ar26 hat geschrieben:Vorrangig Stabsoffiziere sahen sich aus irgendeinem Grund zum Handeln gezwungen, irgendwie sind diese in eine Jetzt-oder-Nie-Situation geraten. Aus einer solchen Lage lässt sich kaum sinnvoll agieren. Daher das dilettantische Ergebnis.
Wobei die Ausführung dann wohl mehr als laienhaft war.
Den Offizieren müßte doch eigentlich bewußt gewesen sein, daß heute internet und Handy uä
die entscheidende Rolle spielen. Das Besetzen von Rundfunk- und Fernsehstationen mag wichtig sein, aber viel wichtiger wäre es, die Internet-Knotenpunkte zu besetzen und abzuschalten. Vermutlich wird es solche Szenarien innerhalb aller Länder für den Fall innerer Unruhen geben. Auch die Planungen der NATO für den Fall des Cyberkrieges werden so etwas vorsehen. Für mich ist es schwer vorstellbar, daß die Stabsoffiziere "unbeleckt" waren und davon keine Kenntnis hatten.
Andererseits erscheint es mir auch nicht denkbar, daß einige hohe Offiziere aus Kadavergehorsam gegenüber dem Sultan jetzt eine jahrzehntelange Gefängnisstrafe riskieren, selbst wenn diese "á la Hoeneß" realisiert werden sollte.
Ich sehe allerdings die Gefahr, daß der Sultan jetzt "größenwahnsinnig" wird, die EU unter Druck setzt (was - dank Merkel - problemlos möglich ist) und seine Landsleute in türkischen Diaspora "Oberwasser" bekommen.
Skrupellos wird Erdoğan jetzt die letzten Widerstände und Machtfaktoren abräumen, die der Umwandlung der Türkei in einen islamistischen Staat noch entgegenstehen. Sein Auftrumpfen, der Putsch sei ein „Gottesgeschenk“, weil er die „Säuberung“ der Armee erlaube, spricht Bände: Bei der Islamisierung der Türkei wird jetzt der Turbogang eingelegt.
Und damit auch bei der weiteren Islamisierung der hier lebenden Türken. Erdoğan betrachtet sie als seine fünfte Kolonne – mit vollem Recht. Zu Tausenden sind sie in Berlin, Hamburg, Stuttgart, Wien und zahlreichen anderen deutschen und österreichischen Städten seinem Ruf gefolgt und sind auf die Straßen gegangen, um gegen den Putsch zu protestieren und sein Scheitern zu feiern.
Wer die Bilder gesehen hat, wie vor dem Brandenburger Tor türkische Demonstranten durch ein Polizei-Megaphon „Allahu akbar!“ brüllen, kann sich weitere rituelle Integrationsdebatten sparen. Die „Integration“ großer Teile der türkischen Bevölkerung in Deutschland hat nicht stattgefunden und wird nicht stattfinden.
Jedenfalls nicht durch abstrakte „Integrationsgesetze“ und läppische „Integrationsvereinbarungen“ oder „Integrationskurse“. Ein Großteil der in Deutschland lebenden, hier geborenen und aufgewachsenen Türken sieht sich, Paß hin oder her, nicht als „Deutsche“, sondern als Türken. Erdoğan betrachtet sie als seine Untertanen und sie ihn als ihren Führer.
Und dieser Führer will einen islamischen Gottesstaat. Wenn ihm das in der Türkei gelingt, warum soll er nicht auch Deutschland in diese Richtung verändern? Seine Anhänger sind ein gesellschaftlicher Machtfaktor, seine Religionsbehörde darf hierzulande ohnehin nach Belieben schalten und walten, Moscheen betreiben und ihre Klientel indoktrinieren. Merkels grotesker Kuhhandel mit der Türkei in der Asylkrise hat Erdoğans Einflußmöglichkeiten in Deutschland noch erweitert.
Deutschland hat sich mit der Flutung durch muslimische Asyl-Immigranten ein neues Islamisierungsproblem mutwillig ins Haus geholt, das allein ausreichen könnte, um Staat und Gesellschaft zu sprengen. Daß die millionenfache türkische Zuwanderung im letzten halben Jahrhundert bereits ein solches Problem geschaffen hat, das bis heute ungelöst ist, ist darüber zeitweise in den Hintergrund getreten.
Der gescheiterte Militärputsch in der Türkei und die Reaktionen darauf seitens der bereits in Deutschland lebenden Türken ruft das unsanft wieder ins Bewußtsein. Mit den neuen Flucht- und Auswanderungsströmen aus der Türkei, die auf den Putsch und Erdoğans Rache dafür unweigerlich folgen werden, werden auch die inneren Konflikte der Türkei verschärft nach Deutschland importiert.
Das türkische Pulverfaß
Wie will Merkel, wie will die EU Erdogan noch künftig in die Schranken weisen?
Werden die USA, wird möglicherweise Trump jetzt oder im nächsten Jahr nicht einen erheblichen Druck auf die EU ausüben, Erdogan "einzubinden"? Die Gefahr, daß die Armee (von NATO-freundlichen, weltlich und westlich gesinnten Offizieren) "gesäubert" wird und sich evtl. aus der Allianz verabschiedet, kann doch nicht von der Hand gewiesen werden. Wie würden andere EU- bzw. NATO-Mitglieder darauf reagieren?
Die Ereignisse der letzten Tagen (Brexit, versuchter Putsch in der Türkei) könnten Auswirkungen haben, die die nächsten Jahrzehnte bestimmen werden.