich und bewusst gegen die vernünftige Einsicht anglaubt), kann nicht mehr als katholischer Mehrheitschrist gelten, sondern wird eine Art Sektierer oder "Fundamentalist". Wer hingegen überzeugt ist, redlich und gewissenhaft nur vernünftig vertretbar Wahres für wahr zu halten, kann alle möglichen Meinungen vertreten, ohne aus der Gemeinschaft der (vernünftig) Glaubenden herauszufallen.
Dass frühere Päpste also bestimmte Dinge für vernünftig hielten, von denen wir heute nicht mehr überzeugt sind, macht ihre Ansichten
intrinsisch nicht falscher als unsere. Auch die Alten haben sich eben nichts aus dem Finger gesaugt (selbst wenn sie Mythen erzählten und von deren unmittelbarem Wahrheitsgehalt ausgingen), sondern ebenso wie wir darum gerungen, ein vernünftiges und realitätsentsprechendes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen. Das verbindet uns trotz aller Unterschiede in der Weltsicht mit den Früheren, selbst wenn sie in ihren inhaltlichen Aussagen weit daneben lagen (genauso wie wir Heutigen daneben liegen können). Das Verbindende ist halt die Tatsache, dass sie ebenso wie wir vernünftige Menschen und an das Gesetz der Vernunft gebunden waren und sich (aus ihrer Sicht kohärent) daran gehalten haben. Das bedeutet, wenn sie heute mitdiskutieren und unsere Argumente verstehen könnten, würden sie ebenso vernünftige Ansichten haben wie wir. Etwas erkanntermaßen Unvernünftiges zu glauben ist dagegen Aberglaube, da müssen wir mit uns selber ebenso streng sein wie es die Alten mit sich selber waren.
Diese Gedankengänge sind übrigens keineswegs neu oder übermäßig originell, ungefähr so schon beim seligen Lullus zu finden, der im 13. Jh eine Wahrheitsmaschine baute. Selbst Mystiker und Wunderfreunde kommen auf ihre Kosten und dürfen dieser Maschine trauen, denn ihm wurde in mehreren Visionen von Christus höchstpersönlich versichert, dass sie so funktioniert, wie ich das zu beschreiben versucht habe.
Es ist m.E. die einzige Möglichkeit, mit gutem Gewissen zu glauben und dabei ein wahrheitsliebender und redlicher Mensch zu bleiben, der gottgefällig lebt und denkt. Also weder allzu wissenschaftsgläubig noch allzu abergläubisch zu werden.
Keiner soll sagen, das sei sophistisches Geschwurbel. Du siehst ja hier und eigentlich überall, was passiert und welche aberwitzigen Aporien und Fehler entstehen, wenn denkende Menschen sich nicht an diese (sicherlich gottgemachten) Denkgesetze halten und einfach irgendwas glauben zu müssen meinen, was schlicht und einfach nicht stimmt. Ein Fantasieglaube, so ausgefeilt und spekulativ durchgereimt er auch sein mag, hilft niemandem weiter, sondern macht die Dinge oft noch schlimmer.