EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Mit roten Augen auf dem Bildschirm. Vielleicht etwas getrunken. Die Stimme nervös, ein bisschen hysterisch. Am Schreibtisch wird er ein anderer, träumt von Weltherrschaft und Führung in jeder Hinsicht. Zu unser aller Leidwesen.

Dabei nimmt die NATO heute laut Tagesordnung nicht so sehr die große weite Welt in den Blick, sondern vor allem den Süden. Da könnte es auch um eine hybride Politik der Bundesregierung gehen, um die Legislative unter exekutiver Vorherrschaft, um ein inverses Verhältnis von Norm und Fakt, um ein Demokratiedefizit von staatlichen und überstaatlichen Behörden mit immer größerem Finanz- und Verwaltungshunger. Dabei sind die Ergebnisse zunächst dürftig. Leider gab es in Syrien trotz Vereinbarung einer Waffenruhe als Vorbedingung für Friedensgespräche heftige Kämpfe um Aleppo im Norden.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Der CDU-Europapolitiker Oettinger fordert europäische Angelegenheiten auf europäischer Ebene zu entscheiden. Aktuell betrifft dies das europäisch-kanadische Handelsabkommen CETA. Die Vorbereitung durch die EU-Kommission sowie die Entscheidung durch das EU-Parlament und den EU-Rat hält er für ausreichend. Die Bundeskanzlerin hatte eine Beratung im Bundestag durchgesetzt. Diese Beratung kann informativen Charakter haben. Oettinger äußert Bedenken gegenüber einem möglichen Veto kleinster Parlamente. Damit verweist er auf die Situation in Belgien.

Oettinger spricht aus bundesdeutscher Erfahrung. Auch in Deutschland werden Gesetze der Bundesregierung nur dem Bundestag und dem Bundesrat, nicht aber Landtagen und Kommunalparlamenten vorgelegt. Diese institutionelle Grundstruktur spiegelt sich auch in der Verfasstheit der EU. Die Bürger in Europa sind unmittelbar durch das Parlament an Entscheidungen beteiligt, die Mitgliedsstaaten über den EU-Rat. Gleichwohl sind die Kompetenzen zwischen den Gremien und in den Gremien anders gewichtet als in Deutschland. Das Gewicht des EU-Rates ist höher als das Gewicht des Bundesrates. Dem gegenüber ist die Kompetenz des EU-Parlaments geringer als des Bundestages.

Oettinger bekleidet auch ein Amt in der EU-Kommission.

RomanesEuntDomus
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von RomanesEuntDomus »

Was macht eigentlich die Petition in Großbritannien mit den (angeblichen) vielen Millionen von Mitzeichnern, die forderte, das britische Referendum zu wiederholen?

Heute habe ich eine Antwort per Mail erhalten, da ich mir erlaubt habe, einfach mal mitzuzeichnen, um zu sehen, ob da auch alles mit rechten Dingen zugeht. (Ging es nicht, denn ich bin kein Brite.) Die entscheidende Passage in der Antwort habe ich hervorgehoben:
Dear Roman E. S. Euntdomus,

The Government has responded to the petition you signed – “EU Referendum Rules triggering a 2nd EU Referendum”.

Government responded:

The European Union Referendum Act received Royal Assent in December 2015, receiving overwhelming support from Parliament. The Act did not set a threshold for the result or for minimum turnout.

The EU Referendum Act received Royal Assent in December 2015. The Act was scrutinised and debated in Parliament during its passage and agreed by both the House of Commons and the House of Lords. The Act set out the terms under which the referendum would take place, including provisions for setting the date, franchise and the question that would appear on the ballot paper. The Act did not set a threshold for the result or for minimum turnout.

As the Prime Minister made clear in his statement to the House of Commons on 27 June, the referendum was one of the biggest democratic exercises in British history with over 33 million people having their say. The Prime Minister and Government have been clear that this was a once in a generation vote and, as the Prime Minister has said, the decision must be respected. We must now prepare for the process to exit the EU and the Government is committed to ensuring the best possible outcome for the British people in the negotiations.
...
Thanks,
The Petitions team
UK Government and Parliament

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Für das Treffen im Zelt von Warschau hat die Kanzlerin geschickt gewählt: eine hellblaue Jacke, die weiß-blau gewissermaßen in sich vereint - mit einem Hauch von grün. Dezent hob sie sich dadurch vom NATO-Blau ab und war auch auf dem Gruppenfoto leicht als Dame in türkis zu finden: links hinter dem türkischen Staatspräsidenten. Dieser fand zu seiner Rechten einen Vertreter Großbritanniens, der sich spätestens im September 2020 von der großen Bühne verabschieden wird; dessen diplomatische Offerte an die EU deutet aber auf den Willen, schon schneller zu gehen. Beim Abendbrot hatte die Kanzlerin wenig Gelegenheit, das neue Gesicht in der Runde aus Montenegro nach Fischrezepten zu fragen. Ihren griechischen Kollegen zu ihrer Linken kennt sie aus abendlichem Gespräch über Geld inzwischen ganz gut, mehr Worte dürfte sie mit unserem französischen Freund zu ihrer anderen Linken gewechselt haben. Die großen Themen des Abends waren schon vorher bekannt und auch die Richtung, in die es gehen soll. Osteuropa wünscht sich ein Zeichen der Verbundenheit.

Caviteño
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

Es wird immer deutlicher: Juncker ist überfordert und Selmayr, der Chef seines Beratungsstabes, scheint die Politik zu machen:

Die EU nach dem „Brexit“ - Das Juncker-Syndrom

Gleichzeitig ziehen Schulz und Juncker an einem Strang, um den Einfluß der Kommission gegenüber den Mitgliedsstaaten zu stärken. Die scheinen noch immer nicht realisiert zu haben, daß die Beölkerung kein "Vereinigten Staaten von Europa" will. Pleiten sind dann vorprogrammiert - s. CETA.

Prof. Sinn denkt über einen "Fixit" nach:
Der Ökonom Hans-Werner Sinn hat Finnland als Kandidaten genannt, der mittelfristig aus der Euro-Gemeinschaft austreten könnte. Die wirtschaftlichen Probleme des Landes seien schwerwiegend - und ein Austritt wenig schmerzhaft, schrieb er in einem Gastbeitrag der "Wirtschaftswoche".
Anfang der Neunzigerjahre, in der schweren Krise zwischen 1991 und 1993 nach dem Untergang der Sowjetunion, habe das Land Probleme durch eine Abwertung der damaligen Währung Markka um 3 Prozent gegenüber der D-Mark abgewendet. Daran könnten sich die Finnen heute erinnern.
Derzeit versuche das Land, die Wettbewerbsfähigkeit durch eine reale Abwertung im Euro-Raum zu erhöhen. Bis derartige Maßnahmen greifen, könnte es jedoch einige Jahre dauern. Das zeigten die Erfahrungen in den südeuropäischen Ländern.
(...)
Warum Finnland als Kandidat für einen Euro-Austritt infrage kommt, erklärt der Ökonom wie folgt: "Ein Verzicht auf die Euro-Druckerpresse wäre für das Land weniger schmerzlich als für Griechenland, Italien oder Spanien, weil sich Finnland dieser Presse nicht überproportional bedient." Das Land hätte "die Chance, relativ verlustfrei aus dem Euro auszusteigen".
http://www.welt.de/wirtschaft/article15 ... oraus.html

Ein weiterer Punkt kommt noch hinzu:
Finnland ist das einzige skandinavische Land in der Eurozone. Dänemark und Schweden haben nicht nur den Euro abgelehnt, insbesondere Dänemark hat sich zahlreiche Sonderbedingungen im Verhältnis zur EU gesichert. Norwegen ist kein EU-Mitglied.
Zusammen mit GB könnte ein gemeinsamer Markt für diese Länder sehr interessant sein und eine gemeinsame Position verspräche im Verhältnis zur EU auch Erfolge.

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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

CDU-Politiker Laschet gibt den Brückenbauer vom Rhein: Beim Handelsvertrag CETA kann der Bundestag mitbestimmen. Das Votum solle die Bundesregierung in den EU-Rat einbringen. Das EU-Parlament sei nicht weniger bürgernah als der Bundestag. Der NRW-Politiker gibt der Kanzlerin recht und hält die Position der EU-Kommission nicht für falsch. Kommissionskollege und Parteifreund Oettinger hatte sich dafür ausgesprochen, europäische Entscheidungen auf der europäischen Ebene zu treffen.

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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Der türkische Staatschef wünscht weiterhin keinen Tourismus von Parlamentariern zum Fliegerhorst Incirlik. Dies äußerte er bei einem ersten Gespräch mit der Kanzlerin nach der jüngsten Bewertung des Bundestags der historischen Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei. Umstritten ist dabei die rechtliche Einordnung des Massakers an Armeniern Anfang des letzten Jahrhunderts. Zwar erkennt die Türkei die UN-Konvention zur Ächtung von Völkermord an, lehnt den Begriff für das besagte Massaker jedoch ab. Fraglich ist, welche Ansprüche diese Bewertung zur Folge hätten. Von ihren Sanktionen gegenüber Abgeordneten des Bundestages möchte die Türkei derzeit nicht abweichen. Die Kanzlerin in roter Jacke und weißer Bluse lobte lediglich die Atmosphäre des Gesprächs.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Wenn sich CDU-Politiker Lammert mit dem EU-Kommissionschef wegen CETA kebbelt, um auch mal erwähnt zu werden, dann geht es natürlich um die Frage, welche Bedeutung hat der Bundestag und wie europäisch ist eigentlich Europa?

Um die Außenbeziehungen von Europa geht es am Freitag und Samstag in der Mongolei. In diesem Jahr findet das Asien-Europa-Treffen ( ASEM ) in Ulan Bator statt. Das letzte Treffen war vor zwei Jahren in Mailand. Die Gruppenfotos sind ähnlich voll wie beim NATO-Gipfel. Das Treffen ist informeller Art; man tauscht sich aus. Immerhin sitzen Vertreter von 51 Ländern mit am Tisch sowie von zwei Organisationen, darunter die EU. Maßgeblich geht es dabei um die Sicherheit im Nahen Osten sowie um die Auswirkungen auf Energieversorgung und Wohnbevölkerung.

Der Flug von Berlin nach Ulan Bator dauert mit 9 Stunden etwa solange wie der Flug von Berlin nach Chicago. Aber die Kanzlerin jettet für ein Treffen am Mittwoch und Donnerstag aber erst nach Kirgisistan. Der Flug dorthin sieht zwar aus wie ein Zwischenstopp, dauert aber noch mal eine Stunde länger. In die Mongolei fliegt man von dort noch mal so lang wie von Bonn nach Madeira.

Kirgisistan liegt in Zentralasien an der Westgrenze zu China. Die meisten Einwohner sind säkulare Moslems. Jeder fünfte Kirgise ist orthodoxer Christ. Die deutsche Minderheit ist katholisch und evangelisch. Außerdem leben dort wenige Juden und Buddhisten. Das Land ist seit 25 Jahren unabhängig. Vor sechs Jahren stimmten 90 Prozent der Wähler in einer Verfassungsänderung für eine parlamentarische Demokratie nach dem Vorbild des Grundgesetzes. Von 29 Parteien sind 5 annähernd gleich starke Parteien im Parlament vertreten. Die Kanzerlin trifft Repräsentanten des Staates und des öffentlichen Lebens.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Nicht nur die Briten wurden durch die Ausstiegsbefürworter getäuscht, auch die Mitglieder der Tories haben keine echte Wahl. Wenn May jetzt auch noch zurücktritt, wäre das konsequent.

Aber Cameron fehlt der Mumm und der Rückhalt weiterzumachen.

Caviteño
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

overkott hat geschrieben:Nicht nur die Briten wurden durch die Ausstiegsbefürworter getäuscht, auch die Mitglieder der Tories haben keine echte Wahl. Wenn May jetzt auch noch zurücktritt, wäre das konsequent.

Aber Cameron fehlt der Mumm und der Rückhalt weiterzumachen.
Finde Dich doch endlich einmal damit ab, daß die Briten für den Austritt aus der EU votiert haben. Sie wurden nicht getäuscht, sondern haben bewußt von dieser - in den Verträgen vogesehenen - Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die neue Premierministerin zeigt jedenfalls ein besseres Demokratieverständnis als Du, wenn sie das Referendum akzeptiert:
May hat wiederholt betont, dass sie ein zweites Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union ablehnt. Auch dem Versuch eines Wiedereintritts durch die Hintertür erteilte sie eine Absage.
http://www.handelsblatt.com/politik/int ... 5916.html

Ich möchte einmal das Gezeter hören, wenn bei einem ähnlichen Erfolg des Remain-Lagers jetzt hier die Brexit-Befürworter solche Überlegungen angestellt hätten. Wie würdest Du dann urteilen?

Im übrigen scheint die britische Wirtschaft weit weniger über einen Brexit besorgt zu sein, als die Wirtschaft in der EU. Während der FTSE 1 seit dem 23. 6. (= dem Tag der Abstimmung) inzwischen 5% zugelegt hat, verbleiben der DAX und der EuroStoxx 5 mit jeweils 5% im Minus.
Das mag damit zusammenhängen, daß D. bzw. die EU weitaus mehr nach GB exportieren als umgekehrt; der Handelsverlust für D. bzw. die EU also höher wäre. Ein anderer Punkt ist wahrscheinlich die Abwertung des GBP, die Importe aus der EU in GB teurer und deren Exporte in der EU preiswerter macht. Es kann aber auch sein, daß inzwischen die Regierung und die Wirtschaft die Möglichkeit sieht, als eine "große Schweiz" außerhalb der EU-Reglementierungen eine Fluchtburg für die zerfallende EU und ihre Euro-Währung, zu werden.
Merke: Es gibt auch ein (gutes) Leben außerhalb der EU, wie die EFTA-Länder und die Schweiz täglich beweisen.

Obwohl es in D. häufig anders dargestellt wird, halte ich das Vorgehen der Briten für sehr geschickt. Nicht das Aushängeschild des Brexit-Lagers, Boris Johnson, beobachtet und angefeuert durch Farange, wird die Verhandlungen führen, sondern Frau Theresa May. Sie wird das Verhandlungsteam entsprechend zusammenstellen, sich mit dem Austrittsantrag Zeit lassen und damit die Wogen des Augenblicks glätten. Das wird die Stimmung beruhigen, denn auch den europ. Regierungschefs dürfte nicht an einer Konfrontation gelegen sein. Im Gegenteil - sie werden die Gelegenheit nutzen, die Macht der Kommission und des Parlaments zu beschneiden und klar machen, daß sie (die nationalen Regierungschefs) den Weg vorgeben. Da sie zunächst ihren Ländern und nicht "Europa" verpflichtet sind, wird man auf einen vernünftigen Kompromiß hinarbeiten.

Wer von "Bestrafung" faselt, hat das Wesen des Freihandels nicht verstanden. Er ist eine win-win-Situation für beide Parteien. Warum sollte man darauf verzichten?

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Caviteño hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Nicht nur die Briten wurden durch die Ausstiegsbefürworter getäuscht, auch die Mitglieder der Tories haben keine echte Wahl. Wenn May jetzt auch noch zurücktritt, wäre das konsequent.

Aber Cameron fehlt der Mumm und der Rückhalt weiterzumachen.
Finde Dich doch endlich einmal damit ab, daß die Briten für den Austritt aus der EU votiert haben. Sie wurden nicht getäuscht, sondern haben bewußt von dieser - in den Verträgen vogesehenen - Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die neue Premierministerin zeigt jedenfalls ein besseres Demokratieverständnis als Du, wenn sie das Referendum akzeptiert:
Wo sie getäuscht wurden, brauchen wir nach dem Rücktritt der Hauptvertreter eines Ausscheidens Großbritanniens weiter nicht zu erörtern.

Dieter
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Dieter »

Italien braucht 15 Milliarden!
Angesichts der schwierigen Lage vieler Banken vor allem in Italien hat der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, ein neues milliardenschweres Banken-Rettungsprogramm vorgeschlagen. "Mit 15 Milliarden Euro lassen sich die europäischen Banken rekapitalisieren", sagte er der "Welt am Sonntag". Die gesamte Branche stehe derzeit unter einem großen Druck.
http://www.n-tv.de/wirtschaft/EU-soll-B ... 62576.html

Caviteño
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

overkott hat geschrieben: Wo sie getäuscht wurden, brauchen wir nach dem Rücktritt der Hauptvertreter eines Ausscheidens Großbritanniens weiter nicht zu erörtern.
Doch!
Die Briten haben über eine Sachfrage entschieden und nicht über Personen. Insoweit ist es vollkommen belanglos, wer die Austrittsverhandlungen führt. Auf die guten Gründe, dies nicht durch die Protagonisten der Exit-Bewegung machen zu lassen, habe ich in meinem Post hingewiesen.
Du verwechselst Wahlen und Plebiszite. Bei den Wahlen werden Personen bzw. Parteien gewählt, bei Plebisziten wird eine Sachfrage entschieden. Anschließend ist es unwichtig, wer diesen Willen des Souveräns umsetzt. In der Schweiz muß dies meist die amtierenden Regierung (Bundesrat) machen, selbst wenn sie im Abstimmungsverfahren eine andere Meinung vertreten hat.

Gerade wird gemeldet, das Cameron am Mittwoch zurücktritt und Platz für Frau May macht.
Das ging ja schnell!

Themenwechsel:

Gegen eine weitere Visa-Liberalisierung für Georgien, die Ukraine und die Türkei spricht sich dieser Artikel aus:

Schengenraum - Sichert die Grenzen!
Die Visaliberalisierung ist vor dem Hintergrund des Migrationsdrucks, der ungeschützten Grenzen innerhalb der EU und vieler anderer Möglichkeiten, in Europa zu bleiben, eine Einladung für eine risikofreie Einwanderung. Die Vorstellung der EU-Kommission, die Abschaffung der Visapflicht hätte keine nennenswerte Zunahme der Migration aus den betroffenen Ländern verursacht, ist somit schlicht realitätsfremd. Denn die zu beobachtende Migrationsdynamik sowohl bei den osteuropäischen EU-Mitgliedern als auch auf dem Balkan weist ganz eindeutig auf einen Anstieg der Armutseinwanderung in den Wohlstandsgürtel der EU hin. Für den Kosovo wird gar ein bevorstehender Exodus der jungen Generation befürchtet.
(...)
Zum System der Anreize gehören fehlende oder auf Grund von Korruption faktisch ungeschützte Außengrenzen, ein garantiertes Asylverfahren für Personen ohne oder mit gefälschter Identität, Garantien für den Familiennachzug und eine soziale Absicherung. Die Suche nach der „wahren“ Identität von hunderttausend Verfolgten, mit der Abertausende von Beamten beschäftigt sind, hat in ihrer Absurdität kafkaeske Züge angenommen.
Im Ergebnis scheint es egal zu sein, ob der Antragsteller individuell verfolgt wurde, aus einem sicheren Staat kommt oder mit krimineller beziehungsweise terroristischer Absicht eingereist ist. Denn es besteht kaum eine Möglichkeit, ihn abzuschieben. Die Prozedur ähnelt der Ermittlung einer Straftat, bei der im Voraus bekannt ist, dass der mutmaßliche Täter so oder so auf freien Fuß gesetzt wird.
(...)
Im Kalten Krieg war das Asylrecht auf die Aufnahme politisch Verfolgter aus totalitären Regimen ausgerichtet. Heute ermöglicht es jedem, der seinen Fuß auf europäischen Boden setzt, ein faktisch unbegrenztes Bleiberecht in der EU – auch dann, wenn sein Gesuch abgelehnt wird.
Im internationalen Recht verankert und vertraglich gesichert, entfaltet das System der Anreize nun sein zunehmend destruktives Potenzial. Anstatt die Nachbarn einander näherzubringen, beginnt es damit, sie zu entzweien. Anstatt mehr Europa zu schaffen, verstärkt die Grenzenlosigkeit den antieuropäischen Affekt und trägt zur Stärkung nationalistischer Abwehrkräfte bei.
Eine Zeitlang mag die Bilanz von Schengen positiv gewesen sein. Nun überwiegen jedoch die Nachteile: angefangen von der grenzübergreifenden organisierten Kriminalität inklusive Menschen- und Drogenhandel bis zur kontinuierlichen Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Abschaffung der Visapflicht für die Staatsangehörigen der oben genannten Länder würde einen weiteren Schub unkontrollierter Migration auslösen.
(Hervorhebung von mir)

Für Schengen und den Euro gilt:
Beide wurden zu schnell eingeführt, ohne sich über die bei Einführung schon absehbaren Schwierigkeiten Gedanken zu machen.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Caviteño hat geschrieben:
overkott hat geschrieben: Wo sie getäuscht wurden, brauchen wir nach dem Rücktritt der Hauptvertreter eines Ausscheidens Großbritanniens weiter nicht zu erörtern.
Doch!
Die Briten haben über eine Sachfrage entschieden und nicht über Personen.
Ja, sie wurden getäuscht, sie haben es eingeräumt und Sie versuchen es weiter.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Die Briten wurden getäuscht, die Tories werden getäuscht und Cameron geht am Mittwoch dahin, wo er sich schämen sollte.

Die EU wird Frau May nach dem Abschiedsbrief nicht hinterherweinen. Wenn die Schotten den Briten nicht klein beigeben wollen, müssen sie sagen, wie sie sich der EU nützlich machen möchten.

Caviteño
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

overkott hat geschrieben: Die EU wird Frau May nach dem Abschiedsbrief nicht hinterherweinen.
Das kommt darauf an. Schulz und Juncker reagieren natürlich wie eine verlassene Ehefrau, aber ob sie bei den Austrittsverhandlungen viel zu sagen haben, steht in den Sternen. F und die Südländer werden das ganze schulterzuckend zur Kenntnis nehmen und ihren Schwerpunkt auf den EU-Haushalt und ihre Subventionen legen.
Weinen werden D., die Nordeuropäer, die Balten und die Polen. Sie verlieren einen wichtigen Bündnispartner im Kampf gegen den Regulierungswahn - und die ganze EU verliert einen Nettozahler.
overkott hat geschrieben: Wenn die Schotten den Briten nicht klein beigeben wollen, müssen sie sagen, wie sie sich der EU nützlich machen möchten.
Mich wundert immer wieder die Bestimmtheit, mit der davon ausgegangen wird, das Schottland sich von England trennen wird, um Mitglied der EU zu werden/zu bleiben.

Niemand kann heute seriös sagen, zu welchen Bedingungen der Austritt GB bzw. Englands erfolgt. Vielleicht sind die Bedingungen für beide Seiten akzeptabel.
Außerdem kennen wir die Höhe des Ölpreises nicht. Beim letzten Referendum lag er bei 100 USD/barrel, jetzt beträgt er die Hälfte. Bereits beim letzten Referendum reichten die Einnahmen aus dem Ölgeschäft nicht aus, um die englischen Subventionen zu bezahlen.
Weiterhin bestände dann zwischen England und Schottland eine EU-Außengrenze - mit Folgen für die dort arbeitenden Schotten. Deren weitere Arbeitsmöglichkeiten würden dann von den Austrittsvereinbarungen abhängen.
Beim letzten Referendum spielte der Erhalt des GBP bei der Abstimmung eine wichtige Rolle. Schottland müßte als EU-Mitglied den Euro einführen. Will die Bevölkerung sich an den zahllosen "Rettungspaketen" für die Südländer beteiligen? Da dürften auch Zweifel angebracht sein.

Die wenigen Punkte zeigen, daß es viel zu kurz greift, das Abstimmungsergebnis in Schottland zum Brexit fortzuschreiben und von einem Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich auszugehen - quasi als "Rache" für den Brexit. Vor Abschluß der Scheidungsverhandlungen wird sich sowieso nichts tun - und wie dann die EU, die Eurozone und die wirtschaftliche Lage in GB aussehen wird, wissen wir nicht.

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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Caviteño hat geschrieben:
overkott hat geschrieben: Die EU wird Frau May nach dem Abschiedsbrief nicht hinterherweinen.
Das kommt darauf an. Schulz und Juncker reagieren natürlich wie eine verlassene Ehefrau, aber ob sie bei den Austrittsverhandlungen viel zu sagen haben, steht in den Sternen. F und die Südländer werden das ganze schulterzuckend zur Kenntnis nehmen und ihren Schwerpunkt auf den EU-Haushalt und ihre Subventionen legen.
Weinen werden D., die Nordeuropäer, die Balten und die Polen. Sie verlieren einen wichtigen Bündnispartner im Kampf gegen den Regulierungswahn - und die ganze EU verliert einen Nettozahler.
Sie werden wissen, wie sich eine verlassene Ehefrau fühlt. Vor dem Abschiedsbrief wird es jedenfalls keine Austrittsverhandlungen geben.

Seit Sonntag ist erst mal wieder TTIP im Gespräch, ab Mittwoch kann jeder, der möchte, geistiges Eigentum in die 14. Verhandlungsrunde einbringen und die Briten sind als eines von 28 Mitgliedsländern selbstverständlich dabei.

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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

Dieter hat geschrieben:Italien braucht 15 Milliarden!
Angesichts der schwierigen Lage vieler Banken vor allem in Italien hat der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, ein neues milliardenschweres Banken-Rettungsprogramm vorgeschlagen. "Mit 15 Milliarden Euro lassen sich die europäischen Banken rekapitalisieren", sagte er der "Welt am Sonntag". Die gesamte Branche stehe derzeit unter einem großen Druck.
http://www.n-tv.de/wirtschaft/EU-soll-B ... 62576.html
Die 15 Mrden € sind ja nur der Beginn; die faulen Kredite bei den ital. Banken belaufen sich auf ca. 36 Mrden €.

http://www.faz.net/aktuell/finanzen/akt ... 19121.html

Der Chef der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, lehnt es (im Augenblick) ab, die Regeln erneut zu brechen.
Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem lehnt ein neues Bankenrettungsprogramm ab. "Die Probleme müssen in den Banken geregelt werden", sagte der Niederländer beim Treffen der Eurofinanzminister am Montag in Brüssel. Die Einfachheit, mit der einige Banker mehr öffentliche Gelder forderten, um ihre Probleme zu lösen, sei problematisch. "Das muss ein Ende haben."
(...)
Das Problem: Staatliche Hilfen für angeschlagene Banken dürfen laut EU-Regeln erst fließen, nachdem Aktionäre und private Gläubiger herangezogen wurden. Das wurde nach der Finanzkrise beschlossen.
(...)
Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem sagte, Italiens Probleme seien lange bekannt. "Es ist keine akute Krise." Man müsse Schritt für Schritt vorgehen und sich an die Regeln halten. Das heißt: Erst Fremdkapitalgeber und Aktionäre zur Kasse bitten, bevor der Staat einspringen darf.
Doch das will Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi auf jeden Fall verhindern: Denn die Banken des Landes haben Anleihen im Milliardenvolumen an ihre privaten Kunden verkauft. Würden sie zur Kasse gebeten, müsste Renzi wohl um sein Amt fürchten. Nach Berichten italienischer Zeitungen will Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan in Brüssel ausloten, wie die Regierung in Rom Banken helfen kann.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/untern ... 2474.html

Problematisch wird das Ganze, weil Renzi eine umfassende Staatsreform durchsetzen will, für die im Oktober ein Referendum angesetzt ist. Grillo und seine Partei haben bereits angekündigt, dies zu einer Abstimmung über Renzi, seine Politik und den Euro umzufunktionieren. Werden die Kleinsparer zur Kasse gebeten und/oder kommt es zu einem bank-run, sind die Tage des Hoffnungsträgers Renzi gezählt. Statistisch darf man davon ausgehen, denn seit Kriegsende hat noch keine Regierung in IT die volle Legislaturperiode geschafft.... :breitgrins:

Erlaubt man die "Bankenrettung", wird dies als ein Beweis gewertet werden, daß die EU sich nicht an ihre eigenen Regeln hält - Sonderbestimmungen bzgl. "Finanzstabilität" hin oder her. Außerdem wäre die Frage zu klären, woher das Geld (egal ob 5, 1, 15 oder 36 Mrden €) kommt bzw. kommen soll. ESM? :panisch: EZB? :traurigtaps:

Merkel hat nur die Wahl, entweder dem Bruch der Vereinbarungen zuzustimmen (und ggfs. deutsche Steuergelder zu verpfänden) oder Neuwahlen in IT zu riskieren, bei denen der europaskeptische Grillo siegen könnte. Dazu "Flüchtlings"krise und Brexit.... Für wen ist diese EU eigentlich noch attraktiv? :achselzuck:

maliems
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von maliems »

Caviteño hat geschrieben:. Schottland müßte als EU-Mitglied den Euro einführen. Will die Bevölkerung sich an den zahllosen "Rettungspaketen" für die Südländer beteiligen? Da dürften auch Zweifel angebracht sein.
wieso das? Schottland könnte eine eigene Währung einführen. Es könnte diese Währung an das GBP binden.

Caviteño
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

maliems hat geschrieben:
Caviteño hat geschrieben:. Schottland müßte als EU-Mitglied den Euro einführen. Will die Bevölkerung sich an den zahllosen "Rettungspaketen" für die Südländer beteiligen? Da dürften auch Zweifel angebracht sein.
wieso das? Schottland könnte eine eigene Währung einführen. Es könnte diese Währung an das GBP binden.
:nein:
Wenn die Schotten der EU beitreten wollen, müssen sie das gesamte Vertragswerk übernehmen. Dazu gehört auch, daß die gemeinsame Währung - der Euro - eingeführt wird. Es gibt nur zwei Länder, die -bei Euroeinführung(!)- Sonderbedingungen ausgehandelt haben: Dänemark und Großbritannien. Alle anderen Länder sind verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die Konvergenzkriterien erreicht haben.
Der Euro ist nicht die Währung aller EU-Mitgliedstaaten. Zwei Länder (Dänemark und das Vereinigte Königreich) haben im Vertrag eine Ausnahmeklausel (eine so genannte „Opt-out“-Klausel) ausgehandelt, durch die sie von der Teilnahme befreit werden, während die übrigen Länder (viele der jüngst beigetretenen EU-Mitgliedstaaten sowie Schweden) die Bedingungen für die Übernahme der gemeinsamen Währung noch nicht erfüllt haben. Sobald diese Länder die Bedingungen erfüllen, tauschen sie ihre nationale Währung gegen den Euro aus.
http://ec.europa.eu/economy_finance/euro/index_de.htm
Die Euro-Zone ist jedoch nicht statisch: Laut Vertrag müssen alle EU-Mitgliedstaaten der Euro-Zone beitreten, nachdem sie die notwendigen Bedingungen erfüllt haben. Ausnahmen bilden Dänemark und das Vereinigte Königreich, die eine Ausnahmeklausel (eine so genannte „Opt-out“-Klausel) ausgehandelt haben, die es ihnen erlaubt, außerhalb der Euro-Zone zu bleiben.
Ferner wird davon ausgegangen, dass Schweden der Euro-Zone in Zukunft beitreten wird, jedoch hat sich Schweden dafür noch nicht qualifiziert.
http://ec.europa.eu/economy_finance/eur ... dex_de.htm

Es darf wohl kaum davon ausgegangen werden, daß die EU-Staaten bei den Beitrittsverhandlungen mit Schottland auf eine Einführung des Euros in dem Land verzichten würden. Einige osteuropäischen Länder (insbesondere Polen) zögern die vertraglich vorgeschriebene Euro-Einführung hinaus, indem sie kein Interesse daran haben, die Konvergenzkriterien zu erfüllen.
Wer will schon dem Club beitreten? :D

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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Caviteño hat geschrieben:Es darf wohl kaum davon ausgegangen werden, daß die EU-Staaten bei den Beitrittsverhandlungen mit Schottland auf eine Einführung des Euros in dem Land verzichten würden. Einige osteuropäischen Länder (insbesondere Polen) zögern die vertraglich vorgeschriebene Euro-Einführung hinaus, indem sie kein Interesse daran haben, die Konvergenzkriterien zu erfüllen.
Wer will schon dem Club beitreten? :D
Die schottische Regierungschefin agiert vorsichtig. Denn wenn sie in der EU bleiben will, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Die Übernahme des Euros könnte den Schotten den Schritt in die Unabhängigkeit erleichtern. Fraglich ist aber, ob die EU die Schotten im Euro haben möchte.

Vor dem ersten Anlauf in die Selbständigkeit schrieb der Spiegel über den schottischen Finanzsektor: zweites Standbein, aber überdimensioniert. Deshalb sei er auf eine leistungsfähige Zentralbank angewiesen. Nach der Bank of England könnte die EZB diesen Part übernehmen. Durch die Einführung des Euros hätte Schottland derzeit gegenüber England einen Wechselkursvorteil.

Die Schotten müssen kühl kalkulieren, Kosten und Nutzen abwägen. Durch Ausfall britischer Zahlungen ist zunächst eine Lücke von jährlich 4,5 Milliarden Euro zu finanzieren. Kommt das durch das Nordseeöl in den nächsten 30 Jahren wieder rein? Und wie hoch sind die Kosten für zusätzliche Maßnahmen zur äußeren Sicherheit?

Die Konvergenzkriterien sind für eine Umwandlung der Mitgliedschaft nur bedingt erfüllt: Das Preisniveau ist im Rahmen, die Staatsverschuldung genügt nicht den Maastrichtkriterien und entspricht in etwa der von Frankreich, das Haushaltsdefizit liegt über dem von Spanien und Portugal.

Und sind die Schotten bereit, Flüchtlinge aufzunehmen?

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Die aktuelle China-Entscheidung des Ständigen Schiedsgerichts im Streit mit den Philippinen wirft ein gravierendes Problem der europäischen Handelsverträge ( morgen dürfen sich Lobbyisten in die 14. TTIP-Verhandlungsrunde einbringen ) auf: die Rechtmäßigkeit und Durchsetzbarkeit internationaler Gerichtsurteile.

Sinnvoll ist die Vermittlung durch eine solche Institution, wenn die Konfliktpartner bereit sind, vor einem solchen Gericht einen Vergleich auszuhandeln.

Das EU-Parlament hat 2014 grenzüberschreitende Verfahren von Schiedsgerichten als Ausnahme dargestellt. In der entsprechenden Studie steht auf Seite 3: "arbitration in the European Union is predominantly regional, rather than transnational."

maliems
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von maliems »

Caviteño hat geschrieben:
maliems hat geschrieben:
Caviteño hat geschrieben:. Schottland müßte als EU-Mitglied den Euro einführen. Will die Bevölkerung sich an den zahllosen "Rettungspaketen" für die Südländer beteiligen? Da dürften auch Zweifel angebracht sein.
wieso das? Schottland könnte eine eigene Währung einführen. Es könnte diese Währung an das GBP binden.
:nein:
Wenn die Schotten der EU beitreten wollen, müssen sie das gesamte Vertragswerk übernehmen. Dazu gehört auch, daß die gemeinsame Währung - der Euro - eingeführt wird. Es gibt nur zwei Länder, die -bei Euroeinführung(!)- Sonderbedingungen ausgehandelt haben: Dänemark und Großbritannien. Alle anderen Länder sind verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die Konvergenzkriterien erreicht haben.
Der Euro ist nicht die Währung aller EU-Mitgliedstaaten. Zwei Länder (Dänemark und das Vereinigte Königreich) haben im Vertrag eine Ausnahmeklausel (eine so genannte „Opt-out“-Klausel) ausgehandelt, durch die sie von der Teilnahme befreit werden, während die übrigen Länder (viele der jüngst beigetretenen EU-Mitgliedstaaten sowie Schweden) die Bedingungen für die Übernahme der gemeinsamen Währung noch nicht erfüllt haben. Sobald diese Länder die Bedingungen erfüllen, tauschen sie ihre nationale Währung gegen den Euro aus.
http://ec.europa.eu/economy_finance/euro/index_de.htm
Die Euro-Zone ist jedoch nicht statisch: Laut Vertrag müssen alle EU-Mitgliedstaaten der Euro-Zone beitreten, nachdem sie die notwendigen Bedingungen erfüllt haben. Ausnahmen bilden Dänemark und das Vereinigte Königreich, die eine Ausnahmeklausel (eine so genannte „Opt-out“-Klausel) ausgehandelt haben, die es ihnen erlaubt, außerhalb der Euro-Zone zu bleiben.
Ferner wird davon ausgegangen, dass Schweden der Euro-Zone in Zukunft beitreten wird, jedoch hat sich Schweden dafür noch nicht qualifiziert.
http://ec.europa.eu/economy_finance/eur ... dex_de.htm

Es darf wohl kaum davon ausgegangen werden, daß die EU-Staaten bei den Beitrittsverhandlungen mit Schottland auf eine Einführung des Euros in dem Land verzichten würden. Einige osteuropäischen Länder (insbesondere Polen) zögern die vertraglich vorgeschriebene Euro-Einführung hinaus, indem sie kein Interesse daran haben, die Konvergenzkriterien zu erfüllen.
Wer will schon dem Club beitreten? :D
Habe ich nicht gewusst. Danke.

Caviteño
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

maliems hat geschrieben:Habe ich nicht gewusst. Danke.
Ja, die Wenigsten haben inzwischen eine Vorstellung davon, wie stark die Vorschriften der EU inzwischen die Rechte der Parlamente aushebeln und ihren Alltag bestimmen. Es beschränkt sich nicht nur auf Glühbirne und Gurkenkrümmung. Egal ob Beratungsprotokolle bei den Banken, Familienzusammenführung bei einem ausländischen Ehepartner oder Besuch aus Drittstaaten - immer sind es EU-Vorschriften, die den deutschen Gesetzen zugrunde liegen. Das wird einem nur bekannt, wenn man selbst einmal mit dem Problem konfrontiert wird und bei der Frage nach dem "Warum" auf eine Richtlinie oä aus Brüssel stößt.

Wenn die Medien über den Einfluß der EU einmal objektiv berichten würden, wäre die Ablehnung vermutlich noch viel größer.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Der EuGH beschäftigt sich zur Zeit mit Kopftüchern am Arbeitsplatz. Zwei Fälle sind anhängig.

Im ersten Fall geht es um einen belgischen Personaldienstleister für den Empfangsbereich von Einrichtungen, der seine Mitarbeiter auf ein neutrales Auftreten verpflichtet und daher auch religiöse Zeichen nicht gestattet.

Im zweiten Fall hat ein französisches Softwareunternehmen eine Mitarbeiterin aufgrund einer Kundenbeschwerde hin entlassen.

Im ersten Fall geht es um das Verhältnis von Grundrecht ( in diesem Fall der Religionsfreiheit ) im Allgemeinen und Vertragsfreiheit im Besonderen. Im Rahmen der Vertragsfreiheit akzeptiert ein Mitarbeiter die Regeln eines Unternehmens. Die Sittlichkeit des Vertrags ergibt sich aus dem Betriebszweck. Ist für den Betriebszweck eine Kleiderordnung erforderlich, darf das Unternehmen seine Mitarbeiter darauf vertraglich verpflichten. Mitarbeiter, die grundsätzlich nicht mit der Kleiderordnung einverstanden sind, können daher im Unternehmen nicht länger tätig sein.

Im zweiten Fall geht es um die Gültigkeit von Verträgen bei Kundenbeschwerden. Ein Arbeitgeber ist an einen Vertrag gebunden, auch wenn sich ein Kunde über einen Mitarbeiter beschwert. Im Rahmen des Betriebszwecks ist der Arbeitgeber berechtigt, einem Mitarbeiter im Umgang mit diesem Kunden Weisungen zu erteilen. Dies kann auch die Kleiderordnung betreffen. Ist der Mitarbeiter nicht einverstanden, muss zunächst eine betriebsinterne Lösung gefunden werden. Der Mitarbeiter könnte also mit anderen Kunden betraut werden. Ist keine betriebsinterne Lösung möglich, muss dem Mitarbeiter eine Abfindung gezahlt werden.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Die Bundeskanzlerin will die Annäherung der EU an Kirgisistan fördern. Das sagte sie in der Hauptstadt Bischkek. Seit 25 Jahren ist das Land unabhängig, seit wenigen Jahren hat es eine Verfassung wie das Grundgesetz. Ein deutscher Regierungschef war jedoch noch nie zu Besuch. Merkel reist im Anschluss weiter in die Mongolei zum europäisch-asiatischen Dialog am Freitag und Samstag.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Theresa, wir müssen reden. Nach dem Wechsel im Amt des britischen Premierministers hat die Kanzlerin eine Einladung ausgesprochen. Eine unaufgeregte Begleitung der neuen Entwicklung ist für die Handelsbeziehungen und die EU am besten. Die Kanzlerin kennt die Interessenlage der EU sehr gut und sucht zunächst einmal den Kontakt. Auch die Außenminister werden sich verständigen müssen.

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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Caviteño »

overkott hat geschrieben:Die Bundeskanzlerin will die Annäherung der EU an Kirgisistan fördern.
Klasse Formulierung! :klatsch:

Zeigt sie doch ganz deutlich, wer sich wo annähern soll. :breitgrins:
"Die EU nähert sich Kirgisistan an" - das wird sicherlich die Akzeptanz der EU in der deutschen Bevölkerung signifikant erhöhen.

Merke:
Nicht nur in Brüssel ist man lernresistent.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Caviteño hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Die Bundeskanzlerin will die Annäherung der EU an Kirgisistan fördern.
Klasse Formulierung! :klatsch:

Zeigt sie doch ganz deutlich, wer sich wo annähern soll. :breitgrins:
"Die EU nähert sich Kirgisistan an" - das wird sicherlich die Akzeptanz der EU in der deutschen Bevölkerung signifikant erhöhen.

Merke:
Nicht nur in Brüssel ist man lernresistent.
Diese Geste der Annäherung ist seit dem vergangenen Jahr überfällig. Schließlich ist Kirgisistan eine Goldgrube, aber auch ländlich geprägt. Die Kanzlerin ist für Hilfsangebote offen. Wenn der Stahlhandel ihr Thema wäre, hätte sie nach China reisen müssen. Freitag und Samstag kann sie ja mal die Chinesen fragen, was sich seit ihrem Besuch getan hat.

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Siard
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Siard »

overkott hat geschrieben:Die Kanzlerin kennt die Interessenlage der EU sehr gut …

Diese ist ja bekanntlich eine völlig andere, als die Interessen der Menschen auf dem Gebiet der EU zu vertreten.

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overkott
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von overkott »

Siard hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Die Kanzlerin kennt die Interessenlage der EU sehr gut …

Diese ist ja bekanntlich eine völlig andere, als die Interessen der Menschen auf dem Gebiet der EU zu vertreten.
Sie können dafür keine Belege liefern und werden einen Teufel tun, nicht wahr? :ikb_devil2:

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Siard
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Re: EU am Scheideweg - wie geht es weiter?

Beitrag von Siard »

overkott hat geschrieben:
Siard hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Die Kanzlerin kennt die Interessenlage der EU sehr gut …

Diese ist ja bekanntlich eine völlig andere, als die Interessen der Menschen auf dem Gebiet der EU zu vertreten.
Sie können dafür keine Belege liefern und werden einen Teufel tun, nicht wahr? :ikb_devil2:
Das ist sehr leicht zu belegen. Ein wacher Blick und offene Ohren lehren das sehr schnell.
Manche kreisen natürlich – wie Politiker – nur um sich selbst. :unbeteiligttu:

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