Raphael hat geschrieben:Beeindruckender finde ich, daß [Blaise Pascal] sein Memorial zunächst - sachlich wie ein Naturwissenschaftler - mit der exakten Datumsangabe beginnt.
Danach ein Wort: Feuer! Der brennende Dornbusch .........
Anschließend: "Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs", nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Gott Jesu Christi
Blaise Pascal beschreibt da eine Erfahrung und eben keine auf intellektuellem Wege gewonnene Erkenntnis. Diese Erfahrung wurde ihm bereits im Diesseits ermöglicht; natürlich aufgrund der Gnade Gottes. Gott wurde - nicht nur in diesem Moment, aber eben auch in diesem Moment - immanent.
Sicherlich ist Derartiges außergewöhnlich, aber die Hl. Schrift berichtet über das Bekehrungserlebnis des Völkerapostels vor Damaskus Ähnliches.
Meine Bekehrung lief ziemlich genau so ab, wie die von Blaise Pascal. Nach ahnungsarmer Jugend plus einem Vierteljahrhundert Agnostizismus ging mir beim Lesen der heiligen Schrift plötzlich das Licht auf. Mir fielen die Schuppen von den Augen. Ich erkannte, dass da tatsächlich einer ist, gegenüber dem ich ein Wurm bin und der etwas von mir will. Das war das eindrucksvollste Erlebnis in meinem Leben.
Aber das Wort Gotteserfahrung trifft die Sache nicht. Es ist Gotteserkenntnis. Wenn Du Pascal aufmerksam liest, kannst Du feststellen, dass er zwar ein Erlebnis, eine Erfahrung beschreibt, aber er erlebt eben nicht Gott, sondern er erlebt, dass und wie er Gott erkennt. Das sagt er ganz deutlich, dreimal.
Dass Gott dabei angeblich immanent wurde, ist eine Interpretation Deinerseits. Die Emotioniertheit, von der die Erkenntnis Pascals begleitet ist, mag Dich verleiten, solches zu denken. Pascal selbst spricht aber explizit von Gotteserkenntnis und nicht von Gotteserfahrung. Er bezeichnet sein Erlebnis mit keinem Wort als Gotteserfahrung.
Es gibt Gläubige, die kein solches bewusstes Erlebnis haben. Der Glaube reift irgendwie heran, und irgendwann wird ihnen bewusst, dass sie glauben. Auch ihr Glaube ist ein Geschenk, ist Gnade Gottes. Wird Gott da Deiner Meinung nach auch immanent?
Das Feuer ist ein Bild für das Licht, dass Pascal aufgeht. Du setzt voraus, dass Gott im Dornbusch immanent wurde sowie dass Pascal das auch so sieht, wenn Du aus seinem Zeugnis folgerst, Pascal berichte von einem Erlebnis, bei dem Gott immanent wurde. Aus dem Bericht von Pascal geht das in keiner Weise hervor.
Von Erkenntnis auf intellektuellem Wege kann man schon reden. Es ist der Verstand, der plötzlich kapiert, was Sache ist. Es ist kein (rein) rationales, schlussfolgerndes Erkennen, aber es ist das verstandesmäßige Be-greifen eines Textes und der korrespondierenden Wirklichkeit. Als ich das erlebte, war mir nicht bewusst, dass ich eine Gnade annehme. Bei Pascal sieht das wohl auch so aus. Er sagt im Prinzip
Heureka. Genauer:
ich habe dich erkannt. Er hat etwas hingekriegt, und nicht Gott hat etwas getan. Kein Wort des Dankes für die empfangene Gnade. Kein Bewusstsein, dass er beschenkt wurde. Freude und Friede angesichts der neuen Aussicht, aber nicht eine Andeutung von "Gott ist mir hier und jetzt begegnet" oder Vergleichbarem. Auf die to-do-Liste schreibt er:
völlige Unterwerfung unter Jesus Christus.
Das Zeugnis von Pascal gibt keine lokal und zeitlich begrenzte Immanenz Gottes her. Er schreibt nicht in dem Bewusstsein, dass er hier und jetzt Gott erlebt oder erfahren hat. Er berichtet von dem Erlebnis, wie er Gott erkannt hat. Eine Begegnung mit Gott oder eine Gotteserfahrung muss man da hineininterpretieren, wenn man sie da sehen will.
Gruß
Sempre