Die liberale „Funktion“ der Kirche

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Raphaela
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Beitrag von Raphaela »

Diese persönliche Antwort gefällt mir schon viel besser als das, was sonst immer kommt.
Danke,
eine brauchbare und gute Antwort

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overkott
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Beitrag von overkott »

Ich denke, dass die katholische Kirche in sich ein liberales Potential birgt, dass durch den Liberalismus des 19. Jahrhunderts überzogen wurde.

Der liberale Einfluss des Kirchenlehrers Bonaventura auf das Konzil ist größer als aus den Fußnoten hervorgeht.

liberalerphilosoph
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Beitrag von liberalerphilosoph »

overkott hat geschrieben:
Der liberale Einfluss des Kirchenlehrers Bonaventura auf das Konzil ist größer als aus den Fußnoten hervorgeht.

Das ist sehr interessant. Könnten Sie das näher ausführen?


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overkott
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Beitrag von overkott »

liberalerphilosoph hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Der liberale Einfluss des Kirchenlehrers Bonaventura auf das Konzil ist größer als aus den Fußnoten hervorgeht.

Das ist sehr interessant. Könnten Sie das näher ausführen?


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In der Theologie des hl. Bonaventuras finden sich offene, induktive und deduktive Denkstrukturen.

Bonaventura dachte christozentrisch in der Welt seiner Zeit.

Die intellektuelle Auseinandersetzung mit Bonaventura hat nicht nur den Konzilstheologen Ratzinger intellektuell geprägt.

liberalerphilosoph
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Liberales Potential der Kirche durch Bonaventura

Beitrag von liberalerphilosoph »

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Der Hinweis bezüglich Bonaventura ist höchst interessant. Hier scheinen Parallelen zum liberalen und ultramontanen Lord John Emerich Dalberg Acton (1834-1902) zu bestehen. Roland Hill führt in seiner Biographie "Lord Acton. Ein Vorkämpfer für religiöse und politische Freiheit im 19. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau (Herder) 2002 auf den Seiten 159 bis 160 aus:

"Acton verfocht einen Ultramontanismus, dessen Ziel die Freiheit der Kirche im Verhältnis zum Staat war, der aber nicht so sehr im Dienst der Religion, sondern eines allgemeinen Prinzips stand, das sich zwar für die Freiheit der Kirche einsetzt, diese aber auch für andere Gemeinschaften und Institutionen fordert. Der Actonsche Prüfstein eines wahren Ultramontanismus lautete: >>Der Katholik untersteht der Disziplin der Kirche, wenn er sich im Widerspruch zu ihrer Wahrheit befindet, nicht wenn er ihren Interessen im Weg steht.<< Seinen Glauben an den Katholizismus und den modernen Geist der wissenschaftlichen Forschung drückte er so aus: >> Eine äußere Kruste unterschiedlichster Meinungen bildet sich ständig um den inneren Kern des unveränderlichen Dogmas, wenn dieses mit menschlicher Wissenschaft und Philosophie in Berührung kommt, ähnlich wie Metall...an der Oberfläche oxidiert. Die Kirche muss sich stets im Einklang mit den herrschenden Ideen setzen und zu jedem Zeitalter und jedem Volk in dessen eigener Sprache sprechen. Eine Art von Amalgam aus ewigem Glauben und sich wandelnden Ansichten ist somit ständig im Entstehen begriffen, und damit erklären sich die Christen den Standort ihrer Religion, soweit wie ihr Wissen reicht.<< Der echte Ultramontane ist Acton zufolge ein Katholik in einem höchsten Sinn, >>der mit seiner Religion nicht angibt; der seinen Widersachern auf einem ihnen verständlichen und von ihnen anerkannten Terrain entgegentritt; der keine äußerlichen Mittel - wie Wohlwollen, Gewalt, Interesse oder List - zur Hilfe nimmt, um seiner Meinung Anerkennung zu verschaffen. Er weiß, dass es ein System der Metaphysik und Ethik gibt, das mit dem Katholizismus vorzüglich übereinstimmt, aber gänzlich von ihm unabhängig ist... Es handelt sich um einen Prozeß, der nie aufhört, ehe Gott sein Werk vollendet hat, dass die Menscheit ih erkenne und liebe ... Autorität kann sich in Widerspruch zu ihren eigenen Regeln setzen, aber die Niederlage der Autorität wird die Regeln bestätigen. Solches geschah auf politischem Gebiet im Drama der Sizilianischen Vesper und auf physikalischem in der Opposition gegen Galilei. Diese Experimente haben der Autorität ihre Schranken aufgezeigt und den Untertanen die Grenzen des Gehorsams; und sie haben die letzte fassbare Barriere niedergerissen, die den Katholiken hinderte, frei in die Sphäre der induktiven Wahrheit einzutreten."


Die Ausführungen sind in unserem Zusammenhang von Bedeutung, weil Liberale wie Lord Acton im 19. Jahrhundert die Einheit von Glauben und Vernunft verteidigt haben.


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overkott
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Beitrag von overkott »

Einerseits kennen wir Induktion in der natürlichen Theologie.

Aber wir wissen auch um ihre Grenzen.

Sie kann sich den Vorwurf machen lassen, ebenfalls eine Projektion zu sein.

Nicht selten erweist sich eine vermeintliche Induktion als verkappte Deduktion, wenn sie die Axiome nicht offenlegt, von denen sie ausgeht.

Demgegenüber ist Deduktion ehrlicher.

Die Vorteile beider Ansätze hat der heilige Augustinus in seinem hermeneutischen Zirkel verbunden:

Credo ut intellegam et intellego ut meliorem credam.

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