Das Soziale neu denken Für eine langfristig angelegte Reform

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otto
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Das Soziale neu denken Für eine langfristig angelegte Reform

Beitrag von otto »

Die deutschen Bischöfe –
Kommission für gesellschaftliche und soziale
Fragen

Der gesamte Text als pdf.Datei http://dbk.de/

Inhalt

Das Soziale neu denken ..................................................................... 7
1. Der Sozialstaat im Reformstau ..................................................... 8
2. Reformnotwendigkeiten heute .................................................... 10
3. Barrieren für langfristig angelegte Reformen ............................. 12
3.1 Korporatismus und Dominanz von Partikularinteressen ..... 12
3.2 Die Verengung der Sozialpolitik auf Verteilungspolitik ..... 13
3.3 Die Entwicklung des Föderalismus ..................................... 14
3.4 Es mangelt an Institutionen, die den Blick auf das Ganze
und auf eine nachhaltige, zukunftsorientierte Politik richten 15
4. Grundorientierungen für Reformen ............................................ 18
4.1 Es geht um die Menschen, besonders die Ausgeschlossenen 18
4.2 Subsidiarität und Solidarität als Leitbilder .......................... 19
4.3 Für eine integrale soziale Politik ......................................... 21
5. Konkretisierende Impulse ........................................................... 22
5.1 Nachwuchsförderung als vorrangige Aufgabe
einer integralen Sozialpolitik verankern .............................. 22
5.2 Reformen möglich machen .................................................. 24
6. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik! ............................. 27
"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Matthäus 16,24

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otto
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Who is who oder wer ist wer?

Beitrag von otto »

Auswahl* beruht aus dem Pressestatement des Vorsitzenden der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Josef Homeyer

Die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen hat einige Persönlichkeiten, die der Öffentlichkeit als herausragende Experten bekannt sind, um ihre Mitwirkung gebeten. Insbesondere sind hier zu nennen: Dr. Warnfried Dettling, Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann, Prof. Dr. Paul Kirchhof, Prof. Dr. Hans Tietmeyer, Prof. Dr. Hans F. Zacher. Ihnen und allen, die am Zustandekommen mitgewirkt haben, gilt unser herzlicher Dank.

Quelle www.dbk.de

Prof. Dr. Paul Kirchhof

Prof. Dr. Hans Tietmeyer

Prof. Dr. Hans F. Zacher
Harnack-Medaille für Hans F. Zacher

Dr. Franz-Xaver Kaufmann

Dr. Warnfried Dettling

* Das ist eine Auswahl der Personen und ohne Gewähr Infos von Google, Namensgleichheit möglich.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Weil ich diesen Strang übersehen hatte, habe ich andernorts einen neuen eröffnet. Ich habe ihn wieder gesperrt und bringe hier noch einmal meinen dortigen Eröffnungsbeitrag.
Ketelhohn hat geschrieben:»Unter dem Titel: »Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik« hat die Deutsche Bischofskonferenz sich zu aktuellen Fragen der Sozialpolitik geäußert. Das bekannte Motto: »Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß«, mit welchem man schon früher gescheitert war und sich als inkompetent erwiesen hatte, scheint zwar stellenweise noch durch. Insgesamt hat man sich nun aber dazu durchgerungen, das Waschen neu zu denken. Nur wenn der Pelz nachhaltig durchnäßt sei, könne eine immerhin neue Art Sauberkeit noch gewahrt werden.

Ein Zeugnis geballter Anmaßung und Inkompetenz.«
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otto
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Beitrag von otto »

Gehe ich recht in der Annahme dass der „Impulstext:Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik" der deutschen katholischen Bischöfe, den meisten Christen im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen hat?

Wenn nein, dann widersprecht mir.

Ich denke die Bischöfe sind mit den "Impulstext" auf Linie der Politik, aber nicht im Geiste des Evangeliums des Jesus von Nazareth, den Sohn des des Zimmermanns Josefs und seiner Mutter Maria.

...
6 Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft,
7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.
...

Ich wünsche den dt. Bischöfen ein frohes und besinnliches Weihnachten.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Otto, dein Evangelienzitat birgt ein wenig die Gefahr, zu einer unguten Vermengung der staatlichen Sphäre mit jener Verheißung beizutragen, die die Gläubigen in der Kirche empfangen. Die Gestalt dieser Welt vergeht. Aber der Staat soll Frieden und Recht fördern – irdischen Frieden und irdischen Recht – und die Wohlfahrt seiner Bürger. Die herrschende Poltik tut leider das Gegenteil, gegen den gesunden Menschenverstand und gegen jeden natürlichen Anstand. Daß bischöfliche Kommissionen dem Vorschub leisten, das finde ich skandalös. Das vermag auch Dummheit nur sehr begrenzt zu entschuldigen.
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anselm
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Beitrag von anselm »

Ketelhohn hat geschrieben:..... Aber der Staat soll Frieden und Recht fördern – irdischen Frieden und irdischen Recht – und die Wohlfahrt seiner Bürger. Die herrschende Poltik tut leider das Gegenteil, gegen den gesunden Menschenverstand und gegen jeden natürlichen Anstand. Daß bischöfliche Kommissionen dem Vorschub leisten, das finde ich skandalös. Das vermag auch Dummheit nur sehr begrenzt zu entschuldigen.
Solchen seltsamen Pauschalverurteilungen kann ich wirklich nichts abgewinnen. Besser wäre eine differenzierte und konkrete Auseinandersetzung. Wenn das nicht geht (oder nicht gewollt ist), dann besser gar keinen Kommentar abgeben (jedenfalls keinen, der ohne erkennbare Analyse eine so dezidierte Meinung abgibt, noch dazu eine falsche!)

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otto
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Beitrag von otto »

anselm hat geschrieben: Solchen seltsamen Pauschalverurteilungen kann ich wirklich nichts abgewinnen. Besser wäre eine differenzierte und konkrete Auseinandersetzung. Wenn das nicht geht (oder nicht gewollt ist), dann besser gar keinen Kommentar abgeben (jedenfalls keinen, der ohne erkennbare Analyse eine so dezidierte Meinung abgibt, noch dazu eine falsche!)
@Anselm DU bist der Meinung dass die Sicht von Robert eine Pauschalverurteilung ist, die er ohne jede erkennbare Analyse abgibt? Die nach DEINEN Endfinden sehr dezidiert und falsch ist?

Nun gut, das wäre dann DEINE Sicht.

Aber wo ist DEINE differenzierte und konkrete Auseinandersetzung mit den „Impulstext...“ der Bischöflichen Kommission der dann im Namen der Deutschen Bischofskonferenz als „Impulstext...“ der katholischen deutschen Bischöfe veröffentlicht wurde?

Oder willst DU dich damit nicht auseinander setzen, und daher dazu keinen Kommentar abgeben?

Nun gut das ist DEIN Recht.

Aber wenn DU dich mit dem Text objektiv, und sehr intensiv auseinander setzt, nur dann kannst Du die Sicht anderer auf diesen „Impulstext...“ verstehen, und somit steht Dir auch nur in diesen Fall eine Bewertung der Meinung anderer zu diesem „Impulstext...“ zu.
Ich bin allerdings der Meinung dass DU den „Impulstext...“ weder von den Worten, noch von dem aussagenden Sinn her verstanden hast. Ich denke du hast DIR nicht einmal die Mühe des Lesens angetan.

Denn die Sicht von Robert, kann – wie ich denke - in einzelnen Passagen des Textes durchaus entstehen, ich würde hier allerdings weniger Dummheit, als größtmöglicher Anpassung an den politischen Willen der Mächtigen, gepaart mit grenzenloser Naivität sehen.

Aber das ist meine Meinung

Gruß Otto
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anselm
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Beitrag von anselm »

otto hat geschrieben:Ich bin allerdings der Meinung dass DU den „Impulstext...“ weder von den Worten, noch von dem aussagenden Sinn her verstanden hast. Ich denke du hast DIR nicht einmal die Mühe des Lesens angetan.
Arbeitest du immer mit solchen aus der Luft gegriffenen Unterstellungen?
Hast du schon mal etwas von fairer Argumentation gehört? Deine Angriffe gehören jedenfalls in die Kategorie der "ad hominem"-Argumente, die sicherlich jeder beherrscht, der bewusst unfair "argumentieren" will.

anselm
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Beitrag von anselm »

Der Text der Erklärung der Bischofskonferenz entspricht im Wesentlichen dem derzeitigen wirtschaftspolitischen Mainstream. Allerdings ist vieles, was wünschenswert wäre, in der "richtigen" Politik noch immer nicht angekommen, dh, noch nicht umgesetzt oder beschlossen worden. Eigentlich finde ich es seltsam, dass sich die Kirche in diese Diskussion auf diese Weise einmischt, aber es ist eindeutig eine Unterstützung für die Reformfreudigen und daher kann ich es auch nicht schlecht finden 8)

Der einzige Punkt, den ich aus ökonomischer Sicht nicht richtig finde, ist der Versuch, die Bevölkerung über Förderung von Nachwuchs aufrecht erhalten zu wollen. Einwanderung würde das gleiche auch bewirken, ausserdem muss die deutsche Wirtschaft nicht unbedingt sehr stark wachsen, da man Kapital auch im Ausland (in schneller wachsenden Ökonomien) anlegen kann. Daher ist dies für die Sicherung z.B. der Altersvorsorge nicht unbedingt wichtig. Auf diese Weise würde man sich die "Kinder" sozusagen importieren.

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otto
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Beitrag von otto »

anselm hat geschrieben:Arbeitest du immer mit solchen aus der Luft gegriffenen Unterstellungen?
Hast du schon mal etwas von fairer Argumentation gehört? Deine Angriffe gehören jedenfalls in die Kategorie der "ad hominem"-Argumente, die sicherlich jeder beherrscht, der bewusst unfair "argumentieren" will.
Hallo anselm

Wieso sollte ich mit aus der Luft gegriffenen Unterstellungen arbeiten?

Wie schrieb ich? Also sehen wir nach.

Ah ja "Ich bin allerdings der Meinung... " diese Worte leiten eine Meinungsäußerung ein, und keine Unterstellung.

Gut der Fall wäre aufgeklärt.

Jetzt zur Fairniss.
anselm hat geschrieben:...besser gar keinen Kommentar abgeben
(jedenfalls keinen, der ohne erkennbare Analyse eine so dezidierte Meinung abgibt, noch dazu eine falsche!)
anselm, ich bin der Meinung, diese Formulierung ist nicht besonders fair, oder?
anselm hat geschrieben:Deine Angriffe gehören jedenfalls in die Kategorie der "ad hominem"-Argumente, die sicherlich jeder beherrscht, der bewusst unfair "argumentieren" will.
Aber besonders unfair finde ich, das Du anselm mir unterstellst das ich bewusst unfair "argumentieren" will. Das wiederum ist nun eine unfaire Unterstellung deiner seit’ s.

Gut die Stil Fragen wären geklärt



Zur Sache:
anselm hat geschrieben: Der einzige Punkt, den ich aus ökonomischer Sicht nicht richtig finde, ist der Versuch, die Bevölkerung über Förderung von Nachwuchs aufrechterhalten zu wollen.
Ah ja, deine Sicht ist also mehr die ökonomische und weniger die christliche?

Ja aus ökonomischer Sicht mag vieles so sein wie es geschrieben wurde,
aber die Sicht der dt. katholischen Bischöfe und ihrer Kommissionen muss, nach meinem Endfinden eine christliche sein. In dieser würde auch der Versuch, die Bevölkerung über Förderung von Nachwuchs aufrecht zu erhalten, Platz finden. Aber manches andere nicht, selbst wenn es den ökonomischer Interessen der Wirtschaft zuwider laufen würde, hätte die christliche Sicht bei weitem mehr Gewicht finden müssen.

Gruß Otto
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Anselm hat geschrieben:»Der Text der Erklärung der Bischofskonferenz entspricht im Wesentlichen dem derzeitigen wirtschaftspolitischen Mainstream … es ist eindeutig eine Unterstützung für die Reformfreudigen«
Anselm, genau darum habe ich den Text als dumm und die Autoren als inkompetent bezeichnet. Von dieser Art von Reformen à la Thatcher profitieren langfristig nicht einmal die Geier, die sich kurzfristig davon Beute versprechen. Das kannst du in England mit seiner zerrütteten Infrastruktur sehr schön beobachten. Nein, gar nicht schön.
Anselm hat geschrieben:»… und daher kann ich es auch nicht schlecht finden…«
Das unterscheidet uns. Und zwar grundsätzlich. Die gegenwärtig (und im Prinzip schon seit den sechziger Jahren) vorherrschende Denkrichtung der Wirtschaftspolitik ist bereits im Ansatz falsch. Die Maximen des „Einsparens“ und der Austerität zerrütten die Volkswirtschaften. Der Weg aus dem Schlamassel führt nicht übers Sparen.

Es geht auch nicht darum, einen vorhandenen „Kuchen“ anders und womöglich besser zu verteilen, sondern daß tatsächlich mehr geschafft, mehr geleistet, mehr erwirtschaftet und mehr und besser und Neues produziert wird. Dafür muß der Staat die Rahmenbedingungen schaffen, denn von allein entstehen sie nicht. „Unsichtbare Hände“ greifen den Menschen auch stets bloß in die Tasche, um sich die eigenen zu füllen. Das Gemeinwohl ist ihnen nicht bloß egal, sie schaden ihm faktisch, und zwar ausschließlich.

Es bedarf also staatlicher Wirtschaftslenkung – das meine ich mit dem Schaffen der Rahmenbedingungen –, zinsgünstiger, langfristiger, staatlich garantierter Kredite in zukunftsträchtige Wirtschaftszweige, in Forschung und Infrastruktur. Dafür freilich braucht man echte Nationalbanken, zumindest aber hinreichend ausgestattete „Kreditanstalten für den Wiederaufbau“ und jedenfalls keine vermeintlich unabhängigen Zentralbanken, deren Fäden unsichtbare Hände ziehen, und keine Maastrichter Knebelverträge.

Zudem muß der Staat kontrazyklisch agieren; in der Flaute heißt die Devise: »Investieren!« Die Buchhalter vom Schlage Waischel und Eischel tun das Gegenteil und reißen uns damit in die Krise immer tiefer hinein. Ein auf die beschriebene Weise angeregter Wirtschaftsaufschwung dagegen verschlechtert nicht die Arbeitsbedingungen, er verbessert sie, mehrt das Volksvermögen und damit den allgemeinen Wohlstand.

Nebenbei bemerkt hat der Markt beachtliche Ähnlichkeit mit der Evolution. Beide gibt es, doch wehe, wenn sie losgelassen! Denn allein zerstören sie. Sie bedürfen der lenkenden Hand, des äußeren Eingriffs.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Otto hat geschrieben:»Ah ja, deine Sicht ist also mehr die ökonomische und weniger die christliche? Ja aus ökonomischer Sicht mag vieles so sein wie es geschrieben wurde …«
Nein, Otto: Das ist auch, ja zuerst und vor allem ökonomischer Unfug.
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anselm
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Beitrag von anselm »

otto hat geschrieben:Ah ja, deine Sicht ist also mehr die ökonomische und weniger die christliche?
Ja aus ökonomischer Sicht mag vieles so sein wie es geschrieben wurde,
aber die Sicht der dt. katholischen Bischöfe und ihrer Kommissionen muss, nach meinem Endfinden eine christliche sein. In dieser würde auch der Versuch, die Bevölkerung über Förderung von Nachwuchs aufrecht zu erhalten, Platz finden. Aber manches andere nicht, selbst wenn es den ökonomischer Interessen der Wirtschaft zuwider laufen würde, hätte die christliche Sicht bei weitem mehr Gewicht finden müssen.
Gruß Otto
@otto, es mag viele gute Gründe für die Förderung von Familie und Kinder sowie zur Steigerung der zukünftigen Geburtenzahlen geben. Die ökonomischen Gründe sind zumindest aber umstritten und zweifelhaft (z.Bsp. dass ältere Menschen weniger produktiv und innovativ wären und deshalb das Wachstum einer älteren Gesellschaft niedriger sein müsste).

Ich sehe in dem Schreiben der Bischofskonferenz durchaus den interessanten (und gar nicht so seltenen) Fall, dass christlich orientierte Politik und gute Wirtschaftspolitik in der Regel keinen Widerspruch darstellen.
Zuletzt geändert von anselm am Freitag 19. Dezember 2003, 09:48, insgesamt 1-mal geändert.

anselm
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Beitrag von anselm »

Ketelhohn hat geschrieben:Anselm, genau darum habe ich den Text als dumm und die Autoren als inkompetent bezeichnet. Von dieser Art von Reformen à la Thatcher profitieren langfristig nicht einmal die Geier, die sich kurzfristig davon Beute versprechen. Das kannst du in England mit seiner zerrütteten Infrastruktur sehr schön beobachten. Nein, gar nicht schön.
Na ja, das kann man aber auch anders sehen. Wenn z.B. ein Krankenhaus in eine GmbH überführt wird und mehr Gestaltungsspielräume erhält bei umfassender Budgetverantwortung, dann kann und sollte das Ergebnis eine deutliche Effizienzsteigerung sein. Also - gleiche Gesundheitsleistungen mit weniger Geld finanziert - oder - mehr Leistungen (verbesserte Analysegerät, ...) mit dem gleichen Geld. "Thatcher" wäre allerdings in vielen Bereichen der öffentl. Infrastruktur (z.B. Bahn) eine unschöne Perspektive.
Ketelhohn hat geschrieben: sondern daß tatsächlich mehr geschafft, mehr geleistet, mehr erwirtschaftet und mehr und besser und Neues produziert wird. Dafür muß der Staat die Rahmenbedingungen schaffen, denn von allein entstehen sie nicht. „Unsichtbare Hände“ greifen den Menschen auch stets bloß in die Tasche, um sich die eigenen zu füllen. Das Gemeinwohl ist ihnen nicht bloß egal, sie schaden ihm faktisch, und zwar ausschließlich.
In der Erklärung steht z.B. dass die Verantwortung mehr auf die Einzelnen gelegt werden soll. Wenn mehr Geschaffen werden soll, dann ist das aus meiner Sicht mehr eine Frage der Arbeitsethik und der persönlichen Einstellung zu Leistung, weniger ein Staatsproblem (jedenfalls in unseren Breiten mit einer ziemlich guten öffentl. Infrastruktur)
Ketelhohn hat geschrieben: Es bedarf also staatlicher Wirtschaftslenkung – das meine ich mit dem Schaffen der Rahmenbedingungen –, zinsgünstiger, langfristiger, staatlich garantierter Kredite in zukunftsträchtige Wirtschaftszweige, in Forschung und Infrastruktur. Dafür freilich braucht man echte Nationalbanken, zumindest aber hinreichend ausgestattete „Kreditanstalten für den Wiederaufbau“ und jedenfalls keine vermeintlich unabhängigen Zentralbanken, deren Fäden unsichtbare Hände ziehen, und keine Maastrichter Knebelverträge.
Einspruch! Der Staat kann das gar nicht richtig machen: denn der Staat kennt die neuen zukunftsträchtigen Wirtschaftszweige nicht.
Ausserdem gibt es hierzulande z.B. mehr Venture Capital als Firmen, die es sinnvoll verwenden können. Am Geld mangelt es in diesem Bereich nicht, sondern an den Unternehmern und den Ideen.
Ketelhohn hat geschrieben: Zudem muß der Staat kontrazyklisch agieren; in der Flaute heißt die Devise: »Investieren!« Die Buchhalter vom Schlage Waischel und Eischel tun das Gegenteil und reißen uns damit in die Krise immer tiefer hinein. Ein auf die beschriebene Weise angeregter Wirtschaftsaufschwung dagegen verschlechtert nicht die Arbeitsbedingungen, er verbessert sie, mehrt das Volksvermögen und damit den allgemeinen Wohlstand.
Ja, richtig, aber der Maastricht / Amsterdam -Vertrag ist hinreichend flexibel.

Ich bin völlig einverstanden, wenn du meinst, dass der Markt alleine (ohne ausreichende Regulierung) Unheil produziert bzw. erst gar nicht funktioniert, weil der Rahmen (Gesetze, ...) fehlt. Aber das ist nun wirklich nicht meine Wahrnehmung der Welt, in der wir leben (ok, in manchen afrikanischen Staaten mag das anders ein, oder auch in manchen osteuropäischen Staaten).

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otto
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Beitrag von otto »

anselm hat geschrieben: Ich sehe in dem Schreiben der Bischofskonferenz durchaus den interessanten (und gar nicht so seltenen) Fall, dass christlich orientierte Politik und gute Wirtschaftspolitik in der Regel keinen Widerspruch darstellen.
Ja anselm da fehlt ein Wörtchen

Ich sehe in dem Schreiben der Bischofskonferenz durchaus den interessanten (und gar nicht so seltenen) Fall, dass christlich orientierte Politik und gute Wirtschaftspolitik in der Regel keinen Widerspruch darstellen dürfen.

So ist es wohl aus ökonomischer Sicht korrekt auf Linie.
anselm hat geschrieben:Na ja, das kann man aber auch anders sehen. Wenn z.B. ein Krankenhaus in eine GmbH überführt wird und mehr Gestaltungsspielräume erhält bei umfassender Budgetverantwortung, dann kann und sollte das Ergebnis eine deutliche Effizienzsteigerung sein. Also - gleiche Gesundheitsleistungen mit weniger Geld finanziert - oder - mehr Leistungen (verbesserte Analysegerät, ...) mit dem gleichen Geld.
@Anselm es wurde seit altesher, nie ein Krankenhaus gegründet um damit Profit zu erzielen, Krankenhäuser wurden immer für die Kranken gegründet.

Heute sollen Krankenhäuser kosten Einsparen, das geht natürlich auf kosten der Kranken. Sei es das an Pflegepersonal gespart wird, oder an Therapiekosten oder an der Ausstattung eingesparrt wird.

Aber für einen Christen muss der Kranke oberste Priorität haben.

Oder darf bei uns nur der Reiche gesund sein, und der Arme muss seine Krankheit erleiden. Nein Christen müssen für den kranken Menschen eintreten, und dürfen nicht dafür eintreten das der Profit maximiert wird, denn das ist nicht die christliche Lehre.

Wie Robert schon schrieb, das ist zuerst und vor allem ökonomischer Unfug.
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anselm
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Beitrag von anselm »

otto hat geschrieben:@Anselm es wurde seit altesher, nie ein Krankenhaus gegründet um damit Profit zu erzielen, Krankenhäuser wurden immer für die Kranken gegründet. Heute sollen Krankenhäuser kosten Einsparen, das geht natürlich auf kosten der Kranken. Sei es das an Pflegepersonal gespart wird, oder an Therapiekosten oder an der Ausstattung eingesparrt wird.
Das ist nicht im Geringsten ein Widerspruch. Wenn durch effizienteres Wirtschaften mehr Geld vorhanden ist dann profitieren auch die Kranken davon. Fehlende Effizienz ist schlicht Geldverschwendung. Das nützt bestimmt niemanden. Außer vielleicht der Bürokratie, die dadurch immer mehr Personal einstellen kann. Und vielleicht auch den Chefs und leitenden Mitarbeitern von Krankenhäusern, weil sie bei fehlendem Effizienzdruck ein leichteres Leben haben. Dafür sind Krankenhäuser aber bestimmt nicht da.

Die Frage, über die sich viele streiten ist, war würde ohne Reform passieren? Einige glauben, dass dann erst Recht eine starke Rationierung von Gesundheitsleistungen eintreten würde. Ich halte deren Argumente für relativ plausibel. Meine wenigen (indirekten) Eindrücke (über Bekannte, die in Krankenhäusern arbeiten), zeigen, dass noch einiges an sinnvollem Rationalisierungspotenzial vorhanden ist. Wie weit man dabei gehen kann, muss natürlich im Einzelfall geklärt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass auch mal übertrieben wird.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Anselm hat geschrieben:»Na ja, das kann man aber auch anders sehen. Wenn z.B. ein Krankenhaus in eine GmbH überführt wird und mehr Gestaltungsspielräume erhält bei umfassender Budgetverantwortung, dann kann und sollte das Ergebnis eine deutliche Effizienzsteigerung sein.«
Betriebswirtschaftlich am effizientesten arbeitet ein Krankenhaus, wenn es sich um Kranke kümmert, mit denen es Gewinn machen kann: die also entsprechenbd zahlungskräftig (oder privatversichert) sind oder mit denen man teure Hochleistungsgeräte auslasten kann.

Gesetzlich Versicherte (von vornherein Arme bis hin zum Durchschnittsverdiener, Alte, Familien ab vier bis fünf Personen), die keine Hochleistungsmedizin benötigen, sondern normale Behandlung, Beobachtung, Pflege über einen Minimalzeitraum hinaus, die kosten bloß Geld, die bringen keinen Gewinn in die Kassen. Also werden sie nicht mehr behandelt (das ist längst auch bei uns Realität). Volkswirtschaftlich ist das Irrsinn – ganz abgesehen von der Unmenschlichkeit –, denn man entzieht der Gesellschaft so wertvolles Humankapital (ich gebrauche ganz bewußt diesen grauenhaften Begriff), man treibt Menschen in Armut und Krankheit und produziert so weitere Sozial- und Pflegefälle.

Anselm hat geschrieben:»"Thatcher" wäre allerdings in vielen Bereichen der öffentl. Infrastruktur (z.B. Bahn) eine unschöne Perspektive. «
Doch auf diesem Wege sind wir, Anselm, und die Verantwortlichen wissen das. Neben Britannien kannst du dir übrigens auch Amerika anschauen. Nimm die Elektizitätsversorgung in Kalifornien. Oder was weiß ich. In gänzlicher Lernresistenz haben unsere Politiker trotz der katastrophalen Vorbilder im angelsächsischen Raum, aber auch beispielshalber in Argentinien, die Elektizitätsversorgung an Privathaie verkauft, man privatisiert Verkehrswege, ja man verscherbelt gar die Trinkwasserversorgung. Allein dafür hätten sie verdient, auf dem Marktplatz zu baumeln.

In der Erklärung steht z.B. dass die Verantwortung mehr auf die Einzelnen gelegt werden soll. Wenn mehr Geschaffen werden soll, dann ist das aus meiner Sicht mehr eine Frage der Arbeitsethik und der persönlichen Einstellung zu Leistung, weniger ein Staatsproblem (jedenfalls in unseren Breiten mit einer ziemlich guten öffentl. Infrastruktur).
Abgesehen davon, daß auch bei unserer Infrastruktur längst der Verfall eingesetzt hat, gar nicht zu reden vom dringend erforderlichen Wechsel zu neuen, besseren Techniken (wie z. B. Transrapid) – abgesehen davon also, ist es völlig abstrus und völlig unchristlich (nämlich calvinistisch), wirtschaftlichen Erfolg zu einer Sache der „Ethik“ zu erklären. Kennst du nicht den Menschen?

Nein: Der Staat muß dirigieren, wenn das Ganze harmonisch zu allgemeiner Wohlfahrt zuusammenklingen soll. So war es in der Geschichte auch immer: Beim deutschen Wirtschaftswunder nach dem II. Weltkrieg, bei Friedrich Lists Zollverein, des Erschließung des amerikanischen Westens oder der deutschen Ostkolonisation des 12. und 13.. Jahrhunderts.

Anselm hat geschrieben:»Einspruch! Der Staat kann das gar nicht richtig machen: denn der Staat kennt die neuen zukunftsträchtigen Wirtschaftszweige nicht.«
Der Staat kennt so viel wie seine Führer. Da sieht es derzeit in der Tat mau aus. Darum schreibe ich ja hier zu dem Thema. Aber man darf kompetentere Leute fragen. Also, nur zu. Ich gebe gern Auskunft.
Anselm hat geschrieben:»Außerdem gibt es hierzulande z.B. mehr Venture Capital als Firmen, die es sinnvoll verwenden können. Am Geld mangelt es in diesem Bereich nicht, sondern an den Unternehmern und den Ideen.«
An Ideen mangelt es auch nicht. Wie gesagt, frag mich nur … Es fehlt an den Rahmenbedingungen, an einem investitionsfreundlichen Klima und an Finanzierungsmöglichkeiten. Dank Basel II wird es noch schlimmer, als es ohnehin schon ist. Und nicht zuletzt fehlt es an Schranken (gesetzlicher und steuerlicher Art), die dem vorhandenen Geld die Irrwege in unproduktive Spekulation und raubtierkapitalistische Ausschlachteprivatisierung verlegen.
Anselm hat geschrieben:»Aber das ist nun wirklich nicht meine Wahrnehmung der Welt, in der wir leben.«
Das war mir schon klar. Ein Wahrnehmungsproblem.
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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Ketelhohn hat geschrieben:Aber man darf kompetentere Leute fragen. Also, nur zu. Ich gebe gern Auskunft.
Pah! Sie fragen ja nicht einmal mich! Kein Wunder, dass es allüberall nur bergab geht.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt mach´s wie deine Brüder", so sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor."

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Guten Morgen,
passt vielleicht nicht haargenau zum Thema - aber ich krieg bei dieser Erklärung aus ganz anderen Gründen die Wut. Was z.Zt. in den meisten Einrichtungen christlicher Träger wirtschaftlich und menschlich passiert, ist dermaßen hanebüchen, unprofessionell und gegen jegliche christliche Orientierung, dass es zum Himmel stinkt. Alles unter dem Motto Rationalisierung, Verschlankung, Synergie etc. - wie wäre es, wenn die Herren Bischöfe sich mal um ihren Stall kümmern und den ausmisten als so abgehobene Reden zu schwingen?
Patienten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen profitieren null von all diesen Methoden, die wahllos aus der freien Marktwirtschaft abkupfert werden. Einsparen und dafür mehr Pflegepersonal einstellen? Ich lach mich krank. Auf welchem Planeten ist das passiert?
Gruß
Geronimo

Raphael

Beitrag von Raphael »

@ Ketelhohn

Deine Vorschläge hören sich sehr keynesianistisch an. Wer soll den am Ende für die Tilgung und die Zinsen der heute aufgenommenen Kredite „geradestehen“?

GsJC
Raphael

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sternchen
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Beitrag von sternchen »

Was gibt es zu den Impulstext der Kommission der Bischöfe zu sagen?

Das unselige „Pamphlet“ aus dem der blanke „Weltgeist“ spricht, schlägt jeden aufrechten Christen erbarmungslos vor den Kopf.

Und das zu einer Zeit, in der Tröstende Worte für die Armen und Schwachen bei weitem angebrachter gewesen wären.

Es scheint so als benötigte die Deutsche Kirche eine umfangreiche Erneuerung, die sich den Evangelium und Jesus zuwendet und dem „Weltgeist“ widersagt.

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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Raphael hat geschrieben:»Deine Vorschläge hören sich sehr keynesianistisch an. Wer soll denn am Ende für die Tilgung und die Zinsen der heute aufgenommenen Kredite „geradestehen“?«
Mit Keynes hat das nichts zu tun. Beim keynesianischen Modell geht es um die Erhöhung der Liquidität – auf wessen Kosten auch immer, üblicherweise durch Verschuldung an den Finanzmärkten –, weil man meint, man könne so „die Wirtschaft ankurbeln“. Auf demselben Denkmodell beruhen letztlich auch Greenspans immerwährende Zinssenkungen und Eichels Steuersenkungen. Allein das ganze ist eine Milchmädchenrechnung. Das hat noch nie irgendwo funxioniert.

Worum es mir geht, ist etwas anderes. Ich schlage das Listsche Modell vor. Der Staat selbst soll den Kredit ausgeben, durch eine entsprechende Institution wie eine Nationalbank oder »Kreditanstalt für Wiederaufbau«. Der Staat soll nicht Geld auf den Finanzmärkten aufnehmen, sondern den Kredit selbst schaffen.

Natürlich darf das Geld nicht sinnlos verpulvert werden. Es muß produktiv eingesetzt, also zielgerichtet in die produktive Wirtschaft gelenkt werden. Dann wirkt sich die damit verbundene Geldmengenvermehrung keineswegs – wie im keynesianischen Modell – inflationär aus, denn es werden konkrete Werte geschaffen, ja mehr als der bloße Gegenwert.

Alle können sehr schnell unmittelbar oder mittelbar davon profitieren. Und es ist ja nicht so, als wäre es ein Geheimnis, wohin man zu investieren hätte. Wir haben europaweit einen riesigen Nachholebedarf in der Infrastruktur, an Verkehrswegen zuerst, aber auch in der Energie- und Versorgungswirtschaft. Der seit Jahren oder fast einem Jahrzehnt auf Maastrichter Eis liegende Delors-Plan ist wiederzubeleben.

Das Wiederaufbauprogramm des italienischen Wirtschafts- und Finanzministers Giulio Tremonti ist ein erster Schritt. Leider aber wird das mehr zerredet worden – als wäre Schröders ausgefallener Italienurlaub wichtiger gewesen –, als daß man es in die Tat umsetzte. Weder Italien noch die iberische Halbinsel noch schon gar Ost- und Südosteuropa sind an die west- und zentraleuropäischen Sraßen- und Schienennetze angemessen angebunden. Die hiesigen Netze sind großenteils hoffnungslos überaltert. Wir brauchen ein neues Eisenbahnnetz auf Basis der Magnetschwebetechnik. Ebenso besteht bei den Wasserwegen dringender Handlungsbedarf. Hinzukommen große Brückenprojekte, wie etwa über die Straße von Messina.

Gewaltige Möglichkeiten: Wir müssen nur beginnen und die Monetaristen endlich zum Teufel jagen, Smith ebenso wie Keynes und Marx. Die ausgegebenen Kredite werden sich schnell rentieren. Längst vor der Tilgung durch das erhöhte Steueraufkommen, durch steigende Beschäftigung, sinkende Aufwendungen für Arbeitslose und Bedürftige, dafür aber stetig anschwellenden Zufluß an Beitragsmitteln in die Kassen der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Deine obige Frage, Raphael, beantwortet sich damit von selbst: Die Kreditnehmer selber werden ihre Kredite zurückzahlen. Langsam und ohne Mühe.
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anselm
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Beitrag von anselm »

Ketelhohn hat geschrieben:Mit Keynes hat das nichts zu tun. Beim keynesianischen Modell geht es um die Erhöhung der Liquidität – auf wessen Kosten auch immer, üblicherweise durch Verschuldung an den Finanzmärkten –, weil man meint, man könne so „die Wirtschaft ankurbeln“. Auf demselben Denkmodell beruhen letztlich auch Greenspans immerwährende Zinssenkungen und Eichels Steuersenkungen. Allein das ganze ist eine Milchmädchenrechnung. Das hat noch nie irgendwo funxioniert.
Doch, Steuersenkungen sind eine ökonomisch sinnvolle Politik und haben schon häufig die gewünschten Ergebnisse erbracht. Insbesondere in den USA.
Ketelhohn hat geschrieben: Worum es mir geht, ist etwas anderes. Ich schlage das Listsche Modell vor. Der Staat selbst soll den Kredit ausgeben, durch eine entsprechende Institution wie eine Nationalbank oder »Kreditanstalt für Wiederaufbau«. Der Staat soll nicht Geld auf den Finanzmärkten aufnehmen, sondern den Kredit selbst schaffen
Das heisst, du schlägst Steuererhöhungen vor.
Ketelhohn hat geschrieben:
Natürlich darf das Geld nicht sinnlos verpulvert werden. Es muß produktiv eingesetzt, also zielgerichtet in die produktive Wirtschaft gelenkt werden. Dann wirkt sich die damit verbundene Geldmengenvermehrung keineswegs – wie im keynesianischen Modell – inflationär aus, denn es werden konkrete Werte geschaffen, ja mehr als der bloße Gegenwert.

Der Staat ist ein schlechter Investor. Er weiss nichts besser als private Investoren. Interessantes Beispiel: die Politik von Stolpe als ehemaliger Ministerpräsident.

Aber wennn du es besser kannst, dann habe ich nichts dagegen: Ketelhohn for President. Aber ich glaub es noch nicht richtig.

Raphael

Beitrag von Raphael »

Das Problem der Geldschöpfung innerhalb von offenen Volkswirtschaften scheint mir deutlich komplizierter zu sein, als sich das die „Bürgeraktion Solidarität“ vorstellt: :shock:
1. Zunächst einmal wird mit der Geldschöpfung durch die Kreditausgabe der Zentralbank die umlaufende Geldmenge erhöht. Dieser erhöhten Geldmenge stehen aber (noch) keine realen Wirtschaftsgüter gegenüber. Mithin wird durch die großzügige Kreditausgabe eine Inflation, zumindest aber ein hohes Inflationsrisiko, geschaffen.
2. Die ausgegebenen Kredite werden nach dem Vorschlag der „Bürgeraktion Solidarität“ für Infrastrukturprojekte verwendet. Im weiteren Verlauf werden also die Kreditsummen in dreierlei Hinsicht verwendet/verbraucht:
a) Einkauf von Material zu Herstellung der Infrastruktur
b) Einkauf von Personaldienstleistungen, um die Infrastruktur zu erstellen
c) Gewinn der durchführenden Konsortien, denn diese werden – wie in jeder Marktwirtschaft üblich – ihren Anteil am „Projektkuchen“ verdienen wollen. ;)
Mit anderen Worten: Tatsächlich nachfragewirksam werden nur Anteile der Kreditbeträge aus den Buchstaben a) und b). Hierbei ist allerdings nicht gewährleistet, daß dieser Nachfrageschub den innereuropäischen Anbietern zugutekommt, es könnten genauso gut amerikanische oder japanische Projektentwickler den Zuschlag erhalten.
3. Die Projekte müssten jeweils einzeln nach marktwirtschaftlichen Kriterien konzipiert werden, d.h. aus den Umsätzen, die mit ihnen gemacht werden, werden Zins, Tilgung und Betriebskosten bezahlt. Eine zusätzliche Belastung der sonstigen öffentlichen Haushalte mit Zins- und Tilgungszahlungen erscheint angesichts der bereits desolaten Lage nicht finanzierbar. Bei den öffentlichen Haushalten (Bund, Länder und Gemeinden) scheint es vielmehr nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der „credit crunch“ offensichtlich wird.
4. Es müsste geklärt werden, wie die neuen Eigenmittel der Zentralbank beschafft werden, denn diese neuen Kreditforderungen der Zentralbank aus der freihändigen Kreditvergabe müssen mit Eigenmitteln unterlegt sein.
Außerdem wäre die Frage des Ausfallrisikos abzuklären. Diese ist angesichts der nicht unerheblichen Summen ebenfalls von eminenter Bedeutung.

Insgesamt erscheint mir das Konzept von dem „New Deal“ des F. D. Roosevelt abgekupfert:
Der „New Deal“ war ein umfassender sozialer Plan in den USA, die im Gefolge der Weltwirtschaftskrise hereinbrechende Not zu beseitigen. Dieses Ziel wurde allerdings erst durch Aufnahme der Kriegsrüstung 1939 endgültig erreicht. Es handelt sich beim New Deal um den Auf- und Ausbau einer Wirtschafts- und Sozialpolitik im Interesse bisher vernachlässigter Schichten. Das Programm war durch Experimentierfreudigkeit und großzügige Staatsausgaben charakterisiert. Einerseits wurden durch Anleihen und öffentliche Bauvorhaben der notleidenden Wirtschaft Finanzmittel zugeführt, Arbeitslose für staatliche Projekte eingesetzt (Tennessee Valley Authority, 1935) sowie Sanierungsmaßnahmen für die Landwirtschaft ergriffen. Andererseits wurden mit der New-Deal-Gesetzgebung (die nicht unumstritten war) Rechte der Gewerkschaften anerkannt und gesetzlich geregelt (WAGNER Act, 1935), das Börsen- und Bankensystem reorganisiert, Arbeits- und Betriebsverfassungen geschaffen sowie auf den Gebieten der Arbeitslosen- und Sozialversicherung und der öffentlichen Wohlfahrtspflege und Fürsorge einschneidende Veränderungen erlassen.
(Geigant, Sobotka, Westphal; Lexikon der Volkswirtschaftslehre)

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Anselm: Du hast meinen Vorschlag nicht verstanden (im Gegensatz zu Raphael, siehe oben). Von Steuererhöhungen habe ich keineswegs geredet. Gegen Steuersenkungen habe ich auch nichts, im Gegenteil. Aber die Voraussetzungen müssen stimmen. Dadurch in einer Depression die Wirtschaft anzukurbeln, das hat noch nirgends funktioniert. Insbesondere in den USA nicht – wer das glaubt, der hat ein reichlich gebrochenes Verhältnis zur Realität.

Raphael, jetzt bloß ein paar kurze Anmerkungen: Dem Inflationsrisiko ist gerade durch zielgerichtete Lenkung der auszugebenden Mittel gegenzusteuern. Dazu gehört die Zweckgebundenheit ebenso wie gewisse protektionistische Maßnahmen, die gewährleisten, daß die mittel primär der eigenen Volkswirtschaft zugute kommen.

Daß solche Kredite vernünftige (konservative) betriebswirtschaftliche Kalkulation voraussetzen, ist klar. Das gehört ebenso dazu. Unzureichende Beachtung dieser Bedingung und daraus folgend das Notleidendwerden mancher Kredite würde den Staat allerdings nicht mit zusätzlichen Schulden belasten – denn die Mittel werden ja nicht an den Finanzmärkten aufgenommen –, wohl aber würde dies der Inflation Vorschub leisten.

Die „Hinterlegung mit Eigenmitteln“ der Zentralbank scheint mir ein anderes, wenn auch nicht unwichtiges Problem zu sein. Ich würde seine Lösung nicht unbedingt als Voraussetzung des beschriebenen Modells produktiver Kreditvergabe sehen. Es geht aber eigentlich auch nicht um tatsächliche Deckung der umlaufenden Geldmenge durch Goldreserven oder dergleichen, sondern um den eigentlichen Zweck solcher Deckung: nämlich die Stabilität der Wechselkurse. Daran fehlt es heute – denn der Goldstandard ist längst tot, Bretton Woods ebenso –, mit katastrophalen Folgen für viele Volkswirtschaften.

Vielleicht muß man nicht unbedingt zum Goldstandard zurückkehren. Wilhelm Hankel hat vor einiger Zeit einen interessanten Vorschlag unterbreitet, der – knapp gesagt – darin besteht, anstatt auf Gold oder auf eine Leitwährung sich durch internationale Vereinbarungen auf eine künstliche Verechnungseinheit zu beziehen. Solange solche internationalen Vereinbarungen nicht zustandekommen, müssen die einzelnen Volkswirtschaften zu protektionistischen Maßnahmen greifen, gewisse Devisenkontrollen eingeschlossen.

Dein Hinweis, Raphael, auf den New Deal ist übrigens nicht verfehlt: Gewisse Parallelen bestehen in der Tat.
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anselm
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Beitrag von anselm »

Ketelhohn hat geschrieben:Du hast meinen Vorschlag nicht verstanden (im Gegensatz zu Raphael, siehe oben). Von Steuererhöhungen habe ich keineswegs geredet.
Dann erkläre mir mal bitte, wie der Staat etwas finanzieren soll, wenn er dies weder über Steuererhöhungen noch über Neuverschuldung macht? Ein e dritte Finanzierungsquelle hat der Staat nämlich nicht. (ausser vielleicht Geld zu drucken, was zum Glück bei uns schon lange nicht mehr geht).

Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass industriepolitische Maßnahmen, wie du sie hier vorschlägst, in aller Regel gescheitert sind. Zu Zeiten von List genauso wie heute.

Manches was du vorschlägst gibt es auch schon längst. In Deutschland gibt es eine funktionierende Förderung junger innovativer Unternehmen durch den Staat. ABer wie schon weiter oben geschrieben: Geld scheint genug da zu sein, der Markt leidet derzeit nicht an zu wenig Kapital.

Die Forderung nach mehr Währungsstabilität scheint mir auch sehr weit hergeholt zu sein. Mit dem Euro gibt es in Europa keine Wechselkurse mehr und es ist durchaus sinnvoll, dass es variable Wechselkurse zwischen USA, Japan und Europa gibt. Dem System von Bretton Woods würde ich nicht nachtrauern. Heutzutage würde es auch nicht mehr funktionieren (wg. der Kapitalmobilität) und eine weltweit einheitliche Währung würde die jetzt sichtbaren Schwächen des Euro (z.B: unterschiedlich hohe Realzinsen , wobei ausgerechnet die schwach wachsenden Länder wie D einen hohen Realzins aufweisen) auch noch auf die ganze Welt übertragen.

Stefan

Beitrag von Stefan »

anselm hat geschrieben: Manches was du vorschlägst gibt es auch schon längst. In Deutschland gibt es eine funktionierende Förderung junger innovativer Unternehmen durch den Staat. ABer wie schon weiter oben geschrieben: Geld scheint genug da zu sein, der Markt leidet derzeit nicht an zu wenig Kapital.
Ja, sehe ich genauso, anselm.
Die Zinsen befinden sich auf niedrigstem Niveau - es gibt Kapital in Hülle und Fülle. Die "Erbengeneration" benötigt keine Kredite.
Die jüngsten konjunkturellen Schwierigkeiten beruhen doch letztlich auf einem Überangebot an Kapital: Welches sich in immensen Kreditausfällen ausgewirkt hat, weil sich die "innovativen" Unternehmen gegenseitig das Wasser abgraben und eine Profitabilität eben nicht erreicht werden kann.

Die Ursache ist m.E. ein mentales (und dieses ist eben nicht mit staatspolitischen Maßnahmen zu lösen): Unternehmerisches Denken, welches nicht von verbrämten Beratungsmodellen oder schwärmerischem Marketing durchtränkt ist, sondern im Kern auf Bestand und Beschäftigung ausgelegt ist. Ein arbeitnehmerseitiges Ethos, welches nicht auf Rätemacht schielt, sondern sich mit dem unternehmerischen Ideal identifizieren kann.

Das Modell sind die Familienbetriebe, in denen Hand in Hand gearbeitet wird, auf ein gemeinsames Ziel hin. Und wo der größte Teil dessen, was heute als gerecht und sozial bezeichnet wird, durch den Fleiß und die Bescheidenheit eines Jeden um ein Vielfaches übertroffen wird.

Das geht ohne moralischen Unterbau nicht.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Anselm hat geschrieben:»Dann erkläre mir mal bitte, wie der Staat etwas finanzieren soll, wenn er dies weder über Steuererhöhungen noch über Neuverschuldung macht? Eine dritte Finanzierungsquelle hat der Staat nämlich nicht. (außer vielleicht Geld zu drucken, was zum Glück bei uns schon lange nicht mehr geht).«
Der Staat soll nicht wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen am Markt handeln, Anselm. Also weder Kredite aufnehmen, um die Mittel dann zu verteilen, noch zum selben Zweck die Einnahmen steigern, indem er sie aus wem auch immer herauspreßt. Die Währungshoheit, und damit die Schaffung von Geld und Kredit, sind eine originäre hoheitliche Aufgabe. Schluß darum mit dem betrügerischen Trick angeblich unabhängiger Zentralbanken, die der Kontrolle und Verfügung des Souveräns entzogen sind – damit auch der Ausrichtung auf das Gemeinwohl – und nur den Finanzinteressen einiger Mächtiger dienen, wenn sie ihnen nicht ohnehin ganz gehören, wie die Bank of England oder die Federal Reserve.

Also: Der souveräne Staat soll durch eine National- oder Entwicklungsbank, wie etwa die KfW, Kredit schaffen. Er vermehrt damit die Geldmenge, bewirkt jedoch keine Inflation, solange die ausgegebenen Mittel in produktiv-investive Bereiche gelenkt werden. Das ist etwas völlig anderes als Geld zu drucken mit dem Zweck, Liquidität ins System zu pumpen, die am Ende allenfalls komsumptiv verfrühstückt wird.

Anselm hat geschrieben:»Leider hat die Vergangenheit gezeigt, daß industriepolitische Maßnahmen, wie du sie hier vorschlägst, in aller Regel gescheitert sind. Zu Zeiten von List genauso wie heute.«
Das nenne ich Realitätsverlust. Das ist nachweislich falsch. Die Zollvereinspolitik bis hin zum wirtschaftlichen Aufschwung der „Gründerzeit“ war überaus erfolgreich. Ebenso die Erschließung des amerikanischen Westens, ebenso der deutsche Wiederaufbau unter Fritz Schäffer und Ludwig Erhardt. Dagegen steht das katastrophale Scheitern der heute herrschenden Rezepte, ob unter Brüning, Frau Thatcher, Clinton und Bush oder dem Gespann Kohl-Waigel-Breuel.
Anselm hat geschrieben:»Manches was du vorschlägst gibt es auch schon längst. In Deutschland gibt es eine funktionierende Förderung junger innovativer Unternehmen durch den Staat.«
Also, darf ich jetzt mal lachen?
Anselm hat geschrieben:»Aber wie schon weiter oben geschrieben: Geld scheint genug da zu sein, der Markt leidet derzeit nicht an zu wenig Kapital.«
Zunächst einmal ist die Kapitalexpansion der neunziger Jahre nur eine scheinbare. Durch überbordende Spekulation wurden die Buchwerte hochgeschraubt, ohne daß es auch nur einen Hauch realer Gegenwerte gegeben hätte. Ein beträchtlicher Teil dieses Scheinkapitals ist wieder vernichtet worden, doch – als wolle man ums Verrecken nichts lernen – bläht sich die Blase derzeit wieder auf. Nicht zuletzt infolge der Propaganda mit gefälschten Wirtschaftsdaten über die angeblich gute Verfassung der US-Wirtschaft.

Was nun an Kapital da ist oder zu sein scheint, stammt in der Regel aus Krediten, auf dem Markt mit Aussicht auf kurzfristigen, spekulativen Gewinn aufgenommen – und anders bekommt man kaum Kredit –, wobei die irreal aufgeblähten Buchwerte als Sicherheit dienen (was sie in Wahrheit nicht sind: man schaue sich die vielen gigantischen Pleiten an, wie Enron, Worldcom, United Airlines etc.).

Es handelt sich um destruktives Scheinkapital. Wozu wird es eingesetzt? Eben hat Kohlberg, Kravis & Roberts (KKR) MTU eingekauft. Diese Finanzgeier gehen in großem Stil so vor, ähnlich auch z. B. die Carlyle-Gruppe. Man kauft Firmen des Hochleistungstechnik-Sektors zu Ramschpreisen auf (wenn etwa der deren Mutter durch Fehlspekulationen notleidend geworden ist), preßt sie aus und verscherbelt am Ende den schrumpfköpfigen Rest wieder.

Übrigens ist das auch – um dies mal zwischenzuschieben – ein Fall für staatliches Eingreifen. Das gilt für die Aktivitäten der Raubtierkapitalisten wie KKR generell, aber im Falle MTU ganz besonders, da hier elementare Sicherheitsbelange berührt sind. Darum fordere ich, den Verkauf von MTU ans Ausland zu unterbinden, nötigenfalls durch Enteignung und Verstaatlichung.

Gelegentlich wird solches Scheinkapital übrigens auch eingesetzt, um mißliebig gewordene Regierungen auszutauschen. Zuletzt in Georgien geschehen, wo George Soros den Putsch finanziert hat.

Anselm hat geschrieben:»Die Forderung nach mehr Währungsstabilität scheint mir auch sehr weit hergeholt zu sein. Mit dem Euro gibt es in Europa keine Wechselkurse mehr und es ist durchaus sinnvoll, daß es variable Wechselkurse zwischen USA, Japan und Europa gibt.«
Stell dich mal in Argentinien auf die Straße und erzähl das da den Leuten. Viel Glück. – Hast du wirklich noch nicht gemerkt, in welchem Maß die Wechselkurs Schwankungen durch spekulative Geldverschiebungen bedingt sind und mit der Realwirtschaft nichts zu tun haben? Daß ein einziger Großspekulant ganze Volkswirtschaften in Schieflage bringen kann?
Anselm hat geschrieben:»Dem System von Bretton Woods würde ich nicht nachtrauern. Heutzutage würde es auch nicht mehr funktionieren (wg. der Kapitalmobilität)«
Der Mobilität des spekulativen (Schein-)Kapitals müssen wir in der Tat schleunig beikommen.
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Raphael

Beitrag von Raphael »

@ Ketelhohn
Ketelhohn hat geschrieben:Raphael, jetzt bloß ein paar kurze Anmerkungen: Dem Inflationsrisiko ist gerade durch zielgerichtete Lenkung der auszugebenden Mittel gegenzusteuern. Dazu gehört die Zweckgebundenheit ebenso wie gewisse protektionistische Maßnahmen, die gewährleisten, daß die mittel primär der eigenen Volkswirtschaft zugute kommen.

Daß solche Kredite vernünftige (konservative) betriebswirtschaftliche Kalkulation voraussetzen, ist klar. Das gehört ebenso dazu. Unzureichende Beachtung dieser Bedingung und daraus folgend das Notleidendwerden mancher Kredite würde den Staat allerdings nicht mit zusätzlichen Schulden belasten – denn die Mittel werden ja nicht an den Finanzmärkten aufgenommen –, wohl aber würde dies der Inflation Vorschub leisten.

Die „Hinterlegung mit Eigenmitteln“ der Zentralbank scheint mir ein anderes, wenn auch nicht unwichtiges Problem zu sein. Ich würde seine Lösung nicht unbedingt als Voraussetzung des beschriebenen Modells produktiver Kreditvergabe sehen. Es geht aber eigentlich auch nicht um tatsächliche Deckung der umlaufenden Geldmenge durch Goldreserven oder dergleichen, sondern um den eigentlichen Zweck solcher Deckung: nämlich die Stabilität der Wechselkurse. Daran fehlt es heute – denn der Goldstandard ist längst tot, Bretton Woods ebenso –, mit katastrophalen Folgen für viele Volkswirtschaften.

Vielleicht muß man nicht unbedingt zum Goldstandard zurückkehren. Wilhelm Hankel hat vor einiger Zeit einen interessanten Vorschlag unterbreitet, der – knapp gesagt – darin besteht, anstatt auf Gold oder auf eine Leitwährung sich durch internationale Vereinbarungen auf eine künstliche Verechnungseinheit zu beziehen. Solange solche internationalen Vereinbarungen nicht zustandekommen, müssen die einzelnen Volkswirtschaften zu protektionistischen Maßnahmen greifen, gewisse Devisenkontrollen eingeschlossen.

Dein Hinweis, Raphael, auf den New Deal ist übrigens nicht verfehlt: Gewisse Parallelen bestehen in der Tat.
Das Inflationsrisiko ist IMHO nicht eliminierbar!
Tatsache ist nämlich, daß dem gleichen Bestand an Vermögen (materiell und immateriell) innerhalb der Volkswirtschaft plötzlich durch die freihändige Kreditausgabe der KfW oder der Zentralbank eine deutlich größere Geldmenge gegenübersteht. Da sich aber der Bestand an Vermögen (materiell und immateriell) innerhalb einer Volkswirtschaft an der Geldmenge spiegelt, entspricht nach der Kreditausgabe dem gleichen Vermögen (materiell und immateriell) eine größere Geldmenge und genau diesen Vorgang nennt man nun ’mal Inflation.

Des weiteren werden protektionistische Maßnahmen bei den heutigen weltwirtschaftlichen Gegebenheiten zu kontraproduktiven Ergebnissen führen. Alle anderen Teilnehmer an der Weltwirtschaft werden sich diesen Protektionismus, der sowieso nur auf EU-Basis durchgeführt werden kann, nicht ohne Gegenmaßnahmen gefallen lassen. Außerdem müssen protektionistische Maßnahmen kontrolliert werden. Und Kontrollen – darüber sind sich alle Wirtschaftswissenschaftler einig – sind nur wirtschaftlich sinnvoll, wenn sie z.B. zu Qualitätssteigerungen führen. Dies ist aber bei den in Rede stehenden Kontrollen von protektionistischen Maßnahmen ausgeschlossen.

Wie problematisch im übrigen die geforderten Großprojekte (Transrapid, Autobahnbau, Brücke über die Straße von Messina etc.) sind, kann man am Beispiel des Kanaltunnels zwischen Frankreich und England studieren. AFAIK wurde sowohl die Projektdauer (Fertigstellungstermin) und der Budgetrahmen überschritten. Bei der Finanzierung sahen sich die kreditgebenden Banken plötzlich gezwungen ihre eigentlich als Fremdkapital gedachten Milliarden-Darlehen in Eigenkapital umzuwandeln. Sie wurden daher völlig unfreiwillig Eigentümer dieses Jahrhundertprojekts, dessen Rentabilitätsberechnungen sich im nachhinein als viel zu optimistisch herausgestellt haben. Die betriebswirtschaftliche Amortisation dieses Projektes ist meines Wissens um mindestens ein Jahrzehnt nach hinten geschoben worden.
Genau diese Probleme werden auch bei der angedachten Transrapid-Strecke zwischen Berlin und Hamburg zum Scheitern geführt haben. Thyssen ist ein viel zu vorsichtig kalkulierendes Unternehmen, als daß es die Risiken nicht von der „öffentlichen Hand“ abgefangen wissen will.

Die Zukunft der Volkswirtschaften liegt IMHO in einer konsequenten Anwendung des Ordoliberalismus der „Freiburger Schule“. Hiermit verbinde ich Namen wie Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Friedrich August von Hayek, Alfred Müller-Armack (der interessanterweise Religionssoziologe war) und last but not least Ludwig Erhard. Außerdem – allerdings nur am Rande zu erwähnen – den Nestor der katholischen Soziallehre Oswald von Nell-Breuning, der engster Berater von Konrad Adenauer war. Er ist zwar kein Ordoliberalist im engeren Sinne, hat jedoch bei der innerhalb einer Volkswirtschaft notwendigen Verteilungsgerechtigkeit viel beizutragen.
Der Ordoliberalismus hat in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts im Theorienstreit gegen den Keynesianismus verloren; wobei man im Hinterkopf behalten sollte, daß von John Maynard Keynes der zynische Satz stammt „On the long run, we are all dead!“. Der Ordoliberalismus ist nicht zu verwechseln mit dem in der politischen Diskussion zum Kampfwort verkommenen Schlagwort „Neoliberalismus“. Er geht davon aus, daß eine paternalistische Führung der Volkswirtschaft, wie es der „Bürgeraktion Solidarität“ anscheinend vorschwebt, weniger effektiv als eine freie Entfaltung der Marktkräfte ist. Diese Marktkräfte werden allerdings durch eine konsequent durchgesetzte Rahmenordnung des Staates flankiert.

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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ach, hier hatten wir ja noch ein Thema offen. Bevor ich (so ich Zeit finde) ausführlicher antworte, Raphael, empfehle ich erst einmal dies hier deiner (und jedermanns) Lektüre:

Wilhelm Lautenbach, Möglichkeiten der Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung.
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Beitrag von Raphael »

@ Ketelhohn
Ketelhohn hat geschrieben:Ach, hier hatten wir ja noch ein Thema offen. Bevor ich (so ich Zeit finde) ausführlicher antworte, Raphael, empfehle ich erst einmal dies hier deiner (und jedermanns) Lektüre:

Wilhelm Lautenbach, Möglichkeiten der Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung.
Deine professorale Attitüde törnt tatsächlich ungemein an! ;)

Aber glücklicherweise ist die Literaturliste nur kurz. :roll:
Wenn man den Einstieg etwas niedriger hängt, als das Lesen eines Fachbuches mit wirtschaftshistorischem Inhalt, welches nicht mehr im normalen Buchhandel bezogen werden kann (evtl. noch im Antiquariat), reicht sicherlich der folgende Link aus: http://www.solidaritaet.com/neuesol/2002/1/finanz.htm

Im übrigen steht aus meiner Sicht noch die Beantwortung der Argumente aus meinem Posting vom 26.12.2003 aus. 8)

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