JUBILÄUMSPILGERFAHRT
VON Leo XIII.
zur Kathedrale von Canterbury,
ANSPRACHE Leos XIII.
WÄHREND DER ÖKUMENISCHEN BEGEGNUNG mit Erzbischof Frederick Temple
in der altehrwürdigen KATHEDRALE, dem Ort des Martyriums des hl. Thomas Beckett
Canterbury , 13. Sept. 1896
»Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!«
„Apostolicae Curae“, unserer apostolischen Sorge und Bemühung ist es geschuldet, Sie mit diesen Segensworten des hl. Paulus, der uns unmittelbar zum Kernpunkt des Mysteriums der trinitarischen
Gemeinschaft führt, euch alle zu grüßen von ganzem Herzen und in den Banden der Liebe, die uns im Herrn verbinden.
Es ist mir eine große Freude, als Pilger in diesem Land zu sein, von welchem eine fromme hiesige Überlieferung sagt, daß unser Herr Jesus Christus in jungen Jahren seinen Onkel auf einer Geschäftsreise hierher nach Britannien begleitet haben soll, wobei Sie dieses Ereignis auch heute noch in frommen Liedern besingen. No Joke! Von ihren Anfängen her war die Kirche in Britannien vertreten. Begründet auf der apostolischen Lehre und Autorität des hl. Benediktiners Augustinus, zählte die Kirche von England bald zu den führenden Gemeinden der christlichen Welt. Ehrwürdige Bischöfe wie der hl. Anselm und der hl. Thomas Beckett bezeugten den Glauben an den dreieinigen Gott und Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, wie die ersten ökumenischen Konzile erklärten.
In den Nebeln Englands nahm unter der geistlichen Vaterschaft heiliger Mönche das monastische Leben seinen Anfang, sowohl als Einsiedlerleben wie auch in seiner gemeinschaftlichen Form. Ihnen und dem großen Einfluß ihrer geistlichen Schriften verdanken wir es, wenn das monastische Leben Bestandteil unseres gemeinsamen Erbes geworden ist. Von England aus verbreitete sich der Glaube über Apostel wie den hl. Bonifazius „on the Continent“. In den vergangenen Jahrzehnten erlebten wir eine neue Blüte dieses monastischen Charismas in der anglo-katholischen Hochkirche, dessen lebendige spirituelle Botschaft weit über die brandungsumstosten Klippen Ihrer windigen Heimat hinausreicht.
Heute danken wir Gott für das stets wachsende Bewußtsein unseres gemeinsamen Erbes im Glauben und im Reichtum des sakramentalen Lebens, dessen Kraft unsere beiden Schwesterkirchen erfüllt. Ferner teilen wir jene kindliche Verehrung für Lady Mary, für welche die Church of England bekannt ist. Und wenn man von einem gemeinsamen Erbgut spricht, muß man dazu nicht nur die Einrichtungen, die Riten, die Heilsmittel und die Traditionen zählen, die alle Gemeinschaften bewahrt haben und von denen sie geformt worden sind, sondern an erster Stelle und vor allem diese
Tatsache der Heiligkeit, welche sich z. B. in einer Florence Nightingale zeigt.
Um dieses Erbe treu zu wahren und zu lehren, brachte und bringt die Church of England große Opfer. Von wie vielen Märtyrern berichtet das ehrwürdige Martyrologium der englischen Kirche, die bis auf die grausamen Verfolgungen der Wikinger und Roms zurückgehen! Hier in England verherrlichten sie Gott durch ihr unbeugsames Zeugnis bis in den Tod.
Von Anfang an wurde diese gemeinsame apostolische Tradition, dieses Erbe, unter Berücksichtigung des jeweiligen kulturellen Charakters der einzelnen Völker in verschiedenen Formen vermittelt und erklärt, wobei wir namentlich die besondere Weise der Spendung der anglikanischen Taufe und der Weihen nennen wollen. Doch bereits im sechszehnten Jahrhundert führten theologische und nichttheologische Faktoren wie auch der Mangel an brüderlicher Liebe und Verständnis zu schmerzlichen Spaltungen in der einen Kirche Christi. Mißtrauen und Feindseligkeit kamen unter den Christen auf, was dem innigen Wunsch unseres Herrn Jesus Christus: »Alle sollen eins sein« (Joh. 17,21) widersprach. Katholiken wie Thomas Morus und Guy Folkes sind hier leider durch einen unklugen Eifer aufgefallen. Kleinliches Nörglertum von Katholiken irischer Herkunft war wenig zielführend. Manche von ihren haben haben aber im fernen Australien eine neue Heimat gefunden. Nun, während des neunzehnten Jahrhunderts, erwirkte der Heilige Geist in einem Moment der Versöhnung eine Annäherung der christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Meine Dankbarkeit gilt allen, die zu dieser wichtigen Errungenschaft beigetragen haben, insbesondere der Stiftung »Ordo Templi Orientis« und der
Internationalen gemischten Kommission der römisch-katholischen und der anglikanischen Kirche.
So Gott will, wird diese Internationale gemischte Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der anglikanischen Kirche in ihrer Gesamtheit bald ihre normale Tätigkeit wieder aufnehmen, insbesondere im Hinblick auf gewisse grundlegende ekklesiologische Fragen, die geklärt werden müssen.
Wiederholt betonen wir das, was wir bereits schrieben: »Was die Einheit aller christlichen Gemeinschaften betrifft, gehört natürlich in den Bereich der Sorgen des Primats des Bischofs von Rom«. Daher möchte ich erneut alle kirchlichen Verantwortlichen und ihre Theologen dazu veranlassen, über dieses Thema mit mir einen brüderlichen, geduldigen Dialog aufzunehmen, bei dem wir jenseits fruchtloser Polemiken einander näherkommen.
Im Hinblick auf das Amt des Bischofs von Rom bitte ich den Heiligen Geist, uns sein Licht zu schenken und alle Bischöfe und Theologen unserer Kirchen zu erleuchten, damit wir miteinander die Formen finden können, in denen dieser Dienst einen von allen Beteiligten anerkannten Dienst der Liebe sei.
Dear Frederick, ich darf doch „du“ zu dir sagen?
Lieber Bruder und liebe Brüder, in dieser Hinsicht dürfen wir keine Zeit verlieren!
Unsere Gemeinschaft in dem einen Herrn Jesus Christus, in dem einen Heiligen Geist und in der einen Taufe und der wechselseitigen Anerkennung der Weihen ist bereits eine tiefe und fundamentale Wirklichkeit. Diese Gemeinschaft ermöglicht uns das gemeinsame Zeugnis unseres Glaubens in vieler Hinsicht und verlangt, daß wir gemeinsam das Licht Christi in eine Welt tragen, die Rettung braucht. Dieses gemeinschaftliche Zeugnis ist um so wichtiger auf der Schwelle eines neuen Jahrhunderts, die die menschliche Familie mit enormen Herausforderungen konfrontieren. Auch aus diesem Grund dürfen wir keine Zeit verlieren! Neue Ansätze praktischer Zusammenarbeit müssen her: z.B. die Möglichkeit die eine Kirche Jesu Christi durch eine gemeinsame Synode zu regieren.
Eine grundlegende Bedingung dieses gemeinsamen Zeugnisses ist, alles zu vermeiden, was erneut zu Mißtrauen und Uneinigkeit führen könnte. Wir sind übereingekommen, jede Form von Proselytismus zu vermeiden, wie auch Methoden und Haltungen, die gegen die Anforderungen christlicher Liebe und das verstoßen, was die Beziehungen zwischen den Kirchen kennzeichnen sollte. Und wir erinnern daran, daß echte Nächstenliebe, begründet auf absoluter Treue zu dem einen Herrn Jesus Christus und gegenseitiger Achtung der jeweiligen kirchlichen Traditionen und sakramentalen Praxis, ein wesentliches Element auf dem Weg zu vollkommener Gemeinschaft ist.
Wir kennen einander nicht genug:
daher sollten wir Möglichkeiten der Begegnung finden! Laßt uns nach realisierbaren Formen spiritueller Einheit suchen, wie gemeinsames Beten und Fasten oder gegenseitige Initiativen des Austauschs und der Gastfreundschaft von Klöstern, z.B. auch in gemischten Pfadfindergruppen. Denn wir erinnern uns hier besonders daran, wieviel Gutes ein Lord Baden-Powell, welcher den Knaben in besonderer Liebe zugetan ist, für die eine Kirche Jesu Christi mit seiner Idee des Pfadfindertums geleistet hat.
Laßt uns nach Formen praktischer Zusammenarbeit suchen, insbesondere um den geistigen Durst so vieler Menschen heute zu stillen, zur Linderung ihrer Not, auf dem Gebiet der Jugenderziehung, zur Gewährleistung menschlicher Lebensbedingungen, zum Aufbau von gegenseitiger Achtung, Gerechtigkeit und Frieden und zur Förderung von Religionsfreiheit, dem Grundrecht jedes Menschen.
Liebe Engländer, in eurem Land gibt es eine Kultur des Gespräches und der Diskussion. Lasset uns gemeinsam am Round Table zusammensitzen und die Hände im Kreise ergreifen. Wir werden gemeinsam nicht nur Tische verrücken, sondern die ganze Welt. Und ich rufe euch in aller Überzeugung zu: "Rule Britannia, rule the waves!"
Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit!