Hubertus hat geschrieben:Reflector1 hat geschrieben:Petrus_Agellus hat geschrieben:Von göttlichem Recht kann die Kirche nicht dispensieren.
Natürlich nicht. Wenn es denn göttlichen Rechts ist. Dafür spricht die Tradition der Westkirche, dagegen jene der Ostkirche, das Privilegium Petrinum und wohl auch die Unzuchts-Ausnahme bei Matthäus.
Ich zitiere dazu mal L. Ott, Grundriß der Dogmatik (Freiburg i.Br. u.a. 10/1981) 553f:
Die sog. Unzuchtsklausel (μὴ ἐπὶ πορνείᾳ) [...] will nach dem Zusammenhang keine Ausnahme von dem Gesetz der Unauflöslichkeit feststellen; denn die Absicht Jesu geht dahin, die ursprüngliche Ordnung, welche die Ehescheidung nicht kannte, wiederherzustellen und dem laxen Gebot des Moses in bewußter Antithese (vgl. Mt 5,31 f) sein neues Gebot entgegenzustellen. Will man nicht die Antithese zerstören und einen Widerspruch zwischen Mt einerseits und Mk und Lk (sowie 1 Kor 7, 10 f) anderseits schaffen, so muß man die Klausel entweder im herkömmlichen ausschließenden Sinn verstehen, wonach sie zwar ausnahmsweise die Entlassung der Frau, nicht aber die nachfolgende Wiederverheiratung gestattet, also nur die sog. Trennung von Tisch und Bett, oder im einschließenden Sinn, wonach nicht eine Ausnahme von dem Verbot der Ehescheidung festgestellt, sondern auch der in Dt 24, 1 vorgesehene Scheidungsgrund ('erwath dabar = etwas Schändliches) in das Scheidungsverbot einbezogen wird. Bei letzterer Deutung ist die Klausel als Parenthese aufzufassen und zu übersetzen: "Wer seine Frau entläßt - auch nicht bei unzüchtigem Verhalten (soll er sie entlassen) - und eine andere heiratet, begeht Ehebruch" (Mt 5 ,32: "unter Ausschluß des Falles der Unzucht").
Um das vom Griechischen her beurteilen zu können, fehlt mir allerdings die Expertise.
Eine „endgültig richtige“ Deutung dieser dunklen Klauseln wird es nicht geben, egal wie gut man Griechisch kann.
Sie ist rein von der bibeltheologischen Logik her aber auch nicht notwendig. Auch wenn es sich nicht genau klären lässt, muss jedenfalls mit der Möglichkeit einer echten Ausnahme vom Scheidungsverbot gerechnet werden. Dies allein reicht dann schon aus, damit es nicht dogmatisiert werden kann (gegen eine zulässige Lesart der Bibel kann ja kein Glaubensdogma aufgestellt werden). Das ist auch der tiefere Grund der Entscheidung von Trient, die Unauflöslichkeit der Ehe nur zur Hälfte zu dogmatisieren und den Fall des Ehebruchs von dem Dogma auszunehmen.
Die Unzuchtsklauseln wurden in der katholischen Theologie immer als störend empfunden und sträflich vernachlässigt, oft wurde einfach so getan, als gebe es sie gar nicht.
Ott vertritt hier die beiden traditionellen Standarddeutungen der kath. Dogmatiker, die eine echte Ausnahmeregelung vom Scheidungsverbot ausschließen wollten. Beide sind so nicht haltbar, die Bedeutung des Textes wird ins Gegenteil verkehrt, indem man statt „außer“ im ausschließenden „auch nicht“ im einschließenden Sinn liest. Das ist offensichtlich apologetisch. Selbst wenn man den Text so verstehen
könnte, bliebe die ausschließende Interpretation aber immer noch zumindest ebenso gut möglich und damit bibelhermeneutisch eben wenigstens auch zulässig. Es wäre also nichts gewonnen, solange man nicht beweisen kann, dass die eine Auslegung hundertprozentig stimmt und die andere klar falsch ist.
Eine ähnlich gestrickte Lösung aus jüngerer Zeit meinte, mit
porneia als Scheidungsgrund sei wohl nicht Ehebruch, sondern vielmehr eine zu enge Verwandtschaft oder etwas ähnlich „Schändliches“ gemeint, sodass sich daraus dann nach moderner Logik im Ergebnis keine richtige Ehescheidung, sondern eine Art Trennung oder Annullierung einer sowieso schon ungültigen Verbindung ergeben würde. In solchen Fällen sei es dann zulässig, die Frau zu entlassen. Kardinal Müller hat noch kurz vor der Synode versucht, diese wohl in der evangelikalen Bibelwissenschaft entstandene Deutung der Klauseln als besonders überzeugend hinzustellen (was sie aber nicht ist). Es bliebe aber selbst dann noch unsicher und die viel einfachere Lesart, wonach da tatsächlich
außer bei Ehebruch steht und auch so gemeint ist, bliebe immer mindestens genauso gut denkbar und damit eben auch als Verständisweise vom Text her zulässig.
Andere weisen darauf hin, diese Klauseln stünden ja nur im Matthäusevangelium und nicht bei den anderen Evangelisten und es sei unwahrscheinlich, dass die anderen Evangelien eine derart wichtige Ausnahmeregel einfach wegließen. Die Klauseln bräuchten deswegen nicht so ernst genommen zu werden. Bibeltheologisch gedacht ist das natürlich Unsinn. Das Gleiche würde auch für den (gar nicht unwahrscheinlichen und von vielen Exegeten angenommenen) Fall gelten, dass diese Klauseln spätere Zusätze sind und in der Erstfassung des Textes gar nicht drinstanden. Selbst dann gehörten sie aber unverändert zum kanonischen Text und müssen in jedem Fall, ganz egal wer sie geschrieben oder gesagt hat (Jesus, der Evangelist, oder ein späterer Redaktor) als "Wort Gottes" ernstgenommen werden. Man kann sie also nicht einfach unberücksichtigt lassen, es sei denn man erklärt sie für unkanonisch, aber das will niemand.
Kardinal Ratzinger hatte als Glaubenspräfekt in seiner nur auf Italienisch erschienenen Broschüre zum Wiederverheiratetenproblem von 1998 – das ist derselbe Text, der später (ich glaube 2011) in Auszügen erneut und diesmal auch auf Deutsch im
L'Osservatore Romano veröffentlicht und hier im Strang schon zitiert wurde – die Linie vertreten, die Matthäusklauseln seien wegen der vielen Auslegungsmöglichkeiten einfach zu unklar und könnten deswegen nicht dogmatisch ausgewertet werden. Diese Position hat nachher auch Kdl. Müller eine Zeitlang vertreten, bis er die evangelikale Position übernahm. Bibeltheologisch ist das natürlich ebenfalls inkonsequent, denn es bleibt ja weiter möglich, sie als echte Ausnahmeregel zu verstehen (wie das die altkirchliche und orthodoxe Auslegung immer tat). Selbst wenn diese Auslegung unsicher ist und man es letztlich nicht genau wissen kann, darf man eine solche biblisch mögliche Deutung dogmatisch nicht völlig ausschließen und kann sie deshalb nicht für unzulässig erklären oder einfach ganz unbeachtet lassen.
Es bringt also letztendlich für die Lösung der strittigen dogmatischen Frage gar nichts, über die richtige Auslegung dieser Klauseln zu streiten oder Argumente für die eine oder die andere Interpretation zu sammeln, weil immer verschiedene Auslegungsweisen möglich und zulässig bleiben und immer auch die Annahme dazu gehören wird, es handele sich um eine wirkliche Ausnahme vom Scheidungsverbot für den Fall von "Ehebruch".
Von katholischer Seite m.W. zum ersten Mal nicht bloß exegetisch, sondern auch bibeltheologisch konsequent angegangen ist das Problem der Matthäusklauseln Thomas Söding in seinem Beitrag in dem 2014 erschienenen Sammelband von Markus Graulich (
Zwischen Jesu Wort und Norm, QD 264, S. 48-81).