Gesetzentwurf Kirchhof zur Einkommensteuer

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Stefan

Gesetzentwurf Kirchhof zur Einkommensteuer

Beitrag von Stefan »

Wer einmal konkret wissen will, wie ein einfaches Einkommensteuergesetz aussehen kann, sollte sich hier informieren:

Uni Heidelberg

Zum Vergleich das aktuelle:

Einkommensteuergesetz 2004

Nach erster Durchsicht ist das ESTGB von Paul Kirchhof faszinierend schlank: 23 Paragraphen gegenüber bisher 99.

Eine einzige Einkunftsart gegenüber bisher 7
Ein einziger Steuersatz von 25% gegenüber Progressionssatz bisher.

Was spricht dagegen?

Lucia

Re: Gesetzentwurf Kirchhof zur Einkommensteuer

Beitrag von Lucia »

Stefan hat geschrieben:Was spricht dagegen?
Wie beschäftigt man die Finanzbeamten und Steuerberater anschließend?

Stefan

Re: Gesetzentwurf Kirchhof zur Einkommensteuer

Beitrag von Stefan »

Lucia Hünermann hat geschrieben:
Stefan hat geschrieben:Was spricht dagegen?
Wie beschäftigt man die Finanzbeamten und Steuerberater anschließend?
Das ist sehr einfach: Die Beamten kontrollieren wieder, weil sie wieder durchblicken und die Berater beraten wieder, weil sie auch durchblicken.

Zur Zeit wird ein normaler Kleinbetrieb im Schnitt alle 30 Jahre geprüft ;)

Ralf

Re: Gesetzentwurf Kirchhof zur Einkommensteuer

Beitrag von Ralf »

Stefan hat geschrieben: Ein einziger Steuersatz von 25% gegenüber Progressionssatz bisher.

Was spricht dagegen?
Für eine Familienvater mit dem einzigen Einkommen von 1800 Euro brutto sind 25% weitaus schmerzhafter als für jemanden mit 6000 Euro brutto ein Satz von 45%.

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otto
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Beitrag von otto »

Hallo Stefan

Was spricht dagegen?

Alles! warum?

Bevor wir ein Steuermodell etwas genauer unter die Lupe nehmen sollten wir einen allgemeinen Konsens finden, was mit den Steuern finanziert werden soll.

Das heißt:

Kindergärten
Jugendträume
Schulen
Universitäten

Straßen
Schienen
Wasserwege
Flughäfen

Renten
Bürgerversicherung
Kindergeld
Erziehungsgeld
Arbeitslosengeld

Subventionen für Kohle und Landwirtschaft
Kilometergeld für Berufspendler
....

Wir werden uns darüber einig sein alles geht nicht. Niedrige Steuern und ein perfektes Bildungssystem, einwandfreies Straßen und eine maximale Familienförderung ist utopisch.

Erst wenn wir wissen was wir über Steuern finanzieren wollen und was nicht, erst dann macht es Sinn verschiedene Steuermodelle in betracht zuziehen.

Ich als Katholik lehne ein Steuermodell bei dem jeder gleich an % belastet wird ab.
Ich denke das jemand der ein Jahreseinkommen von über 40000 Euro bezieht und ledig ist mehr als 25 % an Steuern aufbringen kann. Jeder der über 60000 Euro Jahreseinkommen erzielt kann 35-40 % an Steuern aufbringen. Für einen Familienvater mit 20 000 Euro Jahreseinkommen sind 25 % Steuern viel zu viel.
Das Progressive Steuermodell ist für mich nicht von der Hand zuweisen

gruß otto
"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Matthäus 16,24

Stefan

Beitrag von Stefan »

Es geht Kirchhof wohl nicht um niedrige Steuern (man könnte ja einfach den Standardsteuersatz auf 30 oder 35% ändern), sondern um Einfachheit (es müsste dazu nur eine einzige Schraube geändert werden).


Die Grundidee Kirchhofs ist: Beseitigung der zahlreichen Ausnahmen im Einkommensteuerrecht und Reduktion des Gesetzes auf Prinzipien. Alleine §3a umfaßt 69 Ausnahmetatbestände, die steuerfrei sind. Darauf wird keine einzige Progression angewandt.

Im heutigen EStG sind vielleicht 10 % Grundsätze, 90% sind Ausnahmeregelungen (z.B. Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen, Sonderabschreibungen. Besonders kurios sind Halbeinkünfteverfahren, bei denen zuerst wie wild eine Besteuerungsgrundlage ermittelt wird und die dann halbiert, geviertelt oder sonst etwas werden. Schaut Euch ruhig einmal §10c EStG an, der die Sonderausgabenpauschale ermittelt und versucht das einmal zu Fuß auszurechnen.
Es ist jedenfalls eine Tatsache, daß Finanzämter heute auf die Kontrolle von "Kleinbeträgen" verzichten, weil sie es von der Komplexität her nicht mehr bewältigen. Die Steuerausfälle sind gewaltig.

Es ist doch schizophren:
Neben der Einkommensteuer wird ein Solidaritätszuschlag ermittelt (und das sind nicht einfach 5%, sondern ebenfalls von Ausnahmen durchsetzte Regelungen, z.B. Kinderfreibeträge müssen wieder gegengerechnet werden). Warum nicht einfach in die EST einbauen? Die Einahmen daraus sind sowieso auf Jahre verplant.
Dann gibt es das Modell der vermögenswirksamen Leistungen, ein Aberwitz an Bürokratie. Um 5000€ in 7 Jahren anzusparen werden Arbeitgeber, Staat und Fondsgesellschaften beschäftigt. Das könnte man abschaffen und in die Riesterrente einbauen, indem man die Förderung anteilig erhöht.
Die Rieterrente: Ein Lehrbuch für Bürokratenwahn. Hat die jemand? Ein Aberwitz! Warum übergibt man die notwendige kapitalgebundene Sozialversicherung nicht in die Hände der Rentenversicherer, die ganz simpel Beitrag für alle sozialversicherten um 1% erhöht und diesen Anteil in einen Kapitalfond anspart, der dem Versicherten zuzuordnen ist? Das kann man über 30 Jahre allmählich erhöhen, so daß die Beiträge zur überkommenen Rentenversicherung a la Bismarck auf 0 reduziert und damit den Wechsel vom Generationenvertrag auf die kapitalgestützte SV vollzieht?

Der Kirchhof Entwurf ist ein Dikussionsvorschlag; ich habe mir das Gesetz angeschaut, es ist durchdacht, systematisch und schlank - sozusagen ein Mustermodell.

Das einzige Manko: 25 % Vielleicht hätte er den Steuersatz offenlassen sollen, denn der ist zweitrangig. Insbesondere die komplette Freistellung von 8000€ pro Nase (auch Kindernase) sorgt nämlich dafür, daß das Sozialargument ausgehebelt wird. Wer mehr als 8000€ im Jahr verdient, ist nicht reich, aber gewiß kein Notfall! Das was darüber hinausgeht kann ruhig besteuert werden.


Ansonsten ist m.E. nicht einzusehen, warum es noch eine Progression geben soll. Warum sollte man auf 150000€/a mehr als den normalen Steuersatz zahlen? Ich halte das nicht für gerecht und Reichtum bzw. Fleiß per se ist nichts Verwerfliches. Verwerflich ist Neid in der Bevölkerung und der Eingriff des Staates in das Eigentum des Einzelnen.

Ralf

Beitrag von Ralf »

Und jetzt noch eine konkrete Antwort auf Ottos und meinen Beitrag.

Stefan

Re: Gesetzentwurf Kirchhof zur Einkommensteuer

Beitrag von Stefan »

Ralf hat geschrieben:
Stefan hat geschrieben: Ein einziger Steuersatz von 25% gegenüber Progressionssatz bisher.

Was spricht dagegen?
Für eine Familienvater mit dem einzigen Einkommen von 1800 Euro brutto sind 25% weitaus schmerzhafter als für jemanden mit 6000 Euro brutto ein Satz von 45%.
Steuern zu zahlen ist stets schmerzhaft. Die Frage ist eher, ob einer mit 6000€ noch Kindergeld bekommen sollte. Ich meine: nein.

Außerdem: Ein Familienvater mit 1 Kind hat 3*8000€ steuerfrei, zahlt also nach Kirchhof eh keine Steuern.

anselm
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Registriert: Samstag 1. November 2003, 17:53

Beitrag von anselm »

Hier ist eine Kurzfassung des Vorschlags von Kirchhoff ("10 Punkte"). Unter Punkt 6 steht auch, wie sich Kirchhoff eine Gestaltung der Lastenverteilung in Bezug auf das Einkommen vorstellt. Eine Progression ist in seinem Vorschlag jedenfalls indirekt enthalten. Ohne Progression wäre sein Vorschlag zwar genial einfach, aber auch ungerecht.

http://www.bundessteuergesetzbuch.de/do ... Punkte.pdf

Stefan

Beitrag von Stefan »

otto hat geschrieben:Bevor wir ein Steuermodell etwas genauer unter die Lupe nehmen sollten wir einen allgemeinen Konsens finden, was mit den Steuern finanziert werden soll.
Ich halte auch nichts davon, die Steuereinnahmen des Staates insgesamt weiter zu senken. Sinnvoller ist eine verschärfte Überprüfung der Staatsausgaben (Toll Collect, Fiscus etc), und auch eine Sicherstellung, daß jeder nach dem Gesetz besteuert wird und nicht wegen zu hoher Komplexität mauschelt.
Ich als Katholik lehne ein Steuermodell bei dem jeder gleich an % belastet wird ab.
Ich denke das jemand der ein Jahreseinkommen von über 40000 Euro bezieht und ledig ist mehr als 25 % an Steuern aufbringen kann. Jeder der über 60000 Euro Jahreseinkommen erzielt kann 35-40 % an Steuern aufbringen. Für einen Familienvater mit 20 000 Euro Jahreseinkommen sind 25 % Steuern viel zu viel.
Das Progressive Steuermodell ist für mich nicht von der Hand zuweisen
Wie gesagt, es gibt andere, Katholikenfähige Besteuerungsverfahren als die Progression. Die Focussierung auf die Steuerfreiheit des Existenzminimums ist m.E. wichtiger als die Entlastung von Mittelverdienern. Von daher ist nicht einzusehen, warum einer, der 60.000€ verdient einen anderen Satz hat als einer, der 120.000€ verdient. Unterm Strich bezahlt letzterer den vollen Satz auf den Gesamtbetrag, bei der Progression nur auf den "letzten" Euro, während die "ersten" Euro genauso schlapp besteuert werden wie beim Geringverdiener. Ist das gerecht??

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otto
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Beitrag von otto »

Nun gut dann nehme ich meine Familie als Beispiel

4* 8000 € sind Steuerfrei das heißt wir versteuern erst jeden Euro über 32000 €. Jahreseinkommen
(ca. 62600 DM) oder (ca. 5216 DM/Monat) . Das heißt für mich das dieses Modell nicht Steuer- Einkommensneutral umgesetzt werden kann.

Natürlich würde unsere Steuerbelastung erheblich absinken, nur wer zahlt dann die Straßen...

Auch ich bin für eine Vereinfachung des Steuersystems nur es reicht völlig die Abschreibungsmöglichkeiten aus der Steuergesetzgebung zu streichen. (das scheiterte zuletzt an den massiven Widerstand der Unions-fdp im Vermittlungsausschuss ende 2003)
"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Matthäus 16,24

Raphael

Beitrag von Raphael »

Der Kirchof-Vorschlag ist zu genial, um im deutschen Bürokratismus umgesetzt zu werden! :/

Manchmal jedoch ziehen solche Geniestreiche die politischen Akteure in die richtige Richtung, deshalb sollte man nicht alle Hoffnung aufgeben. ;)
Das 10-Punkte-Programm von Friedrich Merz war ja schon eine abgespeckte Variante des Kirchhof-Vorschlags. Sollte die CDU einst die derzeitige Regierung ablösen, wird Friedrich Merz vermutlich (hoffentlich) mit neuem Schwung versuchen, seine Vorstellungen umzusetzen.

Das Geniale an dem Kirchhof-Vorschlag ist nicht nur die Vereinfachung durch Streichung der Ausnahmetatbestände, sondern auch die soziale Ausgewogenheit durch die steuerliche Freistellung des Existenzminimums. Insbesondere kinderreiche Familien würden von dem Kirchhof-Vorschlag enorm profitieren. :P

Letztendlich finanzieren würden eine derartige Reform die sogenannten „Besserverdienenden“ (Einkommensmillionäre und andere). Obwohl sich das im ersten Moment etwas paradox anhört, ist es das in Wirklichkeit nicht: Die Streichung der Ausnahmetatbestände und die Einschränkung des Verlustabzuges (§ 9 des EstGB-Entwurfes) trifft in erster Linie genau diese Gruppe. Diese Gruppe rechnet sich nämlich Jahr für Jahr einkommensteuerlich arm, indem sie fleißig Verluste der einen Einkommensart mit Gewinnen einer anderen Einkommensart verrechnet. Die Verlustzuweisungsmodelle müssen jedoch in Zukunft im Gesamtzeitablauf Gewinne abwerfen (bzw. in der Totalperiode mindestens +/- Null abschließen), damit die Verluste steuerlich wirksam werden können.

GsJC
Raphael

Stefan

Beitrag von Stefan »

Raphael hat geschrieben:Die Streichung der Ausnahmetatbestände und die Einschränkung des Verlustabzuges (§ 9 des EstGB-Entwurfes) trifft in erster Linie genau diese Gruppe. Diese Gruppe rechnet sich nämlich Jahr für Jahr einkommensteuerlich arm, indem sie fleißig Verluste der einen Einkommensart mit Gewinnen einer anderen Einkommensart verrechnet. Die Verlustzuweisungsmodelle müssen jedoch in Zukunft im Gesamtzeitablauf Gewinne abwerfen (bzw. in der Totalperiode mindestens +/- Null abschließen), damit die Verluste steuerlich wirksam werden können.
Genau das ist der Punkt. Und zugleich bedeutet dies, daß ein niedriger "Steuersatz" nicht alleine aussagekräftig ist. Die Bemessungsgrundlage ist entscheidend, und die steigt für Besserverdienende beim Kirchhof-Modell an.

Man muß auch so sehen: Nur wer den Spitzensteuersatz zahlen muß hat erhebliche Vorteile durch Steuersparkonstruktionen. Eine Schiffsbeteiligung rechnet sich nun mal nicht für Leute mit einem Progressionssteuersatz von weniger als 30%. Beim Kirchhofmodell spart jeder gleich viel - wenn er doch noch etwas absetzen darf. Das sind aber in der Regel dann berufs- /betriebsbedingte Kosten.

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