Medizinische Forschung - für wen ?

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Juergen
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Medizinische Forschung - für wen ?

Beitrag von Juergen »

Gerade lief ein Interview mit Heiner Schirmer zum Thema Malaria und Malariaforschung.

Ähnliche Äußerungen, die Schirmer in dem Interview gemacht hat (es ist schon etwas älter, jedenfalls habe ich es schon vor einigen Jahren mal gesehen) sind auch an anderer Stelle im Netz zu finden.

Aus dem verlinkten Bericht:
Aber auch andere ‚Praktiker‘ hatten ihren Anteil am Vortragsgeschehen: Heiner Schirmer, Biochemiker und Mediziner, beleuchtete in seinem Vortrag über „Moral und Verteilungsethik des medizinischen Fortschritts“, inwieweit Forschungsgelder weltweit ethisch verteilt bzw. eben nicht verteilt werden. So wies er darauf hin, dass nur sieben Prozent aller Gesundheitsprobleme in den Ländern der Nordhalbkugel liegen, die hierfür aber mehr als 95 Prozent der globalen Forschungsmittel aufwenden, während für die 93 Prozent der Gesundheitsprobleme im Süden weniger als fünf Prozent aller globalen Forschungsmittel zur Verfügung stehen. Wen das noch nicht genug deprimierte, der durfte sich die folgenden Zahlen auf der Zunge zergehen lassen: Nur ein Prozent aller neuen Medikamente, die in den letzten 20 Jahren auf den Markt kamen, wurden spezifisch für jene Krankheiten entwickelt, unter deren Last die so genannte „Dritte Welt“ leidet. Der Allgemeingültigkeitsanspruch der Naturwissenschaften bekommt so eine ganz neue Bedeutung und zugleich eine kaum beabsichtigte Schramme. Vor allem graute es wohl den Symposiumsteilnehmern nach der Geschichte um das Medikament „Eflornithin“ – nicht wegen des Namens, sondern weil es, obgleich eine Wunderwaffe gegen die Schlafkrankheit, wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit weltweit aus der Produktion genommen werden sollte. Mit den Ohren Candides aus Voltaires bester aller Welten mussten dann alle mit anhören, wie die Bekämpfung von Gesichtshaaren bei Frauen in den reichen Ländern dieser Erde die Produktion von Eflornithin gesichert hat. Ein Happy End, das keinen glücklich machte. Genauso wenig wie die Nachricht, das manche Pharmafirmen sich für ihr ‚Shareholder-Value‘ die eine oder andere „moral drug“ leisten. Wie sagte doch F. D. Roosevelt 1937 in seiner Antrittsrede als amerikanischer Präsident: „The test for our progress is not what we can add to the affluence of those who have much, the test is how much we can supply for those who have too little of everything.“
Läuft die med. Forschung darauf hinaus, daß sie hauptsächlich in Richtung "Lifestyle-Medikamente" forscht und zu wenig die für die "wirklichen" Krankheiten (z.B. Malaria) tut?
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Nun, da die medizinische Forschung sich rein an kapitalistischen globalen Maßstäben orientiert, denn sie wird nahezu ausschließlich von eben solch agierenden Firmen betrieben, gilt: wo kein Markt, da kein Medikament.
Und in den armen Ländern gibt es keinen Markt, die Produkte wären viel zu teuer für die dortige Volkswirtschaft.
Ganz einfach.

Seit langem wünsche ich mir eine UN-Forschungs- und Produktionsstätte für medizinische Produkte, doch dafür gibt es weder den Willen noch das Geld (die UN ist sowieso total pleite).

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Prof. Schirmer sprach davon, daß ein Malariamedikament nur 20 Pfennig pro Person kosten dürfte, sonst könnten es sich die armen Länder/Leute nicht leisten.

Er meinte sinngemäß, mehr sei ein Menschenleben manchen Leuten nicht wert :sauer:
Gruß Jürgen

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Torsten
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Beitrag von Torsten »

Juergen hat geschrieben:Prof. Schirmer sprach davon, daß ein Malariamedikament nur 20 Pfennig pro Person kosten dürfte, sonst könnten es sich die armen Länder/Leute nicht leisten.

Er meinte sinngemäß, mehr sei ein Menschenleben manchen Leuten nicht wert :sauer:
Ab welcher Summe können wir denn von einem angemessenen Preis reden?

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Malaria kann man sehr wirksam und kostengünstig bekämpfen, indem man die Zwischenwirte der Erreger bekämpft. Wenn man will.
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Du meinst den Menschen? Oder meinst Du den Endwirt?

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Ralf hat geschrieben:Du meinst den Menschen? Oder meinst Du den Endwirt?
Robert meint vielleicht den Einsatz von Fischen in Tümpeln, die dann die Larven der Mücke fressen.
Strictly speaking all the livebearers are of the New World, except for the Hemiramphidae, which comes from the waters around South-East Asia, Malaysia, Borneo, Indonesia. The New-World species became synonymous around the World due to their introduction as an aid to mosquito control, in an attempt to eradicate malaria.

Source
Gruß Jürgen

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Petra
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Beitrag von Petra »

Juergen hat geschrieben:Robert meint vielleicht den Einsatz von Fischen in Tümpeln, die dann die Larven der Mücke fressen.
Tümpel:temporäres Gewässer.
Meist eng begrenztes Gewässer, das zumindest teilweise austrocknen kann. Die Wasserverhältnisse (Temperatur, Sauerstoffgehalt) sind dauerndem Wechsel unterworfen, der die Bewohner zu ständiger Anpassung zwingt. (Quelle: wissen.de)

Ralf

Beitrag von Ralf »

Ich meinte, dass die Mücke der Endwirt und nicht der Zwischenwirt ist. Und über Malaria kenne ich mich zufällig aus, da ich darüber promoviere. Die Fische, Gambusiae, sind mir auch nicht verborgen geblieben (ich kann Dir ja bei Interesse nach Abschluss ein Exemplar meiner Dissertation zusenden, Thema "Die Ausrottung der Malaria in Spanien").

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ralf hat geschrieben:»Du meinst den Menschen? Oder meinst Du den Endwirt?«
Na, du weißt schon recht gut, was ich meine, Ralfi.

Bei kreislaufartigen Vorgängen ist es wohl eher schwierig, Zwischen- und Endpositionen zu definieren. Jedenfalls eine Definitionsfrage, abhängig vom Standort des Betrachters. Da mich in erster Linie die befallenen Menschen interessieren, bezeichne ich Zwischenstationen des Errregers auf dem Weg zum Menschen eben als Zwischenstationen.

Ob die Mücken das anders sehen, weiß ich nicht. Was die Erreger betrifft, so sind aus ihrer Sicht streng genommen sowohl der Mensch als auch die Mücke Zwischenstationen. Oder etwa nicht?

Doch genug der Wortklauberei. – Klar, daß es mir um die Bekämpfung der Anopheles-Mücke ging. Die Forschung nach wirksamen Arzeien und Impfstoffen gegen Malaria ist ohne Zweifel wichtig. Aber sie hat mit vielfältigen Problemen zu kämpfen, darunter – neben den hohen Kosten – auch die Resistenzbildung des Erregers.

Angesichts Tausender malariatoter Kinder täglich ist die Frage wohl berechtigt, weshalb man die bekannten, vorhandenen und als wirksam erwiesenen Schädlingsbekämpfungsmittel nicht gegen die Wirtsmücke einsetzt. Auch der Herausbildung von gegen die Arzneistoffe resistenten Erregerstämmen würde man so übrigens gegensteuern.
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Jährlich werden vielleicht 400 Millionen Menschen mit Malaria infiziert (so las ich mal irgendwann; wie die aktuellen Zahlen sind kann nicht sagen) und es werden Millionen Euro ausgegeben um Mittel gegen Depressionen bei Hunden zu entwickeln.... :motz:

Da stimmt doch was nicht !
Gruß Jürgen

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Ralf

Beitrag von Ralf »

Robert Ketelhohn hat geschrieben: Doch genug der Wortklauberei.
Ach, bloß weil jemand sich mal besser auskennt ;) .

Aber D.D.T.-Anwendung ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss (auch wenn es heute immer noch in Indien getan wird). Das Geld für die Erforschung verträglicherer potenter Insektizide wird aber eben nicht ausgegeben.

Und Jürgen: natürlich stimmt da was nicht: man nennt dies den globalen Kapitalismus.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

DDT mag nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Doch Ersatz gibt es nicht, und es wirkt jedenfalls. Italien etwa hatte nach dem letzten Kriege rund eine halbe Million Malariakranke. Und heute? Ausgerottet, die Krankheit. Wie hat man das geschafft? Eben mit DDT, unter Federführung der damaligen amerikanischen Besatzungsmacht. Nun zeige man mir einen einzigen DDT-geschädigten Italiener. Und wenn das nicht gelingt, dann schaue man sich noch einmal die Tausende afrikanischer Kinder unter fünf Jahren an, die täglich an der Malaria sterben.

Wenn ich diese Situation in Beziehung setze zur Politik internationaler Organisationen wie Weltbank, IWF, WHO etc., dazu die seit Kissingers NSSM 200 geltende bevölkerungspolitische Staatsdoktrin der USA, dann drängt sich der Verdacht förmlich auf, daß das derzeige Elend politisch gewollt ist.
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Uiuiui, mit Italien lehnst Du Dich jetzt viel zu weit aus dem Fenster, Robert. Das Prinzip damals war das der "bonifica", nicht das amerikanische der D.D.T.-Verwendung.
D.D.T. kann sehr gut bei geographisch eng begrenzten Räumen funktionieren, Cuba ist ein bekanntes Beispiel dafür. Auch in Spanien hat es eine bedeutende Rolle gespielt.
Dass ein Insektizid verzichtbar wäre, würde ich nie behaupten, aber gerade Länder wie Spanien (daran schreibe ich ja gerade) und Italien (da haben es andere zuhauf getan) zeigen, dass die Überbetonung des D.D.T. alleine nicht reichen, sie boten noch ein viel mehr an Infrastruktur.
Brasilien oder Indonesien dagegen hatten sonst nicht viel, und die frühen Erfolge kehrten sich um.

Thema dieses Threads sollten jetzt nicht Detailfragen bei der Malariabekämpfung sein, ich will da nicht mit historischen Fakten erschlagen, die wohl auch viele langweilen, sondern die Feststellung und Hinterfragung, dass und warum für die Krankheiten der armen Welt so wenig Geld ausgegeben wird und warum es da wohl kaum politischen Willen zu gibt. Da kann Kissinger gut rein, Robert, bei dem sind wir d'accord.

Auch zu diesem Thema bietet Malaria ein Anschauungsbeispiel: die offizielle pharmakologische Einschätzung des Medikamentes der Pflanze Artemisia annua, ein in China bereits seit Jahrhunderten bekanntes Antimalariamedikament.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ralf hat geschrieben:»Uiuiui, mit Italien lehnst Du Dich jetzt viel zu weit aus dem Fenster, Robert. Das Prinzip damals war das der "bonifica", nicht das amerikanische der D.D.T.-Verwendung.«
Nein, Ralf, das ist so nicht richtig. Gewiß hat man in Italien der Malariaplage schon früh – bereits in der römischen Kaiserzeit – durch Trockenlegung (bonifica) der Fiebersümpfe Herr zu werden versucht. Mit wechselndem Erfolg wurde das über die Jahrhunderte hin immer wieder versucht, in großem Stil schließlich unter Mussolini.

Ein lobenswertes Unternehmen, das ohne Zweifel auch zum späteren Erfolg beigetragen hat. Dieser Erfolg aber, die Ausrottung der Malaria in Italien, wurde erst im Laufe der fünfziger Jahre durch ein großangelegtes DDT-Programm errungen, das seit 1948 lief. – Soviel zu Italien. Zu Spanien dagegen kann ich diesbezüglich gar nichts sagen: Da weiß ich nicht bloß weniger, sondern rundweg nichts. Wäre aber interessant.

Trotz aller Erfolge mit DDT ist mir schon klar, daß es keine hundertprozentige Lösung darstellt. Zumindest bei großflächigem Einsatz haben sich wohl resistente Mückenstämme entwickelt. Die Erfolge beim Sprüheinsatz in Gebäuden, Stallungen o.ä. – die mancherorts trotz des generellen Verbots noch vorgenommen werden – sind aber nach wie vor signifikant. Wo über lange Zeit kein DDT eingesetzt wurde, dürfte man auch kurzfristig nachhaltige Erfolge erzielen können, wenn man nur wieder zum DDT griffe.

Andere Maßnahmen müssen aber dazu kommen. Du kannst vielleicht besser beurteilen, ob man den Bacillus thuringiensis israeliticus (oder wie das Viech heißt) einsetzen kann, um punktuell DDT-resistenten Mückenstämmen den Garaus zu machen. Mir erscheint das auf den ersten Blick praktikabel.

Andere Maßnahmen bestehen im häuslichen Schutz der Menschen, was adäquate Ausstattung des Wohnraums vom Mosquito-Netz bis zur soliden Bausubstanz bedeutet. Und oft: überhaupt erst mal Wohnraum. Hier haben wir es sehr akut wieder mit der Armutsfrage zu tun.

Genauso wichtig ist schließlich die Therapie der Erkrankten, auch zur generellen Prävention. Das umfaßt die Forschung nach entsprechenden Mitteln ebenso wie die tatsächliche Anwendung der vorhandenen Mittel, also die medizinische Versorgung vor Ort. Wieder die Armutsfrage. – Aber in den medizinischen Details bist nun wirklich du der Spezialist, Ralf. Sag, zum Beispiel: Was hat es mit der Artemisia annua auf sich? Davon weiß ich nichts.

(Das DDT übrigens habe ich vor allem darum ins Spiel gebracht, weil sich an ihm recht klar zeigen läßt, welche politischen Interessen da welches Spiel getrieben haben. Dieselben Fäden werden nach wie vor gezogen. Wenn man etwas für die Menschen erreichen will, muß man auch wissen, mit welchem Gegner man es zu tun hat)
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

...
Forschungsprioritäten im Dienste von Medizin und Lifestyle

Von der Forschungsseite geschieht relativ wenig zur Bekämpfung der Krankheiten der Armut. Nur 1% aller neuen Medikamente, die zwischen 1975 und 1997 auf den Markt kamen, wurden spezifisch für die Krankheiten entwickelt, unter deren Last die Dritte Welt sich beugt und quält. In Zahlen, weniger als 10 von 1223 Präparaten!
Selbstverständlich helfen auch die übrigen 1215 Medikamente, menschliches Leiden zu mindern oder einen vorzeitigen Tod zu verhindern, aber man muss schon genauer hinsehen, was ihre Indikationen betrifft. Die Forschungsprioritäten in der Medizin beziehen sich trendmäßig immer weniger auf die Fragen von Leiden und tödlichen Bedrohungen und zunehmend auf die Entwicklung sogenannter Lifestyle- und Performance-Präparate, wie Viagra, Xenical, Propecia, Vaniqa und Botox. Dies sind sehr teure verschreibungspflichtige Heilmittel, die die Männer eines Tages von den Geißeln der erektilen Dysfunktion, des Übergewichts und der Kahlköpfigkeit sowie die Frauen von unerwünschten Härchen oder Falten im Gesicht befreien sollen. Zu den Lifestyle-Präparaten könnte man auch die Medikamente zur Bekämpfung der Leiden der companion animals zählen, der Tierkameraden des Menschen. Beispiele sind das Chlomicalm gegen Trennungsängste oder das Anipryl gegen die beginnende Vergesslichkeit bei Hunden.

Selbstverständlich will keiner von uns, dass Männer in irgendeiner Situation oder irgendeinem Lebensalter Potenzschwierigkeiten haben oder dass Frauen über 50 Krähenfüße oder Härchen im Gesicht bekommen, und niemand möchte einen vernachlässigten Hund leiden sehen, aber es ist doch symptomatisch für die Prioritäten der Medizin als Wissenschaft, wenn für Forschung und Entwicklung im Bereich Lifestyle und companion animals jeweils mehr als 500 Millionen Dollar im Jahr aufgewendet wird. Im Vergleich dazu kann man die Mittel der Forschungsförderung zur Bekämpfung und Behandlung von Großen Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Bronchopneumonie als quantités negligiables vergessen.
....

Quelle
Gruß Jürgen

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Ralf

Beitrag von Ralf »

Kurz zu Italien: die bonifica bedeutete, dass man die Malaria eher als sozialepidemiologisches Problem betrachtete: wo keine Armut, da keine Malaria. Das nebenbei.

Und zu Artemisia: vor einigen Jahrzehnten(!) fanden chinesische Wissenschaftler in alten Aufzeichnungen Hinweise auf ein Kraut, das bei Wechselfieber erfolgreich eingesetzt wurde. Es hat ungefähr fünfzehn Jahre gedauert, bis man dann sicher Artemisia annua als Heilpflanze präsentieren konnte. Als dann Amerikaner davon hörten und schroff und ungehobelt (wie man sie halt so kennt) die Ergebnisse der Forschungen forderten, zeigte man ihnen die kalte Schulter. Somit waren wieder fünfzehn Jahre Forschung fällig. Als man dann allerdings merkte, dass es sich im wahrsten Sinne des Wortes um eine Allerweltspflanze handelt (als erster Ort des Wildwuchses wurde nach einigem Suchen zufällig der Garten des Weißen Hauses gefunden), und somit auch kein großer finanzieller Reibach damit zu machen sei (kein Copyright auf die Pflanze sozusagen), wurde das Projekt Artemisia fallengelassen.

Jetzt wird in eingen afrikanischen Ländern (bspw. Uganda) eben ohne Unterstützung der Pharmaindustrie Artemisia angebaut. Ein Freund von mir hat es selbst in Brasilien bei Chloroquin-Resistenz (also bei bereits geghen billige Medikamente resistenten Parasiten) erfolgreich eingesetzt. Er überlegt nun, über die Nord-Süd-Problematik im Pharmabereich zu promovieren und es an dieser Pflanze exemplarisch darzustellen.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Danke für die Information zur Artemisia. Klingt interessant.
Ralf hat geschrieben:»Kurz zu Italien: die bonifica bedeutete, dass man die Malaria eher als sozialepidemiologisches Problem betrachtete: wo keine Armut, da keine Malaria. Das nebenbei.«
Das italienische Wort bonifica ist ein konkret auf Böden bezogener terminus technicus, der deren Urbarmachung oder – im Falle von Sümpfen – Trockenlegung bedeutet (wörtlich: „Gutmachung“).
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Weil's auch zu diesem Thema passt:
Alle zehn Sekunden ein Aids-Toter in Afrika
Informationsveranstaltung zur bistumsweiten Aidskampagne in Lebach

Lebach/Saarbrücken – Alle zehn Sekunden stirbt in Afrika ein Mensch an Aids. Alle sechs Sekunden gibt es eine HIV-Neuinfektion. Mit diesen drastischen Zahlen illustriert der Arzt und Priester Dr. Ludwig Peschen die Aids-Lage in Afrika. Der langjährige Leiter eines Aids-Zentrums im Bistum Bujumbura in Burundi war am 1. März nach Lebach gekommen um das Anliegen der aktuellen Aids-Kampagne im Bistum Trier vorzustellen. Rund 20 Frauen und Männer aus saarländischen Pfarrgemeinden informierten sich über die dramatische Problemlage und die Möglichkeiten einer solidarischen Unterstützung für die Menschen in Afrika.

Pater Peschen hatte noch weitere aufrüttelnde Zahlen für seine Zuhörer: waren es 1999 noch 34,3 Millionen HIV-Positive in Afrika, so wuchs deren Zahl bis zum vergangenen Jahr auf 40,8 Millionen. Die derzeitige Zuwachsrate liege bei 15 Prozent. Völlig anders als in Europa oder Nordamerika seien die Übertragungswege. In Afrika werde das Virus zu 87 Prozent über heterosexuellen Kontakt, zu zehn Prozent von der Mutter zu ihrem Kind, zu zwei Prozent über Bluttransfusion und zu einem Prozent in Begleitung von Drogenkonsum übertragen. Homosexuelle Übertragung spiele keine Rolle, sagte Peschen und verwies darauf, dass Afrika bei nur 10 Prozent Anteil an der Weltbevölkerung 70 Prozent der HIV-Positiven stelle. Problematisch und tödlich sei nicht nur die Krankheit sondern auch die damit einhergehende strukturelle Ungerechtigkeit. So verfügten die Aids-Kranken etwa in Europa über wirksame Medikamente mit der Folge, dass es relativ wenig Tote gebe. In Afrika gebe es viele Kranke und Tote und nur ganz wenig Menschen erhielten Medikamente, weil diese viel zu teuer seien. Die Ausbreitung von Aids werde durch den an vielen Stellen herrschenden Krieg und das damit verbundene Leben von Tausenden Flüchtlingen in Lagern beschleunigt. Dazu funktioniere das Gesundheitssystem oft nicht. Die am schwersten zu bekämpfende Ursache für die Ausbreitung sei jedoch der überall herrschende Fatalismus. „Warum soll ich mich heute schützen, wenn ich schon morgen durch eine Kugel sterbe. Da will ich heute noch was vom Leben haben“. So könne man die Haltung vieler Menschen treffend beschreiben. In dieser Situation zu helfen sei vor allem eine Sache des Hinhörens auf die Probleme und die Lage der Menschen. Die medizinische Versorgung und Betreuung müsse hergestellt und eine Therapie unter Armutsbedingungen aufgebaut werden. Die Betroffenen müssten Gelegenheit zum Austausch und zum Aufbau von Selbsthilfe erhalten. Dazu brauche es zusätzlich die Beschaffung von Arbeit für Gesunde und Kranke. Das solche Programme Erfolg zeigen , sehe man an Uganda. In diesem Land habe die Masseninfektion auf dem Kontinent ihren ersten Höhepunkt erlebt. Nach vielen planvollen Maßnahmen sei das Land heute weit weniger betroffen als andere.

Pater Peschen und Werner Schmitz vom missio-Referat des Bistums Trier luden in Lebach zum Mitmachen bei der Aids-Kampagne im Bistum Trier ein. Ein bistumsweites Aktionsbündnis will dabei unter anderem mit Unterschriften Einfluss nehmen, dass die Bundesrepublik sich angemessen an einer Aids-Bekämpfung in Afrika beteiligt und die Pharma-Industrie Medikamente billiger zur Verfügung stellt.

Informationen zum Aktionsbündnis gegen Aids in Afrika gibt es unter Telefon 0651/71 05-597 oder im Internet unter www.aidskampagne-trier.de

Quelle: e-Mail-Newsletter der Diözese Trier
Gruß Jürgen

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Edi
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Registriert: Montag 12. Januar 2004, 18:16

Beitrag von Edi »

Die EU z.B. finanziert einiges an teilweise unabhängiger Forschung, was bisher aber kaum in die Praxis durchdringt.

Siehe

www.flair-flow.com bzw. www.flair-flow.de

Da muss man nur ein bisschen blättern unter Publikationen.

Hier mal ein Beispiel über Probiotika, die inzwischen bei Tieren mit Erfolg schon im grösseren Stil als Nahrungszusatz eingesetzt werden. Ein Bekannter von mir, der Puten aufzieht, hat dies auf mein Betreiben auch getan und sogar mit damals noch unerlaubten Enterokokken. Heute sind sie, da offiziell geprüft, zulässig.

http://www.flair-flow.de/Onepagers/hp25.html

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