De facto waren die Entscheidungen zwischen den Parteien ja auch nie umstritten - egal ob es sich um Energiewende, Eurorettung, Wehrpflicht, Zuwanderung usw. handelte. Es gab im Bundestag keine abweichende Meinung - abgesehen von Einzelparlamentariern, die dafür gemobbt wurden.
Das hat sich durch den Einzug der AfD geändert. Man darf wohl sicher sein, daß ohne die AfD die FDP eingeknickt wäre - wie es Seehofer vorgemacht hat. Die FDP mußte abspringen, wollte sie nicht Gefahr laufen, erneut als Umfallerpartei dazustehen.
Sie hat sich in den Koalitionsverhandlungen kaum durchsetzen können, wie die grüne Vorstandsvorsitzende Peter indirekt zugab:
Interessante Frage von Plasberg: „Wenn sich die Grünen in den Sondierungsgesprächen so auf die anderen zu bewegt hätten, wird das bei Neuwahlen eigentlich alles wieder resettet?“ Simone Peter sagt darauf einen der wichtigsten Sätze des Abends. Entlarvend, selbsterklärend. Also nein, warum sollten wir uns resetten, „wenn sie das Papier genau gelesen hätten …“ Offensichtlich hat das die FDP. Aber die Presse nicht. Weil sie nicht wollte. Peter gibt also unumwunden zu, dass man so schlau formuliert hat, damit die Presse schreibt was sie schreiben soll, aber bewegt hätte man sich natürlich nie wirklich. Sag sie so nicht, aber genau so muss man es hier verstehen.
hart aber fair: Die Mär vom grünen Entgegenkommen
Natürlich wird Merkel versuchen, die Option GroKo offen zu halten. Sie scheint z.B. keine Eile damit zu haben, die nur noch geschäftsführenden SPD-Minister zu entlassen, obwohl die SPD eine Koalition ausgeschlossen hat. Warum ermöglicht sie dann trotzdem den Vertreter dieser Partei an Kabinettssitzungen teilzunehmen?
Das Problem für Merkel liegt künftig in ihrer intern. Handlungsfähigkeit. Kann sie z.B. in den EU-Verhandlungen noch Zusagen machen, wenn sie nicht sicher sein kann, die Vereinbarungen im Bundestag auch abgesegnet zu bekommen? Welche Entscheidungen von großer Tragweite kann sie überhaupt als geschäftsführende Kanzlerin noch treffen? Die Zeiten, in denen man die Papiere über dreistellige Mrden-"Rettungs"programme den Abgeordneten morgens in die Fächer legen konnte (und noch nicht einmal in der Amtssprache) und sie wenige Stunden später abgenickt bekam, sind endgültig vorbei. Deswegen sind EU-Kommission und EU-"Partner" ja auch "besorgt" - es wird eine Lähmung eintreten.
Der bisher bestehende Kabinetts- und Koalitionszwang fällt künftig weg - jede Partei kann situationsabhängig entscheiden, ob man Merkel unterstützt oder nicht. Situationsabhängig heißt: Nach der Stimmung im Lande - eine schreckliche Vorstellung für die politische Elite. Die Parteien werden künftig immer mögliche Neuwahlen zu einem nahen Zeitpunkt im Blick haben und jede wird ihre eigene Politik danach ausrichten.
Unsicherheit ist aber etwas, was in Merkels Vokabular nicht vorkommt. Eine Zustimmung im Rat unter dem Vorbehalt einer ungewissen Parlamentsentscheidung zu geben - das wird sie nach zwölf Jahren Alleinregierung nicht wollen.