Mörder in Richterrobe

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Robert Ketelhohn
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Mörder in Richterrobe

Beitrag von Robert Ketelhohn »

kreuz.net (9. Dezember 2006) hat geschrieben:[right]http://www.kreuz.net/article/article.4343.1.jpg[/right]
Sanftes Verenden

Ein bayerisches Gericht hat beschlossen, in der Bundesrepublik, die Todesstrafe wiedereinzuführen. Das jüngste Todesurteil wird in zwei Wochen von einem Henker-Team vollstreckt – an einer unschuldigen Frau.

(kreuz.net, München) Behinderte Menschen sollen zukünftig in Deutschland als Schwerverbrechen behandelt werden. So will es das Landesgericht Traunstein. Das Richtergremium verurteilte eine behinderte 74jährige Frau zum Tod durch Verhungern. Das berichtete der regionale Nachrichtendienst ‘Bayern heute’ am Fest der Unbefleckten Empfängnis.

Die zum Tode Verurteilte ist geistig behindert, blind, taubstumm und angeblich todkrank. Die Frau ist ferner auf künstliche Ernährung mittels einer Magensonde angewiesen. Sie lebt seit fünfzig Jahren in einem Heim in Neuötting. Die Ortschaft befindet sich knapp hundert Kilometer östlich von München.

Vor rund vier Wochen entschied der gesetzlich verantwortliche Bruder der Verurteilten gemeinsam mit dem behandelnden Arzt, die Frau nicht mehr länger zu ernähren.

Nach Informationen von ‘Bayern heute’ erfuhr der Vormundschaftsrichter „zufällig“, daß seine Patientin dem Hungertod übergeben worden war. Zu dem Zeitpunkt erhielt die Frau nur noch Flüssigkeit und Medikamente. Der Vormundschaftsrichter ordnete an, der Hungernden Nahrung zuzuführen. Ferner entzog er ihrem Bruder die Rechtsbefugnisse über sie und setzte eine neue Betreuerin ein.

Der Bruder klagte mit der auf Medizinrecht spezialisierten Münchner Anwaltskanzlei Wolfgang Putz und Beate Steldinger. Die Anwälte behaupteten, daß es beim ersten Entzug der Nahrung nicht nötig gewesen sei, den Vormundschaftsrichter zu informieren. Das sei nur erforderlich, wenn Arzt und Betreuer nicht übereinstimmten.

Das Amtsgericht in Altötting wies die Klage ab. Der Fall gelangte sodann an das Traunsteiner Landgericht. Dieses will nun, daß die Frau verhungert. Die Richter versteckten sich hinter einem fachärztlichen Gutachten, den Leitlinien der ‘Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin’ sowie der ‘Deutschen Gesellschaft für Geriatrie’ und auf sogenannte ärztliche Standards.

Der Skandal-Beschluß des Traunsteiner Landgerichts wird in zwei Wochen rechtskräftig. Danach soll – nach Angaben der Anwaltskanzlei Putz und Steldinger – der sogenannte Hausarzt der Frau die „lebensverlängernden Maßnahmen“ beenden.

Schon seit Jahren ist ethisch klar, daß die bloße Ernährung eines Menschen keine „lebensverlängernde“ sondern eine normale „lebenserhaltende“ Maßnahme darstellt. Jeder Mensch – ob gesund oder krank – hat ein Recht auf Ernährung. Der Gipfel des Zynismus: Das Traunsteiner Gericht verlangt, der verhungernden Frau schmerzstillende Medikamente zu verabreichen. Sie solle „sanft und ohne quälende Symptome“ verenden.
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Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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Fingalo
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Beitrag von Fingalo »

Na ja. kreuz.net.
Die verstehen von nix etwas. Das Gericht hat niemanden zum Tode verurteilt. Vielmehr hat es den klagenden Personen erlaubt, die Maßnahmen zu beenden. Das heißt, die säkulare staatliche Macht lehnt es ab, einzuschreiten, also dem Bruder seine Verantwortung abzunehmen. Verantwortlich für das weitere Geschehen ist vor Gott ausschließlich der Bruder, der hier - tendenziös wie immer - nur so nebenher erwähnt wird. Aber den Bruder in den Mittelpunkt zu stellen, bringt ja nicht den notwendigen Hype. Nein der Staat muss ja als verbrecherisch entlarvt werden!
Was haben die Leute bloß für ein Staatsverständis!
Der Übervater, der alles und jedes irgendwie zu entscheiden hat, wenn's ein bisschen kompliziert wird.
Und dann wundern wir uns, dass unsere eigene Moral belanglos wird. Dafür zahlen wir ja Steuern, dass die Gerichte uns in allen Fällen immer sagen, was gut und was böse ist. Der Staat ist zum Gott geworden, an den das eigene Gewissen delegiert wird. Das merken die nicht einmal. Je frömmer, desto staatshöriger, staatsversessener.
Und einen echten Glauben gibt's da auch nicht. Kein Haar fällt von Deinem Haupte ohne Gottes Willen. Aber ja doch, Gott braucht den Staat, damit der für die Durchsetzung seines Willens sorgt, der arme Gott.

sofaklecks
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sine ira et studio

Beitrag von sofaklecks »

Wenn wir das Thema diskutieren, dann nicht auf der Basis von halben Informationen.

Man lese

http://www.aerztlichepraxis.de/artikel_ ... 204498.htm

Danach war es der Staat in Gestalt des Vormundschaftrichters, der hier verhindert hat, dass man jemanden verhungern lässt.

Ob die Beschwerdekammer anderer Ansicht ist, kläre ich noch.

Aber diese idiotisch tendenziösen Berichterstattungen sind es, die mir den Umgang mit manchen Mitgliedern der Religionen so verleiden. Aller Religionen.

Das Thema verdient, mit Respekt behandelt zu werden.

sofaklecks

sofaklecks
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Nachtrag

Beitrag von sofaklecks »

Das Problem resultiert aus dem falschen Einstieg der Juristen, der Kern ener ewigen Diskussion zwischen ihnen und den Ärzten ist und aus der Entwicklungen absoluter Rechte des Einzelnen im vorletzten Jahrhundert resultiert. Zu ihnen gehört das Recht auf körperliche Unversehrtheit. An und für sich einleuchtend führt dieses Recht dazu, dass jeder chirurgische Eingriff, der erfolgt, um Leben zu retten, erst einmal tatbestandlich eine Körperverletzung und damit rechtswidrig ist. Mit der Einstufung als berufsmässige Körperverletzer haben Notärzte verständlicherweise ihre Probleme.

Dass das Problem nicht nur theoretisch ist, zeigt der vorliegende Fall: Das Legen und Liegenlassen der Magensonde ist eine Körperverletzung, gerechtfertigt nur durch die Einwilligung der Patientin, die hier durch den Bruder vertreten wird, weil sie selbst die Einwilligung nicht mehr geben kann. Entzieht der Bruder die Erlaubnis, sind die Mitarbeiter des Heimes bei Fortsetzung der Behandlung als Körperverletzer strafrechtlich verantwortlich, es sei denn, sie haben einen Rechtfetigungsgrund: Also nicht der Bruder muss sein verhalten rechtfertigen, sondern der Arzt, der sich weigert, die Sonde wieder zu entfernen.

Sognifikant ist, dass eine Vielzahl dieser Verfahren vor dem LG Traunstein in der Provinz geführt wird. Grund dafür dürfte vielleicht (reine Vermutung) ein Querdenker bei der Beschwerdekammer sein, der die Welt zu verbesern gedenkt. Und so greift der gewiefte Anwalt Fälle aus dessen Bezirk auf. Ich mach das ebenso, wenn ich einen Wettbewerbstörer am Ohr ziehe: Wenn es geht, suche ich mir unter den Gerichtsständen einen aus, bei dem ich weiss, dass das zuständige OLG meine Auffassung vertritt.

sofaklecks

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Fingalo
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Beitrag von Fingalo »

Das ist zwar nicht falsch, aber doch etwas arg verkürzt. Denn die Aufteilung in Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ist ja nur eine subsumtionstechnische Methode, wenn man den dreigliedrigen Verbrechensaufbau zu Grunde legt. Wenn man den zweistufigen wählt, wo Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zusammenfallen und nur noch die Schuld getrennt behandelt wird, taucht das Problem nicht auf. Der Arzt, der eine lebensrettende Operation unterlässt, begeht eine Tötung durch Unterlassen, was - wenn man bei Deinen Ausführungen stehen bleibt - ja kaum möglich wäre.

Was die Notfallärzte anbetrifft, so stört diese ja nicht das Ergebnis, sondern das Durchgangsstadium der Tatbestandsmäßigkeit, das sie als diskriminierend empfinden.

Das sieht man schon daran, dass die mangelnde rechtfertigende Einwilligung des Patienten (oder des Betreuers) durch das Argument der Sittenwidrigkeit beseitigt werden kann. Ich erinnere an das Problem des Verbots der Bluttransfusion bei den Zeugen Jehovas aus religiösen Gründen. Der Staat wischt hier diese Gründe bei Seite und dekretiert, dass die Weigerung der Eltern, einem Kind die Bluttransfusion geben zu lassen, als "sittenwidrig" unbeachtlich bleibt. Was im Zusammenhang mit den Zeugen Jehovas recht ist, muss bei den übrigen Religionsgemeinschaften, also auch der Kirche, billig sein.
Religiöse Maßstäbe und säkulare Maßstäbe sind nicht kongruent. Und das Strafrecht soll nicht das Gute durchsetzen, sondern die in einer Gesellschaft allgemein anerkannten minima moralia schützen. Damit tut sich die Kirche aber schwer, weil sie ihre Ansichten als von Gott inspiriert in der Schöpfung als eine Art Naturrecht ansieht, das allgemeine Anerkennung verdient. Andernfalls sei die Gesellschaft auf dem Holzweg, nicht weil sie sich vom Christengott entfernt, sondern vom in der Schöpfung angelegten Naturrecht.

Martin O
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Beitrag von Martin O »

Ich bin aus persönlichen Gründen, über die ich hier nicht näher sprechen will, dagegen, hier über einen Fall, der uns allen zu wenig bekannt ist, zu entscheiden, zumal man. soweit ich es sehen kann, hier durchaus auch aus christlicher Sicht geteilter Meinung sein kann:

Ist die Ernährung mittels Magensonde oder PEG ein Menschenrecht? Vor hundert Jahren hätten wir diese Diskussion nicht führen müssen, denn ein Mensch, der keine Nahrung mehr zu sich nehmen konnte, starb; es gab keine technischen Möglichkeiten, aus. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass aus gutkatholischen Motiven das Legen einer PEG negativ bewertet wird - ein gewiss nicht des Liberalismus verdächtiges MItglied dieses Forums hat kürzlich Organspende völlig abgelehnt und auch diese ist bei manchen Patienten die einzige Möglichkeit weiter zu leben - und es gibt viele Menschen, die mit einem Spenderherz ein völlig normales Leben führen können, während ich mir nicht ganz sicher bin, inwieweit man bei einem ausschließlich durch Apparate aufrecht erhaltenen Leben noch von menschlichem Leben sprechen kann.

Bevor Verdächtigungen aufkommen: Ich will hier keinesfalls einer Ausweitung der Sterbehilfe oder Ähnlichem das Wort reden, doch im vorliegenden Fall kann ich mir durchaus ein moralisch nicht verwerfliches Handeln des Bruders vorstellen.
Demokratie ist die schlechteste Staatsform - abzüglich aller übrigen (Winston Churchill)

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Fingalo
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Beitrag von Fingalo »

Martin O hat geschrieben:Ich bin aus persönlichen Gründen, über die ich hier nicht näher sprechen will, dagegen, hier über einen Fall, der uns allen zu wenig bekannt ist, zu entscheiden, zumal man. soweit ich es sehen kann, hier durchaus auch aus christlicher Sicht geteilter Meinung sein kann:
Nun, hier ging es wohl mehr um das Prinzip, wobei der Fall nur der Aufhänger war. Deshalb interessiert der konkrete Fall nicht.

Im übrigen stimme ich Dir zu. Durch die Apparatemedizin ist aus einem Lebensrecht eine Lebenspflicht geworden, die die sich in ihrer Radikalität zu pervertieren droht.

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