Caviteño hat geschrieben:In GR hat sehr wohl das griechische Volk von den Krediten profitiert - nämlich zu dem Zeitpunkt als sie aufgenommen wurden. Damals konnte man sich mit dem Geld einen Lebensstandard leisten, der durch die normalen Steuereinnahmen nicht gedeckt war und für den Steuererhöhungen als Alternative notwendig gewesen wären. Man wollte und hat sich also Wünsche früher erfüllt, für die zu dem Zeitpunkt kein Geld vorhanden war. Insofern hat die breite Masse der Griechen profitiert, die einen mehr, die anderen weniger. Durch das süße Gift der Kreditaufnahme ist diese Tatsache natürlich aus dem gr. Gedächtnis verschwunden, man erinnert sich nicht mehr daran, glaubt die Einkommen "verdient" zu haben. Daß die Ausweitung des Staatsektors und des Sozialetats weitgehend kreditfinanziert waren, wurde/wird ignoriert.
Einflussreiche oder vielleicht sogar große Kreise dieses Volkes und dieser Staat haben eben zu lange über ihre Verhältnisse gelebt und
fordern heute nicht nur "Solidarität" in barer Münze ein, sondern beschimpfen diejenigen, die sie ihnen erst dann gewähren wollen, wenn ein Umdenken sichtbar wird - übrigens entsprechend dem Prinzip der
Subsidiarität. Aber das Problem steckt noch tiefer.
Caviteño hat geschrieben:@Lupus:
Ich bin sehr wohl der Meinung, daß der Gläubiger das Recht (und eine Regierung gegenüber ihren Steuerzahlern auch die Pflicht) hat, auf die Rückzahlung der Kredite und die dafür notwendigen Verhaltensänderungen beim Schuldner hinzuwirken, auch mit Druck. Das man sich damit keine Freunde macht ist klar, ist aber bei jedem notleidend gewordenen Kredit bei einer Bank ähnlich.
Dem Schuldner nur mit Verständnis zu begegnen, bringt das ausgeliehene Geld nicht zurück.
Es ist natürlich etwas anderes, wenn man für eine Daueralimentierung des Schuldners eintritt - nur sollte man das dann auch klar sagen und nicht hinter Forderungen nach "weicheren Kreditkonditionen" und "Zurückhaltung bei den Verhandlungen" verstecken.
Ich glaube, dass Lupus das gar nicht meint, sondern eine eher biblische Handlung anmahnt. Gerade im Hinblick darauf aber wäre ein Schuldeingeständnis Griechenlands sicher hilfreich, dass man in der Vergangenheit nicht nur falsch regiert, sondern auch falsch gelebt, gearbeitet und gedacht hat. Nicht umsonst beginnt eine wirkliche Umkehr erst mit der Reue. Davon ist aber nichts zu sehen, im Gegenteil: Aufgeblähter Nationalstolz mit manchmal nationalreligiöser Attitüde. Ach ja, Stolz ist ja auch eine Wurzelsünde...aber woher stammt dieser Stolz? Ist er wirklich "national" oder hat er vielmehr andere Wurzeln?
Nassos hat geschrieben:Danke, lieber Pater. Und genau dies müssen wir "uns" auch zu eigen machen, jeder, überall und zu jeder Zeit. Es ist nämlich die gleiche Untugend, die auch den Menschen aus dem Paradies vertrieben hat.
Früher mögen Griechenland und Zypern sicher ein Paradies auf Kosten des europäischen Nordens, nämlich "uns", gewesen sein, ja, zumindest für eine gewisse Schicht von Griechen. Um überhaupt Gott in diese Sache mit hineinzubringen, gehört schon eine kräftige Portion Unverfrorenheit, wenn nicht sogar Blasphemie, wie ich meine; zumindest fungiert da das christliche Mäntelchen als Schutzbehauptung.
Lupus hat geschrieben:Unsere Brille hat eben immer noch jenen Schimmer von Besserwissen und Korrekturgebaren, das uns aber keine besondere Achtung bei anderen Völkern einbringt.
Diese Brille steht dem zu, der die Hauptlast der Solidaritätskosten zu tragen hat und sich vergewissern muss, ob sein Geld auch richtig verwendet wird, was - wie gesagt - in Zweifel zu ziehen ist, wenn sich das Verhalten - s.o. - nicht ändert. Diese Geberländer sind mehrheitlich Deutschland, gefolgt von Ländern wie Dänemark, Niederlande und Finnland. Und ob mich oder mein Volk jemand aus dem Ausland deswegen scheel ansieht, ist mir ganz wurscht. Wenn ich mit mir im Reinen bin, kann's mir schnuppe sein, was ein anderer von mir denkt. Viele Griechen haben aber bereits vor der Krise hart arbeiten müssen, hatten beispielsweise zwei Jobs, um überhaupt leben zu können. Das Problem für den Staat war aber offenbar immer das Verhältnis seiner Bürger zu ihm:
Die Zeit hat geschrieben:Natürlich haben viele Leute ihre Steuern nicht regelmäßig bezahlt; das ist wahrscheinlich das größte Problem. Doch dafür werden die Griechen längst bestraft. Schauen Sie sich in griechischen Krankenhäusern, Schulen, Universitäten und Straßen um: Die Infrastruktur in Griechenland ist nicht zu vergleichen mit im Rest der EU, nicht einmal mit anderen südeuropäischen Ländern. Auch die Sozialleistungen in Griechenland sind erbärmlich.
Ist das wirklich der einzige Grund für die Misere? Ein Metropolit der griechisch-orthodoxen Kirche sagt:
Metropolit Amphilochios hat geschrieben:Wie verhält sich die griechisch-orthodoxe Kirche, der rund 90 Prozent der elf Millionen Einwohner angehören, in dieser Situation? Sie muss nach Ansicht eines hohen Kirchenvertreters eine zweifache Aufgabe erfüllen – zum einen notleidenden Menschen praktisch helfen und zum anderen die Griechen zu einer Lebensänderung ermutigen. Bei Sozialleistungen springe die Kirche teilweise für den Staat ein, könne aber dessen Strukturen nicht ersetzen, erklärte der Direktor der Orthodoxen Akademie von Kreta, Metropolit Amphilochios von Kissamos und Selinon. Beispielsweise seien von den 25.000 Menschen in seiner Diözese rund 1.500 Personen auf kirchliche Speisungen angewiesen. Gleichzeitig habe die Kirche die Probleme bewusst zu machen, die der Krise zugrunde liegen:
Die wirtschaftliche Misere sei eine Folgeerscheinung der geistigen und spirituellen Verarmung. Amphilochios: „Die Umkehr, Änderung der Lebenshaltung und des Lebensstils jedes Einzelnen ist Voraussetzung für die gesellschaftliche und ökonomische Veränderung und Besserung – nicht umgekehrt“.
Aha. Demzufolge müsste ja Deutschland das größte Armenhaus Europas sein. Da kann irgendwas nicht stimmen. Aber woher stammt das Geld, mit dem die Kirche diese sicher löbliche Armenfürsorge betreibt?
Die Zeit hat geschrieben:Die orthodoxe Kirche ist reich. Sie gebietet über riesige Ländereien in ganz Griechenland und Immobilien in besten Innenstadtlagen, die sie vermietet. Niemand weiß, wie viel sie wirklich besitzt und welchen Wert das Grundeigentum hat. Sie bekommt Geld für Taufen, Hochzeiten und Todesfälle. Die Gehälter der Geistlichen zahlt der Staat, seitdem die Kirche vor 60 Jahren mit dem Staat einen großen Immobiliendeal schloss. Damals tauschte die Orthodoxie weite Wälder und Felder gegen Häuser in den Städten. Aus heutiger Sicht ein prächtiges Geschäft. Erst seit 2010 muss die Kirche auf ihre Miet- und Pachteinnahmen Steuern zahlen. Aber nicht die üblichen 45 Prozent, sondern nur 20 Prozent. Keine andere griechische Institution genießt ähnliche Privilegien. Die orthodoxe Kirche als eigensüchtige Institution. (...) Kirche und Staat sind in Griechenland tief miteinander verwoben. Artikel 3 der Verfassung erklärt die Orthodoxie zur griechischen Religion schlechthin. Das Religionsministerium ist zugleich die oberste Erziehungsbehörde. Orthodoxe Priester geben dem neu gewählten Premierminister und Präsidenten ihren Segen. Sie sind mit Weihrauchfass und Weihwedel dabei, wenn das Schuljahr beginnt, ein nationaler Feiertag begangen oder ein Supermarkt eröffnet wird. Das amerikanische Religion Data Archive, das das Ausmaß der Begünstigung einer bestimmten Religion in allen UN-Staaten verglichen hat, ordnet Griechenland deshalb zwischen
Iran, Saudi-Arabien und Malaysia ein.
Es scheint, dass die Kirche wesentlich mehr zur Überwindung der Krise dort beitragen könnte. In Deutschland - speziell hier im Forum - spricht man vollkommen zu Recht über die Chancen
für die Kirche bei der Abschaffung beispielsweise der Kirchensteuer, also einer
wirklichen Trennung von Staat und Kirche. Nicht wenige sehen fast neidvoll auf die Länder mit starker orthodoxer Bevölkerung und großem Einfluss der orth. Kirche auf den Staat. Offenbar ist das aber nicht die Lösung des Problems, sondern Teil desselben, wenn nicht Mitverursacher, wie man vermuten könnte, wenn man Bischof Anthimos zuhört:
Die Zeit hat geschrieben:Die Menschen am Mittelmeer seien einfach der Natur und Gott näher. "Sehen Sie sich die Menschen vor der Ikone vom Berg Athos an: Sie sind glücklich! Warum sollten sie nach Säkularisierung rufen?"
Der griechische Philosoph
Stelios Ramfos hält die orthodoxe Kirche sogar für ein "Modernisierungshindernis":
Stelios Ramfos hat geschrieben:Die Orthodoxie habe sich nie wirklich reformiert. Sie stelle die Glaubensgemeinschaft über das handlungsfähige Individuum. Sie verneine die Zeit, in der wir lebten. »In manchen Gegenden Griechenlands gibt es noch Gebete für Regen, anstatt sich um anständige Bewässerung zu kümmern«, sagt Ramfos.
»Die Kirche stellt Hoffnung und Errettung über die Verantwortung.« Auch die Suppenküchen würden dieses Prinzip nicht infrage stellen. Und das verhindere am Ende Reformen in Griechenland.
Warum sich verändern, wenn die Erlösung ohnehin komme? Ramfos fordert die konsequente Trennung von Kirche und Staat. »Nur dann kann sich der Staat wirklich modernisieren!«
Wenn der Einfluss der orth. Kirche in Griechenland tatsächlich so groß ist, wie
Ramfos u.a. behaupten (was in den Großstädten sicher übertrieben ist), könnte also eine religiös-kulturelle Einstellung tatsächlich eine Art Hemmschuh für die Wendung zum Besseren sein. So forderte der griechische linke Parlamentsabgeordnete
Grigoris Psarianos:
Grigoris Psarianos hat geschrieben:Die griechisch-orthodoxe Kirche sollte als Religionsgemeinschaft eine Kirchensteuer nach deutschem Vorbild einführen und dadurch ihre Aufgaben aus eigener Kraft finanzieren.
Vielleicht wäre das einen Gedanken wert, wenn nicht wieder der "Stolz" siegt...(ja ja, ich weiß, die orth. Kirche bracht keine Ratschläge etc. pp.) Ich würde aber sowohl Deutschland als auch Griechenland empfehlen, die Trennung von Staat und Kirche gleich ganz durchzuführen, daran gesunden sowohl die Kirchen als auch der Glaube. Wie sagte Kardinal Meisner so schön? "Mangel fördert Berufung!"